Die rheinische Leinschiffahrt und ihr Untergang
VON LEO STAUSBERG
„Um das Jahr 1816 herrschte am Rheine noch Stilleben. Die Schiffahrt betrieb man in kleinen hölzernen Booten, die mit vorgespannten Pferden mühsam zu Berg getreidelt wurden, durchaus handwerklich.“ Das blieb so bis in die vierziger Jahre, wo sich allmählich die Anwendung der Dampf= kraft in der Schiffahrt durchzusetzen begann. „Das Erscheinen der ersten Dampfer auf dem Strom bei Köln und bei Koblenz versetzte unsere Urgroßeltern in Staunen. Sie begriffen kaum, wie ein Schiff in der Mitte des Stromes ,ohne Ruder und Segel und ohne Halfterpferde, sich gegen den Strom fortzubewegen vermochte, — war doch die Bergfahrt, seit die Welt stand, an die Treidelei vom Leinpfade aus gebunden gewesen.“ Das erste Dampfschiff, das im Jahre 1817 bis Koblenz vordrang, war die vom Erfinder der Dampfmaschine James Watt erbaute „Caledonia“. Sie hatte zwei Maschinen von 50 PS.
Pläne englischer Unternehmer, die Dampfschiffahrt auf dem Rhein in größerem Um= fang einzuführen, scheiterten vorerst am Widerstand der rheinischen Treidelschiffer. Noch im Jahre 1825 gab die Mainzer Handelskammer hierzu folgendes Gutachten ab: „Der Gedanke, die jetzt bestehende Schiffahrt durch die Dampfschiffahrt ganz verdrängen zu lassen, kann keinem vernünftigen Menschen einkommen.“ Im Herbst 1824 hatte das von dem Neu« wieder Röntgen erbaute holländische Dampfschiff „Der Seeländer“ eine Pionierfahrt rheinaufwärts unternommen. Das Ziel Mainz wurde nicht erreicht. Vor Bacharach mußte man umkehren, da sich technische Mängel herausstellten. Dieses Scheitern veranlaßte einen Zeitungsberichter, der diese Fahrt schilderte, zu dem Schluß, „daß der ohnehin im Überfluß vorhandene Schifferstand — und die Halfterpferde — für’s erste von der Dampfschiffahrt auf dem Rhein, den Transport von Reisenden vielleicht ausgenommen, einen Rivalen nicht zu befürchten brauchen.“ — Und doch stand die Zunft der Treidelschiffer, wenn man es zunächst auch nicht wahrhaben mochte, vor ihrem endgültigen Untergang.
Dieser war schließlich so restlos, daß wir Heutigen keine unmittelbare Anschauung mehr vom Treidelbetrieb haben, allenfalls noch den „Leinpfad“ kennen, der sich auf dem linken Rheinufer von Holland bis zum Oberrhein hinzieht.
Bei uns im Rheinland hießen die Treidelschiff=Fuhr!eute „Halfer“ oder „Halfen“. Das Rhein. Wörterbuch definiert den „Halfer“: „Fährmann, der mit seinen Pferden ein Schiff flußaufwärts schleppte , . . Bei der Heuer wurde Wein aufgetischt und aus einem Glas getrunken. Beim Fahren war es Brauch, daß jeder Halfer morgens beim Aufbruch Branntwein, um 10 Uhr ein halbes, mittags und abends ein ganzes Quart (= 1,14 Liter) Wein erhielt; außerdem bekamen die Halfer, wenn eine gefährliche Stelle glücklich passiert war, eine Zulage, an der Mosel ,Welleswein‘ genannt. Während der Fahrt saß der Halfer auf einem der Pferde, wobei er die Beine auf der rechten Seite herunterhängen ließ. Die lange Peitsche gebrauchte er zu. oft unbarmherzig, sein ,]oho! Joho!‘ schreiend … und mit Armen und Beinen strampelnd.“ —
