Die Wollweberzunft in Adenau
VON REKTOR WOLLMANN
Wer mit der Bahn von Dümpelfeld nach Adenau fährt oder diese reizende Landschaft zu Fuß durchwandert, erblickt zwischen Niederadenau und Leimbach, inmitten eines Obstgartens, ein altes, einsames Gebäude, die „Birnbachsmühle“ genannt. Der Besucher wird aber vergeblich,, den Müller suchen. Nein, es ist eine alte Spinnerei und Wollweberei, Zeuge eines einst so blühenden und weitbekannten Handwerks- und Industriezweiges, der einen gleichen Sitz in Adenau hatte. Auch hier im Städtchen selbst fällt dem Besucher und Fremden im oberen Ortsteil ein ungefähr 20 m hoher viereckiger altersgrauer Schornstein auf, der so garnicht in das Gepräge des lieblichen Ortes hineinpaßt. Zu dem Schornstein gehört ein altes Gebäude, das dem Baustil der Birnbachsmühle entspricht. Es ist die Adenauer Tuchfabrik.
Was erzählen Geschichte und Urkunden aus längst verflossenen Zeiten über das Leben und Wirken der Wollweber und der Wollweberzunft?
Lassen wir unsere Gedanken zurückschweifen bis in‘ die Mitte des 17. Jahrhunderts. Durch den 30jährigen Krieg und die folgenden Kriege blieb auch die Eifel von den furchtbaren Schrecknissen nicht verschont. Not, Elend, Verarmung waren die Folgen einer erbarmungslosen Zeit. Dornen, Disteln und Unkraut schmückten die Fluren. Der harte und rauhe Eifelbauer wußte sich dieser Feinde zu erwehren durch eine intensiv betriebene Schafhaltung. Die genügsamen Schafe fanden auf den unbebauten Fluren reichlich Nahrung, lieferten Fleisch und Wolle. Wir müssen weiter folgern, daß das Bauernvolk seine Bekleidungsstücke selbst herstellte; denn der alte Spruch: „Selbst gesponnen, selbst gemacht, ist des Bauern schönste Tracht“ wird sich damals bewahrheitet haben.
So surrten früher in unserem Marktflecken und in den Nachbardörfern viele Spinnräder, und ‚die Webstühle sangen dazu ihre Melodie.
Aus dem vorhandenen Zunftbrief, datiert aus dem Jahre 1700, geht folgendes hervor: In demselben sowie in dem Zunftbuche und anderen Aktenstücken ist oft die Rede von der neuerrichteten Zunft. Auch daß bei der Gründung der Zunft bereits 71 alte Meister vorhanden wa ren, scheint mit Sicherheit darauf hinzudeuten, daß schon weit früher ein Zunftverband bestand, der aus einem nicht mehr festzustellenden Grunde sich aufgelöst haben mußte. Das Prokotollbuch der Wollweberzunft, das jetzt noch im Gebrauch ist, verlegt die Gründung in das Jahr 1648. Die Zahl ist aber urkundlich nicht nachzuweisen. Der Gründungsbrief aus dem Jahre 1700 hat folgenden Wortlaut:
„Kund offenbahr und zu wissen seye hiermit Jedermänniglich, daß die Meisteren des Wüllenwebers Handwerk im Marktflecken Adenau, Erzstifftischen Cöllnischen Marktfleckens Nürburg, vor einigen Jahren eine Zunfft einzurichten vor habens gewesen, dessen bewürkung durch die vorige und jetzige Kriegsläufften anstehen blieben, nunmehro aber, da die Anzahl deren Wüllenweber merklich und dergestalt angewachsen, daß dieselben eine vollkommene Zunfft außzumachen genugsam im Stande seyen. Und der Wohl Edel gebohrene Herr Johann Salentin von Veyder Herr zu Mahlberg, des Ambts Nürburg angeordneter kurfürstlicher Ambtmann sich nichts eifriger angelegen sey laßen, alls des löblichen Ambts, sonderlich aber des mehrgl. Marktfleckens aufkombß, nutzen und Vorteil zu befördern wie den derselb, in reiflicher deliberation, daß durch aufrichtung der Zunfft eines Ehrbaren Wüllenwe-ber oder Tuchmacher Handwerks der Dienst Gottes zu vordriste, und de-megst hiesigen Marktflecken Adenau privatnutzen befördert, auch denen Meistern des Handwerks und deren Kinder zusammenbahrem ihrem Glück und aufnehmen gereichen würde, auf deren geziemendes ansuchen, folgende Zunfft-Satzungen einrichten, fort daß solcher in allen ihren Punkten mit Vorbehalt jedoch der hohen Landts Obrigkeit gnädigster Approbation und genehmhaltung nachgelebt werden solle, die rechtliche Hülf zusagen lassen.“
Im weiteren folgen nun 24 Paragraphen oder Satzungen, die über die Pflichten der Meister, Gesellen und Lehrlinge, die Verarbeitung der Wolle und die Fabrikation des Tuches, die in Bezug auf Breite genau geregelt war, bestimmten. ‚Besonders wertvoll erscheinen mir einige Artikel über die strenge Erziehung der Lehrjungen. Möge unsere heutige Jugend manches beherzigen.
