Eva Mulner – die Hexe von Wehr
Am 20. Mai 1603 schrieb Abt Balthasar Panhausen von Steinfeld der „Edler und Ehrentugentreicher Frawen“ Gertrud von Breitbach, geborene Schall von Bell und verwitwete Herrin von Bürresheim einen Brief. Er habe gehört, dass einige in der Herrschaft Bürresheim kürzlich wegen Zauberei hingerichtete Personen „in irer tortura vnnd Examination“ Steinfelder Untertanen in Wehr „teufflicher Kunst vnnd Abgöttereien besagt haben“, und dass die Gemeinde Wehr „laiders mehr dan gut, mit solchen grewlichen laster vnnd Vnrath besudlet sein solle“. Daher werde bei ihm durch seine dortigen Untertanen „zu deßen außrottung . . . vast instendig vnd beschwerlich ahngehalten“. Damit er aber dieses „werck“ beginnen könne, bitte er die Herrin von Bürresheim, ihm die betreffenden Besagungen geheim, vertraulich und verschlossen – also wohl versiegelt – zuzuschicken. Denn er wolle nicht, dass irgendeiner seiner Untertanen grundlos an Ehre und gutem Ruf geschädigt werde. Der Abt seinerseits sicherte der Dame zu, dass, sollten sich bei den in Wehr zu führenden Prozessen Besagungen Bürresheimer Untertanen erfolgen, er ihr diese ebenfalls mitteilen lassen werde1). So heftig man sich auch jahrzehntelang über eine Pinte strittigen Grenzlandes streiten mochte, bei der Hexenjagd funktionierte die grenzüberschreitende Verfolgung bestens – in Amtshilfe, wie wir heute sagen würden. Viererlei ist diesem Schreiben zu entnehmen:
- in der benachbarten Herrschaft Bürresheim mit gerade einmal vier Dörfern wird seit 1596 immer noch, oder schon wieder eifrig „gebrannt“;
- die eigenen Untertanen, vermutlich ein dörflicher Ausschuss, drängen den Abt, endlich gegen das Hexenunwesen in Wehr vorzugehen;
- dass nach der großen Verfolgungswelle der Jahre 1587 bis 1596 im benachbarten Kurtrier in Wehr anscheinend keine Hexenprozesse geführt wurden. Ob es hier in dem genannten Zeitraum zu Verfolgungen kam, ist wegen fehlender Quellen nicht feststellbar; und
- dass in Wehr im Laufe des Jahres 1603 wahrscheinlich eine Prozessserie begann, die, wie auch in anderen Teilen des heutigen Kreisgebiets, wohl mit Unterbrechungenbis in die Jahre 1609/10 andauerte. Über die Zahl der Opfer kann man nur spekulieren.
Am Montag, dem 7. September 1609 wurde Eva, Ehefrau des Johann Mulner aus Wehr „vor ein Zaubers“ verhaftet und in der Kellerei festgesetzt2). „Besagt“ worden war Eva
- von Eltz (Elsa), Ehefrau oder Witwe3) des Neeliß (Cornelius) Klockener aus Wehr – hingerichtet schon am 9. November 1606 „als ein Zaubers“;
- von Sunna (Susanne), Ehefrau oder Witwe des Jan Scheffer aus Wehr, ebenfalls am 9. November 1606 hingerichtet – „eodem tempore“;
- von Griett (Margareta), Ehefrau oder Witwe des Quirin Hullenbroich aus Wehr, ebenfalls am 9. November 1606 hingerichtet;
- von Gillis (Helene?), Ehefrau des Steffen Schmidt aus Wehr. Gillis hat schon gestanden, und hat Eva bei einer Gegenüberstellung „in faciem“4) besagt. Kurz nach dieser Gegenüberstellung dürfte sie hingerichtet worden sein;
- von Gillis (Ägidius) Schuch/Schoen aus Wehr. Gillis war schon im September 1606 verhaftet, aber „durch seinen Zuruckfhall“ damals wieder entlassen worden. Jetzt ist er wieder festgenommen worden, hat gestanden, ist aber noch nicht hingerichtet worden; und
- von Lyse (Elisabeth) Paumaß aus Wehr. Auch Lyse hat schon gestanden, ist mit Eva konfrontiert, aber noch nicht hingerichtet worden.
