Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht!
Bei diesem herrlichen Chor hat Conradin Kreutzer wohl auch an die Förster gedacht, die ja im Nebenberuf zumeist auch noch Jäger sind. Jägern sagt man im allgemeinen nach, daß sie nicht immer bei der Wahrheit blieben und eine Sprache redeten, die der Lateinischen zumindest verwandt sei. In den nachfolgenden Histörchen mag sich jeder Leser selbst davon überzeugen, daß das nur üble Nachrede ist. Erlauscht habe ich sie im Kreise ergrauter Männer im grünen Rock. Sie übten bei ihren Zusammenkünften immer Treu und Redlichkeit und wichen keinen Fingerbreit von Gottes Wegen ab. Es war auch bei ihrem Weggehen außer einer halben Tüte verstreutem Tabak, einer anständigen Portion Pfeifenasche und einer Schachtel verstrichener Streichhölzer nichts Besonderes zu bemerken. Und der gebogene Balken in der Decke lag schon, als wir in die Wohnung einzogen. Die Sprache, derer sie sich bedienten, war ihre angestammte deutsche Muttersprache mit heimischen Akzenten, von Latein keine Spur. Wöchentlich wenigstens ein- oder zweimal trafen sie sich in unserem Hause, der alte Förster Nuckel, der Hegemeister Mentges und mein Vater. Zuweilen gesellte sich auch der Vater Groll dazu. Der hielt sich aber immer etwas zurück, weil er erst 80 Jahre alt war, während die übrigen drei schon ihr silbernes Jubiläum als Ruhestandsbeamte gefeiert hatten und um die 90 kreisten. Zwei von ihnen sind schon in der Ewigkeit. Der Opa Mentges erfreut sich mit seinen 93 Jahren noch bester Gesundheit. Hören wir also, was sie sich zu erzählen hatten!
Eines Tages bekam ich Besuch von einem ergrauten älteren Herrn. Ihm sei von oben die Erlaubnis erteilt worden, in meinem Revier zu jagen. Seine dicke Hornbrille ließ mich mißtrauisch werden. Und damit er mir bei der nächsten Treibjagd kein Unheil anrichten konnte, postierte ich ihn ziemlich in meine Nähe. Tatsächlich höre ich ihn dann auch, als ein Hase auf ihn zukommt, diesem mit gedämpfter Stimme zurufen: „Geh mal ’n bißchen beiseite, Kleiner, hier wird geschossen!“ Dem nächsten, der sich um seinen Schuß auch wenig kümmerte, lief er nach, bis er an einen Acker kam, auf dem ein Bauer pflügte. „Haben Sie keinen Hasen gesehen vorbeilaufen?“ „Doch.“ „Wie lange kann denn das her sein?“ „Das kann ich Ihnen genau sagen, dat wird Mertesdag ein Jahr.“ Den Stand, den ich ihm beim nächsten Treiben gab, machte ich ihm recht schmackhaft, obwohl ich wußte, daß da noch nie ein Stück Wild gewechselt war. „Bestimmt ein Hase, vielleicht auch ein Fuchs, möglicherweise sogar eine Sau. Wenn aber von alledem nichts kommt, dann kommt bestimmt um 11 Uhr der Briefträger da vorbei. Seien Sie bitte so gut und geben ihm dann diesen Brief mit!“
Mein Lehrherr fühlte sich eines Tages nicht wohl, und er glaubte, daß es mit ihm zu Ende ginge. Er ließ den Pfarrer rufen und machte mit ihm alles in Ordnung. Der sprach ihm dann noch Mut zu, fragte ihn auch, ob er sonst noch etwas auf dem Herzen habe, das er vorhin vielleicht vergessen habe, und das ihm jetzt doch noch leid tue. „Ich weiß zwar nicht, ob es nötig ist, aber zur Vorsicht will ich es Ihnen doch mal sagen. Und er begann: „Als ich noch junger Forstgehilfe war, schickte mich mein Lehrherr eines Tages mit einem eiligen Brief zum Nachbarförster.
