Ein Remagener Bürger im Kreise der „Vierzig Unsterblichen“ in der Académie Française – Andre François-Poncet –
Ein Remagener Bürger im Kreise der „Vierzig Unsterblichen“ in der Académie Française1) – André François-Poncet –
Friedrich Bayerath
Im Jahre 1949 ist unserer Heimatstadt Remagen Glück und Ehre widerfahren. Beim Einwohnermeldeamt wurde der Zuzug eines Franzosen mit Familie registriert. Der Name des neuen Bürgers: André François-Poncet; Beruf: Politiker, Diplomat, Schriftsteller; Arbeitsverhältnis und Stellung: Haut Commissaire de la Republique Française en Allemagne (HCRFA); Anschrift: Schloß Ernich.
Der ranghohe Gouverneur und spätere Botschafter Frankreichs in Bonn behielt Remagens Bürgerstatus bis zu seiner Rückkehr nach Paris im Jahre 1955. Der Rheinstadt verbunden blieb er sein Leben lang. Noch Jahrzehnte später kommt er in Briefen an mich immer wieder auf Remagen zu sprechen. Und bei etlichen Besuchen in seinem Pariser Domizil betont er wiederholt die guten Erinnerungen, die er für unser Städtchen am Rhein hege.
André François-Poncet: wer war dieser Mann?
Beginnen wir die Erörterung mit dem Ende: Der schon zu seinen Lebzeiten zur Legende gewordene Diplomat und Homme de Lettres ist am 8. Januar 1978 im biblischen Alter von nahezu 91 Jahren gestorben. Heuer wäre er mithin wesentlich älter als so ein Jahrhundert und schon geraume Zeit in geschichtliche Ferne gerückt. In Remagen und insbesondere der jüngeren Generation also ein Unbekannter, ein Fremder, – den Namen nie gehört?
Das freilich stimmt nicht ganz, denn alljährlich einmal taucht der nicht alltägliche Familienname in der Lokalpresse auf. Regelmäßig im Frühjahr erscheint nämlich eine Annonce der Stadtverwaltung, die bei Vorliegen bestimmter Kriterien zinslose Darlehen anbietet. Die Mittel hierfür stammen aus einer hochherzigen Spende des damaligen Hochkommissars, die zur Verschönerung des Stadtbildes dienen muß. Eigentlich sollte mit des Mäzens Namensnennung auch die Erinnerung an einen französischen Freund wachgehalten werden.
François-Poncet-Darlehen für das Jahr 1996
Die Stadt Remagen gewährt auch in diesem fahr, auf besonderen Antrag und der Beibringung eines Bürgen, Darlehen aus der sogenannten >>François-Poncet-Spende<<
Darlehensfähig sind nur Kosten für die Erneuerung und Verschönerung von Mausfassaden im Stadtgebiet, einschließlich den einstellen.
Kosten für Reparaturen, Dacharbeiten, Umbauten, Fensteremeue-rungen und dergleichen sind dagegen nicht darlehensfähig. Die Verwaltung macht darauf aufmerksam, daß dem Antrag ein Kostenvoranschlag eines qualifizierten Handwerkerunternehmens beizufügen ist.
Ein entsprechender Antrag kann formlos bis zum:
15. März 1996
bei der Stadtverwaltung Remagen, Rathaus, eingereicht werden.
Bei eventuellen Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Stadt Remagen, Herrn Schmilz, Telefon-Nr.: 201 S2.
Wer also war er wirklich?
Die Vita des André François-Poncet, geboren 1887 in Provins (Dep. Seine et Marne), läßt selbst in einer Zeitrafferdarstellung Bedeutsames erkennen. Vor allem wird die enge Beziehung des Franzosen zu Deutschland, dessen wechselvolle Geschichte er über fünf Epochen beobachtend und gestaltend miterlebt hat, deutlich sichtbar.
Als Kind schon von einer deutschen Gouvernante betreut, mehrjähriger Besuch des deutschen Gymnasiums zu Offenburg, Universitätsstudium u. a. in München, Heidelberg und Berlin (Fächer: Geschichte und deutsche Literatur), Offizier mit Kampferfahrung im Ersten Weltkrieg, schon mit 37 Jahren ins Parlament gewählt, ab 1928, – beginnend als Unterstaatssekretär, ununterbrochen in Regierungs- und diplomatischen Diensten tätig.
Die erste geschichtlich unvergessene Phase:
Botschafter Frankreichs in Berlin, zunächst bei der untergehenden Weimarer Republik, schließlich bis 1938 bei Adolf Hitler, der ihn als Einzigen im Diplomatischen Korps wirklich schätzte und ihm eine Zeitlang vertraute. Dieses Kapitel wird näher zu betrachten sein.
Zwei bedeutende Staatsmänner vor der Remagener Pfarrkirche: Dechant Dr. Johannes Peters
begrüßt André François-Poncet: im Vordergrund der französische Außenminister Robert Schumann.
