Friedensmuseum „Brücke von Remagen“
Das zweite Wunder von Remagen
Hans-Peter Kürten
Inzwischen dürfte fast jeder wissen, daß die Ludendorff-Brücke, die in Remagen den Rhein überspannte, am 7. März 1945 von einer kleinen Vorhut der 9. amerikanischen Panzerdivision unter der Führung des deutschstämmigen US-Leutnants K. H. Timmermann nach zwei fehlgeschlagenen Sprengversuchen von deutscher Seite intakt in die Hände der Amerikaner fiel. Dadurch rückte die fast 2000 Jahre alte Stadt Remagen, die um das Jahr 16 als römisches Kastell unter Kaiser Tiberius gegründet wurde, schlagartig in den Mittelpunkt der Kriegsmaschinerie. Die Brücke spielte im Schlußkapitel des 2. Weltkrieges eine entscheidende Rolle. Die Kriegshistoriker sind sich heute alle einig, daß dieser Handstreich den 2. Weltkrieg um einige Zeit verkürzte. Nicht auszumalen sind alle die Dinge, die sich hieraus ergeben haben. Premier Churchill nannte die Eroberung einen Glücksfall, General Eisenhower rief aus: „Die Brücke ist ihr Gewicht in Gold wert!“ Und in den Annalen derKriegsgeschichte steht das Geschehen als DAS WUNDER von Remagen.
Als ich vor 15 Jahren Bürgermeister der Stadt Remagen wurde, lernte auch ich diese Geschichte kennen und stellte fest, daß immer wieder ehemalige Soldaten und Familienangehörige aus den Vereinigten Staaten bei einem Europabesuch Remagen aufsuchten, um die Reste der Brücke zu sehen.
Um diese Brücke war es schlecht bestellt. Die Türme lagen verkommen da und waren Tummelplatz für Kinder, Pennbrüder nächtigten hier, es regnete hinein und unter den Decken hatten sich Stalaktiten-Kolonien wie in Tropfsteinhöhlen entwickelt, kurzum, keine Stätte, die des Vorzeigens wert gewesen wäre. Damals verstand ich nicht, warum die Stadt und warum ihre Bürger kein Interesse an dieser Brücke zeigten. Zu dem kam, daß die Brückentürme, die Pfeiler im Strom und ein großer Bahndamm, der das Gebiet der Stadt Remagen zerschnitt, Eigentum der Deutschen Bundesbahn waren. Vor allen Dingen der Bahndamm war es, der dem Wachstum der Stadt Remagen sehr hinderlich war.
Und so war es nicht schwer, den Rat zu bewegen, einen Antrag an die Bundesbahn zu stellen, das gesamte Bundesbahnareal der Stadt zu verkaufen. Es dauerte nahezu sieben Jahre, bis endlich der Vertrag mit der Bundesbahn unterzeichnet werden konnte, weil dort erst geklärt werden mußte, ob nicht doch eines Tages aus zivilen oder militärischen Gründen wieder an gleicher Stelle eine Brücke errichtet werden sollte.
In all dieser Zeit durfte ich natürlich nicht von weitergehenden Plänen in den Brückentürmen reden, denn es hätte zwangsläufig den Kaufpreis für das Areal um die Brückentürme erhöht. Aber schon in jener Zeit entstand ein erster Plan, wie man die Brückentürme umbauen könnte, und Zeichnungen davon sind im heutigen Friedensmuseum in der Friedenshalle gleich unten im Eingangsbereich zu sehen.
Als wir dann endlich Eigentümer waren, wußte ich immer noch nicht, wie ich die Idee der Einrichtung einer Gedenkstätte verwirklichen sollte. Daß die Stadt Remagen kein Geld hatte, um so etwas zu finanzieren, wußte ich viel zu genau. Vorstöße, Gespräche in Mainz und Bonn, bei der Bundeswehr, stießen auf kein positives Echo, so daß es sich erst gar nicht lohnte, schriftliche Anträge zu fixieren.
Ich schrieb an Ken Hechler, den Autor des berühmten Buches „The Bridge at Remagen“ und erzählte ihm meine Idee. Er gab zur Antwort, daß das Interesse an dieser Geschichte vorbei sei, und ich auf keinen Fall mit Hilfe aus seiner Sicht rechnen könne. Zufällig hörte ich dann einmal davon, daß in England eine Brücke abgebrochen wurde und Stein für Stein in Amerika wieder errichtet worden war.
Da ich wußte, daß Amerikaner Souvenirjäger sind, entwickelte sich in mir die Idee, Steine der Brücke zu verkaufen. Sehr früh war mir klar, daß solche Steine nur dann einen Wert besaßen, wenn man bescheinigen konnte, daß sie echt sind. Ich dachte daran, auf faustgroßen Steinen eine Metallplombe mit dem Siegel der Stadt zu befestigen. Aber bei weiterem Nachdenken befriedigte diese Lösung keineswegs. Das Echtheitszertifikat sollte eigentlich ein bißchen von der Geschichte dieser Brücke erzählen und außerdem aussagen, wozu das Geld dienen sollte, das ich aus dem Verkauf zu erlösen gedachte. Also montierte ich einen faustgroßen Stein auf einen Holzsockel, in den ich ein Loch bohrte, um dahinein das Echtheitszertifikat einzulegen.
