Es war nicht König Zwentibold im Jahre 898 …
Das Breisiger Ländchen kam erst unter der Äbtissin Mathilde von Schwaben (971 – 1011) an das Stift Essen
Carl Bertram Hommen
»König Zwentiboid von Lothringen schenkte das Breisiger Ländchen im Jahre 898 dem Stift Essen«. So liest man in heimatgeschichtlichen Darstellungen, wenn sie den Beginn der Herrschaft der Essener Fürstäbtissinnen am Mittelrhein darstellen. Am Pfingstfest 898, so wird dabei berichtet, habe König Zwentibold — sein Reich ging von Burgund bis zur Mündung der Scheide — diese Lande am Rhein neben drei anderwärts gelegenen Oberhöfen der Fürstäbtissin Wikburg des Benediktiner-Nonnenklosters (Stift) Essen zum Geschenk gemacht. Es sei sein Dank gewesen für die gastfreundliche Aufnahme, die er mit seiner Frau und seinem Schwiegervater, dem Sachsenherzog Otto, an diesen Tagen in Essen erhalten hatte. Damit sei der alte Stiftsbesitz um den Hof Asnide —durch Bischof Altfried von Hildesheim 852 gegründet — verdoppelt worden.
Diese historische Linie für das Breisiger Ländchen basierte auf einer sehr dünnen Beweiskette. Hierbei wurde vor allem eine Rechtfertigungsschrift herangezogen, die das Essener Stift 1659 zur Abwehr territorialer Ansprüche der Jülicher Herzöge als die Lehnsherren im »Ländchen« verfaßt hatten. In ihr berief sich Essen unter anderem auf ein Privileg Kaiser Karls IV. über Essener Besitzrechte in Breisig, das angeblich in seiner Goldenen Bulle vom 3. Februar 1357 enthalten sei. In ihr hatte er in Maastricht der Äbtissin Katharina von Essen zwölf verschiedene ältere Privilegien erneuert und bestätigt. Unter den erneuerten Privilegien dieser Bulle, einem umfangreichen und über einen halben Meter breiten Dokument von 104 Zeilen, steht die Schenkung von Gütern durch König Zwentibold an das Stift vom 4. Juni 898 an erster Stelle.
Die ältere Heimatgeschichte, auf deren Darstellungen bis in die vergangenen sechziger Jahre man sich auch heute im Breisiger Ländchen vielfach noch beruft, wenn man die Bindungen an das Damenstift aufzeigt, hat jedoch recht großzügig die schon seit Jahrzehnten bestehenden starken Zweifel und ernsthaften Einwände gegen die Zwentiboldsche Schenkungs-These übersehen oder als unerheblich beiseitegeschoben. Dabei geht es vor allem darum, daß in der Schenkungsurkunde Zwentibolds aus 898 u. a. ein Ort Brismike genannt wird, den man als Breisig am Rhein deutete. Aber schon 1876 hatte der niederrheinische Historiker Franz Gerß nachgewiesen, daß es sich bei diesem Brismike um einen von mehreren Höfen handele, die auch in einem Vertrag von 1027 erwähnt werden, als sie damals »bei der Abrundung des (Essener) Zehntgebietes zwischen .Emscher und Ruhr als Entgelt an das Erzstift Köln abgetreten« worden seien.
Dies bestätigt jetzt aufgrund neuerer Forschungen Manfred Petry in den »Essener Beiträgen«, der Zeitschrift des Historischen Vereins für Stift und Stadt Essen. Er stellt darüber hinaus fest, daß der Ortsname »Brismike« in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. in Brisinche verfälscht worden sei. Man habe ihn und andere »modernisiert« und in eine zeitgemäße Form gebracht. Dadurch sei es möglich geworden, dieses Brisinche mit Brysich zu identifizieren und auch ein Guntherisdorp aus dem Köln-Gau ins Breisiger Ländchen zu verlegen und mit Gönnersdorf im Vinxtbachtal gleichzusetzen. Manfred Petry stellt fest, »daß weder Breisig noch Gönnersdorf in der Urkunde des Königs Zwentibold erwähnt werden, bedarf keiner Diskussion, sondern ist Tatsache«. Die Urkunde mit der Goldenen Bulle habe man übrigens als regelrechtes Beweismittel offenbar erst benutzt, als das Stift seinen Streit um seine Rechte in Breisig gewonnen hatte. Seither werde König Zwentibold als Begründer der Stiftsrechte in Breisig ausgegeben.
Von wann datiert denn nun der Beginn der Herrschaft der Essener Fürstäbtissinnen über Breisig, muß man fragen. Hierzu gibt es übereinstimmende Schlußfolgerungen der Historiker Konrad Ribbek (in seiner 1915 erschienenen Geschichte der Stadt Essen) und von Paul Heusgen (in Band 18/1953 der Rheinischen Vierteljahresblätter), denen sich auch Prof. Dr. Theodor Rutt in der 1968 erschienenen Heimatchronik des Kreises Ahrweiler angeschlossen hatte: Sie glauben, das Ländchen Breisig sei unter die Landeshoheit des Stiftes Essen gekommen, als Mathilde von Schwaben, eine Enkelin Kaiser Otto l. und in den Jahren 971 bis 1011 Fürstäbtissin war, die Lande am Mittelrhein dem Damenstift schenkte. Es war also nicht König Zwentibold, der illegitime Sohn Kaiser Arnulfs von Kärnten, dem das Breisiger Ländchen jene Verbindung mit dem Stift Essen zu verdanken hat, die erst mit der endgültigen Auflösung des Stifts 1803 endete. Auch wenn heute die Bande zwischen Breisig und der Ruhr-Metropole Essen wiederaufgenommen wurden — im Jahre 1998 dürfte man in Bad Breisig und auch in Essen wohl kaum eine 1100-Jahr-Feier des Ländchens Breisig begehen können.