Die Lenzfahrt des Teufels
EIN AHR-MÄRCHEN – von Theodor Seidenfaden
Als vor Zeiten, drei Wochen nach Karneval, so erzählt man an der Ahr, die Hölle wieder ruhig und der Teufel gelangweilt in seinem Pfühl saß und gähnte, fuhr ihm seine Großmutter entgegen und schrie, er sei ein Lumpenkerl, die Hölle aber, weil er faulenze statt zu schaffen, ein Lammstall; sie rieche, falls es so weiter gehe, nach Heiligen; er solle sich scheren und das Pack der Erde aus den Beichtstühlen treiben; das Geplärre mache sie toll; außerdem sei der Frühling des rollenden Sternes so weit, daß nicht nur den Bäumen, sondern auch Weibern und Kerlen der Saft steige, der dem Teufel einen Altar baue und der Hölle zum Jahrmarkt helfe! Da die zahnlose Alte tagelang schimpfte, dem Teufel auch nachts keine Ruhe gönnte, stieß er schließlich mit grellem Pfiff aus der Hölle und landete bei Sinzig, wo die sonst bewegliche Ahr gemachsam in den Rhein fließt.
Der Mond schien, und der Sinziger Dom ragte gleich einem steinernen Reliquiar ins Dunkle, derweil die Wellen sangen und spielten.
„Auch der Teufel bedarf der Stille“, murmelte der Schwarze, von dem Bilde gefesselt. „Es ist besser, unter freiem Himmel zu wohnen, als mit einer Igelin unter einer Decke zu schlafen. Den Weg durch das Ahrtal lobten mir Pfaffen und Gendarme. Da muß er schon locken. Er wird mir helfen, die Vettel und ihr Geschimpfe zu vergessen. Mag sie vor Langeweile bersten: fünf Schoppen auf ein Maß ist meine Religion. Ich gehe, zu sehen, ob sie stimmt.“ Er verwandelte sich in einen braunkuttigen Pilger, schnitt aus dem Ufergebüsch einen Knotenstock und begann die Fahrt. Als morgens die Sonne über die Berge trat und die Rebenhänge rot aufblitzten, Tannenwälder der Gegenseite hingegen domhaft ins junge Licht ragten, indes die Ahr neben der Landstraße kraus zwischen blühenden Weiden glitt, blieb er stehen, sog die Luft und meinte: wenn der Alte des Himmels nichts gemacht hätte als dieses Stück Erde, verdiene er den Namen eines Meisters; ihm sei es jedenfalls lieber als die Hölle, in die er ihn gestürzt habe, und er hoffe, endlich die Heimat seines Alterns zu finden; dann wolle er geruhsam sein und die Menschen auf seine Art segnen; gegenüber den Sputnik=Verrücktheiten könnten sie sich an ihm erfreuen! Zu Heimersheim, wo der Küster eben die Frühglocke zog, trat er in die Kirche. Er stand eine Weile vor dem Altar, der den Kreuzweg seines Gegners, das Geschehen zwischen Grauen und Gehorsam, bewegt wiedergibt. Doch ob auch die Sonne bunt durch die Glasfenster brach und die steinernen Gestalten umwob: er schielte zur Seite und ließ sich von dem Kreuzträger und dem gepanzerten Ritter, der vor ihm kniet — den Altar formte ein kühner Meister —, nicht stören, sondern suchte den Opferstock für das Fastenalmosen. Da er ihn als braunen Holzkasten an der rechten Seitenwand erkannte, schritt er hinüber und berührte das Hängeschloß. Es öffnete sich, und das Türchen fiel dem Pilger auf die Hand, mit ihm aber eine Fülle von Silbergroschen und Pfennigen, und er schmunzelte: die Summe lasse auf gute Karnevalssünden schließen; die Heimersheimer Bauern verstünden zu leben; nichts künde es, wie das. Fastenalmosen! Sein Fingerdruck schloß den Kasten. Er schritt dem Ausgange zu und saß, anderthalb Stunden später, im heutigen Neuenahr, das damals ein dreigeteiltes Nest verschiedener Namen war, am Ecktische des „Goldenen Ankers“ vor einer Kanne Wadenheimer Rotspones. Der Wein wärmte das Blut, und des Pilgers Augen leuchteten mild, während der Wirt, ein hagerer Glatzkopf, sich wunderte, daß ein Mann seines Amtes derart früh schon trinke und in der Stube, trotz der Sonne, die Kapuze nicht zurückschlage!