Meine Frau, eine der wenigen, die mich zu diesem Zeitpunkt nicht für ein bißchen verrückt hielt, war sehr skeptisch über dieses Monstrum — es ist im Museum zu sehen — und ebenso ein amerikanischer Journalist, dem ich die Geschichte erzählte und den Prototyp zeigte.
Er meinte: „Well, die Idee ist wonderfull! Aber dieses Ding duldet keine amerikanische Frau in ihrer Wohnung.“
Also ging das Suchen weiter, und schließlich kam der entscheidende Durchbruch nach Beratung mit der eigenen Frau und sonstigen Bekannten. Ich wußte es nun; es sollte ein kleines Steinchen sein, in Gießharz eingegossen, und in dem Sockel, unter einer Vignette der Brücke von Remagen versteckt, ein Holzröllchen mit dem Zertifikat in deutscher und englischer Sprache. Dann ging die Suche nach einer Firma los, die die Arbeiten ausführen könnte. Schließlich wurde ein kleiner Familienbetrieb im Westerwald gefunden, der den Auftrag erhielt, die ersten Stücke zu gießen.
Dem Rat der Stadt trug ich meine Idee vor. und dieser bewilligte mir mit der Genehmigung des Haushalts am 14. 3. 1977 ganze 3000,- DM, um wenigstens die Entwicklungskosten in etwa bezahlen zu können. Da ich als sparsamer Verwalter der städtischen Finanzen bekannt war. wurde mir dieser Wunsch erfüllt. Aber ich bin sicher, daß nahezu alle Ratsherren damals der Meinung waren, diese 3000,- DM sind weggeworfenes Geld. Aber hin und wieder, so meinte man, muß man dem Kürten ja auch mal einen Wunsch erfüllen. Als dann am 18. 11. 1977 bei mir Leutnant Colonel F. T. White erschien und für Leutnant General Robert M. Shoemaker — Comander des 3. Corps in Fort Hood in Texas — einen größeren Brückenstein erbat, weil General Shoemaker 1945 mit zu den Soldaten gehörte, die als erste über die Remagener Rheinbrücke gegangen waren und deshalb als Erinnerung an dieses Geschehen gerne einen Stein der Brücke in seinem Kommandobereich aufstellen wollte, trat ich mit dieser Idee, obwohl der kleine Stein im Gießharzblock noch nicht als Muster vorlag, vor die Öffentlichkeit und erzählte, was ich vorhatte. Das Echo war ungeheuer. Fast könnte man sagen, es wurde weltweit über die Verkaufsidee berichtet. Viele Rundfunk- und Fernsehanstalten berichteten darüber sowie alle Tageszeitungen. Eine Flut von Schreiben aus den Vereinigten Staaten — aber auch aus europäischen Ländern — ging bei uns ein, in denen Leute baten, ihnen doch baldmöglichst einen Brückenstein zu überlassen. Viele beglückwünschten mich zu dieser Idee und wünschten, daß sie auch zum Tragen komme.
Ein attraktives Schaustück im Friedensmuseum: Das Modell der Brücke von Remagen
Am 7. März 1978 veranstaltete ich an der Brücke eine Feier. Viele, viele Menschen kamen. Gegner von einst — Freunde heute. Ein großes Händeschütteln begann und dauert an. Damals brachten wir eine Tafel an den Türmen an, mit dem von mir vorgeschlagenen Text:
Für den Krieg gebaut,
im Krieg zerstört,
sollen die Türme immer mahnen.
Hier kämpften Soldaten
zweier großer Nationen.
Hier starben Menschen
von Hüben und Drüben!
Und wiederum berichteten hierüber viele europäische und amerikanische Fernsehanstalten.
