Eine Kapelle wird wandern

Hubertusjagd in Birresdorf — Ein Kleinod der Bauernkunst

Harry Lerch

Eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur am 5. Dezember 1978:

„Zum ersten Mal wurde in Österreich ein kunsthistorisch wertvolles Gebäude, das ,zum Verkehrshindernis geworden war, durch Übersiedlung gerettet. Die aus dem 12. Jahrhundert stammende Sagerkapelle von Fulpmes im Stubaital (Tirol) wurde um 25 Meter verschoben. Das 250 Tonnen schwere Bauwerk wurde unterfangen und auf Schienen so tranportiert, daß nicht der geringste Schaden damit geschah.“

Diese Nachricht ist eine gute Nachricht, und sie wird bald auch wahr werden für Birresdorf. Genau das gleiche technische Wunder wird geschehen: auf Schienen wird die Hubertuskapelle auf die gegenüberliegende Straßenseite gebracht. Zuerst sind noch einige Grundstücksfragen zu klären, doch kaum dürfte sich das zerschlagen.

Warum diese Unternehmung in Birresdorf? Das einzig unschöne Wort in der österreichischen Meldung ist „das Verkehrshindernis“, denn das wird leicht auf die Waage gelegt und in die andere Waagschale die Würde des Gotteshauses. Davon ist im Falle Birresdorf nur mit Bedacht zu reden, denn keines Menschen Empfindungen sollen verletzt werden. Doch, die Wirklichkeit zeigt es, daß die Kapelle praktisch die Hälfte der Straße einnimtt. Da starkes Gefalle ist, wird die Unsicherheit des Verkehrs bei Rutschgefahr erhöht, wenn Eis und Schnee die Jahreszeit beherrschen. Ein rutschender Schwerlaster könnte die Kapelle glatt wegdrücken.

Nach Auskunft des Straßenbauamtes Cochem ist ein Unterfangen des Gesamtleibes dieser Kapelle keine technische Schwierigkeit bei ihren Maßen von 9,50 X 2,65 Meter. Hier stehen also in keinem Gegensatz die Denkmalwürdigkeit und die Notwendigkeit des Straßenverkehrs. Im Gegenteil, das stille Verweilen in dieser Kapelle ist dann ohne Gefahr — und bewahrt bleibt das Kleinod der Hubertusjagd.

Sie sucht ihresgleichen weit und breit, diese bunte Lebendigkeit und Legende auf dem Ankerbalken.

Der Blick wird, öffnet man die Tür, sogleich vom Altar in die Höhe gelenkt, und da staunt das Auge, was da grazil und umrißfein gruppiert ist: die Begegnung des St. Hubertus mit dem Hirsch, bevor er Heiliger war. Hier beugt er das Knie, weil sein Jagdwild, der große, vielendige Geweihhirsch, das kreuz zwischen den Stangen trägt.

Man sieht es: die Kapelle „steht nicht im Wege“, sie blockiert jedoch die Hälfte der Bundesstraße 79. Wenn sie in Ortslage ausgebaut ist, wird die Kapelle unterfangen und auf Gleitschienen auf einen Platz hinter dem links sichtbaren Haus gerückt Fotos: Vollrath

Die Figuren sind 30 cm hoch. Grün das Jägerkleid, grün die zierlichen Bäume zu beiden Seiten.

Die Szene ist von der Mitte aus zu lesen. Da ist das Pferd des Hubertus, von einem Jagdbegleiter am Zügel gehalten. Links hat einer der Jagdgesellschaft tief den Hut gezogen, und nun kniet Hubertus, faltet die Hände, weil ihm da Kreuz als Wunder begegnet. Nach rechts sind die Jäger und Treiber zu sehen, der Jagdhund bei Fuß.

Das ist eine Szenerie, die in Anmut und Zierlichkeit sich herzanrührend anschmeichelt. Volkskunst, Bauernkunst — da hat einer mit Geschick und Empfindung, mit Kunst und Kopf etwas erdacht und feingliedrig geschmiedet. Und das alles zu Ehren des Schutzpatrons von Birresdorf.

Wer war Hubertus, wie kam es zu diesem Wunder? Die Legende berichtet von ihm als Bischof der Ardennen. Er war der Sohn des Herzogs von Aquitanien, im alten Gallien das Land zwischen den Pyrenäen und der Ga-ronne. Er ist, noch jung, begünstigt von Theoderich von Neustrien und Reichsregent Pippin. Er lebt mit weltlichem Vergnügen, lebt gern, lebt mit Leidenschaft für die Jagd.

Jeden trifft seine Stunde!

Auf fröhlicher Hatz begegnet er plötzlich dem Hirsch, doch dieser wird seine Jagdbeute nicht. Im Augenblick, als der Hirsch furchtlos vor ihm steht, springt er vom Pferd, und die Jagdgenossen bemerken es verwundert: da glänzt zwischen den Geweihstangen schimmernd das Kreuz. Für Hubertus ist es Geheimnis und Zeichen, ist Anruf, ist die Begegnung mit dem Herrn dieser Welt. Und das ist von nun an seine Losung, sein Leben, das Psalmwort:

Die Mittelszene der etwa 2,50 Meter breiten Hubertusjagd Vom Pferd, das ein Jagdhelfer am Zügel hält, ist Hubertus gesprungen und beugt die Knie. Auch der Hund verhält und blickt sich zu ihm um. Vor Hubertus ist der Hirsch erschienen, furchtlos und nicht flüchtig. Er trägt das Kreuz zwischen den Geweihstangen, das Zeichen für Hubertus zu Umkehr und zu neuem Leben

„Gleichwie ein Hirsch verlanget nach Wasserquellen; also verlanget meine Seele nach Dir, o Gott.“

Sein Leben findet neue Richtung, ja, es wird von nun an erst Leben. Er wird Priester und Nachfolger des Bischofs Lambert mit Sitz in Lüttich.

Wann ist diese Hubertusjagd entstanden? Das Zeitkostüm ist ikonografisch das Ende des 18. Jahrhunderts. Die Figuren sind flachplastisch, fein ausgesägt aus dünner Metallfolie sind Laub und Bäume. Darunter die Inschrift: „Siehe, ich komme, o Gott, Deinen Willen zu thun.“ Das hat gewechselt mit den Zeiten ins Latein: „Ecce ego mittam eis Venatores et Venebantur eos.“ Signiert 1803 und der Name Peter Joseph Schmilz. Die Kapelle wurde zuvor gebaut, 1731, nachdem Birresdorf 1690 vollkommen eingeäschert war.

Ein Glück, daß Birresdorf diese schöne, ziemlich einmalige Hubertusjagd besitzt — und sie erhalten bleibt. Die Würde der Steine, das Überlieferte, das Vertraute bleiben bewahrt.

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