Ein altes Dernauer Winzerhaus
erzählt VON HARRY LERCH
Das ist das Glück des Tages, solch ein schönes Haus zu finden wie eine Entdeckung… Es geschah uns so: da spielten Kinder auf der Straße; als der Ball auf die Fahrbahn sprang, hielten wir an — es war just vor diesem Haus. Die Kinder haben eine Tüte Bonbons dafür verdient ! Denn dieses helle Tor sagt uns, daß Holz wohl Holz ist, es aber den zum Künstler erhebt, der auf der Hobelbank etwas Rechtes daraus macht. Es wurde nicht nur ein Tor daraus, sondern das Tor eines Winzerhauses. So sind die Flügel die Böden von zwei schlanken, hohen Fuderfässern, von der gleich ovalen Rundung wie die Fässer im Keller drunten, in denen der junge Wein gärt. . .
Das muß ein besonderes Haus sein, meinten wir, und da gewahrten wir den Reliefschnitt zwischen dem schwarzen Gebälk des Fachwerkhauses, diese „Bilder“ von* „des Winzers Arbeit und Fleiß. Aber, der Reihe nach!
1 + 7 + 2 + 4
Es ist das Haus Nr. 198 in Dernau, mitten in der Dorfstraße. Und tritt man in den Hof ein, wo man in den Schuppen blickt und die Kelter sieht, da gewahrt man über dem Torbalken die Jahreszahl 1 + 7 + 2 + 4. Ehrwürdig ist das Haus — und beklagenswert die dicke Ölfarbschicht auf dieser Tür, denn da ist die Spur von Namen noch zu sehen, wie sie einst dann in die Tür geschnitten wurden, wenn Hochzeit gehalten wurde. Selbst diese Tür hat noch Entdeckungen bereit. Das alte Haus erzählt von den Generationen der Winzerfamilie Sebastian, und der Ohm holt die gedruckte Familienchronik herbei, denn die Sebastians haben einen berühmten Namen und führen ihn weit zurück.
Ein Bischof sogar
Aus Frankreich stammen die Sebastians und sie haben das Wappen, das der letzte Bischof von Speyer trug, Eminenz Dr. Dr. Ludwig Sebastian. In einem wappenkundlichen Buche heißt es: „Die Sebastian, aus Franckreich Rammend, sind ein gut Geschlecht und führen im schwarzen Felde zwei Eichel, im raten zwei silberne Ringe mit Edelstein, welche die Reinheit der Familie bedeuten. Ein gekrönter Helm darüber, und darüber ein Füllhorn, welches das Glück des Stammes verheißt.“ Ein Kölner Postamtmann der Linie Sebastian hat das Geschlechterbuch angelegt und drucken lassen, und es beginnt mit einem Sebastian in Bad Neuenahr, der sich 1652 in Beuel niederließ und freite. Und seltsam: murarius ist er gewesen, Maurer also, aber bald ging der Stamm in die Weinberge, ja das Wort Mauer und Burg bekommt Bedeutung für die Sebastians, wovon noch zu reden sein wird.
Geschlecht der Winzer
Da folgt in der direkten Linie Winand Sebastian, der am 10. Januar 1733 in Dernau starb und dessen Kreuz auf dem Friedhof steht. Vom Jülischen Ländchen waren sie ins Saffenburger Ländchen gezogen, nun alle schon Winzer sind die Kinder des am 21, 8. 1758 gestorbenen Peter Sebastian, es folgt Johann Sebastian und dessen Sohn Johann, darauf Matthias Sebastian, der nun schon ins achtzehnte Jahrhundert weist: geboren am 31. Mai 1749 und gestorben am 9. April 1797. So strebt das Familienbuch weiter im Schritt der Generationen: es folgt Peter Joseph Sebastian, noch einmal Peter Joseph als sein Sohn, als Weingutbesitzer benannt, Großvater Johann Sebastian folgt, geboren am 18. Dezember 1836 und gestorben am 12. Juni 1923. ‚ Das ist schon Gegenwart. Sein Sohn Peter Joseph, geboren am 30. März 1861, wurde ebenfalls sehr alt und starb im April 1940. Der Weingutbesitzer war lange Jahre Ortsvorsteher, sein Sohn ist Karl Joseph Sebastian, der Beamter war und in Altenahr lebt, und nun verzweigt sich die Familie, denn Tochter Gudula ehelichte Nikolaus Hubert Ley.
