Die Pflanze — ein Sonnenkraftwerk

Von der Sonnenenergie zur elektrischen Energie

VON GERTA BAUER

Wenn heute versucht wird, unmittelbar die Sonnenenergie dem Menschen nutzbar zu machen, indem große Hohlspiegel die Wärme der Sonne auffangen und in elektrische Energie umwandeln, so geschieht ähnliches in den Pflanzen bereits seit vielen 100 Millionen Jahren. Denn auch die Pflanzen nutzen die Sonnenenergie und bilden dadurch Kohlenstoff. Kohlenstoff unzähliger Pflanzen, zu Kohle geworden, ist auch heute noch die bedeutendste Energiequelle des Menschen. Diese Energie wird benutzt, um elektrischen Strom zu erzeugen. Es bat vieler mühevoller Forscherarbeit bedurft, um der Pflanze das Geheimnis ihrer Kohlenstoffgewinnung zu entreißen. Selbst heute noch stehen wir vor manchem Rätsel, das der Lösung harrt. Senken wir im Frühjahr Samen in die Erde, so sprießt nach kurzer Zeit ein Keimling hervor, der in wenigen Wochen zu einer stattlichen Pflanze heranwächst. Wir fragen uns mit Staunen, aus welchen Kräften und in welcher geheimnisvollen Weise sie in dieser kurzen Zeit ihren Pflanzenkörper aufbaut. Sie kann diese Stoffe nur aus der Erde, in der sie ja wurzeln muß, und aus der umgebenden Luft gewonnen haben. Andere Quellen stehen ihr nicht offen. Bei näherem Beobachten stellen wir fest, daß sie noch etwas anderes dazu braucht, nämlich das Sonnenlicht. Wird ihr dies entzogen, so verkümmert sie und stirbt. Lange Zeit hat man dies übersehen, denn es erschien viel zu selbstverständlich, als daß es eine so entscheidende Rolle spielen könnte.

Als man nun daran ging, die Stoffe zu untersuchen, die eine Pflanze aufbauen, da entdeckte man — voller Erstaunen, eigentlich aber auch nicht so sehr überrascht —, daß alle Pflanzen gleich aufgebaut sind und alle Kohlenstoff enthielten. Man erkannte ihn bald als den bedeutendsten Grundstoff, der am Aufbau aller anderen so mannigfaltig zusammengesetzter Stoffe beteiligt ist, die in der belebten Natur vorkommen. Viele Tausende solcher Verbindungen fanden sich, und man nannte deshalb den Teil der Chemie, der sich mit ihrer Aufklärung befaßte, die Chemie des Kohlenstoffes. Ebenso wichtig wie der Kohlenstoff ist das Wasser für das Leben, und das Erstaunlichste ist, daß die Pflanzen aus Wasser, Kohlenstoff und einigen anderen wenigen Grundstoffen, oder wie der Chemiker sagt, Elementen, ihren gesamten Körper aufzubauen vermögen. Diese Fähigkeit hat kein anderes Wesen mit ihnen gemeinsam. Nur die grüne Pflanze kann aus toten Stoffen einen lebenden Körper aufbauen. Dadurch wird sie zur Grundlage und Voraussetzung für alles übrige Leben der Erde; denn Tier und Mensch vermögen solches nicht. Sie sind daher direkt oder indirekt von den Pflanzen abhängig.

Foto: Gerta Bauer
In den mikroskopisch kleinen Zellen der Pflanzen bilden die grünen Blattkörperchen mit Hilfe der Sonnenenergie und des Kohlendioxyds der Luft den Kohlenstoff.