Die Halfer waren ein wetter- und trinkfestes Völkchen, Näherten sie sich mit ihrem Schleppzug einer Wirtschaft, wie sie allenthalben am Leinpfad zu finden waren, so konnte der Wirt bereits vorher nach der Anzahl ihrer Peitschenschläge ermessen, wie viele Krüge mit Wein er bereitstellen sollte. An der Wirtschaft angekommen, banden sie ihre Pferde an Eisenstangen fest und sorgten dafür, daß ihnen in einer Krippe reichlich Hafer vorgesetzt wurde. Wie man erzählt, ward dieser oft noch mit Wein übergössen, um die Leistungsfähigkeit der Tiere zu erhöhen.“
In der Regel waren 16—20 Pferde zu je vier für sich an das dicke Schlepptau geschirrt. „Es war für die Pferde eine schwere und gefährliche Arbeit. Der letzte Treiber hatte stets ein scharfes Beil zur Hand, um das Seil zu kappen, wenn ein Pferd in Gefahr geriet, von der Strömung in den Rhein gerissen zu werden. Weil die armen Tiere immer nach der rechten Seite ziehen mußten, gingen sie ganz schief.“ Zu einer anderen Arbeit waren sie nicht mehr tauglich. Daher der Spruch: „Ene Paafekauch (Pfarrersköchin) on e Lingepead, die senn für enen Euer keen zwei Pennek weat.“ — Wasserscheue Tiere trugen rheinseits eine Scheuklappe. Daher nannte und nennt man noch heule die linke Rheinseite „die scheal Sick“ oder „die scheel‘ Seit.“. Der Winzer nennt das Westufer des Rheines „die schael Seit“, weil es nicht soviel Sonne hat wie das Ostufer.
„Das Anwachsen der Dampfschiffahrt führte zu einem Jahrzehnte dauernden Kampf zwischen Dampfkraft und Pferdekraft.“ Die lohnendste und an Mengen größte Fracht erbrachte den Halfen seit dem Aufkommen des Fabrikwesens der Steinkohlenhandel. Als aber 1841—45 die großen Zechenbesitzer Stinnes und Haniel eigene Schleppdampfer bauen ließen, um ihre Kohlenkähne rheinauf zu ziehen, bedeutete das für die Treidler den Ruin. Ihre verstand» liehe Erbitterung wurde durch die Atmosphäre des Revolutionsjahres von 1848 geschürt und schließlich zur Entladung gebracht. Eine Protestversammlung der Segel=Schiffer, die im April zu Köln stattfand, forderte u. a. Verbot aller eisernen Kähne und die Beschränkung der Schleppdampferfahrten auf bestimmte Fälle bei Hochwasser. Man ließ sogar durchblicken, daß Aktionen zur Lahmlegung der Dampferfahrten behördlicherseits ignoriert werden würden. In verschiedenen Rheinorten, namentlich dort, wo die Halferkolonnen zu wechseln pflegten und wo deshalb auch die alten Halferschenken standen, holten die Half er knechte aus den Spritzenhäusern die Böller, sogenannte „Katzeköpp“, luden sie mit Nägeln und Steinen und beschossen die bergwärts schaufelnden Schleppdampfer. Diese mußten ihre Ruderstühle gegen das seltsame Bombardement mit Blechplatten abschirmen. Die Wirte der Halferschenken, deren Gewerbe ja auch bedroht war, mögen den Mut der bollernden Fuhrleute durch Extragaben von Wein und Schnaps angefeuert haben. Es wird uns berichtet, daß es am 16. April 1848 in Grau=Rheindorf, am 18. April in Wesseling zu derartigen Schießereien gekommen sei, des* gleichen in Kripp und Weißenthurm. Als dieser Unfug, der ja immerhin Landfriedensbruch bedeutete, nicht aufhörte, griff der Staat ein. So wurde z. B. nach Kripp an der Ahrmündung eine Schwadron Bonner Husaren in Quartier gelegt. Rädelsführer wurden verhaftet. Angesichts dieser Maßnahmen gaben die Halfer ihren nutzlosen, tragikomischen Widerstand auf. Sie mußten schließlich einsehen, daß sich das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen läßt. Noch heute heißt die Anhöhe bei Kripp, von wo aus man damals die „Katzeköpp“ gegen die Dampfer der Stinnes und Haniel abgefeuert hat, der „Batterieweg“.