„Im Schloß««
1891 hatte Sebastian geheiratet. Seine Braut war Anna Nietges. Er heiratete „ins Schloß“. Das war nun kein Königsschloß wie im Kindermärchenbuch, sondern eine Gaststätte „Zum Schloß“, aber auch hier hat manches seinen sinnvollen Bezug. Denn Karl Sebastian heißt in der Dorfsprache „Schlauss Karl“ (was Schloß heißt), und die Familie „die Baumänner“, was vielleicht von dem ersten Mann dieses Stammes herrührt, dem murarius = Maurer Sebastian, der 1652 im Jülischeii sich niederließ, bis die Familie ins Saffenburger Ländchen ging. Und als Peter Joseph 1891 die Braut Anna Nietges ehelichte, sagte man im Dorf: „Baumanns Pidder het in Schlaussfamilie jeheirot.“
Dernau
Foto: Kreisbildstelle
Zu den Weinen, die das Weingut anbaut und keltert, gehört eine Lage „Dernauer Burggarten“. Merkwürdig also auch, daß dieser Gasthof „Zum Schloß“ mit einer „Burg“ oder einem „Schloß“ zu tun hat. Die Familienchronik und das Geschlechterbuch sagen, daß am Platz dieses Hauses Nr. 198 wahrscheinlich die Meierei des ‚Schlosses oder der Burg war, die am oberen Ortsausgang gestanden haben muß. Am kleinen Kapellchen führt ja der Burgweg in die Weinberge . . .
1891 hatte Peter Joseph Sebastian ins Haus Nietges eingeheiratet, und in der Schatztruhe der Familiengeschichte wird die Konzession aufbewahrt, die Franz Nietges 1859 erhielt. Unterzeichnet und viele Jahre verlängert hat sie der ehrwürdige Königlich Preußische Landrat von Groote, dessen Familie heute noch in Ahrweiler beheimatet ist. Freilich, viel weiter reichen die Urkunden zurück, und die kostbarste und älteste ist ein Testament vom Jahre 1768, in dem ein Winzer Aegidius sein Weib, geborene Maria Lux, zur Erbin der Wingerte einsetzt. Die Urkunde endet:
„Dernaw den 5. April 1768″, und unterzeichnet haben sie:
„Bartholemeus vicarius gerichts scheffen und Antonius Nietges ger. scheffen.“
Darin ist die Rede „bey dieser schlechten Zeit oder mißwachs Jahren“.
Winzersorgen damals, Winzersorgen heute!
*
Da liegt ein vergilbtes Photo in der Familienkassette von der Weinernte. Der Wagen ist in den Hof gefahren, Holzfaß, Holzstütze und Holztrichter darauf — der Bub aber, der hilft, ist der spätere alte Briefträger von Dernau, der in den zwanziger Jahren verstorben ist. Den Namen Sebastian trägt das Weingut heute noch. Das alte, ehrwürdige Haus ist vielen Generationen Dach und Schutz und Wohnstatt gewesen — der Balken über der Tür mit der Jahreszahl 1 + 7 + 2 + 4 zeugt davon. Blicken wir von den Urkunden der Familienkassette auf, treten wir hinaus in den alten Winzerhof, blicken wir hinauf an die Wände des Fachwerks! Selten werden wir einer so glücklichen Verbindung „moderner“ Bildersprache mit einem alten, ehrwürdigen Hause begegnen in unseren Landen. Dieses Haus ist eine Zierde des Weintals der Ahr.
