Die römische Terra-sigillata-Töpferei von Sinzig
VON KARLHEINZ WEBER
Dem aufmerksamen Spaziergänger, der vom Ende der Rheinallee in Sinzig in südlicher Richtung am Rhein entlang geht, fallt auf, daß hier die Felder mit kleinen roten Tonstückchen übersät sind. Bei näherer Betrachtung wird er feststellen, daß es sich um kleine und kleinste Überreste von Gefäßen handelt, die bei der Bearbeitung der Felder an die Oberfläche gekommen sind. Mit etwas Glück lassen sich jedoch auch größere Scherben finden, die meistens eine glatte rote Oberfläche zeigen, oft aber auch mit erhabenen Verzierungen versehen sind. Hier, in unmittelbarer Nähe des Rheines, befand sich im 2. Jahrhundert n. Chr. eine römische Terra-sigillata-Töpferei, in welcher glattes Gebrauchsgeschirr und auch mit Figuren und Ornamenten verzierte „Bilderschüsseln“ hergestellt wurden. Diese Waren, oft als „römisches Porzellan“ bezeichnet, bestanden aus hart gebranntem Ton. Die Oberfläche war mit einer Glanztonschicht überzogen. Die vor fast 2000 Jahren gebrannten Scherben zeigen heute noch eine große Härte, und meistens ist die Oberfläche sehr schön und glänzend erhalten. Die glatten Töpfereierzeugnisse, wie Schüsseln, Schalen, Näpfe, Teller, Tassen usw. wurden auf den Böden vom herstellenden Töpfer mit seinem Namensstempel versehen. Daher gab man diesen Waren die Bezeichnung „Terra-sigillata“, gestempelte Erde.
Außer diesen nicht verzierten Gefäßen stellte man in geringer Anzahl die uns heute noch sehr ansprechenden „Bilderschüsseln“ her. Für deren Anfertigung benötigte man eine Formschüssel, in deren noch weiche Innenseite man mittels Punzen oder Bildstempeln Ornamente und Figuren als Vertiefungen einpreßte. Die in diesen Formen gegossenen Schüsseln zeigten dann als erhabene Verzierung die vertieften Muster der Formschüssel. Die gewählten Abbildungen von Göttern, Menschen, Tieren und Pflanzen, zusammen mit einer Vielzahl von Ornamenten, ermöglichen uns noch heute Einblicke in Wesen und Lebensgewohnheiten der damaligen Bewohner unserer Heimat. Die Bilderschüsseln wurden normalerweise nicht mit dem Namensstempel des Töpfers versehen. Nur ganz vereinzelt kommen solche Kennzeichnungen vor. Eine Ausnahme macht z. B. der Töpfer Virtus, der zumindest Teile seiner Produktion mit seinem handschriftlichen Namenszug versehen hat. Die römischen Töpfer siedelten sich in Sinzig in einem Gebiet an, in dem sich bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. eine Truppenziegelei der in Xanten stationierten V. römischen Legion befunden hatte. Zahlreiche Ziegelfunde mit dem Stempel der V. Legion gelten hierfür als Beweis.
Foto: W. Ostgathe Museum Sinzig
Vom November 1912 bis März 1913 führte das damalige Provinzial-Museum Bonn, auf Anregung des Remagener Heimatforschers, Apotheker E. Funk, umfassende Grabungen im Bereich der Töpferei durch. Bei diesen Grabungen wurden Brennöfen mit den zugehörigen Arbeitsräumen, Abfallgruben u. a. m. freigelegt. Es konnten außerdem große Mengen an Töpferwaren, Fehlbränden und Formenschüsseln geborgen werden.
Ein kleiner Teil der Funde gelangte in den Besitz des Provinzial-Museums Bonn. Der Großteil aller Ausgrabungen verblieb dem Heimatmuseum Remagen. Von dort gelangten durch Verkauf und Schenkungen Stücke an andere Museen des In- und Auslandes. Im Museum Remagen gingen im Laufe der Zeit und bedingt durch die zweimaligen Kriegswirren, zahlreiche Fundstücke verloren. Trotzdem ist die in Remagen vorhandene Menge von Bilderschüsselscherben und Formschüsselfragmenten aus Sinzig noch sehr beachtlich. Das Heimatmuseum der Stadt Sinzig besitzt einige vollständig erhaltene Stücke aus Terra-sigillata in glatter Ausführung, jedoch keine Bilderschüsseln. Dagegen können zahlreiche Töpferstempel gezeigt •werden, die man in den letzten Jahren im Bereich der Töpferei gefunden hat.
Da sich Apotheker Funk, als Entdecker der Fundstelle, die Veröffentlichung der Ausgrabungsergebnisse der Jahre 1912 bis 1913 vorbehielt, gab der Grabungsleiter des Provinzial-Museums Bonn, J. Hagen, 1917 in den Bonner Jahrbüchern nur einen allgemeinen Bericht über die Ausgrabung, wobei er die Funde selbst nur flüchtig behandelte. Immerhin bildete er 3 Form- und 15 Bilderschüsseln ab und publizierte die Namen von 24 Töpfern. Da Herr Funk kurz nach der Sinziger Grabung seine bis dahin rege wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Gebiete der heimischen Archäologie einstellte, erschien bis zu seinem Tode, 1935, keine Bearbeitung der so wichtigen Sinziger Funde. Um so interessanter ist daher das kürzlich erschienene Werk von Frau Charlotte Fischer, Frankfurt (Main), – welches sich mit der Terra-sigillata-Manufaktur Sinzig befaßt.
