Ein Oktoberbrauch in Wershofen
Michael Holzem
Alljährlich im Oktober ist in Wershofen ein Brauch zu beobachten, der zumindest in der näheren Umgebung sonst ganz unbekannt ist. Die Kinder des Ortes stellen in diesem Monat beleuchtete, ausgehöhlte Rüben auf die Fensterbänke der Bewohner. Dafür erhalten sie von den Bürgern zum Dank kleine Geschenke.
Die Vorbereitungen hierfür beginnen schon Ende September und Anfang Oktober, wenn die Rüben erntereif sind. Sobald die Tage kürzer werden, zieht es die Wershofener Kinder zu den Bauern und auf die Felder, wo sie sich mit großen Rüben für ihr Vorhaben eindecken. Erst muß die schwere Feldfrucht bei der Bearbeitung die Blätter lassen und einen Teil der oberen Rundung. Mit dem Taschenmesser höhlen die jungen Wershofener dann die Knollen aus, was gar nicht so einfach ist. Anschließend verschönern sie das Gewächs mit einem eingeschnittenen Gesicht oder einem Motiv ihrer Wahl.
Bei Anbruch der Dunkelheit kann es schließlich an dem hierfür bestimmten Abend losgehen. In kleinen Gruppen ziehen die stolzen Produzenten der mit Kerzen gespenstisch erhellten „Knor-reköpp“ durch die Straßen und verehren den Einwohnern ihre Kunstwerke. Sie stellen die Knollen dabei auf Fensterbänke und vor Haustüren ab. Der Ort wird dadurch geradezu magisch beleuchtet.
Für diesen „Dienst“, den jede Gruppe bei vielen Häusern gleich zwei- oder gar dreifach leistet, belohnen die Hausbewohner die Kinder mit Geld oder Süßigkeiten.
Von älteren Wershofener Bürgern wird berichtet, daß dieser Brauch schon Anfang dieses Jahrhunderts bestand. Allerdings hat sich der Charakter der Veranstaltung inzwischen vollkommen gewandelt. Während der Umzug durch den Ort heute nicht ohne die Gaben der mit „Knorreköpp“ Beglückten auskommt (Heischebrauch), hatten die Kinder damit früher anderes im Sinn. Sie lauerten nämlich in den damals schlecht beleuchteten Straßen ahnungslosen Passanten auf, um ihnen durch ihr plötzliches Erscheinen und den vorgehaltenen „Knorreköpp“ einen tüchtigen Schreck einzujagen. Nicht anders erging es jenen, die abends einen Blick aus dem Fenster warfen. Unvermutet grinste ihnen die Fratze einer dämonisch flackernden Knollenfackel entgegen. Heute sind wir dagegen eher erfreut über die leuchtenden „Knorreköpp“.
Wershofener Kinder mit „Knorreköpp“.