Erschwerend kam für Eva noch hinzu, dass sie „ex communi fama“5) schon seit längerer Zeit unter starkem Zaubereiverdacht stand. Bis auf Lyse Paumaß – sie mag später nach Wehr gekommen sein – werden alle hier genannten Personen bzw. deren Ehemänner schon in einer Vermögensaufstellung aus dem Jahr 1602 genannt6). Gillis Schuch/Schoen besaß in Wehr ein Haus mit Hof und Garten im Wert von immerhin 150 Gulden, dazu noch einige Länderen. Neeliß Klockener war 1602 Gerichtsschöffe, er besaß ein Haus, Hof und Garten im Wert von 90 Gulden – allerdings mit einer ebenso hohen Hypothek belastet – Ländereien besaß Neeliß nicht. Quirin Hullenbrögers Haus und Hof – er besaß keinen Garten – hatte nur einen Wert von 77 Gulden. Dazu besaß er 6 Morgen Ackerland, 1 1/2 Morgen Wiesen und 1/2 Morgen Bungert (= Baumgarten).
Am Mittwoch, dem 9. September 1609, begann der Prozess gegen Eva Mulner. Das Gericht setzte sich zusammen aus Thomas Lehenmann, seines Zeichens Landgerichtsbote im kurkölnischen Amt Nürburg, dem Steinfelder Schultheiß Niclas Schlecht7), und zwei Wehrer Schöffen: Meister Hans Wagener und Wilhelm Thöniß. Gerichtsschreiber war ein gewisser Rudolph Heynweschen, auch er kam wahrscheinlich aus Steinfeld. Thomas Lehenmann war mit einiger Sicherheit ein Sohn jenes Ewald Lehenmann, der seit 1580 arenbergischer Amtsverwalter bzw. Statthalter im Amt Nürburg war, und der dort zwischen 1591 und 1593 mindestens 28 Hexen und Zauberer hinrichten ließ. Auch in der Grafschaft Arenberg ließ er im September/Oktober 1593 zwölf Frauen als Hexen hinrichten8). Im Laufe des Jahres 1609 wurden im Amt Nürburg noch einmal 62 Menschen als Hexen und Zauberer hingerichtet – 56 Frauen und 6 Männer! Thomas Lehenmann konnte also einiges an Erfahrung zu diesem Prozess beisteuern! Zwei Stunden lang wurde Eva vom Gericht „gantz getrewlich vnd vleißig“ gedrängt, ein freiwilliges Geständnis abzulegen, allerdings ohne Erfolg. Als „sulches da nicht helffen können“, wurde dem Scharfrichter Meister
Das Riedener Kreuz von 1702 steht an der Gemarkungsgrenze zwischen Wehr und Rieden. Im Prozess gegen Eva Mulner wird 1609 ein Holzkreuz an dieser Stelle erwähnt. Hier soll der Pakt mit dem Teufel geschlossen worden sein und sich auch ein Hexentanzplatz befunden haben. Das abgebildete Kreuz wurde 1702 von Cirvas Tholl aus Rieden gestiftet.
Balthasar befohlen, Eva in „tortura . . . zu examinieren“. Mit Anlegen der „Beinschrauben“ und danach durch Hochziehen mit einem an den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen befestigtem Seil hat der Scharfrichter sie „ziemblich hardt angegriffen“, so dass Eva zunächst ein Teilgeständnis ablegte. Eva war wahrscheinlich aus Wassenach gebürtig, und hatte dort um 1594 eine „Affaire“ mit dem Junker Anton Kolve von Wassenach, die nicht ohne Folgen blieb9). Noch vor der Geburt des gemeinsamen Kindes zog Eva nach Wehr.