Im Auftrage des Rheinischen Landesmuseums Bonn bearbeitete Ch. Fischer die Ausgrabungsfunde der Jahre 1912 bis 1913 und erforschte systematisch alle mit der Sinziger Töpferei zusammenhängenden Fragen. So gelang ihr der Nachweis, daß Töpfer der älteren Trierer Werkstätten an den Rhein nach Sinzig übersiedelten und den Großteil ihrer Bildstempel mit dorthin nahmen.
Zu gleicher Zeit, als in Sinzig die Herstellung von Bilderschüsseln mit früher in Trier verwendeten Ornamenten begann, hörte dort die Produktion ähnlich geschmückter Schüsseln auf. Man verwendete in Trier nunmehr völlig neue Bildmuster. Aufgrund der für die Trierer und Sinziger Töpferei nachgewiesenen gleichen Namensstempel einiger Töpfer, ist der Zusammenhang beider Fabrikationsstätten zu belegen. Die vielfältigen Beziehungen der Sinziger Töpferei zu anderen ostgallischen Manufakturen ermöglichen eine Datierung der Sinziger Werkstätten in die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Ch. Fischer konnte feststellen, daß in Sinzig zwei Werkstätten arbeiteten, die ihre Erzeugnisse mit völlig verschiedenen Bildern und Ornamenten verzierten.
In Fachkreisen wurden daher die Fabrikate der heute als 2. Sinziger Gruppe bezeichneten Werkstatt, einer bisher unbekannten Töpferei, zugeschrieben. Die Sichtung der Bestände des Remagener Museums ergab jedoch einwandfrei, daß die Waren dieser Gruppe in Sinzig hergestellt wurden.
Die Auswertung der Ausgrabungsergebnisse von 1912 bis 1913 und die Forschungen von Frau Ch. Fischer ergaben weiter, daß aufgrund bis heute gemachter Funde, eine Terra-sigillata-Töpferei für Remagen nicht anzunehmen ist. Zwar wurden Anfang dieses Jahrhunderts von Apotheker E. Funk in der Hündelsgasse in Remagen einige Töpferöfen freigelegt, jedoch stellte man in dieser Werkstätte hauptsächlich Henkelkannen, Krüge, Reibschalen, Näpfe und Vorratsgefäße aus weißem, weißgelbem und grauem Ton her.
Da man bei den damaligen Ausgrabungen auch einige Scherben von Form- und Bilderschüsseln fand, waren sowohl E. Funk, wie verschiedene Facharchäologen der Ansicht, daß in Remagen Terra-sigillata fabriziert worden sei. Die spätere Entdeckung der Sinziger Töpferei und die jetzt mögliche genaue Bestimmung der in Remagen gefundenen Scherben, als zur Sinziger Terra-sigillata-Manufaktur gehörig, schließen eine solche Töpferei für Remagen aus. Der Export der kleinen Sinziger Werkstätten erstreckte sich über ein großes Gebiet, entlang der Ostgrenze der beiden Provinzen Germania inferior und Germania superior, von der Mündung des Alten Rheins bis ins Rhein-Main-Gebiet.
Trotzdem scheint die Töpferei nicht rentabel gewesen zu sein, denn länger als 10 bis 15 Jahre hat die Produktion nicht angedauert. Möglicherweise konnten die Erzeugnisse der Sinziger Töpfer mit den teilweise besseren Waren anderer, größerer ostgallischer Manufakturen nicht konkurrieren.
Da es nicht möglich ist, im Rahmen dieser kurzen Abhandlung detaillierte Ausführungen zu machen, wird der interessierte Leser auf das Buch von Charlotte Fischer: „Die Terra-sigillata-Manufaktur von Sinzig am Rhein“ verwiesen. In diesem Werk, herausgegeben vom Landschaftsverband Rheinland und dein Rheinischen Landesmuseum Bonn, erschienen im Rheinland-Verlag Düsseldorf als Band 5 der Reihe „Rheinische Ausgrabungen“, gibt Frau Fischer genaue geschichtliche Darlegungen, Beschreibungen der Dekorationsstile und -elemente und Verzeichnisse aller bisher erfaßten Funde. Ein umfangreicher Katalogteil umfaßt alle bekannten Dekorationen und zeigt Abbildungen aller bisher nachgewiesenen 37 Töpferstempel. Christoph B. Rügen vom Rheinischen Landesmuseum Bonn hat dem Band einen Beitrag zur römischen Besiedlung des Ahrmündungsgebietes beigefügt. Der interessierte Leser kann dieses Buch vom Kreisarchiv leihweise erhalten.