Die Zukunft mitdenken
Der Wiederaufbau muss auch als Neuaufbau verstanden werden – als Chance, das Ahrtal zukunftsorientiert zu gestalten. Das Institut für qualifizierende Innovationsforschung und -beratung (IQIB) ist in der Region fest verwurzelt und möchte seinen Beitrag dazu leisten
Dr. Michael Boronowsky
Der Wiederaufbau im Sommer 2021 läuft. Es geht aber um mehr als Altes wiederherzustellen. Der Wiederaufbau muss als Neuaufbau verstanden werden – als Chance, das Ahrtal zukunftsorientiert zu gestalten. Das Institut für qualifizierende Innovationsforschung und -beratung, kurz IQIB, möchte dazu als eine in der Region fest verwurzelte Institution seinen Beitrag leisten.
Das IQIB – 1996 als Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen gegründet – beschäftigt sich mit der Wirksamkeit von Innovationen. Es ist darauf spezialisiert, Prozesse zu optimieren und unterschiedliche Akteure zu vernetzen. Als Tochter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt es Politik, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft durch Schulungen, Beratungen und Evaluie- rungen. Rund 30 Personen arbeiten am Institutssitz in Bad Neuenahr-Ahrweiler.
In Ahrweiler richtete die Flutkatastrophe schwerste Zerstörungen an. Der Standort in der Wilhelmstraße im Stadtteil Ahrweiler blieb glücklicherweise von der Flut verschont. Lediglich bis zum Parkplatz vor dem Gebäude drang das Wasser vor. Für die IQIB-Verantwortlichen war es eine Selbstverständlichkeit, kurzfristig große Teile der eigenen Räumlichkeiten für die Nothilfe zur Verfügung zu stellen. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf ein Viertel der Fläche zusammengerückt, so dass eine Arztpraxis und Teile der Psychologischen Institutsambulanz der Dr.-von-Ehrenwall´schen Klinik in das Gebäude einziehen konnten. Unser Vermieter Hans-Joachim Brogsitter hat das unbürokratisch ermöglicht“, berichtet Wigand Fleischer, einer der beiden IQIB-Geschäftsführer.
Das IQIB-Team beschäftigt sich mit der Wirksamkeit von Innovationen. Als Tochter des Deut schen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt es Politik, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft durch Schulungen, Beratungen und Evaluierungen.
KAHR-Wissenschaftler beim Ortstermin in der flutgeschädigten Verbandsgemeinde Altenahr im September 2021
Wissenschaft hilft beim Wiederaufbau
Aber das IQIB leistet mehr als rasche Nachbarschaftshilfe. „Wir wollen dazu beitragen, dass beim Wiederaufbau Strukturen entstehen, die zukunftssicher, widerstandsfähig und klimafest sind“, sagt Tanja Nietgen, Wissenschaftlerin am IQIB. Sie ist überzeugt, dass es der richtige Ansatz ist, über eine reine Wiederherstellung von dem „was war“ hinauszudenken.
„Neben einer besseren Vorbereitung auf solche Naturkatastrophen müssen Themen wie Klimaanpassung und Digitalisierung berücksichtigt werden. Hier kann die Wissenschaft helfen, nachhaltige und innovative Lösungen zu finden“, so Tanja Nietgen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte unmittelbar nach der Katastrophe zugesichert, dass die betroffenen Regionen mit wissenschaftlicher Expertise beim Wiederaufbau unterstützt werden. Dazu fördert das BMBF Projekte wie KAHR, kurz für Klima – Anpassung – Hochwasser – Resilienz. Das IQIB ist einer der 13 beteiligten Partner aus Wissenschaft und Praxis. In dem Vorhaben sollen mithilfe von Expertise aus der Wissenschaft wichtige Fragen zum Neuaufbau geklärt werden, zum Beispiel: Wie sollte ein an Hochwasser angepasster Wiederaufbau von Wohnhäusern und kommunaler Infrastruktur wie etwa Straßen aussehen? Wie lässt sich der Hochwasserschutz verbessern? Könnten zum Beispiel Grünflächen von Stadtparks oder Sportanlagen als Rückhalteflächen genutzt werden, die bei Überschwemmung Hochwasser aufnehmen? Wie können kritische Infrastrukturen zum Beispiel für die Energieversorgung, den Verkehr oder die Ernährung besser geschützt werden? Ziel ist es, konkrete Maßnahmen für die betroffenen Regionen zu entwickeln.