Einige Artikel sollen uns darüber belehren:
„Es sollen sich bei dem Gottesdienst, als ‚da ist die heilige Meeß, Predigt, christlicher Lehr, Bruderschafften und anderen Andachten fleißig einfinden. An Sonn- und Feiertagen sollen sie sich vom Spielen und anderen kindlichen Dingen fernhalten, es wäre ihnen denn vom Meister oder der Meisterin erlaubet.
Adenau vom Nürburgring gesehen
Sie sollen sich besonders hüten vor verdächtigen, gefährlichen und ihnen vom Meister oder der Meisterin verbotenen Gesellschaften, Häusern und Zusammenkünften.
Es soll kein Lehrling auch an Sonn- oder Feiertagen aus dem Hause gehen, er habe denn vom Meister oder der Meisterin dazu Erlaubnis erbeten und erhalten.
Wenn ein Lehrjunge gefunden wurde, der in den ihm vorgehaltenen und hier vorgeschriebenen Stücken saumselig wäre und auf die erste, zweite u. dritte Ermahnung sich nicht bessern würde, so soll der Meister solchen beim Amt und den Amtsmeistern angeben und verklagen und ein solcher soll als ein nichtswürdiger aus der Zunft verstoßen und herausgeworfen werden.“
Der Gründungszunftbrief wurde am „zweiten Septembris Eintausendsiebenhundert“ von dem Amtsmann Johann Salentin von Veyders unterschrieben.
Die Zunftordnung wurde 1713 am 30. Juni durch das hohe Domkapitel zu Köln bestätigt und erlangte 1717 am 27. November die Bestätigung des Kurfürsten Josef Clemens.
Durch Fleiß und fachliche Umsicht erlebte die Zunft in den folgenden Jahren ein erstaunliches und beachtliches Aufblühen. Wie bereits erwähnt, waren bei der Neugründung 71 alte Meister vorhanden, 1713 erhöhte sich die Zahl auf 75 und 1734 auf 92. Im Jahre 1750 erreichte die Zahl der Meister 102, 1759 zeichnete die Meisterliste 114 und kam 1788 auf die hohe Zahl von 141. Zählt man jetzt noch die Lehrlinge, Gesellen, Färber, Tuchscherer, Walker und Spinner hinzu, so beschäftigte die Wollweberzunft zu Adenau am Ende des 18. Jahrhunderts jährlich durchschnittlich 1000 Personen.
Mit der Verwaltung der Zunft waren 2 Zunftmeister betraut, denen 2 Verordnete oder Deputierte zur Seite standen. Als Zunftmeister, die jährlich neu gewählt wurden, fungierten in den Jahren 1713 bis 1799 88 Meister. Die lange Reihe der Zunftmeister zeigt, daß Angehörige fast sämtlicher Familien der Wollweberei oblagen.
Die Einnahmen der Zunft bestanden in einem vierteljährlich zu leistenden Beitrag, den Eintrittsgeldern der Meister, den Aufdings- und Lossprechungsgeldern bei den Lehrlingen und Gesellen, in Strafgeldern und den Zinsen einiger Kapitalien. Im Jahre 1773 betrugen die ausgeliehenen Kapitalien etwas über 300 Reichstaler.
Über die Leistungen und gute handwerkliche Arbeit geht aus anderen Zunftaufzeichnungen hervor, daß um 1770 die Adenauer Wollweber ihr Handwerk sehr fleißig betrieben haben. Das Adenauer Tuch war sehr gesucht. Jährlich wurden (man will es gar nicht glauben) ca. 70 000 bis 80 000 Ellen (77 cm) besseres Tuch bestellt und ausgeführt. Einen besonders ehrenvollen Auftrag bedeuteten die mehrfachen Lieferungen des Montierungstuches für die kurfürstlichen Soldaten. Auch in den Patrizierhäusern war das Tuch heimisch gewesen.
