Ein hungriger Gast

VON FERDINAND GIES

Saß da an einem warmen Sommermorgen in der Wirtschaft Linden, Niederhutstraße, heute Jägerhof genannt, einer der zu damaliger Zeit gewichtigsten Bürger unserer Stadt Ahrweiler, wenigstens dem Leibesumfang nach, und ließ sich das kühlende Bier schmecken. Frau Wirtin Linden hatte ihm hierzu, wie schon häufiger, eines seiner vielen Leibgerichte zurecht gemacht, nämlich ein Pfund Schwartemagen, in Würfel geschnitten und mit Essig und öl sowie einer Zwiebel und noch etwas Salz und Pfeffer angerichtet, dazu zwei Scheiben Graubrot. Die Wirtin konnte noch eben wahrnehmen, wie der Gast mit unheimlichem Eifer über das Frühstück herfiel, und sie hatte in der nebenan liegenden Küche kaum ein paar Minuten gearbeitet, da klopfte es schon wieder, der Gast wollte zahlen, es hatte ihm, wie er sagte, ausnahmsweise geschmeckt. „Meister“, so hielt Frau Linden den aufbrechenden Gast noch zurück, „wenn Ihr noch Appetit habt, mir hann noch en ganz Komp (Schüssel) Römpche do, mir äßen se net gäen!“ — „Rümpchen“ waren nämlich in früheren Zeiten eine besondere Eigentümlichkeit des Ahrtals, vielmehr der Ahr, kleine Fischchen verschiedener Art, welche, meist im Sommer in den Tümpeln der seichten Ahr in Mengen gefangen, abgekocht und auf einem Leinentuch erkalten gelassen und in gleicher Weise, wie oben beim Schwartemagen beschrieben, angerichtet wurden. Nach den nächsten Großstädten wurde das Fischgericht in Weidenkörbchen verpackt und noch in Weidenschalen gewickelt, versandt. Die Weidenschalen verstärkten den ohnehin stark bitteren Beigeschmack des Gerichts, da die Fischchen nicht ausgenommen, sondern mit Haut und Haaren verspeist wurden. Mittlerweile war ein weiterer Gast in die Wirtschaft eingetreten, der sah mit steigendem Staunen der Vertilgung der Rümpchen zu, und dieses Staunen verstärkte sich, als er später hörte, daß dies bereits der zweite Gang gewesen sei. Und als nun Meister M. den letzten Bissen getan, da läutete die Mittagsglocke. Er steipte sich mit den beiden Fäusten auf den Tisch, erhob sich und sprach gelassen das Wort: „Dann laß mer ens sehn, off de Frau Jet gekoch hät!“