„Dringend wünschenswert sind auch Lebensmittel, Kleider und Bettzeug…
Unwetter vom 11. Juni 1859 forderte über 40 Menschenleben
Achim Schmitz
„Brohl, den 11. Juni. Heute um die Mittagsstunde entlud sich über unserer Gegend einer der großartigsten Wolkenbrüche, welcher etwas von hier aufwärts ausgehend bis nach der Unkelbach. dann westlich über Gedingen und Mehlem, Landesdorf und Godesberg hin sich mehr oder minder verwüstend ausdehnte.“
Mit dieser Meldung, die am 17. Juni 1859 im Mayener Kreis- und Anzeigenblatt stand, wird ein Unwetter beschrieben, das am Pfingstsams-tag des Jahres 1859 in unserer Region über 40 Menschenleben forderte und daneben großen Sachschaden verursachte. Auch die späteren Ausgaben dieser Zeitung berichten mehrmals über den 11. Juni. Im nachfolgenden Text wird anhand dieser Berichte versucht, einen Eindruck über die Schäden zu vermitteln, die dieses Gewitter anrichtete. Beschränkt wird sich dabei auf den Bereich des Brohltales. des Vinxtbachtales, des Hellbaches bei Sinzig. „Der Regen war so stark, daß die Bäche der genannten Täler urplötzlich in unerhörter Weise anstiegen, der Brohlbach namentlich bis zur Höhe von 18 Fu ß“. schreibt der Berichterstatter am 16. Juni. nachdem er das Katastrophengebiet besucht hat. Der Brohlbach muß innerhalb weniger Minuten von einem ruhig dahinfließenden Bach zu einem reißenden Fluß geworden sein. „Alles, was sich dem Gewässer in den Weg stellte, wurde fortgeschwemmt“, steht dazu in dem Zeitungsbericht und weiter: „Bäume, Mauertrümmer, Balken, Schlamm, Steine, Menschen und Tiere mit sich reißend, warf er Gebäude und Mauern wie Kartenblätter um, schäumte und wirbelte.“
Nachdem das Unwetter vorbei war, muß es in den betroffenen Gebieten schrecklich ausgesehen haben. Dazu das Mayener Anzeigenblatt am 16. Juni: „Mit Bruchstücken und Trümmern aller Art. die der Brohlbach vor sich her schleuderte, schuf er überall neue Zerstörung, neue Ruinen. Überall gingen Menschenleben verloren, wurden Wohnungen zertrümmert. Hab und Gut verschlungen, das angebaute Land, Wege, Straßen und Brücken verwüstet und vernichtet“. Die einzelnen Ortschaften des Brohl-, Vinxtbach- und Hellbachtales waren unterschiedlich stark in Mitleidenschaft gezogen worden. In Niederzissen wurden etwa 40 Personen vermißt, „17 von ihnen konnten nur noch tot geborgen werden“, schreibt der Berichterstatter. Einige Tage später wurden zwei weitere Opfer tot gefunden, so daß in Niederzissen insgesamt 19 Menschen ums Leben kamen. Von den am Brohlbach stehenden Häusern blieben oft nur noch Ruinen stehen.
Während die Ortschaften Ober- und Niederweiler nur wenig betroffen waren, muß es in Burgbrohl wieder um so schlimmer ausgesehen haben. Menschenleben waren hier zwar gottlob keine zu beklagen. Mehrere Häuser wurden aber zerstört, darunter auch große Teile der Bleiweißfabrik der Gebrüder Rhodius. Arg in Mitleidenschaft gezogen wurde auch das Gebiet unterhalb Burgbrohls. „Die im Brohl-tal liegenden Äcker und Wiesen wurden mit hohen Schichten von Sand und Geröll überschüttet. Die im Tale befindlichen Traß- und Mahlmühlen wurden größtenteils zerstört. In der Orbachsmühle wurde ein Arbeiter tot im Mühlenkasten gefunden. Die Schweppenburgs-mühle verlor einen Teil ihrer Gebäude.“
Am schlimmsten aber sah es, so der Berichterstatter, im Ortsbereich von Brohl aus. Dort hatte der erst wenige Jahre zuvor angelegte Bahndamm der Rheinischen Eisenbahn den Abfluß der Fluten verhindert. Binnen kürzester Zeit staute sich das Wasser. Die massive Bogenbrücke der Landstraße wurde ebenso fortgerissen wie die Eisenbahnbrücke. Wohnungen. Scheunen und Stallungen erlitten das gleiche Schicksal. Die Chausseestraße wurde auf einer Länge von 12 Ruthen weggeschwemmt. Dort. wo sie noch vorhanden war. lagen Trümmer aller Art: Ackergeräte, Karren, Wagen, Baumstämme, Hausteine, Fässer, Tische, Stühle, Kleidungsstücke, Bettwerk, Bienenkörbe,…
In Brohl zerstörte das Hochwasser von 1859 die Eisenbahnbrücke der erst kurz vorher eröffneten linksrheinischen Bahnstrecke (o.) – In Niederzissen blieben von den am Brohlbach stehenden Häusern oft nur Ruinen.