Zuvor jedoch zwei Bemerkungen zu François-Poncets enger Bindung an Deutschland: Schon im Jahre 1913 (!) ließ eine politisch-literarische Studie des damals erst 26 Jahre alten Professors aufhorchen: „Was die deutsche Jugend denkt.“ Diese Schrift wirkt über Jahrzehnte:
noch 1938 vermerkt der „Brockhaus“ diese Publikation. Und zum Thema „Allemagne“ bekundet er selbst: „… seit meiner Jugend hatte ich mich für Deutschland interessiert…. Seine Einrichtungen, seine Sprache, seine Sitten, seine Geisteswelt, die so widerspruchsvollen Ausdrucksformen seiner Bewohner waren mir vertraut. Ich kannte seine Vorzüge und seine Fehler…“
Als Botschafter bei „Boches“ und bei Deutschen
Der erste Höhepunkt der Karriere vollzog sich, nach dem nur 15 Monate währenden „Gastspiel“ bei Brüning und der ersten Republik, der sogenannten „Weimarer“, über sechs Jahre von 1933 bis Ende 1938 bei dem Führer des III. Reiches und einem Staatsgebilde, dem die damaligen Machthaber eine tausendjährige Dauer voraussagten.
Aus diesen Berliner Jahren brachte der spätere Hohe Kommissar hin und wieder (auch in meinem Beisein)„Besonderheiten“zu Gehör, meist köstlichen Inhaltes, oder auch zuweilen mit gallischem Humor gewürzt, deren Aufzeichnung hier nicht angebracht sein dürfte. Festgehalten aber seien die unbestrittenen Verdienste des Botschafters um die Erhaltung des Friedens in Europa und der Welt. bis hin zur sogenannten „Münchener Konferenz“, die den Ausbruch des schrecklichen Krieges aber leider nur um ein Jahr verzögerte.
Verbürgt ist im übrigen die insgesamt günstige Einwirkung des französischen Diplomaten auf Hitler, der ihn – wie erwähnt – sehr mochte und dem es offenbar schmeichelte, sich mit einem wirklichen Grandseigneur ohne Schwierigkeiten in deutscher Sprache unterhalten zu können.
Die Hochachtung ging so weit, daß der Führer „Großdeutschlands“ den Franzosen, -dies eine besondere Auszeichnung -, zum Frühstück auf den Berechtesgadener Obersalzberg und endlich, 1938, in das legendäre „Teehaus“ auf dem Kehlstein einlud. François-Poncet hat in seinem Memoirenband „Souvenirs d’une ambassade a Berlin“ dieses denkwürdige Tete-a-tete ausführlich und in fesselnderweise beschrieben. Die Erfahrungen, die der, auch von Hitlers Paladinen geschätzte Diplomat mit dem Nationalsozialismus sammeln konnte, hat er gelegentlich in der sarkastischen Bemerkung zusammengefaßt, in dieser Weltanschauung dokumentiere sich der Sieg des Boche über den Deutschen! Aus der Berlinerzeit stammen auch die meisten der treffenden Sentenzen und Bonmots, die von ihm überliefert sind (und ihm ab und an ob ihres Esprits auch angedichtet sein mögen). Daß er beispielsweise anläßlich der jährlichen Kunstausstellung in München, die Qualifizierung eines Rückenaktes mit auffallend üppigem Hinterteil als Wiedergabe der entkleideten „Madame de Berlichingen“ vornahm, ist europaweit bekannt geworden. Bezeichnender für das Markenzeichen „François-Poncet“, nämlich geistreichen, boshaft-schönen Witz. der sich fast immer in listig-heiterer Grenze hält, scheint mir die Szene zu sein, in der ihm wegen seiner ausgezeichneten Deutschkenntnisse von Hitler die Stellung eines „Reichsredners“ angeboten worden sei. Schlagfertig erwiderte der Botschafter: „Mit Vergnügen angenommen, Exzellenz, aber nur z.b.V.“ (Das letzte Kürzel bedeutet „zur besonderen Verwendung“, und hierbei werden zwei der vielen Eigenheiten des III. Reiches sieht- und lesbar: ständiger Gebrauch von Abkürzungen aller Art und die Manie, für alles und jedes Sonderbeauftragte einzusetzen.)
Nach dem für André François-Poncet insgesamt enttäuschenden Ergebnis der Münchener Konferenz, ließ er sich Ende 1938 als Botschafter nach Rom versetzen. Seine Hoffnungen auf diesen Wechsel erfüllten sich freilich nicht: Mussolini ließ sich, von den Berliner Machthabern vor dem „Spaltpilz“ gewarnt, nicht beeinflussen. Und sein gräflicher Schwiegersohn, der Außenminister Ciano soll bemerkt haben, daß man im Quirinal die Bonmots selber verfertigen könne. So benannte denn auch François-Poncet seine beiden römischen Jahre im Hinblick auf den „Palazzo Farnese“, seinen dortigen Botschaftssitz, um: Das Haus hieß hinfort „Palazzo far niente“.
Von Hitler über Genera! Koenig zu Adenauer
Der zeitliche Sprung von acht Jahren (1940 bis 1948) ist in dieser Niederschrift fast bedeutungslos: für den arbeitslosen Diplomaten bestand jedoch die Bindung an Deutschland – in anderer, unerwarteter Form – fort, immerhin schloß sie eine Verhaftung und die Einweisung in deutsche „Schutzhaft“ ein.