Es ist nicht anzunehmen, dass Anton Kolve seine Position als Dienstherr der jungen Magd gegenüber ausgenutzt hat. Anton musste 1594 schon ein Herr in „gesetztem“ Alter gewesen sein, da er schon 1549 die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte – er war zu dieser Zeit mindestens 50 Jahre alt. Auch „jugendlichen“ Leichtsinn wird man ihm kaum nachsagen können, dafür hatte ihn das Schicksal doch zu hart gestraft. Seine Frau war seit etlichen Jahren tot, und auch sein Sohn Emund, sein einziges Kind, war bereits gestorben. Emund war zwar mit Marianne von Meckenheim verheiratet gewesen, hatte aber keine Kinder hinterlassen. Mit Anton wäre demnach die direkte Linie der Kolve, die das Burghaus zu Wassenach immerhin schon seit mindestens 1391 als kurkölnisches Lehen besaßen, ausgestorben. Anton wird daher durchaus den Willen und die ernste Absicht gehabt haben, die wohl recht hübsche Magd zu heiraten, um so seinen Stamm fortzusetzen. Dies hätte zwar einen mittelprächtigen Skandal bei seinen Standesgenossen und vor allem bei der „lieben“ Verwandtschaft gegeben, aber solche „Aschenputtelhochzeiten“ waren durchaus möglich. Man denke hier nur an die Gräfin Katharina von der Mark, begraben in der Mayschoßer Pfarrkirche, die angeblich die uneheliche Tochter einer Viehmagd war. Für Eva wäre eine solche Heirat die Chance ihres Lebens gewesen. Anton besaß in Wassenach ein ansehnliches Burghaus, dessen stattlicher Nachfolgebau von 1772 heute noch steht. Dazu 60 Morgen10) Ackerland, 10 Morgen Wiesen, 3 Morgen Wingert, 10 Morgen Niederwald und 1 Mark11) im Nickenicher Wald. Dazu kamen noch die Erträge von 24 zinspflichtigen Höfen. Anton war demnach ein wohlhabender Mann und eine gute Partie. Dies wäre ein Stoff, aus dem man einen Roman hätte machen können – allerdings mit tragischem Ausgang. Denn da gab es noch die „böse“ verwitwete Schwiegertochter! Obwohl sie keinerlei Rechtsanspruch darauf hatte – ihr verstorbener Mann hat ja sein Erbe nie antreten können und auch keine Kinder hinterlassen – beanspruchte Marianne von Meckenheim die lebenslange Leibzucht an den Kolvengütern nach dem Tod ihres Schwiegervaters. Hätte Anton wieder geheiratet, wäre sie wohl mit einer kleinen Rente abgefunden worden. Marianne und die restliche Verwandtschaft werden alles darangesetzt haben, Anton von seinen Plänen abzubringen. Sie werden ihm täglich in den Ohren gelegen und die Hölle heiß gemacht haben. Vor diesem Hintergrund wird man wohl den Wegzug Evas nach Wehr sehen müssen. Auch nach der Geburt des Kindes hielten beide ihr Verhältnis aufrecht. Beide trafen sich häufig auf halbem Weg zwischen Wassenach und Wehr am Veitskopf um dort „Unzucht“ zu treiben, wie das Protokoll vermerkt. Hier, an einem großen hölzernen Kreuz, sollte Eva später vom Teufel in Gestalt des Anton Kolve verführt werden. Am 15. Mai 1599 ist Anton Kolve von Wassenach gestorben, und Evas Traum war ausgeträumt! Es traten dann die oben schon angedeuteten Erbstreitigkeiten ein, die sich bis etwa 1650 hinzogen. Mariannes Ansprüche wurden