Förster aus dem ehemaligen Kreis Adenau. (Aufgenommen zwischen 1910 u. 1920)
Es wurde inzwischen Nacht, und da der Regen in Strömen goß, übernachtete ich auch dort. Ich lag noch nicht lange im Bett, da klopfte es an meine Tür, ob es mir auch nicht zu kalt sei. Kurze Zeit später wollte auch die zweite Tochter mir noch eine Decke bringen. Mir war es wirklich nicht kalt, auch dann noch nicht, als sich gegen 11 Uhr auch noch die Jüngste vernehmen ließ: „Ist es Ihnen auch wirklich warm genug, Herr Förster?“ „Sehen Sie, Herr Pfarrer“, so schloß er seinen Bericht, „das tut mir heute noch leid, daß es mir damals nicht kalt war.“
An einem Wintertag war Treibjagd in unserm Revier angesetzt. Das Wetter war ungünstig und versprach wenig Erfolg. Tatsächlich wurde auch das erste Treiben beendet, ohne daß ein Schuß gefallen war. Ich entlud mein Gewehr und stellte es an den nächsten Baum. Und um die Jagdgäste einigermaßen bei guter Laune zu halten, nahm ich mein Jagdhorn und blies den Jägerchor aus dem Freischütz; freilich nicht bis zum Ende. Denn kaum waren die ersten Takte verklungen, als ein starker Keiler in gemächlichem Tempo an mir vorbeizog auf höchstens 60—70 Schritte. Mein Gewehr stand am Baum. In meiner Wut schleudere ich ihm mein Jagdhorn nach, das sein Ziel auch nicht verfehlt. Es trifft ihn an der Stelle, wo sich der Rücken nach Süden beugt und bohrt sich dort in Mundstücklänge ein. Der Keiler verschwindet und bläst mir zum Hohn den Jägerchor bis zum Ende. Im nächsten Frühjahr stehe ich ungefähr an derselben Stelle, als sich mir ein sonderbares Bild zeigt. Eine Bache mit einem Dutzend Frischlingen zieht gemütlich auf mich zu. Im Näherkommen bemerke ich, daß denen hinten alle kleine Hörnchen gewachsen waren. Und was höre ich zu meinem Erstaunen? Sie blasen den Jägerchor aus dem Freischütz, etwas zaghaft zwar, dafür aber diesmal mit voller Besetzung des Orchesters. Für meine Enttäuschung auf der Treibjagd war ich reichlich entschädigt.
Viel Ärger haben die Forstbeamten mit den Holzfrevlern, die immer dann ihr Holz kaufen wollen, wenn niemand im Laden ist. Auch dazu eine ernst-heitere Geschichte.
Eines Tages war ich wieder hinter einem her, konnte ihn aber zur Feststellung seiner Personalien nicht erreichen. Er lief immer so hundert Meter vor mir her. Endlich, als mir die Zunge fast zum Hals heraushing, setzte ich mich auf das dicke Ende eines gehauenen Stammes und packte mein Frühstück aus. Was tut indessen der Lump? Er setzt sich an das an-
dere Ende und frühstückt auch. Und als er sieht, daß ich den Rest einpacke, grinst er mich frech an: „Wollen wir noch mal ein bißchen, Herr Förster?“ Sein liegengelassenes Butterbrotpapier brachte mich noch mehr in Wut. Aber als ich es vernichten wollte, konnte ich die Verfolgung einstellen. Die in dem Fettpapier zurückgelassenen Fingerabdrücke genügten vollkommen zur Feststellung dessen, was ich wissen wollte. Der Daumenabdruck war nämlich so übernatürlich groß, daß ich sofort wußte, mit wem ich es zu tun hatte. Es war einer, der erst kürzlich zugezogen war und über dessen Vergangenheit man wenig wußte. Er hatte sich sehr bald um die Aufnahme in die Feuerwehr bemüht. Dabei war ihm sein ungewöhnlich dicker Daumen von Vorteil. Nach seiner Aufnahme hatte er in Zukunft die Aufgabe, die Löcher in den defekten Schläuchen mit seinem breiten Daumen zu verschließen, und zwar sowohl bei Übungen wie auch im Ernstfall. (Inzwischen sind übrigens die Schläuche durch neue ersetzt worden.) Mit diesem hatte ich es also zu tun. Der Sicherheit halber nahm ich mir zur Haussuchung den Polizisten mit. Dabei stellte sich nebenbei auch noch heraus, daß der Kerl in der Literatur bewandert war. Er empfing uns nämlich mit einem Ausspruch von Götz von Berlichingen. Also mußte er doch Goethe kennen. Der spätere schriftliche Bericht des Polizisten schloß mit dem Satz: „Nachdem dies geschehen war, schritt ich zur Verhaftung.“ Der Zufall wollte es, daß bei dem Amtsgericht fast gleichzeitig noch eine Anzeige wegen Holzdiebstahls einlief. Sogar die Familiennamen der Angezeigten waren die gleichen. Die Vornamen unterschieden sich. Dem Amtsrichter kamen Bedenken, ob es sich in den beiden Fällen nicht um das gleiche Vergehen handele. Er fragte darum beim Ortsvorsteher der Angeklagten an, ob Michael und Franz B. nicht identisch seien. Gleichzeitig möge er ihm auch kurz berichten, wie es überhaupt mit der Moral in seinem Dorfe bestellt sei. Die Antwort darauf traf nach einigen Tagen ein und lautete: „Die Brüder Michel und Franz B. sind im ganzen Dorf als Trunken- und Raufbolde bekannt. Es ist ihnen obendrein auch noch zuzutrauen, daß sie identisch sind. Was aber Ihre Anfrage wegen der Moral betrifft, so kann ich Ihnen zu meiner Freude und zum Stolz der ganzen Gemeinde mitteilen, von Moral ist hierorts nichts bekannt geworden.“