Im Jahre 1948 beginnt die nächste Hochphase in der Laufbahn François-Poncets; und mit Sicherheit ist es die für uns Deutsche bedeutungsvollste gewesen.
Der Oberbefehlshaber der Französischen Besatzungszone, General Pierre Koenig, residierte in Baden-Baden. Dieser militärische Senkrechtstarter mit dem Gehabe eines Gouverneurs barocken Zuschnitts, wehrte sich vehement, als ihm Ende 1948 ein politischer Berater zur Seite gestellt wurde: André François-Poncet aber obsiegte im Gerangel um den Posten des ersten Hohen Kommissars Frankreichs in seiner Besatzungszone. Auch dabei ist eine Sentenz überfällig. François-Poncet, mit einem mokant-herablassenden Seitenblick auf die ungeliebten Militärs, läßt sie fallen: „Mit den Generalen ist es wahrlich ein Jammer. Wenn man sie braucht, sind sie nicht zu finden; wenn man ihrer entbehren kann, sind sie kaum fortzubewegen!“
Und ähnlich äußert er sich gelegentlich einer Neujahrsansprache in Baden Baden vor den höchsten Offizieren der Besatzungsarmee, denen er erhebliche Chancen beim anderen Geschlecht attestiert, ihre Uniform lasse sie stattlicher erscheinen als jeden Zivilisten; darüber hinaus aber hätten sie das einmalige Glück, stets jemanden über sich zu haben, der Befehle erteilt und immerzu jemanden unter sich, der diese Befehle dann ausführe.
In diesem Rahmen und unter solchen Umständen begann nach anfänglicher Phase von Ungewißheit und banger Erwartung, von Kurvenfahrt und Kehrtwendung schließlich für uns Deutsche eine überaus gute Zeit, geprägt von einem allmählich in Gang kommenden, tiefgreifenden und dann totalen Wandel in den Beziehungen zwischen den früher einmal feindlich gesonnenen Nachbarn an den Ufern des Rheins. Diese segensreiche Entwicklung trägt seine Handschrift, er hat sie eingeleitet und maßgeblich forciert, der längst nach Bonn um- und in den Club der Hochkommissare eingezogene André François-Poncet.
Sicherlich fand er zunächst erhebliche Widerstände gegen derlei Politik auch im eigenen Lande vor, was nicht verwunderlich sein dürfte:
Die Gefühle der Franzosen für uns können nach zwei Weltkriegen mit allen Leiden und Schrecknissen nicht gerade die besten gewesen sein. Niemand aber hätte damals vorhersehen können, daß am Ende des mühevollen Weges die enge, ja freundschaftliche Verbundenheit der Gegner von einst stehen würde, mit dem Ergebnis eines halben Jahrhunderts ohne Krieg im Lande und als Basis für die Geburt der Europäischen Union.
André François-Poncet hat eine gute Saat in die zerfurchte Nachkriegszeit geworfen; doch, wie das zuweilen so geht, er hat auch schon während der Bonn-Remagener Zeit bereits ernten dürfen.
Anerkennung und Lob sind allerseits immer herzlich gewesen und kein Gerede. Neben dem verliehenen Titel „Ambassadeur de France“ sind ihm zahlreiche Ehren zuteil geworden. Die bedeutendste Auszeichnug ist aber wohl die 1953 erfolgte Wahl als einer der „Vierzig Unsterblichen“ in die Academie Francaise gewesen. Er ist der einzige „Remagener“, der zu dieser höchsten Ehre gelangte.
Remagen war von 1949 bis 1955 ein Stück Heimat für diesen bedeutsamen Staatsmann, der auf Schloß Ernich seine Residenz hatte. François-Poncet besuchte des öfteren den sonntäglichen Gottesdienst in der Remagener Pfarrkirche, und berühmte Staatsmänner, so Robert Schumann und Georges Bidault begleiteten ihn. Vom Bahnhof Remagen aus fuhr François-Poncet regelmäßig mit seinen persönlichen Sonderzügen zu privaten und dienstlichen Reisen. In der Funktion des damaligen Bahnhofsvorstehers lernte ich ihn kennen und schätzen. Bis zu seinem Wegzug im Jahre 1955 durfte ich für ihn und seine Familie sämtliche Bahnreisen organisieren und regelmäßig die Fahrten mit seinen Sonderzügen begleiten.
Wir standen bis zu seinem Tode im Jahre 1978 in freundschaftlichem Kontakt. Wiederholt besuchte ich ihn in Paris und traf den bedeutenden Staatsmann und großen Menschen, der mir stets seine Wertschätzung bekundet hat, was nachklingt bis auf den heutigen Tag. Anmerkungen:
- Académie Française gegr. 1635 von Kardinal Richelieu. Ihre 40 Mitglieder heißen „Die Unsterblichen“
- André François-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931-1938. Mainz 1949.
Ders.: Von Versailles bis Potsdam, Frankreich und das Problem der Gegenwart. 1919-1945. Mainz 1949.