durch eine einmalige Zahlung abgegolten. Eva hat dann den Johann Mulner aus Wehr geheiratet, auch er für Wehrer Verhältnisse ein wohlhabender Mann. Johann wird schon 1602 als Gerichtsschöffe genannt und gehörte demnach zur dörflichen Oberschicht. Er besaß Haus, Hof und Garten im Wert von 112 Gulden, aber nur 2 1/2 Morgen Ackerland und 1/2 Morgen Wiesen. Er wird wohl, wie sein Name schon sagt, Pächter der Steinfelder Mühle in Wehr gewesen sein, und damit, da für die Wehrer Untertanen Mahlzwang auf dieser Mühle bestand, war sein Einkommen gesichert. Wir dürfen sicher sein, dass schon bei Evas Ankunft in Wehr zumindest die Wehrer Weiblichkeit, und hier besonders der ledige Teil, sich das „Maul zerrissen“ hat über das „Junkerliebchen“, dazu noch ledige Mutter! Und dies erst recht nach der Heirat mit Johann Mulner: „Diese mit nur zwei Schürzen hergelaufene Magd setzt sich ins gemachte Nest“! Von hier bis zum Hexereivorwurf war es nur ein Schritt: „Zuerst hat sie den Junker Anton verhext und nun unseren Johann“! So oder ähnlich mag überall getuschelt oder auch öffentlich gelästert worden sein. Wir kennen solche offenen oder versteckten Hexereivorwürfe aus dem Wehrer Brüchtenbuch12). Genau das war gemeint mit dem oben genannten „ex communi fama“, das auch in anderen Prozessakten immer wieder angeführte „gemein geschrey“. Möglich ist aber auch, dass Eva heftigen, sozialen Konflikten im Dorf zum Opfer gefallen ist, und dass man durch Eva ihren der dörflichen Oberschicht angehörenden Mann treffen wollte. Wir kennen solche „Stellvertreterprozesse“ nach heftigen sozialen Auseinandersetzungen z. B. aus der Grafschaft Arenberg in den Jahren 1591/93. Aber auch in Ahrweiler, Rheinbach oder Meckenheim griff man die Frauen der örtlichen Honoratioren an und ließ sie verbrennen, um so ihre Ehemänner finanziell und gesellschaftlich zu ruinieren. Hierüber aber liegen für Wehr keine Quellen vor, so dass eine solche Annahme für Wehr zunächst Spekulation bleiben muss. Wie oben schon gesagt, wurde Eva an einem Wegekreuz am Veitskopf im Wassenacher Wald vom Teufel verführt.13) Nach vollzogener „Teufelsbuhlschaft“ packte sie der Teufel, stieß sie „mit dem rucken wider das Creutz“ -also wohl mit entblöstem Hinterteil – und „gesagt, du bis min und muss mir folgen“. Dann zwang er Eva „Gott dem Almechtigen, Seiner lieben Mutter und allen Heiligen Gottes“ abzuschwören, „und ihme, dem gerißlichen Teuffel mit leib und Seel sich übergeben“. Danach verschwand der Teufel, und Eva ist wieder „hochlich bedrubt nach Wher gangen“. Hiermit hatte das Gericht die ersten zwei Punkte der sogenannten wissenschaftlichen, elaborierten oder kumulativen Hexenlehre abgehakt – Teufelsbuhlschaft und Teufelspakt. Diese Hexenlehre wurde zum ersten Mal von dem Dominikanermönch Heinrich Kramer/Institoris (1430-1505) in seinem im Dezember 1486 erschienenen „Malleus Maleficarum“, dem Hexenhammer konzipiert14), und von dem Trierer Weihbischof Dr. Peter Binsfeld (15451598) und dem Niederländischen Jesuiten und Universalgelehrten Martin Delrio (1551-1608) systematisiert. Als „Beweis“ für die Gültigkeit des abgeschlossenen Pakts galt auch der „Mißbrauch der Hochheiligen Sacramentn“. Eva gestand, dass sie bei der Hl. Kommunion die Hostie nicht heruntergeschluckt habe, sondern diese nach Verlassen der Kirche „digitis ex ore genommen15), und verachtlich . . . auff die erdt geworffen“. Solches aber sei nur drei Mal geschehen, obwohl sie dazu weiterhin vom Teufel „mit stusen und schlagen gezwungen worden“ sei. Häufig wurde aus solch geschändeten Hostien auch die Hexensalbe zubereitet, mit der die Hexe sich „geschmert“, bevor sie zum „Dantz“ fuhr. Es folgt das Geständnis des Flugs durch die Luft zum „Dantz“, dem Hexensabbat. Vor etlichen Jahren sei sie „auff Quadert“16) bei einer „versamblung“ der Hexen und Zauberer gewesen, und danach noch drei Mal am Riedener Kreuz. Auf die Frage, wer ihre Tanzgenossen gewesen seien, besagt sie vier Personen aus Wehr:
- die Hullenbrögers (s. o. Nr. 3);
- Paumaß/Panuß17) Eltz, und deren Tochter
- Lyß (s. o. Nr. 6), und
- Schuch Gillis (s. o. Nr. 5), der habe auf
einem „pferdtz Kopff gepiffen“18). Bis auf Eltz Paumaß, der Mutter der Lyß, sind die von Eva besagten Personen schon tot oder haben gestanden bzw. sind schon verurteilt. Bei der Besagung der Eltz dürfte es sich um Rache für Evas Besagung durch deren Tochter handeln! Sehr „originell“, und bisher einmalig im Kreisgebiet Ahrweiler, ist Evas Beschreibung des Flugs durch die Luft zum „Dantz“. Jedesmal, wenn sie zum Tanz flog, habe sie vorher ihrem Mann einen „nomine et viribus diabolicis consecriert(en)“19) Besen ins Bett gelegt, damit dieser nicht aufwachte „vnd ihrer . . . gewar werden kunnen“. Mit einem anderen Besen „dergleichen manier“ sei sie dann durch den Schornstein vor die Haustür „gefharen“, wo „der boes“ sie mit einem „grahen Thier“ – wohl ein grauer Bock – erwartete, auf dem sie dann zum Tanz gefahren seien. Auf die gleiche Art und Weise sind sie dann zurückgekehrt. Nachdem der Teufel sie vor ihrer Haustür abgesetzt hatte, sei sie mit ihrem Besen wieder durch den Schornstein ins Haus gefahren, und habe sich zu ihrem Mann ins Bett gelegt. Am Ende dieses Verhandlungstages wurde Eva noch einmal durch Hochziehen am Seil gefoltert, weil sie „kein Facinora p. p. bekennen willen“20). Gemeint war ein Bekenntnis wegen begangenen Schadenzaubers an Mensch, Vieh und Ernte. Nur dieser letzte Punkt der Hexenlehre rechtfertigte den Tod durch Verbrennen, so wie es Artikel 109 der Carolina bestimmte, die 1532 erlassene Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. – die übrigen Punkte der Hexenlehre waren für die Carolina kein verwertbares „Indiz“:
„Item so jemandt den leuthen durch zauberey schaden oder nachtheil zufuegt, soll man straffen vom leben zum tode, vund man solle solliche straff mit dem feur thun. Wo aber jemant zauberey gebraucht vnd domit nymandt schaden gethon hete, soll sunst gestrafft werden nach gelegenheit der sache; darinne die vrtheiller raths geprauchen sollen, als von rathsuchen hernach geschrieben steet“21).
