„Es waren bewegte Zeiten“ – Karl Schmitz aus Oberwinter: Mann der ersten Stunde im demokratischen Aufbruch vor 50 Jahren
Karl Schmitz aus Oberwinter: Mann der ersten Stunde im demokratischen Aufbruch vor 50 Jahren
Wolfgang Pechtold
1946 – blanker Kampf ums Überleben auch im Kreis Ahrweiler. Und trotzdem regt sich politische Aufbruchstimmung. Karl Schmitz aus Oberwinter gehörtzu denen, die mitwirken wollen am demokratischen Wiederaufbau. Als Mitgründer des SPD-Ortsvereins seiner Heimatgemeinde wird der 25jährige für die Sozialdemokratie im Kreis zu einem „Mann der ersten Stunde“. Aber für die Kreispolitik will der 77jährige im Rück-blickdieses Prädikat nicht in Anspruch nehmen. „Dem ersten Kreistag nach dem Krieg hab‘ ich noch gar nicht angehört. Ich bin erst zwei Jahre später eingezogen.“
Das erste Kreisgremium war schon 1946 zusammengetreten. Diefranzösische Besatzungsmacht hatte so schnell wie möglich demokratische Strukturen „von unten her“ aufbauen wollen. Natürlich waren die Mitglieder genauestens auf ihre politische Vergangenheit überprüft worden. Das war zwei Jahre später nicht anders, als nach Gründung des Landes Rheinland-Pfalz, der zweite Nachkriegs-Kreistag am 14. November 1948 gewählt wurde. Erneut mußten die Kandidatenlisten Monate vorher dem französischen Kreiskommissariat zur Genehmigung vorgelegt werden. Für Karl Schmitz bedeutete dieser 14. November den Einstieg in ein jahrzehntelanges Engagement für den Kreis Ahrweiler und seine Menschen, ein Engagement in vielen Rollen, so als Mitglied des Kreistages und SPD-Fraktionsführer, als Kreisausschuß-Mitglied und Kreisdeputierter. Er war der Jüngste im 1948er Kreistag. Heute ist er als einziger übriggeblieben, der Antwort geben kann auf die Frage: Wie war das damals?
„Es war nicht einfach“, sagt Schmitz so schlicht wie untertreibend. Denn natürlich ging es auch für ihn, den gelernten Dreher, zuerst einmal um Arbeit und Brot. Da war ehrenamtlicher Einsatz schwierig genug. Und er wurde noch erschwert durch Widrigkeiten des Alltags. Wie zum Beispiel überhaupt nach Ahrweiler kommen? Dieses Problem stellte sich den Mitgliedern der Kreisgremien vor jeder Sitzung. Denn der öffentliche Nahverkehr beschränkte sich im wesentlichen auf die Eisenbahn. Und Fahrräder waren wie so vieles Mangelware, denn sie waren während des Krieges „eingezogen“ worden. So gab es, wie Karl Schmitz sich erinnert, als Anreiz einen Groschen Kilometergeld.
Kreistags- und Kreisausschuß-Sitzungen fanden im „alten Landratsamt“ statt. „Da saßen dann zwei oder drei Zeitungsleute. Aber sonst waren wir unter uns“, schildert er die Szenerie. Zuhörer? „Die Menschen hatten andere Sorgen!“ Trotzdem war es im alten Sitzungssaal so eng, daß man bei geheimen Wahlgängen sein Kreuzchen hinter der hohlen Hand machen mußte, wollte man sich vor den Stielaugen des Nachbarn schützen.
