Ein Original der Eifel: Bläke Fritz

VON HEINZ ZIMMERMANN

Da liegt es, das kleine Dorf im Tal des Eichenbaches ! Ein Dorf wie viele in der Eifel – still und abgelegen, mit schmucken Fachwerkhäusern. Im Gleichmaß vollzieht sich hier der Bauern Arbeit, dann und wann nur unterbrochen, wenn Feste im Dorf gefeiert werden. Dann kommen Verwandte und Bekannte zu vergnügten Stunden und Tagen. Da sitzt man in gemütlichem Kreis und läßt alte Zeiten wach werden. Von Bubenstreichen wird erzählt, und in lustigen Anekdoten werden alte Originale wieder lebendig: „Ja, dat wor e Nummer – de Bläke Fritz!“ Und das bedeutet, daß Meister Braun ein bleibendes Andenken in der Nachwelt seiner Heimat gefunden hat. Ist es da verwunderlich, wenn heute noch die alten Leute aus dem Jülicher Ländchen vom „Lümacher (Kesselflicker) aus der Eichenbach“ die interessantesten Schnurren erzählen ? Bläke Fritz, im Standesamtsregister unter

dem Namen Fritz Braun eingetragen, war nicht mit irdischen Gütern ausgestattet. Arm und mittellos durchwanderte er mit Stock und Lötkolben die Lande und lebte von der Hand in den Mund. Dabei war Meister Braun glücklich und zufrieden und hatte hierin seinen Zeitgenossen vieles voraus. Zwar hatte der moderne Diogenes am Fuße des Arembergs eigene Ansichten, doch diese wurden vom Volke richtig verstanden. Wer konnte also dem alten Bläke Fritz böse sein!

„Et hängt alles eravv!“

Fragte ihn einmal der gute Nachbar nach der genauen Uhrzeit-es war 17.30 Uhr-, bekam er die vielsagende Antwort: „Et hängt alles eraw!“ Als ehrbarer Junggeselle mußte Fritz auch die Küche führen. Nun hatte er es einmal eilig, da die Kundschaft im Nachbardorf auf ihn wartete. Das Kaffeewasser wollte gar nicht kochen, um einen „Guten“ aufzuschütten. Mit Hin und Her versuchte Bläke, dem Übel zu begegnen – doch schienen alle guten Wünsche vergebens zu sein. In seiner Not umfaßte Fritz den Wassertopf und schrie in letzter Verzweiflung: „Lev Wässerche, Iev Wässerche, – wenn de net bal kochst, dann suff ich dich ruh (ungekocht)!“

Vor Jahren lebte in Antweiler ein Arzt namens Hörn. Nicht weit von ihm wohnte der Drogist Haut. Just traf es sich, daß Meister Braun schwer humpelnd am Bürgermeisteramt vorbeikam. Der Amtsbürgermeister bemerkte den Alten aus der Eichenbach und erkundigte sich nach dem Befinden. „Ich“, sagte Fritz, „han weiter nix als dat, wie euer Dokter und Apotheker heißt!“ Meister Braun hatte in Wershofen gearbeitet. Um die Mittagszeit lud Frau X den braven Junggesellen zum Essen ein. Es gab Erbsensuppe, und die aß Fritz gern. Doch wie war die freundliche Gastgeberin erstaunt, als der Gast den Rock auszog, die Ärmel des Hemdes aufrollte und sich angriffslustig über den Erbsentopf bückte. „Was machst du denn, Fritz?“ rief entsetzt Frau X. – „Ich well he mol drenn fesche, ob ich wat Greve (Speckgrieben) fenne“, antwortete Fritz.

„Es de Kessel noch net do ?“

Eines Tages hatte eine Frau aus Schuld einen Wasserkessel nach Eichenbach gebracht. (Von Eichenbach fließt der Dorfbach zur Ahr und somit nach Schuld.) Fritz sollte den Kessel so schnell wie möglich in Ordnung bringen. Aber – o Schreck, die Löcher waren von Fritz nicht mehr instandzusetzen. Und somit flog der Wassertopf in den Eichenbach.

Nach einigen Tagen ließ die Frau anfragen, ob die Reparatur ausgeführt sei. „Junge, Junge, es de Kessel noch net do? Den han ich doch en de Bach geworfe, der moß doch at längs weder en Schuld sen!“ lautete die unzweideutige Antwort. Anfang der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts trat auf dem Geldmarkt jene Erschütterung ein, die viele aus eigener Anschauung kennen. Da Meister Braun das Gewirr von Millionen und Milliarden nicht verstand, spielte sich sein Leben weiterhin im Zahlenraum der Pfennige ab. Bevor er seinen Kunden die Kessel flickte, machte er sie auf die inflatorischen Auswirkungen aufmerksam, die notgedrungen auch seinen Beruf erfaßt hatten. Und das geschah mit den Worten: „Fünf-Pfennig-Löcher koste jetz eene Grosche!“

Fritz liebte den Alkohol und war somit in den Gaststuben bekannt. Fritz hatte auch Kredit, dafür sorgte sein ehrliches Gesicht. Doch die Tilgung der Schulden stand woanders geschrieben. So mahnte ihn wieder einmal beim Abschied ein gutgläubiger Wirt aus Antweiler: „Fritz, he stonn noch pa Schnaps (das heißt, die waren noch nicht bezahlt)!“ „Dann drenk se us, dat se net schemmlich werde!“ war die Antwort.