Insgesamt vier Menschen ertranken in den Fluten, darunter eine alte kranke Frau, „die“, so bemerkt der Reporter, „auf ihrem Bette liegend einhertrieb und unterging.“ Umgekommen war auch eine 23jährige Frau, die ihre Ziege aus den Fluten retten wollte. Die Familie eines jüdischen Metzgers entging dem Tod nur dadurch, daß sich Vater, Mutter und Kinder „eine halbe Stunde lang an einem in der Decke des Hausflurs befindlichen Eisenhaken festhielten“. Auch im Vinxtbachtal richtete das Unwetter größte Schäden an. Während Waldorf noch glimpflich davon kam, wurden in Gönnersdorf mehrere Häuser und Ställe ein Opfer des Vinxt-baches. Eine schwangere Frau ertrank mit ihren drei kleinen Kindern. Auch in Rheineck kam eine Familie in den Fluten um.
Der bei Sinzig in die Ahr mündende Hellbach hatte sich ebenfalls in einen reißenden Fluß verwandelt und große Schäden angerichtet. In Westum ertranken sechs Menschen. In Sinzig, wo Gärten und Felder zerstört wurden, ertrank eine Mutter mit ihrem Kind. Um das Wasser des Hellbaches ablaufen zu lassen, hatte man eine Öffnung in die Sinziger Stadtmauer gebrochen. Nördlich von Remagen hatte das Unwetter ebenfalls gewütet. „Auch in Unkelbach wurden zwei erwachsene Männer von dem zum Strom angewachsenen Bach, der das Dorf durchläuft, fortgerissen und als Leichen, der eine an der Mühle zum Mühlenloch, der andere, eine junge Frau und Mutter einiger Kinder, zu Düsseldorf gelandet. Zu Gedingen wurde die gesamte Ernte durch den Hagel vernichtet, auch die Fensterscheiben an den Wohnungen meistens zertrümmert.“
Nachdem sich die Menschen von dem ersten Schock der Katastrophe erholt hatten, begannen alsbald die Aufräumarbeiten. Da in Brohl die Bahnbrücke weggerissen worden war, konnten die Züge von Bonn aus kommend nur bis Remagen, von Koblenz aus nur bis Andernach fahren. Um die Fahrgäste weiter zu befördern, wurde ein Dampfboot eingesetzt. Wenige Tage später hatten Bautruppen eine Behelfsbrücke über den Brohlbach errichtet. Jetzt fuhren die Züge bis zum Brohlbach. Dort stiegen die Gäste aus, gingen über die provisorische Brücke und fuhren mit einem auf der gegenüberliegenden Seite des Baches wartenden Zug weiter.
Da der materielle Schaden der Bevölkerung enorm war, wurden allerorts Spendenaufrufe laut. Bereits am 13. Juni kam J.J. Burbach, königlicher Hof-Fotograph aus Köln, in das Katastrophengebiet und machte eine Serie von Aufnahmen, die dann zugunsten der Geschädigten verkauft wurden. Einige der Fotos sind heute noch erhalten. Sie geben einen guten Überblick über das ganze Ausmaß dieser Naturkatastrophe.
