Die Pest und die Landskroner Pestregel von 1597
Dr. Karl-August Seel
Die Pest, der Schwarze Tod, ist die Geißel der gesamten Alten Welt im Mittelalter und in der Frühneuzeit. Eine eindrucksvolle Schilderung der großen Pestepedemie von 1347 -1352 gibt die Limburger Chronik des Tillemann Ehlen von Wolfhagen. Diese Epedemie wütet in ganz Europa und dezimiert die Bevölkerung ganzer Landstriche und Städte. Allein in Limburg starben schätzungsweise 2 460 Menschen, in Mainz über 6 000.
Weitere Pestwellen folgen in allen darauffolgenden Jahrhunderten bis die Seuche im 18. Jahrhundert ausklingt. Bei allen Epedemien sind die Rheinlande immer betroffen. 1481 sterben in Köln bis zu 400 Menschen an einem Tage; 1564 rafft die Pest dort 12000 Bürger hinweg1.
Glaubt man anfangs, daß die Pest als kleines blaues Flämmchen, als Geistwesen, die Menschen befällt oder aus dichtem, übelriechendem Dunst der Erde entsteigt, setzt sich später die Erkenntnis durch, daß der enge Kontakt mit Erkrankten und die Benutzung von Kleidern und Gegenständen von Pesttoten ursächlich mit der Verbreitung und Übertragung der Krankheit zusammenhängt. Ebenfalls vermutet man einen Zusammenhang zwischen Ratten, Mäusen, Hunden, Schweinen und Abfällen aller Art und der Ausbreitung der Pest. Dies führt zu zahlreichen Pestordnungen der Obrigkeit, Landesherren und Magistraten, die Kranke und ihr Eigentum isolieren, den Verkehr mit ihnen regeln und Verstöße gegen die Verordnungen unter Strafe stellen. In den Pestregeln wird dabei festgelegt, daß die Kranken ihre Häuser nicht verlassen und Angehörige und Pfleger nicht am öffentlichen Leben teilnehmen dürfen. Diese müssen sich darüber hinaus häufig durch besondere Kleidung oder Zeichen kenntlich machen, ebenso müssen Pesthäuser, in denen die Bewohner verstorben sind, verschlossen werden. Der Handel und die Einfuhr von Gütern und Waren aus Städten und Landschaften, in denen die Pest herrscht, wird.eingeschränkt, die unmittelbare Einreise aus solchen Orten ist nicht gestattet. Personen und Waren, die aus verpesteten Gegenden kommen, werden abgesondert und erst nach einer vorgeschriebenen Zeit in die Städte eingelassen. Diese Isolierung, in Venedig 1374 auf dreißig Tage (Trentana), in Marseille 1383 auf vierzig Tage (Quarantana) festgesetzt, führt zur Einrichtung der Quarantäne2, wie sie auch heute noch Anwendung findet.
Pestordnungen und Pesttraktate sind in vielen Beispielen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert überliefert, so die Pestilentzordnung von Hamburg von 1578, die Maynzische Pestordnung von 1602 oder die von Trier aus dem Jahre 1612, um nur einige zu nennen3. Für unseren Heimatbereich wurde bei den Arbeiten zum Sinziger Heimatbuch4 eine Pestregel gefunden. Sie ist im Landskroner Bestand des Landeshauptarchiv Koblenz abgelegt in Manderscheidische und Quadsche Akten; betr.: Verschiedenes zu Bodendorf 1468 -1597. (Best. 53 C 25, Nr. 3013). Eine spätere Hand, wahrscheinlich ein Archivar, hat »1597 Pestmaßregeln z.(u) B.(odendorf)« beigefügt. Bei der nachstehenden Übertragung wurde die Schreibweise und Ausdrucksform der Urkunde be behalten, Satzzeichen nicht zugefügt.