Wollte demnach ein Gericht einen Menschen wegen Zauberei zum Tode durch Verbrennen verurteilen, musste es ihm Schadenzauber nachweisen! Nicht umsonst nimmt daher begangener Schadenzauber in den Protokollen so großen Raum ein. Durch einen exzessiven Einsatz der Folter war ein solcher „Nachweis“ ja auch kein Problem. Artikel 58 der Carolina befasst sich mit Einsatz und Anwendung der Folter, allerdings in etwas vagen Formulierungen. Allgemein aber galt, dass nach einer Folter ohne Geständnis der Angeklagte als unschuldig galt und freigelassen werden musste – genau dies war hier bei Eva Mulner der Fall, sie hat keinen Schadenzauber gestanden! Ebenfalls galt, dass die Folter in einem Verdachtsfall nur ein Mal eingesetzt werden durfte, es sei denn, dem Gericht würden völlig neue Indizien diesen konkreten Fall betreffend vorgelegt – genau dies war bei Eva Mulner nicht der Fall! Auch durfte die Folter eine bestimmte Zeitdauer nicht überschreiten, und es mussten Pausen zwischen den einzelnen „Graden“ eingelegt werden. Auf diese „lasche“ Art waren natürlich keine Hexenprozesse zu führen. Zu viele Hexen und Zauberer wären den Hexenjägern entwischt, wenn sie physisch und psychisch kräftig genug waren. Solche Fälle sind bekannt, wie z. B. die der Anna Wasems und der Frew Sons aus Aremberg im Jahr 1557. Aber solche Fälle kannte auch schon der „Hexenhammer“, listig/hinterlistig empfahl er daher den Inquisitoren auch einen ganz üblen Trick: „Wenn er“, der Angeklagte, „nicht zum Geständnis der Wahrheit gebracht werden kann, wird man den zweiten oder dritten Tag zur Fortsetzung der Folter, nicht aber zur Wiederholung bestimmen, weil sie nicht wiederholt werden darf . . . Aber sie fortzusetzen ist nicht verboten“22). Genau dieser „Empfehlung“ des „Hexenhammers“ folgte das hiesige Gericht, wie übrigens auch die kurkölnische Hexenprozessordnung von 1607. Erst damit wurden die viehischen Foltermethoden möglich wie bei der Massenverfolgung der Jahre 1628 bis 1649 in Kurköln und anderswo. Immer wieder gab es hier Tote in der Folter, so in Ahrweiler, in Mehlem und in Rheinbach – der Teufel habe ihnen das Genick gebrochen, hieß es dann von seiten der Inquisitoren. Nachdem Eva am Ende des ersten Verhandlungstages in ihre Zelle zurückgeführt worden war, wurde der Prozess zwei Tage später, am Freitag, den 11. September fortgesetzt. Zunächst wieder die „gütliche“ Ermahnung, doch endlich ein freiwilliges Geständnis abzulegen. Aber es folgte kein Geständnis, im Gegenteil: Eva widerrief all das, was sie zwei Tage vorher gestanden hatte! Also beschloss das Gericht die „Fortsetzung“ der Folter, wieder mit der Beinschraube und dem Hochziehen am Seil jetzt vielleicht auch mit Gewichten an den Füßen. Und nun geschah etwas Unglaubliches, das selbst dem Gerichtsschreiber zunächst die Sprache bzw. das Schreiben verschlug: Am Seil hängend beginnt Eva zu singen, „Nun bitten wir den Heiligen Geist“, und „Christ fuhr auf gen Himmel mit seinen zwölf Jüngern“. Und sie sang „diese zwey Lobsängen von anfangh bis zu endt“, wie der Schreiber erstaunt vermerkt, „tali tenore23), als wen nits ir where gesungen“ – hatte hier etwa auch der Teufel seine Hand im Spiel? Jetzt aber war Eva mit ihren Kräften am Ende, und sie bestätigte ihr Geständnis vom Montag. Sie hoffe, „Gott der Almechtig wurdt ir vertziehen haben“, auch hoffe sie „bey der Obrigkeit gnadt erlangen vnd das leben erhalten“. „Auff alsulches sie der Torturae erlaßen, vnd widerumb zur gefengnus hingefhurtt“ – mit diesem Satz endet das Protokoll. Der Prozess wurde wohl am Samstag oder Montag fortgeführt und endete mit dem Todesurteil für Eva.
Das Burghaus der Familie Kolve in Wassenachaus dem Jahre 1772
Eva Mulner ist verbrannt worden, ob lebend oder nach erfolgter Strangulation, wie zwanzig Jahre später üblich, wissen wir nicht. Innerhalb von drei Jahren war Eva somit das siebte Opfer der Hexenjagd in Wehr. Vollstreckt wurde das Urteil am „Werer gericht“ neben dem auf einer Karte von etwa 1615 eingezeichneten Galgen. Der Galgen stand gut sichtbar rechts an dem alten Weg von Wehr nach Maria Laach in der Flur „auf Himprich“ nahe des Schlader Buschs24).
