Französischer Ballon „La Ville de Paris“ landete bei Kempenich im Oktober 1870
Französischer Ballon „LaVille de Paris“
landete bei Kempenich im Oktober 1870
Hermann Bell
Während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 war Paris nach einem schnellen Vorstoß der deutschen Truppen eingekesselt. Aus der belagerten Stadt wurden mit 66 Baiions neben Postsendungen auch Menschen, Brieftauben, Posthunde und sogar Kisten mit Dynamit herausgeflogen. Hierbei kam es vor, daß Baiions abgetrieben wurden und sogar in Feindesland gerieten. Von einem solchen Vorfall wird nachfolgend berichtet.
Es war an einem schönen nachsommerlichen Oktobertag des Jahres 1870, da stand der Haustener Lehrer am Fenster seines Wohnzimmers und schaute hinaus in die herbstliche Landschaft. Eben hatte er Schluß gemacht mit dem Unterricht und noch lärmten die Kinder die Dorfstraße entlang. Plötzlich wurde der Lehrer aufgeschreckt aus seinen Gedanken. Was war denn das für eine Unruhe im Dorf? Konnten die Rangen denn immer noch nicht zur Ruhe kommen. Da mußte schleunigst Ordnung geschaffen werden. Kaum war er aus dem Schulhause getreten, stürzten ihm Männer, Frauen und Kinder entgegen und zeigten mit Entsetzen zum Himmel. Sie schrien und lärmten wie besessen und zwischendurch hörte man Ausrufe: „Die Welt geht unter.“ Ziemlich niedrig, vom Westwind getrieben, schwebte über die Haustener Höhe hinweg eine runde Kugel, unter der an Stricken ein Korb baumelte. Das konnte doch nur ein Luftballon sein, schoß es dem Lehrer durch den Sinn. Schnell rannte er mit einigen beherzten Männern hinter dem Ungetüm her, das an einem langen Seil einen Anker unter sich herschleppte. Tiefe, wie von einem Pflug gezogene Furchen im Ackerboden zeigten den Weg an, den der Ballon genommen hatte.
Endlich war die wilde Jagd zu Ende, am Scheidweiher hatte sich das Ankertau in einem Eichenbaum verfangen. Die Haustener waren die ersten am Platz. Da standen sie nun und staunten und hätten gar zu gern gewußt, was ihnen die drei Insassen der Gondel zuriefen. Aber davon war ja kein Wort zu verstehen. Schließlich klettert einer von den dreien an Seil und Baum herunter, jedenfalls um zu erkunden, wo sie gelandet seien. Das wäre bestimmt eine recht verwickelte Angelegenheit geworden, wenn nicht, außer einer Anzahl Leute, die von den Feldern, von Kempenich und Weibern herbeigelaufen waren, auch der alte Förster Emsbach mit seinem Sohn auf dem Schauplatz erschienen wäre. Der alte Herr hatte in seiner Jugend das Gymnasium bis Obertertia besucht und konnte daher feststellen, daß es sich um „Musjös“ handelte, die französisch sprachen. Vielleicht erriet er deren Absicht oder verstand einige Worte, kurzum, kaum hatte er denen oben das Wort „Koblenz“ zugerufen, als plötzlich ein Schauerregen von Sand auf die verdutzten Bauern niederprasselte und gleichzeitig das aus Seegras gedrehte Ankertau von der Gondel aus durchgehauen wurde. Schon erhob sich der Ballon, von Fessel und Last befreit, in die Lüfte und entschwebte, trotz der vier Schrotschüsse, die ihm die beiden Emsbachs noch nachschickten, stolz in Richtung auf den Rhein zu. Später verlautete, daß er in der Nähe von Wetzlar niedergegangen und dort beschlagnahmt worden sei.
Zeitgenössische Zeichnung des französischen Ballons „Ville de Paris“ aus dem Jahre 1870.
Der zurückgebliebene Franzose wurde nun im Triumph nach Kempenich gebracht, wo er von dem damaligen Bürgermeister Arens vernommen werden sollte. Zum Glück war die Nichte des Pastors von Freyhold der französischen Sprache mächtig, so daß das Verhör vorgenommen werden konnte. Der Franzose gab an, sie seien in der Nacht in Paris aufgestiegen, um Postsachen und Nachrichten ins neutrale Gebiet zu schaffen. Wegen mangelhafter Orientierung seien sie über die deutsche Grenze geflogen. Er wurde dann nach Adenau transportiert. Am Nachmittag lieferten einige Leute zwei große, schwere Postsäcke, eine Dienstmütze und eine prächtige Pelzmütze auf dem Bürgermeisteramt ab, die sie auf dem Hilsberg gefunden hatten. Jedenfalls hatten die Franzosen auf der Höhe landen wollen, ohne daß der Anker Grund faßte. Bei diesem Manöver müssen die Gegenstände aus der Gondel gefallen sein.
Wegen des Ankers kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Kempenich und Weibern. Kempenich begründete seinen Anspruch damit, daß die Eiche, die den Ballon „La Ville de Paris“ aufhielt, auf Kempenicher Gebiet stehe. Weibern aber behauptete, der Anker habe im Weibener Bann festgesessen. Schließlich wurde entschieden, daß Weibern im Recht sei, und noch heute ist der Anker dort in der Schule zu sehen.
Anker der Ballons, der noch heute in der Weiberner Schule aufbewahrt wird.
Quellen:
Schulchronik Weibern
Ernst M. Cohn. The 1870 Flight of the Balloon „La Ville de Paris“. 1966 (Reprinted from Thirty-Second Amencan Philatelie Congress book. October 1966).