Bilder des Wingertmannes
Hier ist des Winzers Leben eingeschnitten in den Verputz. 1947 wurde das Haus erneuert. Wie der Winzer Nikolaus Hubert Ley das schöne Tor schneiden ließ mit den beiden Faßböden, so wurde das Winzerleben eingeschnitten in den Bewurf. Für Jakob Schmilz aus Dernau war das ein Auftrag, den er gern ausführte. Der aus Bad Neuenahr stammende Architekt Peter Leuer, der einen Ruf als Kirchenbaumeister hat, machte die Entwürfe — Freundschaft kam zu Freundschaft und Idee zu Idee, und das Haus bekam sinnvollen Schmuck.
Da beginnt am Fries, ins schwarz gerußte Fachwerk eingebettet, zeichnerisch im Basrelief geschnitten, das Tagewerk und das Jahreswerk des Winzers mit den Bodenarbeiten. Die Hacke ebnet den Weinberg, und die Frauen setzen die jungen Rebstöcke in den Boden. Im schrägen Fachwerkfeld wird im Schein der Frühlingssonne nach dem Geizen die Rebe herzförmig gebunden — das Herz ist das Sinnbild des Lebens! Im nächsten Feld: der Winzer hat viel zu hegen und zu pflegen am Weinstock, und die Schädlinge und Krankheiten machen ihm Kummer genug. Dann aber ist unter der Herbstsonne die glückliche Lese — wenn das Jahr gut und gesegnet war. Sonst ist Not im Winzerhaus. . . Die Butt wird die Weinbergstufen hinabgetragen und heimgefahren, damit die Trauben gekeltert werden und nun der junge Rotwein der Ahr zu wachsen und zu reifen beginnt. „Von der Traube in die Kelter“ heißt es‘ im Lied, und diese Arbeit zeigt das erste „Bild“ auf dem unteren Fries unserer Seite. Dann reift der Wein langsam heran und will zeigen, ob er gut war. Der Winzer hält ihn gegen das Licht, ob er rein ist oder trüb, und im kleinen schrägen Feld daneben reift er in den Fässern in Ruhe heran zu einem guten Jahrgang. Wenn die Zecher und die Trinker, die Weinschmecker und Flaschenfreunde ihn im Pokal haben, dann will er weise gekostet, probiert und getrunken sein. Eine Mahnung für den Zecher ist in den Bewurf geritzt, und er sollte sie berücksichtigen, denn in Volksmundweisheit sagt und lehrt sie:
Klar sehn / Grad stehn
Weiter sollt die Lust nitgehn!
Das nächste Feld: das ehrwürdige Wappen der Sippe Sebastian. Wie heißt es im alten Wappenbuch: zwei Eicheln und die Ringe, darüber auf der Helmzier das Füllhorn des Glücks. . . Und da steht ein Bischof im nächsten Feld, gewiß im Andenken an den hohen ehrwürdigsten Namensträger Sebastian, den Bischof Dr. Dr. Ludwig Sebastian von Speyer. Die Weinkrüge stehen zu Füßen des Bischofs, daneben die Namen der Weine, die im Keller heranreifen: „Dernauer Blume“, „Hardtberger“ und“„Goldkauler Berg“. Im schmalen Feld endlich der Name des Märtyrers, dessen Namen sie tragen: Sebastian, getroffen von Pfeilen. Aber aus den Wunden blühen die Blätter des Weinstocks auf…
*
Der Wein ließ dieses Haus werden, der Wein möge immer in diesen Kellern sein, dessen Winzerhaus uns viel sagt! Sein Gebälk erzählt leise des Nachts, wenn alle schlafen, vom Leben der Generationen, die im Hause lebten. Klär und einfach und schön reden die Fachwerkfelder davon: vom Winzer und vorn Wein.