Wer acht Tage nicht geschlafen habe, versetzte der Teufel, sondern der Fasten wegen wandere und nach Altenahr müsse, verdiene den frühen Trunk; die Kapuze trage er, weil ihn ein Kopfübel plage! Der Wirt, der die Groschen zusammenhielt, aber seine Gäste wohl zu unterhalten wußte, gab sich zufrieden und rückte einen Stuhl an. Er pries seinen Rotwein und meinte: wer ihn bedachtsam trinke, versichere sein Leben; den Doktor Mäßig, der als ein Griesgram mit Pillen und Pulvern an die Betten der Kranken trete, verlache er und treibe ihn fort, wie wenn er der lebende Satan wäre! Der Pilger zuckte zwar bei dem letzten Worte einen Augenblick und nahm gleich hernach einen heftigen Schluck. Doch das merkte der Wadenheimer nicht, sondern goß dem Ga«te, der eben das fünfte Glas geleert hatte, das sechste ein und fuhr fort: er könne sich denken, daß auch ein Mönch hin und wieder einen lustigen Bruder und eine pralle Dirne nicht ungern sehe; sein guter Zug — und dabei wies er auf Glas und Kehle —, lasse das schließen; die Ahr sei reich daran; nur vor dem Herrn von Habenichts warne er; er habe einen Kuhfladen im Wappen und keinen Groschen im Sack!
Der Teufel verstand den Sinn dieses Warnens und fragte spöttisch nach dem Preise der Schoppen. Gleichzeitig warf er Silbergroschen des Heimersheimer Fastenalmosens auf den Tisch und verlangte die zweite Kanne, diesmal den älteren Jahrgang. Der Wirt strich das Geld ein und katzbuckelte einen Tropfen an, der dunkler ins Glas rann und betörend duftete. Er lief dem Teufel dergestalt über die Zunge, daß er aufschauend sagte: wer sein Leben lang Roten bechere, spare Sarg und Totengräber; mit diesem Tropfen jedoch komme er aus der Hochzeit nicht heraus
und finde deshalb keine Zeit zu sterben! Sobald er die Kanne getrunken und bezahlt hatte und nach dem Knotenstock griff, begleitete der Wirt ihn ein Stück Weges.
Die Straße lag lenzlich warm, Finken putzten die Leier und spielten das frühe Lied. Der Hagere zeigte auf die Burgen Neuenahr und Landskron, lächelte und erzählte: „Dort lebten zwei Herren, die einander so gut vertrugen, daß sie ihre Burgen über die Ahr hinweg durch eine Brücke verbinden ließen. Da ihre Nachkommen sich stritten, blieb die Brücke unbenutzt, bröckelte und brach zuletzt. Nach Jahren verliebten sich, wie das so geht, ein Herr von Landskron und eine Gräfin von Neuenahr. Beide waren jung, heißen Blutes und hätten die Ahnenbrücke gern wieder benutzt. Doch das ging nicht, und so schoß schließlich die Gräfin mit einem Armbrustbolzen ein Garnknäuel hinüber, dessen Ende sie festhielt. Der junge Herr fing den Bolzen auf, weshalb sie künftig eine Seidenschnur mit einem Goldringe konnten hin und her laufen lassen, Briefe und Liebeszeichen zu befördern. Als sie verheiratet waren, bauten sie die Brücke auf und betreuten sie. Heute noch stünde sie, wenn ihre Kinder sorgfältiger gewesen wären, und versinnbildete die Urkraft der Ahr: Brücken von Seele zu Seele bauen zu können!“ Der Teufel, der spöttelnd neben dem Erzähler stand, lächelte, als dieser schloß: Paradies sei vor allem Sehnsucht; wenn junge Leute wüßten, daß Liebe aus der Ferne am längsten warm bleibe, wären ihnen zerbrochene Brücken dienlicher; im übrigen lecke die Katze aus Liebe zum Talg den Leuchter, und das bleibe, so lange die Menschen als Jungen und Mädchen zur Welt kämen; ihm seien Liebe und Haß, da er mit dem Weibe und derlei Dingen abgeschlossen habe, törichtes Spiel; es zeuge nichts als Mißgeburten und mache keinen zum König, der nicht vom Teufel aus der Taufe gehoben werde oder das Glück habe, statt der Muttermilch Rotspon trinken zu müssen! Den Wadenheimer wunderten die seltsamen Worte.
