Die letzten Nagelschmiede von Adenau
VON ERNST WOLLMANN
Es war das Jahr 1746, als man die Hammerzunft in Adenau gründete, zu der sich die Schmiede, Schlosser, Zimmerleute, Schreiner, Glaser, Leyendecker, Maurer und Nagelschmiede gesellten. Heute ist ein Handwerk nicht mehr vertreten; es sind die Nagelschmiede, die damals vor 211 Jahren acht Meister nachweisen konnten. Der letzte Adenauer Nagelschmiedemeister, Matthias Schirmer, starb im Jahre 1912. Zwei seiner noch lebenden Söhne halfen damals mit im väterlichen Betrieb. Diese Handwerkskunst ist nun in die Geschichte eingegangen. Länger hat sich das Handwerk in den umliegenden Dörfern gehalten, in Müllenbach, Barweiler, Quiddelbach, am längsten wohl, bis nach dem 1. Weltkrieg, beim „Nool-schmotts Mattes“, jetzt Familie Kasper in Leimbach. In anderen Gegenden der Eifel und des Hunsrücks gab es wandernde Nagelschmiede, die ihre Esse auf Rädern, mit Werkzeug und Material beladen, durch die Dörfer zogen, wie es heute gelegentlich die Scherenschleifer tun. Aufträge wurden an Ort und Stelle sofort erledigt. Es war aber das letzte Aufflakkern eines einst so blühenden Gewerbes. Aber der Name „Noolschmotts Tünn“ ist hier heute noch in aller Munde. Wer kennt ihn nicht, den Ludowisy Anton in seiner biederen und redefreudigen Art, der in dem elterlichen Fachwerkhaus am Anfang der Wimbachgasse dort noch wohnt, wo sein 1897 verstorbener Vater, Johann Ludowisy, als Nagelschmied mit rührigem Fleiß einst mehrere Jahrzehnte in der rußigen Schmiede stand. Heute ist dieser 6—8 qm große Raum als Küche eingerichtet.
MATTHIAS SCHIRMER • Dor letzte Nagelschmied von Adenau
Die zweite Nagelschmiede, die immer noch genannt wird, befand sich im Keller des damaligen Besitzers, Matthias Schirmer, auf dem Kirchplatz Nr. 15, gegenüber der ehrwürdigen, alten Johanni-terkirche, die im Jahre 1945 ein Opfer des Bombenkrieges wurde. Wer weiß es noch von euch, ihr Adenauer, die damals den alten Nagelschmied geärgert und durch das Schachtfenster in die Kellerwerkstatt heruntergerufen haben: „Ein armer Mann ist der Nagelschmied, dipp, dipp, dipp, macht der Nagelschmied!“ Werfen wir einmal einen Blick in eine solche Nagelschmiede. In der Nähe des Fensters des kleinen, niedrigen, rußigen Werkraumes stand der Amboß — damals „Stock“ genannt. Auf der Esse brannte ein lustiges Feuerlein. In den glühenden Kohlen steckten die Spitzen einiger bleistiftdicker, 1/2 m langer oder kürzerer Rundeisenstangen. Das Feuer wurde von einem ständig pustenden Blasebalg, der unterhalb der Decke in der Nähe der Esse an der Wand befestigt war, angefaucht. Ein Fremder konnte sich aber nicht erklären, wie der Blasebalg in Bewegung gesetzt wurde, um das Feuer immer neu anzufachen. Das Geheimnis bestand aus einem neben der Esse gelegenen Rad, besser gesagt, aus einer 1,50 bis 2,00 m hohen Holztrommel, die eine Tiefe von 0,40 m hatte. Durch das Rad lief eine Eisenachse, die die Trommel leicht drehen ließ. Zwischen die vier Speichen kroch ein Hund in das Innere des Rades, lief mechanisch vorwärts und setzte damit die mit dem Blasebalg in Verbindung stehende Achse in Bewegung. So mußte das arme Hündchen oft täglich viele Stunden seine Arbeit ablaufen. Ein einziger Anruf wie: „Waldi, ins Rad!“ genügte, um den treuen Hund an seine Arbeitstelle zu verweisen. Manchmal war nur ein Wink mit der Eisenstange nötig, und schon hüpfte Bel-lo oder Karo ins Rad, und der „Motor“ lief schneller und immer schneller; das waren viele Kilometer täglich. Aber der Meister brauchte ihn und mußte mit seinem kleinen, folgsamen Helfer rechnen. Mit dem Ruf: „Bello, wir machen Feierabend!“ sprang der Hund aus dem Rad, wedelte mit dem Schwänze, und beide freuten sich über das Ende des Tagewerkes. Mit den Jahren war der Hund auf die Mahlzeiten so abgerichtet, daß er mit dem 12-Uhr-Glockenschlag der nahen Kirchturmuhr unruhig wurde, schneller lief und kurz darauf aus dem Rade sprang. Dieselben Manieren zeigte Bello, als die Hausfrau zum Abendessen von der Küchenwand aus Klopfzeichen gab. Lange dauerte ein Arbeitstag; denn früh um 6 Uhr begann der erste Hammerschlag, und abends um 8 Uhr wurde aufgehört. So stand Meister Schirmer mit seinen Gesellen täglich oft 10—12 Stunden mit schwingendem Hammer am Amboß, viele Jahre, sogar Jahrzehnte, und schmiedete sorgfältig Nägel, insbesondere drei Größen: runde Sohlennägel, viereckige Absatznägel und zweispitzige Sohlenrandnägel. Das Material, das von den Eisenwerken Düsseldorf und Mülheim-Ruhr zum Versand kam, wurde mit dem Pferdewagen vom „alten Reuter“ — dem damaligen Bahnspediteur — vom Bahnhof Remagen, später von Altenahr, abgeholt.