Vernetzen und unterstützen
Als Ansprechpartner und Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und regionalen Akteuren dienen zwei Projektbüros, eines für Nordrhein-Westfalen und eines für das Ahrtal in Rheinland-Pfalz. Das IQIB betreut das Projektbüro Rheinland-Pfalz. „Durch unsere regionale Verankerung in Bad Neuenahr-Ahrweiler können wir die Bedarfe der Akteure vor Ort direkt erfassen sowie passgenaue Beteiligungsformate und Experten-Veranstaltungen konzipieren“, sagt Simone Schöttmer, die das Projektbüro Rheinland-Pfalz koordiniert.
Sie und das Team ermitteln, welche Akteure und Organisationen im Landkreis Ahrweiler am Wiederaufbau beteiligt sind oder beteiligt werden sollten. Ebenso gilt es, die Akteure vor Ort zu beraten, Kontakte herzustellen und schließlich die Partner des KAHR-Projekts bei konkreten Aktivitäten in der Region zu unterstützen. Darüber hinaus behalten die Mitarbeitenden des Büros Entwicklungen vor Ort im Auge und achten auf neue Erkenntnisse und Themen, die für den Wiederaufbau relevant sein könnten. Alle Erkenntnisse fließen in eine Datenbank ein, die den Zugriff auf Informationen erleichtert. „Mit der Datenbank und den verschiedenen Veranstaltungen wird außerdem transparenter, was bereits konkret gemacht wird und künftig noch gemacht werden soll“, so Simone Schöttmer.
Dazu gehört unter anderem, hilfreiche Aktivitäten bekannt zu machen, die sich über das Netzwerk des KAHR-Projekts ergeben. Zum Beispiel hat das HochwasserKompetenz-Centrum Köln, ein Partner im KAHR-Projekt, sein Starkregen- und Hochwasser-Infomobil mehrmals in die Region geschickt. Das geschulte Personal des Infomobils informiert zum Beispiel über praxisgerechten und wirtschaftlichen Überflutungsschutz für Häuser und das richtige Verhalten vor, während und nach einem Hochwasser.
Verkehr und Energie im Visier
Um wissenschaftliche Expertise für den Wiederaufbau geht es auch in einem zweiten Vorhaben: dem Projekt „ActForAhrtal“. Das IQIB führt dieses Projekt im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) durch.
Das DLR bringt hier die Expertise seiner verschiedenen Institute ein, um insbesondere den Wiederaufbau in weiteren Bereichen, wie zum Beispiel Verkehr und Energie, zu unterstützen. Auch hier gibt es zahlreiche Ansatzmöglichkeiten. „Das DLR ist bereit die Region dabei zu unterstützen, den Öffentlichen Personennahverkehr besser vor Überflutungen zu schützen oder ein grünes Verkehrskonzept für lokale Unternehmen zu entwickeln. Ein weiteres Thema wäre die künftige Nutzung von Wasserstoff für Strom, Wärme und als Antrieb für Fahrzeuge. Fernerkundungsdaten des DLR können außerdem helfen, die Lage vor Ort genauer zu analysieren“, berichtet Projektleiter Dr.-Ing. Bert Droste-Franke, Forschungsleiter am IQIB.
Die erste Aufgabe des Projektteams besteht darin, vorhandene wissenschaftliche Ergebnisse zusammenzutragen, diese so aufzubereiten, dass ihr Nutzen für den Wiederaufbau verständlich wird, und schließlich auf die konkreten Bedarfe im Ahrtal anzupassen. Für die verschiedenen Themen werden Teams aus Experten aus Wissenschaft und Praxis gebildet. Bei diesen Aufgaben kann das IQIB auch auf frühere Arbeiten zurückgreifen. Im Projekt EnAHRgie hat das Institut Methoden und Tools entwickelt, mit denen Gemeinden, Landkreise und Städte regionale Energiekonzepte erstellen können.
„Solches Wissen zu bündeln, ist aber nur die Vorarbeit“, erläutert Bert Droste-Franke. „Uns geht es darum, alle Beteiligten inklusive Bürger zusammenzubringen, gemeinsam relevante Themen zu identifizieren und zukunftsweisende Konzepte auf den Weg zu bringen.“ Ähnlich wie im KAHR-Projekt sammelt das Team dazu Ideen der Akteure vor Ort ein und trifft sich mit Bürger und Experten etwa bei runden Tischen oder Workshops. Anschließend werden die Vorschläge gemeinsam mit den Koordinierungsstäben und anderen Verantwortlichen für den Wiederaufbau analysiert und entschieden, welche Ideen umgesetzt werden.