Da der Gast sich aber gleich nachher verabschiedete und ihn stehen ließ, blieb ihm keine Zeit, der kauzigen Weisheit zu begegnen, was durchaus möglich gewesen wäre; denn die Wadenheimer sind nicht auf den Mund gefallen. Außerdem freute ihn das gute Morgengeschäft.
Er sah also eine Weile hinter dem Pilger her und ging dann heim. Der Teufel schritt hingegeben im Schutz seiner Kapuze, äugelte die Hänge an und den krausen Fluß: der Ahrburgunder bewegte ihm Blut und Sinne leichter, als es der letzte Jahrmarkt der Hölle getan hatte, obschon bei ihm einhundertundzwanzig Teufel die Dudelsäcke bliesen. Da er nicht singen kann — während des Streites, den er ‚vor dem Sturz aus dem Himmel auszufechten hatte, soll ihm ein Stimmband gerissen sein — summte er die Lust seines Blutes zwischen den Zähnen her dem sonnigen Morgen ins Gesicht, und die Flügel seiner schmalen Nase bebten dabei wie die einer gierigen Mücke. So ging er Tag um Tag, und in jedem Dorfe kehrte er ein, das Wachstum der einzelnen Hänge mit dem Wadenheimer des ersten Morgens zu vergleichen. Er blieb natürlich manchmal über Nacht hinter dem Schoppen und spürte die Kraft des Wortes, das ein Bauer einmal über ein Glas hinsprach: in Hoffnung schweben mache süßes Leben!
Wenn die Groschen nachließen, ohne die es sich an der Ahr schwer wandern läßt, besuchte er Kirchen und Kapellen, nahm die Fastenalmosen und meinte, dem Gelde sei es gleich, wessen Hände es brauchten; der Alte im Himmel freue sich, so es das Wunder seiner Berge bezahle und dadurch dem Teufel einen frohen Lebensabend bereite; er bleibe an der Ahr, und koste es die Hölle!
Zu Ahrweiler hielt es ihn drei Wochen. Die Stadt zählte nämlich schon damals mehr als ein Dutzend Gasthöfe. Oft lachte er an der berühmten Laurentiuskirche über ihr Wahrzeichen: den gemeißelten Baumeister, der versucht, dem eigenen Leibe jene unaussprechliche Tat zu verrichten, zu der die rheinische Zunge bis heute einen lästigen Gegner schneller noch einlädt, als es Götz von Berlichingen tat. Um ein Haar geriet er allerdings während der schönen Tage einer Wirtin ins Netz, die, jung und üppig, seit zwei Jahren Witwe war, keine Kinder, dafür aber ein leichtes Blut, eine lose Zunge und eine lockere Hand hatte, wie manche Männer sie lieben. Drei Abende brachte er unter ihrem Dache zu, und am dritten Abend saß sie, als die letzten Gäste — der dicke Notar mit der goldenen Brille und der Himmelfahrtnase und der breitschultrige Vollbart=Förstef — fortgegangen waren, dicht neben ihm auf der Eckbank. Sie nestelte an der Kapuze, daß sein Blut rauschte, wollte sie zärtlich, wie das geübte Frauen können, herunter ziehen und meinte: als nächtlichen Gast dulde sie nur den Mann, der Schädel und Stirn zeige, da niemand wissen könne, was solch eine Kutte berge! Ob ihm auch das Berühren wohl tat und er sich jung fühlte wie nie: er zischte auf und sprang in die Höhe. Sie prallte zurück und hörte, wie er schrie: den Vorwitz büße sie, heute oder morgen gerate sie in die Hölle, und die rechne gut!
