Die weiße Kirche am Strom
VON MANFRED R Ö T T G E R
Die Bad Niederbreisiger Kirche ist das Wahrzeichen des alten Ortes und eine Zierde für den Kur- und Badeort, der im vergangenen Jahr in den Kranz der deutschen Bäder auch offiziell aufgenommen wurde. Sie steht im Zentrum und ist gleichsam das Herz dieses alten und doch so jungen Rheinortes, in dem große Pläne reifen und sich eine noch nicht abzusehende Entwicklung anbahnt. Bad Niederbreisig strebt selbst in seinem alten Mittelpunkt in die Weite, ließ die engen und den Verkehrsstrom hemmenden Häuserzeilen niederlegen und gibt Raum für das nun breitere Verkehrsband der Bundesstraße, für moderne Geschäftshäuser und für einen Fußgängertunnel. Und wie Bad Niederbreisig sich bemüht, seine Kureinrichtungen und Kurmittel zu verbessern und zu vervollkommnen, wie es Wandel schafft in seinen Anlagen, Plätzen, Promenaden und Straßen, so hegt und pflegt es doch das gute Alte. Dort, wo Bad Niederbreisig in diesen Tagen sein Gesicht so sehr verändert, in seinem Zentrum, da hat es zugleich eine kulturelle Tat verbracht: Die katholische Pfarrkirche, die weiße Kirche zwischen dem Strom und seinen Bergen, ist in den letzten Jahren Stück um Stück in ihrem Urzustand wiederhergestellt worden.
Aus einem Gotteshaus, das zu Beginn des 18. Jahrhunderts gebaut wurde, dessen einzigartige Harmonie seines rheinischen Barocks durch stilfremde Elemente gestört und von den Bombenangriffen des zweiten Weltkrieges heimgesucht worden war, ist wieder jene friedvolle, zum Gebet führende Stätte geworden, die sie ihren Planern und Erbauern vor mehr als zwei Jahrhunderten gewesen sein mag. Die weiße Kirche Bad Niederbreisigs ist wieder das von Kunstgelehrten und Kunstfreunden vielbesuchte und gerühmte Kleinod, von dem zu Recht gesagt wird, es sei die „einzige stilechte Kirche rheinischen Barocks am Mittelrhein“.
IN NOTZEITEN GEBAUT
Mit wieviel Liebe, Geduld und Kunstverstand ist diese Kirche gebaut und gestaltet worden! Das war in einer Zeit, als Seuchen und Kriege auch über das rheinische Land Unruhe, Not und Leid brachten. Die Landesherrin des „Breisiger Ländchens“, Anna Salome von Salm=Reifferscheid, Fürstäbtissin von Essen, legte am 18. Mai 1654, also 6 Jahre nach dem 30jährigen Krieg, feierlich den Grundstein zum Turm der jetzigen Kirche. Erst 64 Jahre später, also 1718, war der Turmbau vollendet. Er ist heute wie damals das Wahrzeichen des Ortes; er grüßt die Wanderer in der „Goldenen Meile“ und strahlt besonders viel Schönheit aus, wenn man ihn auf einer Schiffsfahrt von Linz aus erblickt, wie sich sein leuchtendes Weiß gegen das Dunkel der Berge und Wälder abhebt. In den Jahren 1718 bis 1724 wurde das Kirchenschiff gebaut, von dem Prof. Clemen in „Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz“ sagt, es sei „ein stattlicher, fünfachsiger, in drei Seiten schließender Saalbau von gotisierenden Formen“. Einen stilreinen Bau rheinischen Barocks schufen die Vorfahren, und ihre tätige Frömmigkeit und ihr Kunstsinn fanden auch Ausdruck in der barocken Ausstattung aus der Zeit um 1730, die „in seltener Vollständigkeit erhalten“ (Clemen) ist.
EIN THRONSAAL GOTTES
Von einer „aula Dei“, einem „Thronsaal Gottes“, spricht Pastor Schade, der heutige Pfarrherr in Bad Niederbreisig. Und der Priester, der seit zwei Jahrzehnten in der der Gottesmutter geweihten Kirche das Wort des Herrn verkündet, schreibt weiter über den Bau, für den er in den letzten Jahren so unendlich viel getan hat: „Der Saalbau ist zwar nicht so reich und überschwenglich in seiner Architektur wie viele römische und süddeutsche Barockkirchen, weil unsere Vorfahren, trotz Rhein und Wein, gemessener waren in ihrem ganzen Wesen und zu stark_ beeindruckt von den gotischen Formen ringsum. Von ihnen entlehnten sie auch die gotisierenden Formen des Gewölbes, um dafür um so reicher rheinische Freude und frohen Glaubenssinn sich auswirken zu lassen in der herrlichen Innenausstattung des Hauses Gottes in ihrer Mitte. Eine Freude in Gott und an Gott, die noch heute jeden in ihren Bann zieht, der das Gotteshaus betritt, und die ihren Ausdruck findet nicht nur in der Herrlichkeit und Schönheit der Altäre, Gemälde und Statuen, sondern sich offenbart bis hin zu den kleinsten Dingen, bis zum Ornament, ja bis zum Türschloß und Türschlüssel, die noch kleine Kunstwerke sind, geformt zur größeren Ehre Gottes, geschaffen aus Liebe zu ihm und ihm zur Freude!“
AUF FALSCHEN WEGEN
Viele Jahrzehnte blieb die Kirche in der Reinheit und Ursprünglichkeit ihrer barocken Architektur und Ausstattung unangetastet. Von den gotischen Domen beeindruckt, glaubten die Steinmetzen von Breisig und Rheineck, die an der Vollendung des Kölner Domes maßgeblich mitgewirkt hatten, auf dem rechten Wege zu sein, als sie in den achtziger Jahren des ig. Jahrhunderts die barocken Fenster durch kleinere mit gotischem Maßwerk und buntem Glas ersetzten. Sicherlich in gutem Glauben und Liebe zu ihrer Pfarrkirche handelnd, beeinträchtigen sie doch die Harmonie des herrlichen Baues.
