Die Sage von der »Herchenbergs-Juffer« und dem »Molemännchen«
Wolfgang Dietz
In der Jugendzeit unserer Urgroß- und Großeltern war es üblich, daß die Burschen der Brohltal-Dörfer gemeinsam auf »Schusters Rappen« zur Kirmes in die nähere und weitere Umgebung zogen. Wenn man dann nachts von Gönnersdorf, Ahrweiler oder Sinzig nach Weiler zurückkehrte, so führte der Heimweg durch den »Scheid«, ein Waldgebiet, das sich von der Gemarkung Niederzissen (östlich der Autobahn A 61) bis nach Niederoberweiler (heute: Burgbrohl, Ortsteil Weiler) und Gönnersdorf erstreckt, und vorbei an Herchenberg und Beu-nerhof. In Vollmond- oder Gewitternächten konnte es leicht geschehen, daß die Hofhunde heulten oder unruhig gewordene Rinder in den Ställen an ihren Ketten zerrten. Dann überlief die Heimkehrer eine Gänsehaut, und man raunte sich zu: »Die Herchenbergs-Juffer ist wieder mit ihrem Kettenhund unterwegs« und beeilte sich, nach Hause zu kommen. Auch die Handwerksburschen, Viehhändler, Musikanten und »fliegenden Händler«, wie etwa der »Jaa-Fillep« (Garn-Philipp), die aus der näheren Umgebung, aber auch vom Hunsrück und aus dem Kannenbäckerland mit ihren Waren in die Dörfer des Brohltals und auf den Be-unerhof kamen, und von denen jeder für sich ein Original war, sahen zu, daß sie in solchen Nächten die Nähe des Herchenberges mieden. Was hat es nun mit der Herchenbergs-Juffer für eine Bewandtnis? Zu der Propstei Buchholz — im Eigentum der Benediktinerabtei Mönchen-Gladbach stehend —, die südlich der beiden im Tal gelegenen, später vereinigten Orte Ober-1 und Niederweiler auf der Höhe lag, gehörte neben der Pfarrei Niederweiler, die am 29. Mai 1320 von Erzbischof Balduin von Trier2 Buchholz inkorporiert wurde, und die die Buchholzer Mönche seitdem betreuten, auch der Hof auf der nördlichen Anhöhe, der Beunerhof, den man vop Buchholz aus auf gleicher Höhe liegen sieht. Es war ein stattliches Anwesen von ca. 24 ha Land ohne Wald und Weinberge. Die Sage weiß folgendes zu berichten: Das Verwalter-Ehepaar des Hofes hatte eine einzige, schöne und amazonenhafte Tochter, die es liebte, mit ihrem Wolfshund lange Spaziergänge in die Umgebung zu unternehmen. Auf einem dieser Streifzüge mag sie wohl dem Edelmann von Lützingen — dort ist bis zum Jahre 1469 ein Adelsgeschlecht »von Lützingen« nachweisbar3 — anderen Erzählungen zufolge einem Ritter von Rheineck4, die damals hoch zu Roß die Gegend unsicher machten, begegnet sein, der Gefallen an ihr fand. Dies schmeichelte der stolzen Schönen, und bald besuchte der Edelmann sie auch zu Hause auf dem Propsteihof. Die Eltern, rechtschaffene Leute — so die eine Überlieferung —, sahen diese Entwicklung, da der Edle weithin in schlechtem Rufe stand, mit wachsender Besorgnis. Alle Vorhaltungen der Eltern stießen bei der Tochter auf taube Ohren, und so wandte sich der Vater in seiner Not schließlich an die Buchholzer Mönche mit der Bitte um Hilfe, denn das Wort eines Priesters besaß zu damaliger Zeit großes Gewicht. So kam denn auch alsbald, am Abend eines schwülen Tages, ein Mönch zum Beunerhof, um der Tochter ins Gewissen zu reden. Doch diese verlachte seine Warnungen, und als zu allem Unglück gleich darauf der Edelmann, der auch sonst noch mit den Buchholzern im Streite lag — vielleicht wegen der Weinlieferungen aus den Buchholzer Weinbergen in Lützingen, zu denen sich der Vogt Johann von Gondorf 1271 in einem Pachtvertrag verpflichtet hatte — auf dem Hof erschien, versteckte der Verwalter — nichts Gutes ahnend — den Mönch eilig im Keller.