Die Anfertigung der Nägel erforderte einige geübte Schläge und eilige Handgriffe, denn man mußte das Eisen schmieden, solange es warm blieb. Mehrere Eisenstangen steckten mit einem Ende in den glühenden Kohlen. Auf dem etwa 25 cm langen und 3 cm breiten Amboß, der auf einem festen Holzblock aufgesetzt war, sah man an einer Seite ein Loch, in das die vorgeschmiedete glühende Spitze des Nagels hineingesteckt wurde. Der noch nicht fertige Nagelkopf schaute ungefähr 1/2 cm aus dem Loch heraus, nachdem vorher die Länge des Kopfes angeschrotet und danach abgebrochen wurde, über dem Amboß erblickte man einen schweren Formhammer, das Kopfeisen genannt. Es hatte auf der unteren Seite eine dem Nagelkopf entsprechende Vertiefung. Ein Tritt auf den Fußhebel genügte, und der Hammer fiel genau auf den zu formenden Nagelkopf herunter. Beim Loslassen des Fußbrettes ging der Formhammer wieder hoch. Der Nagel war fertig, steckte aber noch im Loch des Ambosses. Durch einen Schlag eines unter dem Amboß angebrachten spitzen Bolzens sprang der fertige Nagel in einen seitlich dafür vorgesehenen Eisenkasten. So waren viele eilige Handgriffe und Fertigkeiten notwendig, um einen einzigen Nagel zu schmieden. Der Verdienst war gering, wenn man bedenkt, daß für vier Stück nur einen Pfennig gezahlt wurde. Die Tageshöchstleistung betrug bei großem Fleiß 1000 Stück, also 2,50 Mark tägliche Einnahme. Auch die Kinder des Meisters wurden in den Arbeitsprozeß eingespannt. Galt es doch, die verschiedenen Nagelsorten zu ordnen oder zu 100 oder 200 Stück in Säckchen abzuzählen, um dadurch den Verkauf, der an Sonntagen oder an Markttagen getätigt wurde, zu erleichtern. Gleichzeitig machte man an diesen Tagen auch neue Bestellungen. So blieb der Schmied dauernd in Arbeit, und das war notwendig, wenn er seine Familie mit dem kargen Lohn und dem Erlös aus der kleinen Landwirtschaft ernähren wollte.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gestaltete sich der Absatz durch die maschinelle Herstellung der Schuhnägel Immer schwieriger. In den Werkstätten wurde es stiller, bis schließlich 1902 der letzte Adenauer Nagelschmied, Matthias Schirmer, notgedrungen sein Handwerk aufgeben mußte. Unser Nagelschmied Matthias Schirmer, das Muster eines treuen, redlichen Handwerkers, hing so an seinem Berufe, daß jeder seiner sechs Söhne in der väterlichen Werkstatt zwei Jahre lang das Nagelschmiedhandwerk erlernen mußte. „Gelernt is gelernt, und gekonnt ist gekonnt!“, war sein biederer Grundsatz. Da aber Matthias Schirmer auch den Weitblick in die Zukunft hatte, entließ er nach zwei Jahren Lehrzeit seine Söhne und übergab sie anderen tüchtigen Meistern In die Lehre: Bäcker, Schreiner, Schneider, Metzger. Bei der letzten Hochwasserkatastrophe am 13. 6. 1910 gingen die noch vorhandenen restlichen Einrichtungsgegenstände zugrunde.
Wir aber wollen der Männer voll Ehrfurcht gedenken, die einst in treuer, harter Pflichterfüllung, bei kargem Verdienst ihrem stolzen, zünftigen Handwerk nachgingen. Ein Lob gebührt auch den kleinen, treuen Helfern, dem Waldi, Karo und Bello.