Sitzungsbeginn war übrigens oftmals um 8 Uhr morgens. Karl Schmilz erinnert sich schmunzelnd des Landwirts „aus dem westlichen Teil des Kreises“, der bei solchen Morgenübungen des öfteren einnickte. „Wahrscheinlich hatte der gute Mann da schon ein paar Stunden im Stall gearbeitet, und dann noch der lange Weg nach Ahrweiler…“, zeigt er im nachhinein Verständnis. Einmal ging es um den Kauf eines Stiers; schließlich leistete sich der Kreis in jenen Tagen im Interesse leistungsfähiger Tbc-freier Rinderbestände noch eine Bullenhaltung und „Deckstation“ (und besaß sogar, wie Schmitz schmunzelnd anmerkt, eine Körkommission, drei Ziegenböcke und einige Fischteiche). Nun verschlief unser Bäuerlein glatt die Abstimmung über den Tierkauf. Als danach aber von „Deck-wein“-Bezügen die Rede war, da schreckte er, von der Silbe „Deck-“ aufgeschreckt, plötzlich hoch. Und nicht ahnend, daß es schon gar nicht mehr um glückliche Kühe ging, sondern um farbkräftigen Zusatz für Ahrweine, meldete er sich aufgeregt zu Wort: „Das ist wichtig! Das brauchen unsere Züchter dringend!“ Das Grinsen in der Runde konnte er gar nicht begreifen. „Am Anfang war ich ziemlich unbedarft.“ Karl Schmitz, der später, als die Zeiten sich normalisiert hatten, jede Gelegenheit zu allgemein-und kommunalpolitischer Fortbildung nutzte, sagt es in aller Offenheit. Er orientierte sich an politischen Lehrmeistern seiner Couleur aus der „Weimarer Zeit“ wie dem späteren Landtagsabgeordneten Lorenz Sohn oder dem Schreinermeister Karl Sundheimer, Großvater des heutigen CDU-Fraktionsführers. Er lernte aber auch von den markanten Persönlichkeiten der Christdemokraten, von Dr. Georg Habig-horst oder Eduard Schütz, der in den Vorgängen um den aufsehenerregenden Mißtrauensantrag gegen den ersten Nachkriegs-Landrat Dr. Schüling eine führende Rolle spielte.
„Polizeistaatliche Methoden“ wurden dem Ver-wattungschef vorgeworfen: In Nacht-und-Ne-bel-Aktionen, so seine Gegner, hätte er Nahrungsmittel in den landwirtschaftlichen Betrieben requirieren lassen. Schütz, lange Jahre auch Kreisvorsitzender des Bauernverbands, verlangte personelle Konsequenzen. „Ich habe mitgestimmt. Aber wohl war mir dabei nicht“, gesteht Karl Schmitz heute ein, „denn wahrscheinlich konnte der Landrat damals unter dem Druck des französischen Kreiskommissariats gar nicht anders handeln. Man darf nicht vergessen: Noch 1948 wurden zwei Neuenah-rer Wirte verurteilt, weil sie Koteletts aufgetischt hatten, ohne dafür Lebensmittelkarten zu verlangen…“ Das Komplott übrigens scheiterte, und Eduard Schütz schäumte. Einer im Kreistag mußte entgegen den Absprachen „falsch“ abgestimmt haben. Wenige Tage später legte jedes Kreistagsmitglied eine eidesstattliche Versicherung über sein persönliches Stimmverhalten ab. Doch das Ergebnis stimmte nicht mit dem Ausgang des Mißtrauensvotums überein. Schütz zog Konsequenzen, legte den Kreisvorsitz der CDU nieder, trat aus der Union aus und gründete eine eigene Bürgerliste. Der ungeliebte Landrat ging trotzdem wenig später – als Regierungsvizepräsident nach Mainz.
Auf die Frage nach den wichtigsten Aufgaben seiner frühen Jahre im Kreistag antwortet Karl Schmitz ohne jedes Zögern:„Am dringendsten war der Straßenbau. Es war ja alles kaputt von den Panzern.“ Entweder wir tun sofort etwas am Straßennetz, oder die Schäden werden noch größer – aus dieser Erkenntnis heraus faßte der Kreistag einen Beschluß, den alle Mitglieder damals als geradezu ungeheuerlich empfanden: die Aufnahme eines Kredits von 500 000 Mark. Schmitz im Rückblick: „Das war schon schlimm genug. Aber dann kam es noch schlimmer. Bei jedem einzelnen Los haben wir den billigsten Anbieter genommen. Trotzdem sind wir sehr schnell auf eine Gesamtsumme von 750 000 Mark gekommen. Da hat es dann geheißen: Ihr vom Kreisbauamt, was habt ihr denn da gerechnet? Wir haben dann die Ausschreibung aufgehoben und gebietlich erweitert. Da waren es noch 650 000 Mark. Trotzdem haben wir uns gefragt: Wie sollen wir das je bezahlen?“
Die Frage war berechtigt angesichts eines Haushalts mit einem Gesamtvolumen von nicht einmal 10 Millionen Mark. Im Juni 1948 hatte es den scharfen Schnitt der Währungsreform gegeben. Und nun war penibel aufgeführt, was der Kreis besaß. Da standen als Vermögen zwar ein paar Liegenschaften zu Buche. Aber es dominierten die Nullen; denn alles*‘ was der Kreis zwangsweise an Reichsschatz- oder Kriegsanleihen hergegeben hatte, war nun Papier ohne einen Pfennig Wert, war Makulatur.