Die Tochter aber erzählte ihrem Liebhaber prompt das Vorgefallene und erwähnte auch den Mönch im Keller. Wutschnaubend schrie der Ritter: «Den Pfaffen werde ich ausräuchern!« Er befahl dem Gesinde, feuchtes Stroh in den Keller zu werfen. Das setzte er in Brand, verschloß die Tür und verstopfte die Kellerlöcher(-fenster). Der Mönch rief in seiner Not um Hilfe und bat um sein Leben. Der Edelmann und die Hoftochter aber blieben in ihrem Haß ungerührt. — Da verfluchte sie der sterbende Mönch: »Ihr sollt beide verderben und ohne Erben früh sterben!«
Nach einer anderen Version fühlten sich die Eltern geehrt, daß ein Edelmann ihre Tochter begehrte, und sie sahen über dessen üblen Leumund hinweg. Den Mönchen von Buchholz hingegen war es keineswegs gleichgültig, welchen Umgang ihr Pächter pflegte, zumal sie ohnehin mit eben diesem Edelmann noch anderweitige Schwierigkeiten hatten (siehe auch erste Variante). So wäre es denkbar, daß der Hofpächter mit dem Edlen gemeinsame Sacche gemacht, den Mönch in den Keller gesperrt und dort hätte umkommen lassen5. In diesem Falle hätte der Fluch sich auch auf die Eltern bezogen.
Hohnlachend machte sich der Ritter, nachdem kein Lebenszeichen mehr aus dem Keller kam, begleitet von der Verwalterstochter auf den Heimweg. Inzwischen hatte sich das Wetter, das den ganzen Tag über drohend in der Luft hing, zusammengebraut. Man sah durch den vom Hof zum Herchenberg führenden Weg, der, beiderseits von Obstbäumen bestanden, »die Allee« genannt wurde und noch wird, wie in einen Höllenschlund. Als das Paar am Herchenberg anlangte, entlud sich ein fürchterliches Unwetter.
Die Verwaltersleute fanden am Morgen ihre Tochter und den Edelmann — zu Stein erstarrt — an den Hängen des Herchenberges: sie blickte zu Hof, er in die entgegengesetzte Rich tung (nach anderen Erzählungen stand sie diesseits und er jenseits des Berges).
Tatsächlich hatten sich im Laufe der Zeit am Herchenberg — wohl durch Steinschlag, Verwitterung und Erosion bizarre Felsreliefs gebildet, in denen man mit ein wenig Phantasie das zu Stein erstarrte Paar erkennen zu können glaubte. Beide Figuren sind inzwischen verschwunden: Den steinernen Ritter, im Volksmund »das Molemännchen« genannt, trug ein Bauer aus Oberlützingen ab und verwandte ihn zum Pflastern seines Hofes. Die Hoftochter, »die Juffer«, fiel dem seit den 1960er Jahren forcierten Lavalitabbau am Herchenberg zum Opfer.
Der Fluch des sterbenden Mönches aber hatte sich damals rasch und furchtbar erfüllt, denn auch das Verwalterehepaar starb bald darauf — ob aus Gram oder während einer Epidemie, mag dahingestellt bleiben. Der Keller aber, in dem der Mönch erstickt war — er ist der einzige Keller des ansonsten nicht unterkellerten Anwesens und diente als Wein- und Vorratskeller—, ist heute noch erhalten. Er erinnert als einziges Zeugnis an das Schicksal der Verwaltersfamilie, des Edelmannes und des Buchholzer Mönches.
- Zur Herrschaft Olbrück gehörend
- 1285 -1354, seit 1307 Erzbischof, Bruder Kaiser Heinrichs VII., betrieb 1346 maßgeblich die Wahl seines Großneffen Karls IV. zum deutschen Kaiser
- Reste der Burg bei Ausgrabungen 1890 ca. 2 km östlich von Nieder-lützingen in der Gemarkung »Hellershof“ entdeckt
- Unter ihnen waren Johann IV., Johann V. und Johann VI. besonders übel beleumundet.
- Dies konnte er ohne jedes Risiko, wenn er Vogt war, da er dann, weil die Klöster zu dieser Zeit keine weltliche Macht ausüben konnten, die Vertretung der Interessen von Buchholz wahrnahm, und die Mönche ihn nur schwer von ihrem Hof entfernen konnten.
Literatur:
Busley, Josef / Neu, Heinrich, Die Kunstdenkmäler des Kreises Mayen, 1. Halbband (= Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 17, Abt. 2), Düsseldorf 1941, S. 206 – 213
Pauly, Ferdinand, Aus der Geschichte des Bistums Trier, 1. Teil: Von der spatrömischen Zeit bis zum 12. Jahrhundert (=Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, Bd. 13/14), Trier 1968, S. 135 -137
Schug, Peter, Geschichte der Dekanate Mayen und Burgbrohl und einzelner Pfarreien der Dekanate Daun, Gerolstein, Kelberg und Remagen (= Geschichte der Pfarreien der Diözese Trier, Bd. 6), Trier 1961, S. 96-105
Stausberg, Leo, Ländchen Breisig und Fürstentum Essen, Bad Niederbreisig 1963, S. 72-74