Dann fuhr er, ohne die Zeche zu zahlen, zur Tür hinaus auf die Straße. Sie aber fegte hinterher und stieß der geschnitzten Haustür den Riegel vor: der Blick des Pilgers, der wie grünes Feuer aus der Kapuze geschossen war, ließ sie keinen Augenblick mehr los, und ob sie sich auch sonst nicht fürchtete: diesmal kroch sie ins, Bett, löschte das Licht, hüllte sich ein und murmelte: mit dem Kerl und seiner Kutte stimme es nicht; der sei ein Mönch wie Judas ein Apostel!
Der Teufel, dem der Rotspon besser gemundet hatte als an irgend einem Tage, wankte durch die Straßen, die geheimnisvoll im Sternlichte lagen und träumten. Er sah die Fachwerkgiebel, hier und da Kater, die durch Dachrinnen ihre Liebeswege schlichen, und kam an das Tor, das auf Walporzheim geht.
Da es verschlossen war, er auch nachts nicht weiter wollte, lagerte er sich in eine Mauerecke und schlief bald — aus der Kraft des Roten — auf dem Pflaster ebenso gut wie vorher im Gastbett der verwitweten Wirtin. Beim Licht der Frühsonne wachte er auf und merkte, daß die milde Nacht die Knospen der Pflaumen gesprengt hatte und die Gärten blühten. Er reckte und schüttelte sich, gähnte, spuckte aus und machte sich auf den Weg, und allmählich begegneten ihm die kleinen Kuh= und Ochsenwagen und die dürren Bergbauern, die ehrfürchtig grüßten, die Peitschen knallten und die Morgenpfeife rauchten: einen Tabak, der unerhört scharf duftete. Währenddem die Sonne höher stieg, kam er zu Walporzheim an den Gasthof, der in Stein gemeißelt den hl. Petrus am Giebel trägt.
Er wollte scheelen Blickes vorbei. Da erinnerte er sich eines Wortes, mit dem vor Jahren eine rotbackige Dirne im Arm eines angealterten Rentners in die Hölle gefahren war: der Sankt Peter zu Walporzheim brenne schlimmer als der Teufel; ihm danke sie ihr Glück und ihr Unglück!
Er folgte demnach der weinfrohen Zunge, die nun schon lockte, wie wenn er an der Ahr geboren wäre, und besuchte den großen Gegner, den Himmelsschlüsse=Bewahrer. Die Groschen seiner Kuttentasche, die er gleich vorwies, öffneten ihm das Herz und die Fürsorge des Wirtes, und so kam es, daß er noch im Schütze Sankt Peters saß, als schon den Pflaumen die Birnblüten gefolgt waren und die Nachtigallen zu üben begannen.
Die Walporzheimer Wochen waren wie ein ewig sich erneuernder Rotwein=Traum vorübergegangen: da brachte der Wirt einmal die Rede auf den Teufel, erzählte Geschichten von ihm und wußte eine Reihe von Merkworten, die den Schwarzen wie feine Peitschenschläge striemten: wer den Teufel geschifft habe, müsse ihn immer fahren; die Karte sei des Teufels Gebetbuch; der Teufel halte keine Ziegen und verkaufe doch Käse; wenn er Heil’ge fangen
wolle, stecke er Heilige an die Angel; im übrigen habe er mehr Märtyrer als Gott und beabsichtige, mit dem Grünwalder Kreis, einer Literatenklique giftspritzender Zungen, eine Höllenzeitung einzurichten! Der Teufel glaubte, der dicke und kluge Wirt wittere ihn trotz der Kutte. Deshalb hielt er es für angebracht, noch am selben Abend zu gehen.
Er zahlte, schritt würdig durch Walporz. heim in die Talenge und kam an die Bunte Kuh.