Und damit nicht genug. Schmilz weiter: „Es war eigentlich überhaupt keine vernünftige Haushaltsgrundlage da. Ein System von Steuern und Steuerveranlagungen hat es ja nicht mehr gegeben, das mußte erst wieder neu aufgebaut werden. Deshalb hat man sich am Anfang an dem festgehalten, was einzig faßbar war, und hat sich ganz einfach mit der Lohnsummensteu-er beholfen.“
Die Straßen wurden gebaut – und bezahlt. „Anfangs hat es immer geheißen: Man merkt, wenn man aus Nordrhein-Westfalen in den Kreis Ahrweiler kommt. Hier sind die Straßen schlechter. Später hat sich das umgekehrt. Denn im Nachbarland ist zwar schneller gebaut worden, bei uns aber besser“, bemerkt Karl Schmitz mit einem Unterton von Stolz auf frühen Weitblick von Kreis und Kreistag.
Wie war der Ton im Kreistag, der Umgang miteinander? „Besser als heute!“ gibt Karl Schmitz unumwunden zu. „Wir haben vieles gemeinsam beschlossen und gemacht. Wir haben natürlich auch mal heftig gestritten. Aber nach der Sitzung war das vergessen. Da hat man regelmäßig sein Bierchen miteinander getrunken. Und vor allem nichtalles wiedergekäut, was man vorher schon ausführlich diskutiert hatte. „Zu den brisanten Streitthemen gehörten – damals wie heute – die Schulen. „Und da mußte man schon mal ein bißchen taktieren. Denn eines war damals nicht anders als heute:
Was die eine Fraktion vorgeschlagen hat, das hat die andere erst einmal vom Tisch ge wischt“, sagt er achselzuckend. Als ein – etwas späteres
– Beispiel für erfolgreiches Taktieren nennt er die Realschulen. Eigentlich wollte er – als Ober-winterer-eine Realschule für Remagen beantragen. Aber weil er als SPD-Fraktionsführer ein Nein der Mehrheitsfraktion befürchtete, schlug er sie für Ahrweiler vor. Und schmunzelte sich eins, als ihn sein CDU-Pendant Franz Schaaf mit seinem Antrag überbot: Gleich zwei Realschulen sollten es sein, in Ahrweiler und in Remagen.
Zum Objekt großer Debatten wurde auch die Berufsschule an der Blankartstraße in Ahrweiler. Der Neubau wurde mit jedem Los erheblich teurer als erwartet. Schmitz: „Da hat es sogar im Kreistag Leute gegeben, die gesagt haben:
Karl Schmitz
Aufhören! Einstellen! Wir haben dann doch nicht aufgehört. Und auch der Bau ist längst bezahlt.“ Sechs Nachkriegs-Landräte hat der Kreispolitiker Schmitz erlebt. Nur der erste, Dr. Schüling, war nach seiner Einschätzung noch ein wenig vom „königlich-preußischen“ Schlage. Schon seinen Nachfolger Urbanus empfand er – wie die folgenden – „als umgänglich, viel wenigerdistanziert, bürgernah“. Solche Bürgernähe will er Bezirks- und Landesregierung aus der Sicht eines Kreispolitikers nicht bescheinigen, vor allem nicht für die Zeit seiner ersten Wahlperioden. „Schon für einen Regierungsdirektoraus der Landeshauptstadt haben wir hierzulande den roten Teppich ausgerollt. Regierungspräsidenten, Minister oder erst recht Landesväter haben sich selten oder nie blicken lassen. Es ist was dran an dem Spruch, den die Leute hier sagen: Mainz ist so weit wie Mailand. „Mangelnde Bürgernähe beobachtet er in zunehmendem Maße auch bei Abgeordneten der Region: „Mancher von denen weiß doch gar nicht mehr, wo den Bürger der Schuh drückt.“ Damit ist das Stichwort für das Fazit gefallen. „ Wo der Schuh drückt, das haben wir damals alle sehr heftig gespürt. Es waren schwere Zeiten, es waren bewegte Zeiten. Aber es ist aufwärts gegangen. Und daß man dazu beitragen durfte, das macht mich noch heute stolz.„