 Diese haben deshalb eine ungeheuer wichtige Bedeutung im Haushalt der Natur. Versuche zeigten bald, daß der Kohlenstoff nicht aus den Nährsalzen des Bodens stammt, sondern aus der Luft entnommen wird. In der Luft befinden sich nämlich neben dem für den Menschen wichtigen Sauerstoff noch das Kohlendioxyd, das manchmal allerdings chemisch nicht ganz richtig — auch als Kohlensäure bezeichnet wird. Es ist die einzige natürliche Kohlenstoffquelle der Pflanze und stellt eine Verbindung zwischen Sauerstoff und Kohlenstoff dar. In der Luft ist es zu 0,03% enthalten. Das mag auf den ersten Blick als verschwindend wenig erscheinen, aber man hat errechnet, daß auf einen Kubikmeter Luft etwa 0,5 bis 0,6 g Kohlendioxyd entfallen. Das entspricht etwa 0,13 bis 0,16 g Kohlenstoff. Für die gesamte Atmosphäre unserer Erde ergibt das etwa 570 Billionen kg Kohlenstoff. Das sind unvorstellbare Mengen! “ Nun müßten sich diese Vorräte durch den Verbrauch der Pflanzen, die sich in jedem Jahr aus diesem Reservoir aufbauen, allmählich erschöpfen. Aber auch hierfür hat die Natur vorgesorgt. Alle ändern Lebewesen liefern den Kohlenstoff für den Aufbau des neuen Lebens wieder an die Luft dadurch zurück, daß sie atmen und dabei Kohlendioxyd ausscheiden. So macht der Kohlenstoff einen ständigen Kreislauf, indem er durch die Pflanzen in die Welt des Lebendigen aufgenommen und von den Organismen wieder als tote chemische Verbindung ausgeschieden wird.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit für den Verbleib des Kohlenstoffes. Diese wurde in den Kohlezeiten Ursache für die Entstehung unserer Kohlenflöze. Mit dieser Frage wollen wir uns aber erst spater befassen. Zunächst wollen wir die Pflanze bei ihrer geheimnisvollen Aufarbeitung des Kohlenstoffes weiter beobachten.

Mit der Atemluft kommt auch das Kohlendioxyd in die Pflanzen/eile. Hier aber muß es erst aus seiner Verbindung gelöst werden, damit der Kohlenstofffrei wird und als Ausgangsstoff für alle weiteren organischen Substanzen dienen kann. Betrachtet man Wasserpflanzen, die dem Licht ausgesetzt sind, so sieht man ganz feine Gasblasen aufsteigen, die sich bei näherer Untersuchung als Sauerstoff erweisen. Es wird also bei der Gewinnung von Kohlenstoff aus Kohlendioxyd Sauerstoff frei. Der Kohlenstoff wird allerdings nicht als solcher frei, sondern über komplizierte und zum Teil noch völlig rätselhafte Zwischenverbindungen an einen ändern Stoff gebunden, der aus der Spaltung des Wassers stammt und deshalb Wasserstoff genannt wird. Der erste wichtige Stoff dieses verwickelten Aufbauprozesses ist Zucker, der für Pflanze und Tier von großer Bedeutung ist. Es ist die erste fertige und beständige Verbindung am Ende eines komplizierten chemischen Prozesses, der aus vielen Teilvorgängen besteht. Seine Bedeutung für die Energiegewinnung der Lebewesen ist sehr groß, weil der Zucker bei der Atmung wieder abgebaut und verbrannt wird.

Foto: Gerta Bauer
Gewaltige Baumriesen entstehen durch die Ausnutzung der Sonnenenergie

Diese Vorgänge im Innern der Pflanze aber brauchen Energie, um ablaufen zu können. Und hier macht sich die Pflanze — nur die grüne Pflanze — in einzigartiger Weise die Lichtenergie zunutze. Sie benutzt das Licht auf geheimnisvolle und noch völlig ungeklärte Art, um den Kohlenstoff aus seiner energiearmen Sauerstoffverbindung in eine energiereiche organische Verbindung zu bringen. Man bezeichnet diesen Vorgang, der in der Natur einzigartig dasteht und bei dem aus wenigen Grundstoffen der unbelebten Natur mit Hilfe des Sonnenlichtes Verbindungen der belebten Welt gebildet werden, als Photosynthese. Die ungeheure Energie der Sonne, die alltäglich aus dem Weltall auf unsere Erde einstrahlt, wird hier in wunderbarer Weise dem Leben zugänglich gemacht, indem sie in Form von energiereichen chemischen Verbindungen gespeichert und bei Bedarf an den Organismus zurückgeliefert wird. Die Sonnenenergie wird also durch die Pflanze eingefangen und gespeichert. Wenn aber das Lebewesen die Energie benötigt, wird sie „wieder freigemacht, indem der Organismus atmet.