Der Vollmond stand wieder über den Bergen, deren Rebenterrassen wie goldene Himmelsstufen lagen. Er sah den Felsen, der gespenstisch vom Ufergeklipp ragt und den breiten Steinkopf flußwärts in den Weltraum steckt und dachte an die Geschichte, die er im Sankt Peter gehört hatte: daß ein Walporzheimer Mädchen, eine Dirne von zwanzig Lenzen, um eine Kuh gewettet habe, Walpurgisnacht den Felsen zu erklettern, rittlings auf dem gezackten Vorsprung die Strümpfe zu wechseln und eine Flasche Bleichart zu trinken, gleich einer Hexe, die von der Ahr zum Brocken fahre; daß sie die Wette gewonnen habe und der Fels seither, da die Kuh bunt gewesen sei, den Namen trage! Der Teufel schritt voran und gierte: „Junges Weib ist zwar altem Manne das Postpferd zum Grabe; aber die hätte ich, auch ohne Bleichart, mit in die Klause genommen, die ich meinem Alter in einem Waldwinkel des Ahrtales bauen will. Sie muß nahe bei Fluß und Wein stehen: dann wird die Sonne nicht dunkel, wie sehr auch die Mücken spielen!“
Ostern feierte der Teufel zu Mayschoß und ging, weil man ihn drängte und er sich nicht verdächtigen wollte, mit ins Hochamt. Gebeugten Kopfes stand er neben dem Marmorsarkophage der Gräfin Katharina und beobachtete die gemeißelte Frauengestalt seines Deckels. Choral, Weihrauch und Schellengeläut schmerzten ihn zwar, und als beim Evangelium der alte Pfarrer sich zur Gemeinde wendete und die Botschaft vom Auferstehen des Toten las, brannte sein Blut.
Allmählich ging ein Gerücht um die geleerten Opferstöcke die Ahr hinauf und sprach von einem Pilger, der in einer Kutte wandere und fröhlich trinke, auch gern einen Frauenarm presse; er sei ein Witzbold, habe allerdings, wie eine Witwe aus Ahrweiler behaupte, schlangenhafte Augen; außerdem falle auf, daß er Tag und Nacht die Kapuze nicht herunterschlage! Als den Pilger bei einer Schoppenstecherei das Gerede zu sehr bedrängte, stahl er sich aus der Runde; denn die Blicke der Trinker lugten scharf seine Kutte hinauf und hinab.
Er machte sich über die Saffenburg nach Rech und von dort in benachbarte Bergdörfer, kam aber um Pfingsten von den Höhen zurück und ging nach Reimerzhoven und Altenahr, wo er einige Fuder Roten kaufte.
Dreier Nächte bedurfte es, sie in den Wald rollen zu lassen, der oberhalb Altenahr das Dorf Altenburg säumt, und dort brachte er in einer Felsenhöhle den Sommer zu, trank seinen Wein und vergaß die Hölle und die igelige Großmutter. Er saß und lauschte den Vögeln oder dichtete Lieder vom Roten, von der Bunten Kuh und von Dirnen, die auf Felsriffen die Strümpfe wechseln, von goldenen Brücken zwischen Burgen und dergleichen närrischen Dingen, weshalb es verständlich ist, daß trotz dem Sommer damals kein Ahrtaler und keine Ahrtalerin in die Hölle geriet.
Als der würdige Enkel auch zum Hochsommer nicht heimkehrte, die Alte natürlich längst wußte, was ihn fessele, beschloß sie, das Spiel zu enden. Sie übertrug einem Oberteufel die Hölle, stieß zur Erde und wanderte als Edelfräulein ahraufwärts. Da verstand sie sehr schnell, weshalb es schwer sei, von diesem Fleckchen Erde aus in die Hölle zurückzufahren, hielt ihre Sinne wach und schritt aus. Die Bauern grüßten und riefen, woher sie komme und wen sie besuche: junge Schönheit müsse an der Ahr vorsichtig sein. Sie fand schließlich die gesuchten Herren von Are, lustige Brüder, deren Herz offen hing wie das Tor ihrer Burg.
Nach kurzem Gruß fragte sie, wo der Kuttenträger weile, der Einsiedel, der ihren Wald aufgesucht habe, ein Verwandter und der Hilfe bedürftig, allerdings ein Sonderling sei; man habe sie geschickt, zu sehen, ob er nicht wieder heim wolle, das Leben alltäglich und ohne Schrullen zu schließen! Man zwinge den Esel ans Wasser, aber nicht zum Saufen, lachten die Herren und setzten hinzu: ein Narr bleibe verrückt auch dann, wenn Gott ihm die schönste Frau schicke, auf daß er Verklärungen um sich erlebe; darum sei es geratener, sich nicht mit ihm zu schinden, sondern lieber die Einsamkeit der Burg, der die Frau fehle, zu beheben; jedenfalls sei sie ihr Gast, solange sie wolle!