Es wurden Kleider, Nahrungsmittel und Haushaltsgeräte gesammelt, um die zum Teil obdachlos gewordenen Familien notdürftig zu versorgen. Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden riefen die Bevölkerung zur Solidarität mit den Betroffenen auf. Bürgermeister der zum Kreis Ahrweiler gehörenden Orte, die in Mitleidenschaft gezogen worden waren, veröffentlichten bereits am 13. Juni einen gemeinsamen „Hülferuf“ mit der Bitte um Unterstützung: „Die Königliche Steuerkasse zu Sinzig wird Spenden an Geld zu jeder Zeit annehmen“, heißt es dort und weiter: „Dringend wünschenswert ist jedoch auch ein Beitrag an Lebensmitteln, Kleidern und Bettzeug…“
Ludwig Delius, Landrat des Kreises Mayen, veröffentlichte am 20. Juni im Anzeigenblatt einen Aufruf an die Bewohner seines Kreises „mit der Bitte um Unterstützung der Bedürftigen, welche durch die Wassernot in der Bürgermeisterei Burgbrohl am 11. Juni verunglückt sind“. Den Schaden, den die Fluten verursacht hatten, schätzte er auf mehr als 75.000 Reichstaler, „nicht gerechnet die dauernden Störungen und Ausfälle in dem Arbeitsverdienste und dem Bodenertrage“.
„Ich bitte“, schrieb der Landrat, „daß in jeder Gemeinde durch mildtätige und christlich gesinnte Bürger Beiträge gesammelt werden, die, soweit sie in Geld bestehen, durch mich bereitwillig an ihre Bestimmung gesendet werden, wenn sie nicht direkt an Herrn Bürgermeister Salentin zu Burgbrohl überbracht werden sollen.“
Auch der damalige Oberpräsident der preußischen Rheinprovinz, Adolph von Pommer-Esche, kündigte sofortige Hilfe an. Er schickte Militär in die betroffenen Gebiete, die bei den Aufräumarbeiten und beim Wiederaufbau der zerstörten Brücken mithalfen. Außerdem verfügte er, daß sich die Mitglieder der in den verschiedenen Ortschaften gegründeten Hilfsvereinigungen zusammenschlössen. Zu diesem Zweck trafen sich Abordnungen der einzelnen Gruppierungen am 23. Juni unter dem Vorsitz von Ludwig Delius in Brohl. Sie vereinigten sich zu einem gemeinsamen Komitee zur „Unterstützung der Wasserbeschädigten“.
Am gleichen Tag noch wurde ein erneuter „Aufruf an die Mildtätigkeit“ verfaßt. Er wurde am 28. Juni im Mayener Kreis- und Anzeigenblatt veröffentlicht. Unterschrieben haben ihn der Oberpräshdent der Rheinprovinz, Adolph von Pommer-Esche, Landrat Ludwig Delius sowie eine Reihe von Bürgermeistern und Ortsvorstehern der geschädigten Gemeinden. Es dauerte lange, ehe man die Schäden behoben hatte. Die Eisenbahn konnte Brohl erst fünf Monate nach der Katastrophe wieder passieren. In Burgbrohl wurden bis zum Jahre 1864 fast 35.000 Reichstaler für Brückenerneuerungen aufgewendet.
Auch in späteren Jahren suchten schwere Unwetter die Gegend zwischen Rhein, Ahr, Brohltal- und Vinxtbachtal heim. Besonders schlimm muß es 1880 gewesen sein. Einer zeitgenössischen Chronik zufolge, hatten sich am Samstag, 23. Juni über dem Brohltal mehrere Gewitter entladen. Es hatte wieder sehr starke Regenfälle gegeben, wodurch der Brohl-bach binnen kürzester Zeit wieder enorm angestiegen war. In Burgbrohl wurden der Dorfplatz und die Kreisstraße überflutet und auch wieder Häuser geschädigt. Die Menschen kamen hier allerdings noch einmal mit dem Schrecken davon. Anders dagegen in Brohl, wo man an diesem Wochenende die „St. Johannes-Kirmes“ feiern wollte. Ein Schaustellerehepaar, das in einer in der Nähe des Brohlbaches stehenden Scheune übernachtete, wurde von den Fluten überrascht und ertrank. Das in der Nähe des Baches aufgestellte Karussell wurde von den Wassermassen in Richtung Rhein fortgerissen und blieb schließlich am Ufer im Schlamm und Unrat stecken. Auch nach dieser Katastrophe war der Schaden enorm und die Aufräumarbeiten dauerten Monate. Es wurden auch wieder Spendenaufrufe veröffentlicht und Spenden für die Geschädigten gesammelt.
Benutzte Literatur
Mehrere Ausgaben des ‚Mayener Kreis- und Anzeigenblattes vom Juni 1859. Karl Schäfer: Unwetter im Brohltal, Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1975