GOTTESDIENST IM FREIEN
Im Jahre 1924 wurde die Kirche in ihrem Innern noch einmal renoviert, diesmal jedoch mit Sinn für die Schönheit des Stilreinen. Die barocke Ausstattung wurde im Anschluß an eine Versetzung von Seitenaltären und Windfang zur Raumgewinnung von Hellwegen weitgehend wiederhergestellt und farbig neu gefaßt. Und dann sollten nur noch wenige Jahre vergehen, bis auch für die katholische Pfarrgemeinde Bad Niederbreisig und deren schöne Kirche eine schwere Zeit anbrach. Am 20. September 1944 und am 14. Januar 1945 fielen Bomben auf Niederbreisig und richteten am Gotteshaus schwere Schäden an.
Von Kunstgelehrten und Kunstfreunden oft besucht und viel gerühmt:
Die weiße Barockkirche in Niederbreisig
Foto: M. Röttger
Zum Bild: Der prächtige Barockaltar soll aus der Koblenzer Frauenkirche stammen. Darüber spannt sich das Gewölbe mit gotisierenden Formen
Foto: W. Vollrath
Die Fenster wurden zerstört, und im Gewölbe entstanden Risse, die Einsturzgefahr heraufbeschworen. Die Innenausstattung war erhalten geblieben, doch das Gotteshaus blutete am Ende des Krieges aus vielen Wunden. Zeitweise mußte der sonntägliche Gottesdienst im Freien gehalten werden, und an den Werktagen versammelten sich die Gläubigen in einer Notkirche im Pfarrheim,
DAS GROSSE AUFBAUWERK
Auf Anregung der staatlichen und kirchlichen Denkmalspflege gingen Kirchenvor-stand und Kirchengemeinde daran, die Kirche auch baulich in ihrer alten barocken Schönheit zu erneuern. Unter großen finanziellen Opfern wurde die Kirche in ständiger Fühlungnahme mit Landes= und Bistumskonservator durch den Koblenzer Architekten F. Lüttgen wiederhergestellt. Alle störenden Formen und Farben mußten dabei verschwinden. So wurden die Fenster auf ihre ursprüngliche Form erweitert und mit hellem Glas versehen. Es handelt sich um Kathedralglas Danziger Struktur von belebtem Weiß, das viel Licht einläßt und doch die Ruhe des Hauses nach außen abschirmt. Dieses Glas wurde früher in Danzig und wird jetzt in Darmstadt hergestellt. Die erste Lieferung nach dem Kriege ging zur Lübecker Marienkirche, die zweite nach Bad Niederbreisig. Bei der Renovierung wurde auch die bis dahin geschlossene Mittelwand hinter dem Hochaltar wieder als Fenster geöffnet. Dadurch erhält der Chor bedeutend günstigere Lichtverhältnisse. Farbig in der Kirche sind nur noch Lichteffekte in Blau und Gold, die den Hochaltar in seiner Massigkeit auflockern und ihm das Pompöse nehmen.
BALD EINE BAROCKORGEL
Im Innern wie im Äußern der Kirche ist nun wieder alles wohltuend zueinandergeordnet. Nur auf der Empore in der Halle des Turmes, an deren Brüstung wir eine alte Holzstatue der hl. Katharina finden, ist noch Wandel zu schaffen. Der Prospekt der Orgel, die 1817 in Cochem gekauft wurde, stimmt nicht mit der barocken Ausstattung überein. Doch auch hier wird der Wandel nicht mehr lange auf sich warten lassen. Im Einvernehmen mit der Denkmalpflege hat die Pfarrgemeinde bereits in Norddeutschland einen Original=Prospekt von Schnittgen, dem Orgelbauer des Barocks, erwerben können. Bald wird die Orgel mit ausgebautem Werk und in neuem Gewände klingen und gleichsam die kulturelle Tat der katholischen Pfarrgemeinde Bad Niederbreisigs krönen.