Das versprach sie wohl und tat auch den Junkern schön.
Sie war eben nicht unerfahren und hütete sich gerade deshalb, ihre Angeln zu greifen. An einem der Tage, an dem sie wanderte, fand sie den Klausner. Er saß, nicht weit von den Fudern, vor der Höhle, hielt ein gefülltes Kristallglas gegen die Sonne und sagte: „Es geht mir wie dem Adam im Paradiese. Schade ist es, daß mir keine Eva folgt, wie sehr ich mich auch um eine solche mühe!“
Als nun plötzlich das Edelfräulein vor ihm stand, schlank und mit roten Lippen und Backen, sprang er auf, vergaß die Kutte und lud sie ein, dem Einsiedler ein Wort zu gönnen: er meine es gut mit der Welt, suche die Schönheit, werde aber nicht verstanden; Frauensinn gleiche dem Mittagswinde und bringe dem Dunkel einer Höhle das langentbehrte Licht! Der Himmel stand blau über Tal und Wäldern, und die Sonne spann silberne Gitter durch das Gewirr der Kronen. Das Fräulein, wohl wissend, was es wolle, blieb zunächst spröde, folgte jedoch nach einer Weile dem ladenden Drängen des Kuttenträgers und setzte sich neben ihn auf die Bank.
Da war es, als sängen dem Manne noch einmal die Nachtigallen von Walporzheim durch das Blut und er versuchte, die Hand der Schönen zu greifen und deren blendend weißen Rücken zu streicheln. Er zuckte aber, als er merkte, wie sie ihn abwies, obwohl er dem Fräulein ansah, daß es wisse, man lege der Liebe Sporen an, indem man sie verbiete.
So drängte der Klausner näher, schmiegte sich dichter und saß endlich selig, weil er den Arm um des Fräuleins Hüfte gelegt hatte. Seine Worte kosten und sein Atem ging heiß, während die Schöne allmählich nachgab und lächelte. Als er sich dann zu einem Kuß beugte und sie, sich zurücklehnend, flüsterte, ein erzwungener Kuß wirke wie der Stoß auf ein Hühnerauge, sprang er hoch und riß die Halbwillige an seine Brust. Da aber lachte sie grell und frech und nahm im selben Augenblick die alte Gestalt an, und der Teufel hielt statt dem Fräulein, das ihn aufs höchste gereizt hatte, die Vettel mit der krummen Nase, dem zahnlosen Munde und dem Schlangenhaar in den Armen.
Der Anblick ließ ihn nach solchen Hoffnungen selbst die Ahr und ihren Edelwein vergessen. Er_ stieß die Alte zurück, jagte waldwärts und fuhr zu einem Fluche kopfüber durch die Bergwand wieder zur Hölle.
Die Vettel sauste hinterher, und lange hing gelber Rauch zwischen den Sommerbäumen. Es heißt, der Sprung des Teufels habe einen Donnerschlag gelöst, und die Herren von Are seien mit den Bauern gelaufen, zu sehen, was es gebe: die Sonne hatte sich nämlich nicht verdunkelt.
Sie liefen, suchten nach dem Klausner, fanden die Fuder und das kristallene Glas, ihn selber jedoch nicht.
Als sie das Loch in der Bergwand entdeckten, wußten sie, wer sie heimgesucht hatte, und sie schlugen ein Kreuz, schüttelten sich und mieden das Teufelsloch, den Spalt im Berge, der heute noch zu sehen ist.
Seit dieser Zeit soll der Teufel dem Ahrvolke besonders gewogen sein und nur solche Bauern in seine Öfen stecken, die den Wein verpanschen. Die Winzer aber, die ihm seine ursprüngliche Güte lassen, schickt er, so sie am Höllentor landen, zum Himmel.
Sankt Peter — das läßt sich denken —, nimmt sie ohne Umstände herein, auch dann, heißt es in den Weinstuben der Ahr, den Fundgruben zukunftgläubiger Legenden, wenn das Lebensbuch nicht gerade glänzend berichtet.
Sankt Feter glaubt nämlich, dem gebühre die Seligkeit, der auf Erden die Wunder Gottes ehrte, und der Wein ist ihm das größte der zahllosen Wunder.