Anmerkungen:
- Landeshauptarchiv Koblenz 54B, Nr. 3520, S. 4
- Stadtbibliothek Trier Hs. 1534/166-2, fol. 48-50r – Fragment
- gewöhnlich wird bei angeklagten Frauen auch der Name des Ehemanns genannt, wie bei Eva und Gillis Schmidt
- von Angesicht (zu Angesicht)
- nach allgemein (herrschendem) Gerücht
- Pfarrarchiv Wehr, nach freundlicher Überlassung einer Kopie durch Herrn Bruno Andre/Wehr
- das Wehrer Gericht war nicht befugt über „Hals und Bauch“ zu richten
- entgegen der „Legende“, wonach Margaretha von der Marck-Arenberg „die Prozedur der Tortur und des Scheiterhaufens nicht akzeptieren“ konnte, sind diese zwei Prozessserien unter der Herrschaft Margarethas durchgeführt worden – vgl. „Wer woar dat?“
- vgl. im folgenden Th. J. Lacomblet, Archiv für die Geschichte des Niederrheins. Neudruck der Ausgabe von 1836-1870, Bd. V, S. 343ff.
- 1 kölnischer Morgen entspricht 3.174 Quadratmeter
- keine bestimmte Fläche, sondern ein Nutzungsanteil
- „Wehrer Weistum“, fol. 5, 6r, 7, 32v, 34r, 43r, 45v; im Besitz von B. Andre/Wehr
- die Tranchot-Karte 134 Niedermendig von 1809 zeigt am alten Weg von Glees nach Wassenach, heute ein asphaltierter Feldweg, an dieser Stelle ein Kreuz, etwa 1.000 m westlich der Wassenacher Ortsmitte. Heute steht dort die Nachbildung eines Kreuzes von 1626 – das Original wurde gestohlen!
- entgegen allen älteren, aber auch noch neueren Angaben, war Heinrich Kramer, in der latinisierten Namensform Institoris, der alleinige Autor dieses Werks. Jacob Sprenger, der Prior des Kölner Dominikanerklosters, hat nichts damit zu tun. Überhaupt nahm Kramer es mit der Wahrheit nicht sehr genau. So ist z. B. das Kölner Gutachten über sein Werk vom Mai 1487 schlicht eine Fälschung. Auch die berühmt/berüchtigte „Hexenbulle“ Papst Innozenz VIII., mit der Kramer sein Werk einleitet, ist von ihm selbst formuliert und von der päpstlichen Kanzlei so übernommen worden. Es ist möglich, dass der Hl. Vater diese Bulle nie gesehen hat! Vergl. W. Behringer, G. Jerouschek, W. Tschacher (Hrsg.), Der Hexenhammer. DTV München 2000,
- S. 32-37 15) mit den Fingern aus dem Mund
- Flurbezeichnung im Wehrer Kessel
- die Schreibweise von Personennamen variiert häufig
- die Instrumente beim Hexensabbat, ebenso wie die dort abgehaltenen Rituale, waren „irreal“
- im Namen (des Teufels) und durch diabolische Kräfte geweiht.
- facinora = Übeltaten, Schandtaten; p. p. = lat. Abkürzung für perge! perge!, fahre fort! in der Bedeutung von u. s. w.
- W. Behringer (Hrsg.), Hexen und Hexenprozesse in Deutschland. DTV München 2000, Dokument 79, S. 125
- Der Hexenhammer, S. 718
- mit solcher, derartiger Stimme
- B. Andre, Das Dorf Wehr II. Wehr 1986, S. 153f. Der alte Weg ist heute ein asphaltierter Feldweg, an dem bei Höhe 371,7 links eine Wegekapelle von 1958 steht. Etwa 200 m südlich dieser Kapelle, 385 m über NN, in den dortigen Äcker wird der Galgen gestanden haben.