Das Wesen der Atmung besteht darin, daß die energiereichen organischen Verbindungen langsam und stufenweise wieder gelöst werden und die darin gestapelte sogenannte chemische Energie wieder frei wird. So werden die hochkomplizierten organischen Verbindungen wieder in Kohlendioxyd und Wasser überführt und damit der leblosen Welt zurückgegeben. Wir sehen also, daß der Kreislauf des Kohlenstoffes gleichzeitig ein Kreislauf der Energie ist. Von dieser Energie leben wir alle. Auch die Kohle, die ja die Energiequelle der Industrie ist, stammt aus diesem Lebensprozeß der Atmung von Pflanzen früherer Erdepochen. Wo aber findet dieser bedeutsamen Prozeß der Photosynthese in der Pflanzenzelle statt? Schon einige Male wurde darauf hingewiesen, daß nur die grüne Pflanze befähigt ist, das Sonnenlicht auszunutzen. In den Blättern befinden sich nämlich kleine Körperchen, die einen grünen Farbstoff“ enthalten, der Blattgrün oder Chlorophyll genannt wird.

Foto: Garta Bauer
Von der Sonnenenergie zur elektrischen Energie: Die Pflanzen machen sich die Sonnenenergie zunutze, der Kohlenstoff der Pflanzen wird zur Kohle, die verbrannte Kohle erhitzt das Wasser der Kraftwerke, der Wasserdampf treibt die Turbinen, die den elektrischen Strom erzeugen. Ein wunderbarer Kreislauf der Natur und der Technik.

An das Vorhandensein dieser Körper ist die Photosynthese gebunden. An dieser Stelle der Zelle wird der Sauerstoff in Freiheit gesetzt, und auch der Zucker und aus diesem die Stärke gebildet. Über die verwickelten einzelnen Schritte dieses Vorganges aber herrscht noch keine volle Klarheit. Ebenso können die Forscher über die Wirksamkeit des Blattgrüns nur Vermutungen anstellen. Sorgfältige Untersuchungen zeigten, daß Chlorophyllkörner und deren Bruchstücke noch Sauerstoff entwickeln können; allerdings vermögen sie nicht den Aufbau anderer Substanzen vorzunehmen.

Es ist im Jahre 1960 gelungen, den grünen Blattfarbstoff künstlich herzustellen. Man hofft, nun noch tiefer in das Geheimnis des Pflanzenlebens eindringen zu können. Aber bis zu einer völligen Klärung der komplizierten Vorgänge ist noch ein mühevoller Weg.

Was geschieht nun, wenn Pflanzen zu Kohle werden, wie dies in früheren Erdzeitaltern in großem Ausmaß geschehen ist? Wir hatten gesehen, daß die Lebewesen den Kohlenstoff, den sie in ihre körpereigenen Verbindungen einbauen, wieder veratmen und ihn dabei als Kohlendioxyd an die Luft abgeben. Dieser Vorgang aber durfte nun nicht stattfinden, sollte sich der Kohlenstoff anreichern und sich im Boden als Kohle ablagern. Damals sah das Pflanzenkleid unserer Heimat ganz anders aus. In der Nähe einer Meeresküste befanden sich weite Sumpflandschaften, in denen bei einem gleichmäßig feuchtwarmen Klima üppige Vegetation sproßte. Die absterbenden Pflanzenteile sanken ins Wasser, neue Bäume entstanden, wurzelten in den gestürzten Baumriesen, und Meeresüberschwemmungen begruben sie mit ihren Sanden. Später zog sich das Meer zurück, und neue Sumpfwälder entstanden. In ständigem Wechsel vollzog sich der Landschaftswandel über viele hunderttausend Jahre. Die eingeschwemmten Meeressande begruben die Pflanzenleichen in luftdicht abgeschlossenen Räumen. So konnte das Holz von den Kleinlebewesen nicht mehr zerstört werden.

Die Pflanzenreste fielen nun einem langsamen Zersetzungsprozeß anheim, den man als Inkohlung bezeichnet. Hierbei wurden verschiedene Verbindungen abgespalten und zerstört, so daß sich der Kohlenstoff immer stärker angereichert hat, bis er heute in hochkonzentrierter Form vorliegt.

Welch ein geheimnisvoller Weg führt von der Sonnenenergie bis zur elektrischen Energie unserer Kraftwerke! Die mikroskopisch kleinen grünen Körper in den Zellen der Pflanzen vermögen in ungeklärter Weise die Sonnenenergie einzufangen, bei der Atmung zu verarbeiten, umzuwandeln und in der Kohle anzureichern. Aus der unbelebten Urkraft und Energie eines fernen Gestirns entsteht das Leben der Pflanzen, versinkt in die Tiefen der Erde und wird als tote Materie aus der Erde geborgen zur technischen Energiegewinnung.