Die Maus von Altenahr
Erzählt von Wilhelm Hay
Der streitbare Kölner Recke Konrad Overstolz, der im Hohen Rat saß und sich mit zehn anderen gegen den Bischofsstuhl aufgelehnt hatte, war wie diese auf die Burg von Altenahr in sicheren Gewahrsam gebracht worden. Die Sage weiß zu erzählen und immer neu auszuschmücken, wie hart und lange sie hier schmachteten. Das Eifelgold des Ginsters erglänzte am Wegrand und die Lerche sang, als man sie in Ketten den Berg hinanzerrte. Das Getreide wogte über die Hänge und sank unter der Sense der Schnitter, die Eberesche verstreute ihre herbstliche Farbenpracht, die Weinlese ward gehalten, der Winter breitete sein Leilaken über das Land — von all diesem Spiel der Jahreszeiten merkten die Gefangenen nichts. Sie saßen in ihrem dunklen, tiefen Felsenloch, das nur das Talglicht des Kerkermeisters notdürftig erhellte. Ihr einziger Zeit- und Leidvertreib war ein keckes Mäuschen, das sie zu allerlei Kurzweil gezähmt hatten und mit dem sie ihre kärgliche Mahlzeit teilten. Eines Tages war das Tierchen verschwunden und kam trotz allem Pfeifen und Locken nicht wieder; man meinte nur, in dem Mauseloch ein feines Klirren zu vernehmen. Als man nachgrub, fanden sich eine rostige Feile und ein Meißel, die gerade noch zum Durchbrechen der Fußketten und der Fensterstäbe ausreichten. Darauf zerschnitten die Gefangenen ihre Kleider, machten Seile daraus, ließen sich durch das Fenster hinab und entkamen alle Mann glücklich auf dem steilen Ziegenpfad ins Freie.
Viele Hindernisse erfindet die Sage: Ein Mönch nahm die Entflohenen auf und versteckte sie in einem Käsekasten, als in der Morgenfrühe die Häscher von Altenahr ankamen. Wieder dem Versteck entronnen, gelangten sie bis Remagen, wo sie ein Mann erkannte und dem Dorfrichter verriet. Aber der Richter war den Kölnern zugetan, verbarg sie und schaffte sie beim Eisgang über den Rhein. So kamen sie glücklich heim.