Inzwischen haben wir durch den Verkauf von Steinen und Spenden 70 000 DM eingenommen. Ein Brückenturm ist fertiggestellt, ebenso der zweite im Eingangsbereich und ein Treppenaufgang bis zum Quergang unter den alten Gleisen. Der Bund bewilligte mir im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme etwas mehr als 70 000,— DM an Lohnkosten für Arbeitslose. Mit diesen Männern und stadteigenen Handwerkern wurde in den Brückentürmen so viel getan, daß genau zwei Jahre später, am 7. 3. 1980, das Friedensmuseum Remagen der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Aus den Riesenbergen an Post, die mich erreichten, möchte ich zwei Briefe zitieren:
Josef Giacomi aus Pennsylvanien schrieb: ..Ich bin 60 Jahre alt. meine Gesundheit ist schlecht, aber der Artikel in unserer Zeitung erinnert mich an meinen Aufenthalt in einem Schloß über dem Rhein. Ich erinnere mich gut an einige Städte, wo ich viele nette deutsche Leute getroffen habe. Sie waren freundlich. Sie haben ein wundervolles Land. Sir. möge Gott Ihre Nation und Ihre feinen Menschen, die ich lieben gelernt habe, beschützen. Ich erinnere mich gut an das Lied ..Lili Marien“, aber es war nie möglich, dieses Lied in Amerika zu kaufen. Wäre ich ein reicher Mann, würde mein letzter Wunsch sein, daß ich meine letzten Tage am Rhein verbringen könnte.“
Misses Lucilla Albani schrieb: ..Ich las in der Los Angeles-Times über Ihren Plan, ein Museum zur Erinnerung an die Soldaten, die ihr Leben an der Brücke verloren, einzurichten. Mein Ehemann. August Albani. war einer der 28 gefallenen Amerikaner. Ich finde, es ist eine gute Geste für alle Soldaten. Viel Glück!“
Neben all den Briefen, in denen Leute um Steine baten, in denen sie ihre Schicksale erzählten, kamen noch Fakten, Bilder, Fotos und Geschichten zum Vorschein, die längst vergessen waren. Aus all diesem Material konnte das Museum gefüllt werden. Und ständig geht es weiter. Immer wieder kommen Personen aus Nah und Fern, die irgendetwas Interessantes bringen, damit das Museum weiter ausgebaut werden kann. Und über allem steht vom März 1980 an das Leitmotiv:
,,Laßt uns jeden Tag mit Geist und Verstand für den Frieden arbeiten. Beginne jeder bei sich selbst!“
35 Jahre danach: Die Veteranen gedenken der Ereignisse vor 1945
Fotos: Kreisbildstelle
Vom gesamten Auslandsdienst der Deutschen Welle wurde im März 1980 ein großer Beitrag über die Einweihung des Museums gesendet. Der Schlußteil lautete:
„Das schlicht, aber würdig gestaltete Turm-Museum mit Dokumenten vom Bau und der Zerstörung der Brücke wurde der Öffentlichkeit übergeben. Hans Peter Kürten lud dazu ein und alle, alle kamen. Über 600 Menschen aus aller Welt, in deren Leben die Brücke von Remagen eine Rolle gespielt hat. Amerikaner und Belgier. Engländer und Deutsche, die Frauen und Söhne der erschossenen deutschen Offiziere. Abordnungen der Bürger der netten kleinen Stadt, die damals überlebt hatte. Die Nachfahren der Erbauer der Eisenbahnbrücke, die zwischen 16 und 18, also noch zu Kaiser Wilhelm des II. Zeiten für vorwiegend strategische Zwecke gebaut wurde, sie alle waren dabei, als Bürgermeister Kürten in einer Feierstunde vor dem neu eröffneten Brückenmuseum der Gefallenen von damals gedachte. Remagens Dechant Ham-mes, von Rheinmöwen umflattert wie Friedenstauben, sagte in der Sprache der alten Römer, die einst überall hier am Rhein ihre Feldlager bauten und die Weinreben mitbrachten, die klassischen Gebetsworte der Katholischen Kirche: ..In Nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. — Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Die Fahnen der Verbündeten von einst senkten sich noch einmal vor den Toten jener Tage in Erinnerung an das Wunder von Remagen im Frühling 1945. Dann reichten sich ehemalige Feinde und heutige Freunde, die jungen Soldaten von einst, die Veteranen von jetzt, die Hände über Blumengebinde hinweg. Von Herzen applaudierte man Bürgermeister Kürten, dem Vater des neuen kleinen Museumswunders, als er den großen französischen Politiker Anstide Briand zitierte: „Die Friedensgöttin ist eine anspruchsvolle Geliebte; sie fordert einen langen, ununterbrochenen und harten Dienst.“ Dieser Satz, 1926 gesprochen, gilt heute noch.
Wir alle müssen diesen Dienst leisten.
Vielleicht ist die kleine Geschichte vom seltsamen Wunder von Remagen eine Ermutigung dazu. Das neue Museum jedenfalls im alten Brückenturm, das einzige auf der Welt, das ein Wunder ausstellt, will eine sein.
Am 5. März 1980 schrieb der zur Feier eingeladene Alt-Bundespräsident Walter Scheel: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister Kürten, das Museum in einem der noch erhaltenen Türme der Brücke von Remagen soll ein Mahnmal des Friedens werden. Für diese hervorragende Idee haben Sie Initiativen entwickelt und sie durchgesetzt. Ich wünsche Ihnen weiterhin Erfolg für das Projekt und einen guten Verlauf für die Feierstunde.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Walter Scheel.“
Inzwischen haben ca. 14600 Menschen das Friedensmuseum besucht. Sie kamen aus Holland, aus Belgien, aus Frankreich, aus den Vereinigten Staaten, Kanada, aus Japan — und viele, viele Deutsche; erstaunlich viele Jugendliche waren dabei. So daß ich heute beglückt sage, alle Mühe, alle Arbeit zur Verwirklichung dieser Idee hat sich gelohnt.
Und so kann ich nur hoffen, daß dieses Museum ein Mosaiksteinchen sein möge in dem Bemühen, den Frieden in der Welt zu erhalten.