Fritz und die Obrigkeit

Eines Tages entlud sich der Zorn des Wirtes über seinem Haupt. Fluchtartig verließ Meister Braun das Lokal und lief eiligst bergaufwärts nach Rodder. Doch hier war die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Hüter der Ordnung war benachrichtigt worden und folgte raschen Schrittes dem Flüchtenden. Unter schnaufendem „Ha… pu!“ erreichte dieser die Höhe, sammelte schnell einige Steine und schleuderte sie dem dicht nachdrängenden Wachtmeister entgegen. Mit einer zackigen Kehrtwendung suchte dieser talwärts Schutz und Deckung. Das schien dem fassunglosen Bläke Mut zu geben, und voller Dreistigkeit rief er dem fliehenden Wachtmeister nach: „Brandis, Brandis, dräht de Knigg (Brems) zo, sons jodde (geht) schibbele!“ Meister Braun ging gern auf Hasenjagd. Da er keinen Jagdschein besaß, kam er mit dem Gesetz in Konflikt, die Polizei kümmerte sich um ihn. Fritz hatte Lunte gerochen, nahm Kreide und schrieb recht und schlecht auf seine Haustür: „Meister Braun ist ausgezogen!“ Darauf entledigte er sich der Kleidung und begab sich zur Ruhe. Bei der Treibjagd im Revier Eichenbach wurde ein Hase von einem Jäger angeschossen und konnte entkommen. Der enttäuschte Waidmann fragte Fritz, ob er zufällig einen Hasen gesehen habe. Als Meister Braun diese Fraage bejahte, entwickelte sich folgendes Gespräch: „Hat de’Has denn jeschweißt? (geblutet)“ – Fritz: „Wenn der weiter so jelauf en es, dann hätt der bestimmt jeschweißt.“

„Verdragt euch!“

Im Bereich des Arembergs war ein kleines Manöver der Besatzungstruppen. Meister Braun befindet sich auf dem Weg von Aremberg nach Eichenbach. Plötzlich erblickt er einen amerikanischen Reiter, der sich auf seine Art nach dem „Feind“ erkundigt. „Verdragt euch met de Lock, dann hatt ihr och keen Feinde!“ rief Fritz dem verdutzten Meldereiter zu.

Meister Braun hielt nicht viel von Papieren und Ausweisen, er dachte: Dich kennt doch jeder in der Eifel, wozu der gedruckte Kram ? Als der Kommandant der Besatzungstruppe einmal die Zahl der Einwohner überprüfte, hatte er einen Mann zuviel, aber auch einen Ausweis zu wenig ausgestellt. Er schickte eine Handvoll Soldaten los. Einer von ihnen konnte deutsch, aber der Dolmetscher, der einmal in Deutschland studiert hatte, sprach eben ein anderes (Hoch-)Deutsch als Bläke Fritz. Er fragte und bekam wenig Antworten, höchstens, daß der in seiner Stube hantierende Fritz etwas auf Eifeler Platt murmelte. Er ging in den Schuppen, holte einen Arm voll Sägespäne und schob den Luftzug über seiner offenen Feuerstelle dicht. Gab das einen Qualm! Die ratlosen Soldaten fingen an zu husten, und da Fritz heimtückisch die Tür verriegelt hatte, blieb den Männern, die sich mit ihm nicht verständigen konnten, nichts anderes übrig, als den Raum durchs Fenster zu verlassen. So gelang es Bläke Fritz sogar, ohne Ausweis durchs Leben zu kommen. Fritz trug sehr oft eine Feuerwehrkappe, die ein guter Nachbar ihm als Kopfbedeckung gegeben hatte. Als er eines Tages nach Antweiler kam, stellte ihn eine Besatzungspatrouille zur Rede, weshalb er eine solche Uniformkappe trage. „Nu halt de Luff an, einem geschenkte Jaul schaut man net en et Maul!“ war das, was Bläke zu antworten hatte.

„Soll ich die noch usblose?“

Als Fritz merkte, daß es mit ihm zu Ende ging, empfahl er sich dem Herzen eines wohlwollenden Nachbarn. Dieser sorgte für die Überführung ins Altersheim. Wie schwer wird es dem ewigen Junggesellen gewesen sein, sich einer straff gefügten Ordnung zu unterwerfen! Dabei kam ihm zustatten, daß Meister „Fleuschtisch“ hier Schicksalsgenosse sein durfte. Und das war ein Trost, der wohltuend die Zeit des Lebensabends beeinflußte.

Fritz lag im bedenklichen Zustand, und die Ärzte des Krankenhauses rechneten mit einem unmittelbaren Ableben des Betagten. Eine Schwester stellte zwei Kerzen auf. Beim Anblick dieser brennenden Lichter fragte Meister Braun die Krankenschwester: „Soll ich die noch usblose, wenn ich dud bin?“