Wie sehr die Adenauer Wollenweberzunft auch von der kurfürstlichen Regierung geschätzt war, sehen wir aus einer Verordnung des Kurfürsten Maximilian Friedrich, datiert von Bonn, 25. April 1788, wodurch den ausländischen Kaufleuten das Hausieren mit Wolltüchern und der Verkauf nicht neun Viertel breiter Tücher auf den Jahrmärkten untersagt wird.
Die Adenauer Webermeister brachten ein gesuchtes Tuch auf die Märkte. Adenau selbst hatte das Recht, vier Jahrmärkte und einige Wochenmärkte zu halten, die von Mosel, Rhein, Ahr, Daun und Malmedy stark besucht wurden. Das geschätzte Tuch fand seine Abnehmer in Mainz, Frankfurt und Leipzig, beim Militär, bei der Polizei, bei den Anstalten u. a. in Steinfeld, Rheinbach usw. Im Herbst ging es auf den Handel. Die Märkte in Nürburg, der Michelsmarkt in Reifferscheid bei Adenau, die Märkte in Daun, Schleiden, Eupen, Malmedy, Ahrweiler, Euskirchen usw. wurden von hier aus reich beschickt. Absatzschwierigkeiten kannte man kaum, da die Adenauer Tuchhändler oder ihre Söhne gern gesehen waren.
Durch mechanische und maschinelle Einrichtung für Spinnen, Walken und 1898 für Weben hörten die Spinnräder und Handwebstühle allmählich auf zu arbeiten. 1910 hatte die Adenauer Tuchfabrik eine Belegschaft von nur 10 Mann. Um diese Zeit war kein Handwebstuhl mehr in Adenau. Heute sind nur noch drei Mann beschäftigt, die in der Hauptsache Strickwolle und Tuche nach Bedarf herstellen.
Nach diesem vorstehend wiedergegebenen Abriß der Geschichte aus dem Leben und Wirken der Wollweberzunft wäre noch zu erwähnen, wie sich die Zunft heute zeigt. So reichhaltig ihr Leben in ihrer Blütezeit und so wertvoll ihr Einfluß auf das bürgerliche, sittliche und religiöse Leben der Öffentlichkeit in Adenau gewesen ist, so ruhig und beschaulich ist heute das Dasein des einst so zünftigen Gewerbes. Die Mitgliederzahl der Wollweberzunft beträgt heute 32. Neben der Wollweberzunft bestehen noch die Gerber- und die Hammerzunft.
Die Wollweberzunft versammelt sich am Feste ihres Schutzpatrons, des hl. Severus, jährlich am 11. Februar zum gemeinsamen Gottesdienst in der Pfarrkirche. Vorn am Altar steht der Fahnenträger mit der Zunftfahne, die das Jahr 1648 zeigt. In seinem alten Zunftfederhut und seiner breiten Schärpe erinnert er an die machtvollen Zeiten der alten Zünfte.
Am Spätnachmittag treffen sich die „Genossen“, wie die Zunftmitglieder auch heißen, im „Gasthaus zum Schloß“. Der Zunftmeister, der jedes Jahr neu gewählt wird, eröffnet die Versammlung und liest den letzten Verhandlungsbericht aus dem alten Zunftbuche vor. Danach erheben sich alle Mitglieder zur Verrichtung des Zunftgebetes. Die Gebetsweise ist folgende:
Lasset uns beten:
zu Ehren des hl. Severus, des Schutzpatrons unserer Zunft (3 Vater unser), zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria, Schutzpatronin unserer Zunft (3 Vater unser), für unseren Hl. Vater ( 1 Vater unser), für unseren hochw. Herrn Pastor und seinen Kaplan (1 Vater unser), für die gegenwärtige Zunftgesellschaft (1 Vater unser), für diejenigen, die im kommenden Jahre aus unserer Gesellschaft vor den Richterstuhl Gottes gefordert werden (3 Vater unser), für die verstorbenen Mitbrüder und Schwestern unserer Zunft (1 Vater unser).
„Der Engel des Herrn“ bildet den Schluß.
Nach diesem Gebet werden wichtige Berufsfragen besprochen, die sich seit der letzten Zunftversammlung ergeben haben. Danach erfolgt die Wahl des neuen Zunftmeisters.
Auf den offiziellen Teil folgt ein gemütliches Beisammensein. Auf Kosten der Zunftkasse erhält jeder 2 Würstchen und 2 Schößchen. Meist schließt das Zusammensein in vorgerückter Stunde, denn man sieht sich ja nur einmal im Jahr.
Die Wollweberzunft in Adenau kann auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken. Dieser berechtigte Stolz muß aber immer wieder in dem Wunsche gipfeln, daß das wenige, was noch erhalten ist, auch erhalten bleibt.