Nachdem die gefehrliche Krankheit und Sterben der Pestilenz sich vast an vielen Orten verbreit und wir glaublich berichtet worden, das der mehrer theil der Krankheit beweißlich kommen sein soll, durch Kleider und andere gütter so von den abgestorbenen hin und wied(er) gebracht, und das unsere underthann in die stät und flecken da die geredte (?) (=genannte) Krankheith sehr regirt zuzihen sich nit enthalten, alßo zu ihrer heimkunfft das gebrecht und teuer (=Fieber) mit sich bringen und die statte und flecken, da sie wohnen da die Lufft noch gut gewesen, mit derselben Krankheit anstechen, das auch vor den heußern dar das sterben oder Krankheith ist, keine Zeichen gestelt werden, wie an anderen enden gebreuchlich, zu dem das die jenigen in deren heusern die Krankheit ist, in die Kirchen und gemeine geselschafft sich eindringen und kein scheuen tragen, so ist unser meinung und bevelh (=Be-fehl), das ir in unseren dorffern daranseiet und verschaffen, das in allen Kirchen aufgerufen auch bestalt und ernstlich uffgesehen werde, das durch niemand bei unserer höchsten Straff aus den Heusern oder von den Personen dar es gestorben innerhalb drei oder vier Monaten, einige Kleider, Bedden, Beddecken, Haußgeradt, Speck, woll oder anderer gütter geholet, genommen oder weggetragen, sondern die an den orten da sie befunden, verschlossen und behalten bleiben, ein jeder auch an andere orten da es der Pest halber gefährlich zu reisen, sich soviel immer möglich meide, und die es darüber mutwillig thun werden, nit sobalt wid(er) in unsere Stätte und flecken genommen sondern eine Zeitlang daraussen gehalten, auch vor die heuser da die Krankheit gewest oder noch ist, ein bündlein stroes (=Stroh) zu einem Zeichen aufgestechen werde, da neben diejenigen da die Krankheit in den Heusern war oder die Ihrer waren, nit zur Kirche, Straßen oder und(er) die gemeine od(er) geselschafft sich mengen sondern in den heusern verhalten oder außgehen und wandeln, da es einsam ist, und das daneben den Kranken Notturfft bestellet und gebracht werde, den Reichen umb Ihrer Bezahlung, und den armen durch andere versehung der Provisoren, Brudermeister und Kirchenmeister, oder einer von Ambtswegen, wo auch einige heuser aussterben, das dieselbi-gen verschlossen gehalten und Niemand sobalt darzu gelassen werde, damit solche beschwerliche Krankheit mit gnaden des Almechtigen nit weiters einreißt oder oberhandnehme, wie wir auch nit verdienlich erachten, das die Pastoren und Prediger den gemeinen Man von der Ganze/ fleißig zu buuß und poenitenz (=Strafe) vermahnen, und das ein jeder dieweil er noch gesund sich zu der heiligen Communion oder Nießung des hochwürdigen Sacraments bereiten und schicken wolle, verstehen wir uns alßo, geben am 14 Augusti anno 97
Die vorstehende Pestregel ist aus aktuellem Anlaß und unter Zugrundelegung von anderen, bekannten Pestordnungen verfaßt worden. So ist die Absonderung der Kranken, die Sperrung verseuchter Häuser, das Kennzeichnen mit einem Strohwisch — in unserer Regel durch »ein bündlein stro(h)es« — und die Isolierung der Bewohner von Pesthäusern z. B. bereits 1474 in dem Pestreglement von Löwen verfügt worden. Das Kenntlichmachen der befallenen Häuser durch ein weißes Kreuz oder durch ein Strohgebinde ist offensichtlich allgemeiner Brauch. Er wird 1543 für England, 1544 für Amiens/Frankreich verordnet. Auch Fürstbischof Christof Bernard von Galen verfügt 1666 für Münster, daß alle Häuser mit Pestkranken durch einen Strohkranz oder ein weißes Kreuz gekennzeichnet sein müssen.
In der Pestordnung von Amiens wird außerdem befohlen, daß »Laken, Wolle, Leinwand, Betten, Kleider und andere Sachen« aus verpesteten Orten nicht eingeführt werden dürfen; ähnlich die Formulierung in der Landskroner Ordnung, wo zusätzlich noch Speck ausgeschlossen wird. Gleiches beinhaltet auch die spätere fürstbischöfliche Verordnung für Münster, wo Kleider, Bettgewand und Hausgerät Verstorbener wegen des ansteckenden Giftes nicht berührt werden dürfen, bevor nicht alles wohl durchlüftet und gereinigt worden ist5.
Der aktuelle Anlaß für die Landskroner Pestregel sind der Ausbruch neuer Pestepedemien ab 1590, die ganz Europa und Deutschland bis über den Dreißigjährigen Krieg hinaus heimsuchen. Für unsere engere Heimat ist die Pest in dieser Zeit für die Grafschaft belegt, aber auch an der Ahr zu vermuten. Bekannt ist der Pesttod von zwei Pfarrern in Fritzdorf und eines weiteren in Rheinbach im Jahre 15976, dem Jahr, in welchem die Landskroner Pestregel erlassen wird.
Landskroner Pestregeln von 1597
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 53 C 25, Nr. 3013
Die die Verordnung erlassende Herrschaft sind die Herren Quad zu Landskron und Tomberg, die mit ihrem Besitz der Grafschaft benachbart und deren Dörfer und Untertanen von der dortigen Pest gefährdet sind. Aus diesem Grund ist anzunehmen, daß die Pestregel nicht nur für Bodendorf, sondern für die ganze Herrschaft Landskron erlassen worden ist. Herr zu Landskron ist zu diesem Zeitpunkt Damian Quad (1570 -1602). Mitbesitzer von Bodendorf und der Landskron sind zugleich die Grafen von Manderscheid, in deren Namen die Pestregel miterlassen sein wird. So ist die Ablage in der Quadschen und Manderscheidschen Akte über Bodendorf zu erklären, aber auch die Formulierungen am Anfang »und wir glaublich berichtet«, wie auch am Ende der Urkunde »verstehen wir uns alßo«.
