Die Kosakensuppe
Eine rheinische Anekdote von Leo Stausberg
Der letzte Trierer Kurfürst Clemens Wenzeslaus hat in seiner landesväterlichen Sorge den treuen Koblenzern einst jenen Brunnen geschenkt, der heute noch unversehrt auf dem Platz vor der ehrwürdigen Kastorkirche aufragt. Auf der Seite, die der Kirche zugewandt ist, liest man die denkwürdige Inschrift: AN MDCCCXII MEMORABLE PAR LA CAMPAGNE CONTRE LES RUSSES SOUS LE PREFECTURA (Der Steinmetz hat tatsächlich „LE PRE= FECTURA geschlagen, das „A“ gehört indes an den Anfang, das „E“ an den Schluß) DE JULES DOZAN — VU ET APPROUVE PAR NOUS COMMANDANT RUSSE DE LA VILLE DE COBLENTZ i« JANVIER 1814. — Übersetzt heißt dies: Jahr 1812. Zur Erinnerung an den Feldzug gegen die Russen. Unter der Verwaltung von Jules Doazan. Gesehen und gebilligt durch uns, den russischen Befehlshaber der Stadt Koblenz am l. Januar 1814. Als mein Vater mir in meinen jungen Jahren diese Inschrift zeigte und erläuterte, dämmerte in mir wohl zum erstenmal die Erkenntnis auf, wie schnell und gründlich sich doch die politischen Verhältnisse auf unserem Globus oft wandeln können. Und der Vater berichtete mit beredten Worten von dem großen Napoleon Bonaparte, der damals ein Heer von sechsmal 100 000 Mann nach Moskau führte, das dann nach dem Brande der Zarenstadt in Rußlands Schnee und Eis unterging, von der blutigen Völkerschlacht bei Leipzig und vom siegreichen Übergang der verbündeten Preußen und Russen über den Rhein in der Neujahrsnacht 1814 unter dem Marschall Vorwärts. Und dann erzählte er mir die Geschichte von der Kosakensuppe, die mein Urahn, der „Schöverpidder“ — er war der Sohn des Gemeindeschäfers — aus Mülheim damals erlebt und später oft zum besten gegeben:
Sprengte da in der Frühe jenes -frostklaren Neujahrstages, als eben die letzten Franzosen das Dorf eilig verlassen hatten, eine Kosakenpatrouille von Koblenz her in den Ort. Ihr Anführer rief nach dem Bürgermeister und eröffnete diesem mit barschen Worten und befehlender Gebärde, daß am folgenden Tag eine Schwadron Kosaken im Dorfe Quartier nehmen würde und daß für sie Verpflegung bereitzustellen sei. Die Bestürzung der Mülheimer war groß. Das Brot war knapp in jenem Winter und reichte kaum für die Bevölkerung. Immer neue Kontributionen hatten die Mehlvorräte er= schöpft. Was tun? — Da riet ein Kluger, man solle doch Hafermus in den Viehkesseln kochen! Gesagt, getan! Am anderen Morgen stand der dampfende Brei unter den Toreinfahrten der Höfe bereit. Bangen Gesichts und klopfenden Herzens harrten die Bauern der hungrigen Gäste. Schlimmes hatten von der Wildheit der Kosaken heimwärtshumpelnde Invaliden erzählt, als vor Jahr und Tag die Trümmer der Großen Armee hier durchgezogen waren. Die aber ließen auf sich warten, und der kurze Wintertag ging zu Ende. Schließlich trug man die schwappenden Kessel in das Gemeindebackes, um die Suppe dort für den folgen« den Tag aufzuheben, allwo man sie notfalls schnell aufzuwärmen gedachte.
Am anderen Mittag endlich durchlief der bange Ruf: „Die Kosaken kommen!“ die Gassen. Die Dörfler eilten zum Backes.
Aber, o Schreck! In der Nacht hatten sich bereits andere Gäste über die Suppe her= gemacht und — waren darin jämmerlich ersoffen: Hunderte von schwärzlichen Kakerlaken — diese Mieter gehörten zu einem zünftigen Backes! — bedeckten die Oberfläche der Kessel. Sollte man das Zeug wegschütten? Wie wollte man in der Kürze neuen Brei- bereiten? — Aber hier wußte der Dorfschmied Rat, Kurzerhand rührte er die widerlichen Gesellen unter die Hafersuppe, die bald wieder so reinlich und appetitlich aussah wie vorher. Und als die klappernden Hufe der Kosakenpferdchen über das Dorfpflaster knallten, öffneten sie die Tür des Backhauses, und mit einladender Gebärde bedeutete man den will den Söhnen der Steppe, die verwegen und lärmend von ihren struppigen Gäulen sprangen, ihre Verpflegung in Empfang zu nehmen. Wie die hungrigen Wölfe ihrer Heimat machten sich diese über die Suppe her. Das gab ein Geschlürfe und Ge= schmatze, ja — und ein Geknacke, daß es eine Art war.
Mit einem Gemisch von Ekel und heimlicher Schadenfreude auf den Gesichtern und nicht ohne Befürchtungen umstanden die biederen Mülheimer die ungebetenen Gäste. Diese aber wiesen grinsend auf die bald ausgeleckten Näpfe und radebrechten, indem sie ihre Bäuche streichelten: „Charascho! Serr gutt! Mähr! Mähr!“ — Bis auf den Grund leerte sich Kessel um Kessel. Ein blatternarbiger Hetman, dem die große Lammfellmütze verwegen auf einem Ohr hing, trat zum Dorfschmied, der mit aufgekrempelten Hemdärmeln bisher geschäftig beim Ausschöpfen geholfen hatte, und sagte: „Gutt! Gutt! Hast du noch mähr Suppe mit kleine Juk, äh, kleine Rak, äh, Kak gawarit Niamiz? Kleine Krebs?!“ (Erläuterung: Juk = Käfer, Rak = Krebs, Kak gawarit Niamiz? = Wie sagt der Deutsche?)