Wärmekonzept auf den Weg bringen
„Zum Beispiel haben wir uns mit den Nahwärmekonzepten beschäftigt, die der von den drei Ortsgemeinden Dernau, Rech und Mayschoß gegründeten Wiederaufbau- und Zukunftsgesellschaft Mittelahr vorliegen“, berichtet Bert Droste-Franke. Eine Möglichkeit für die Gewinnung von Nahwärme ist Geothermie. Um dies zu überprüfen, wurde mit Hilfe des DLR das Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) eingebunden. Auf Vorschlag des GFZ soll nun ergänzend das Konzept einer saisonalen Speicherung untersucht werden. „Das bedeutet, dass im Ahrtal künftig im Sommer Wärme in der Erde gespeichert werden könnte, um diese im Winter etwa zum Heizen zu nutzen“, verdeutlicht Bert Droste-Franke.
Das Beispiel GFZ zeigt auch, wie wichtig es ist, gut vernetzt zu sein. „Immer wieder kommt es in ActForAhrtal vor, dass etwa Gemeinden fachliche Expertise benötigen, um unterschiedliche Konzepte einschätzen zu können. Gibt es im DLR keine passenden Experten, haben wir bisher immer über unsere Netzwerke jemanden gefunden“, so der IQIB-Forscher. Das IQIB bringt außerdem immer wieder Akteure und Wissenschaft zusammen, um über übergreifende Themen zu diskutieren. So hat das Institut auf Wunsch der Kreisverwaltung ein Treffen zum Thema Schienenverkehr organisiert, bei dem sich Vertreter des Landkreises sowie DLR-Experten für Verkehrsforschung über die aktuelle Situation und Ideen für die künftige Entwicklung austauschen konnten.
Tourismus wieder ankurbeln
Auch im Kleinen helfen Bert Droste-Franke und sein Team: „Seit der Flutkatastrophe liegt ein Wohnmobilplatz im Ort Mayschoß brach. Wir haben die Gemeinde dabei unterstützt, einen Solarzellen-Container für die Stromversorgung zu installieren. Solche Plätze wieder flott zu machen, ist ein Schritt, um den für die Region so wichtigen Tourismus wieder anzukurbeln. Das Ankurbeln des Tourismus muss allerdings ebenfalls systematisch angegangen werden. Der Ahrtal-Tourismus hat dazu das
„Nachhaltige Tourismuskonzept Ahrtal 2025“ beauftragt, das bis Herbst 2022 die Ausgangssituation analysieren, Zukunftsziele und Strategien definieren sowie konkrete Maßnahmen entwickeln soll. Das IQIB gehört dem Koordinationskreis an, der das Vorhaben fachlich begleitet und mit weiteren Initiativen und Projekten abstimmt.
Netzwerke vernetzen
Das IQIB ist darüber hinaus zusammen mit anderen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung an weiteren Aktivitäten beteiligt, die den Wiederaufbau vorantreiben wollen. Zum Beispiel am Konzept „Aus Ahrtal wird SolAHRtal“, das dafür sorgen möchte, dass Solarenergie und Windkraft eine größere Rolle im Ahrtal spielen. Das Konzept schlägt eine regenerative Stromversorgung mit Photovoltaik und Windkraft sowie den Austausch fossiler Heizungen durch alternative Technologien vor. Das IQIB übernimmt dabei die partizipative Ausgestaltung des Projektes; d.h. wie können die Bürger und Ihre Interessen bestmöglich mit einbezogen werden.
Ebenfalls beteiligt ist das IQIB am Kompetenznetzwerk „Wissenschaft für den Wiederaufbau“, eine Initiative des Landes Rheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit seinen Hochschulen. Das von der Hochschule Koblenz koordinierte Netzwerk fördert die Zusammenarbeit der rheinland-pfälzischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit den von der Flutkatastrophe betroffenen Kommunen und Landkreisen sowie den zuständigen Ressorts der Landesregierung. Auch hier geht es darum, die Akteure zu vernetzen, relevante Forschungs- und Transferthemen zu identifizieren und damit zielgerichtet den Wieder- und Neuaufbau mit wissenschaftlicher Fachexpertise zu begleiten. Angesichts der verschiedenen Aktivitäten ist es wichtig, dass Projekte, Netzwerke und Akteure gut miteinander vernetzt sind, damit Wissen zusammengetragen wird und Vorhaben aufeinander abgestimmt werden. Aus Sicht des IQIB funktioniert das bislang sehr gut. Die enge Zusammenarbeit wirkt sich auch auf das IQIB selbst aus: Regionale Vernetzung wird für die Arbeit des Instituts künftig noch wichtiger wer- den. Diese Vernetzung gepaart mit der Expertise des IQIB bei Projektentwicklung und -begleitung sowie Fördermittelmanagement wird hoffentlich helfen, dass der Wiederaufbau eine Erfolgsgeschichte wird.