Im Verlauf der Pestwellen des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts kommt es zur Gründung zahlreicher Bruderschaften, die Pestheilige als Namensträger und Schutzpatrone haben. Im Rheinland und an der Ahr sind dies vor allem St.-Sebastianus-Bruderschaf-ten. So werden z. B. 1628 in Blasweiler, Herschbach und Lind Bruderschaften dieses Heiligen gegründet, während in Sinzig und Ahr-weiler gleichnamige Bruderschaften schon lange bestehen7.
Neben dem Heiligen Sebastian sind vor allem St. Rochus, St. Borromeo und Antonius der Einsiedler Schutzheilige gegen die Pestilenz. Auch die Vierzehn Nothelfer werden als Sterbepatrone gegen die Pest angerufen. Dies ist interessant im Zusammenhang mit den »Provisoren, Brudermeister und Kirchenmeister«, die in der Urkuhde angesprochen und auf ihre karitativen Aufgaben verpflichtet werden. Bruderschaften sind in den Dörfern der Herrschaft Landskron nach SCHUG jedoch erst später belegt.
Für Bodendprf, dem Landskroner Hauptort ist die — nach den bisher bekannten Unterlagen — prägendste Pestepedemie die von 1662-1672 »als die Pest allenthalben grassiert« und »dahier 125 Menschen gestorben« sind8. Auf diese Pestzeit geht die Bad Bodendorfer St.-Sebastianus-Bruderschaft zurück, die ihre Gründung auf das Jahr 1681 datiert, wie auch das Pestkreuz in der Pfarrkirche, das 1680 gestiftet worden ist. Die Pfarrkirche selbst, gleichfalls dem Heiligen Sebastian geweiht, erhält dieses Patrozinium beim Neubau 1647, obwohl ihre Vorgängerin, 1642 zerstört, vermutlich der Heiligen Gertrud von Nivelles gewidmet war9. Auch hier ist wahrscheinlich eine Pestepedemie in den Jahren 1634 -1638 (Pest in Bonn und Wadenheim10 ) die Ursache.
Aus der Erinnerung an die Not und Kümmernisse der großen Pestzeit von 1662-1672 ist möglicherweise auch der Bau der Kapelle zurückzuführen, die in Bodendorf an der Oberen Pforte stand. Sie ist in der Sterzenbach-Karte von 1750 eingezeichnet und im Gemälde von 1835 des Malers Eduard Wilhelm Pose dargestellt“. Eine Nachfolge-Kapelle davon könnte die um 100 m versetzt gebaute Vierzehn-Nothelferkapelle gewesen sein. Diese, ein Backsteinbau, mußte erst in unseren Tagen dem Straßenausbau weichen und wurde durch einen ansprechenden Bildstock ersetzt.
Literatur:
- Sticker, Georg: Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, l. Band: Die Pest, Erster Teil: Die Geschichte der Pest, Gießen 1908, S. 67 ff
- Ackermann, Erwin H.: Geschichte und Geographie der wichtigsten Krankheiten, Stuttgart 1963, S. 11
- Sticker, Georg: ebda S. 300 ff
- Seel, Karl August: Die Geschichte Bad Bodendorfs von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, in: Haffke, J. und Koll, B. Sinzig und seine Stadtteile — gestern und heute, Sinzig 1983
- Sticker, Georg: ebda S. 85, 94 f, 182 f
- Heusgen, Paul: Die Pfarreien der Dekanate Meckenheim und Rheinbach in Geschichte der Pfarreien der Erzdiözese Köln, Köln 1926, S. 96, 184
- Schug, Peter: Geschichte der zum ehemaligen Kölnischen Ahrdekanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau, Ahrweiler und Remagen, Trier 1952, S. 97, 183, 286, 436 und 25
- Seel, Karl August: ebda S. 402
- Seel, Karl August: ebda S. 407
- de Claer, E.:« Die Bruderschaften und Ritterorden in Bonn zur Zeit des Kurfürsten von Köln, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Köln 1876, S. 104-216 Frick, Hans: Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr, Bad Neuenanr 1933, Nr. 1468
- Seel, Karl August: ebda S. 417 (428)
Ameln-Haffke, Hildegard und Haffke, Jürgen: Blick in das Ahrtal bei Bodendorf, in: Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 1982, S. 60 -66