Die Kur mit dem Mausfell
Eine Grafschafter Anekdote von Leo Stausberg
Einfältige Tröpfe gibt es wohl in jedem Dorf. Den Pfiffigen sind sie willkommene Zielscheibe für billigen Spott und derben Scherz.
Antünnche war ein solcher Simpel, an dessen geistiger Beschränktheit, die zudem mit körperlicher Armseligkeit gepaart war, Taugenichtse im Grafschafter Kirchspiel Ringen ihr Mütchen kühlten. Das Dröck, seine verstorbene Mutter, hatte ihm eine baufällige Hütte mit wurmstichigem Inventar hinterlassen. Dort hauste der Einfältige mit einem struppigen mageren Kater, dem er nicht einmal einen Namen zu geben vermocht hatte.
Zwei schon ergraute Dorfsünder, der hinkende Kreß und der einäugige Weilern, hatten ihren Spaß mit dem Antünnche. An den langen Winterabenden lockten sie ihn zum Kartenspiel in die rauchige Dorfschenke, wo sie bei „Kloare“ und Dünnbier mit abgenutzten Karten einen Skat kloppten. Antünnche verstand davon soviel wie eine Kuh vom Sonntag. Manchmal ließen sie ihn großmütig einen „Jrang“ gewinnen; öfter verlor er seinen letzten Silbergroschen, den er dann weinend auf den Tisch warf. Sie trösteten ihn scheinheilig, traktierten irm mit Fusel und schleppten den Trunkenen auf seinen Strohsack, wo er den Rausch ausschlief, indes der Kater schnurrend auf den gichtigen Beinen seines Herrn kauerte.
Als die beiden Nichtsnutze an einem frostigen Winterabend das Antünnche wieder einmal zum Skat holen wollten, lag er jammernd im Bette. Beim Holzfällen in der Zippenzey war ihm die dicke Zehe am rechten Fuß erfroren. Die sah nun auch in der Tat böse aus.
„Dojähn weeß ech e jood Meddel“, meinte der Kreß, „dat hat mir meng Tant Züff verroode. Do muß ener Muus et Fell affzehe on dat öwwer da decke Zieh strööfe. Dat helf janz seecher. Dohn dat! Wat ech ider roode, Antünnche!“ — „Jo“, seufzte der, „wie konn ech an en Muus?“ — „Och, dat wääde mir baal hann“, warf Weilern ein.
Beide Kumpane stolperten die ausgetretene Stiege hinab und begaben sich in die Scheune des reichen Nachbarn Drickes. Dort erwischten sie unter einigen Strohbauschen bald ein Mäuslein, machten ihm den Garaus und Kreß, der schon manchem geströppten Hasen das Fell über die Ohren gezogen hatte, balgte es kunstgerecht so ab, daß das zierliche Köpfchen mit den runden Öhrchen am Fell blieb.
Antünnche ließ sich unter Ächzen und Stöhnen das Fellchen über die geschwollene, blauangelaufene Zehe stülpen, so, wie man einen Hanschuhfingerling über den Daumen zieht. Zuletzt band der Kreß noch einen Bindfaden darum. „Do moß da Zieh jett bewäje, dat es jood! Dann heilt et siehrter“, meinte noch der Weilern. „Sett och bedank!“ sagte Antünnche und schob den Fuß mit der maskierten Zehe so, daß sie unten aus der zerschlissenen Decke hervorlugte. Mit Wünschen für gute Besserung entfernten sich die beiden Ratgeber.
Antünnche betrachtete andächtig die schmerzende Zehe, die in dem niedlichen Futteral klopfte. Bald schon vermeinte er etwas Linderung zu verspüren und wiegte sie, wie befohlen, sanft hin und her. Darüber duselte er ein.
Als der Schein des Mondes durch die trüben Scheiben fiel, erhob sich der Kater Namenlos katzbuckelnd und gähnend vom kalt gewordenen rostigen Ofen, neben dem er bislang trübsinnig blinzelnd gesessen hatte, und schickte sich an, seinen gewohnten Schlafplatz am Fußende von Antünnchens Bett einzunehmen. Da stutzte er plötzlich — die grünlich funkelnden Augen weiteten sich. Wahrhaftig! Da tanzte ein feistes Mäuslein hinter dem Rand der Liegestatt.
Der Kater duckt sich zum Sprung — ein Satz! — ein Biß! — ein Schrei!, nein, ein fluchendes Gebrüll! Krachend und polternd bricht die morsche Bettstatt auseinander: Anton und Kater, Strohsack und Stuhl wirbeln in wüstem Wirrwar durch die Stube. Draußen am Fenster verschwinden die struppigen Schöpfe des lahmen Kreß und des einäugigen Weilern ….