„Die hl. Hedwig

Schutzpatronin Schlesiens

Von H. O. Olbrich

Es wird den Lesern nicht unbekannt sein, daß die Osträume unseres deutschen Vaterlandes vor rund 700 Jahren mit Strömen deutschen Blutes unserer Heimat vom Rhein, Mosel und Main entscheidend befruchtet worden sind. Deutsche Fürstentöchter des Westens, die ostdeutsche Herzöge ehelichten, hatten lebhaften Anteil an der eben angedeuteten Besiedlung der damals noch völlig darniederliegenden Ostprovinzen. Aus der Reihe dieser Fürstentöchter ragt die hl. Hedwig , Schutzpatronin des Landes Schlesien, besonders hervor. Die hl. Hedwig wurde um das Jahr 1174 als Tochter des Grafen Berthold IV., der zugleich Herzog von Meranien war, auf der Burg Andechs in Bayern geboren. Von den Vorfahren der hl. Hedwig berichtet die Chronik, daß ihr Ruhm in allen Gauen Deutschlands bekannt war. Die ersten Lebensjahre verbrachte Hedwig im Kreise zahlreicher Geschwister und kam vom 6. Lebensjahre ab in die weitere Erziehung im Kloster der Benediktinerinnen zu Kitzingen, das im Mittelalter als eine der besten Bildungsstätten weit und breit bekannt war. Da erschien eines Tages der Herzog Boleslaus von Schlesien auf der Burg Andechs und warb um Hedwigs Hand für seinen Sohn Heinrich. Freudig gaben der Graf und seine Gemahlin ihre Zustimmung zu dieser Ehe.

Schlesien, das nunmehr für Hedwig die neue Heimat werden sollte, konnte sich mit ihrer alten Heimat in keiner Weise messen. Das sonnige Franken, in dem sie ihre Kindheit verlebt hatte, war schon frühzeitig christianisiert worden und besaß in seinen zahlreichen Klöstern die Quellstätten nicht nur religiöser und höfischer Erziehung, sondern auch der praktischen Ausbildung für das Leben. Es war ein fremdartiges Bild, das sich der jungen Fürstin auf ihrer weiten Fahrt nach Schlesien geboten hat. Das Land war nur spärlich bevölkert. Ungeheure, tiefverschattete Wälder, die etwas Unheimliches an sich trugen, und weite Sümpfe erstreckten sich stellenweise bis an die Ufer der Oder.

Nicht weniger fremd als die Landschaft war für Hedwig der Menschenschlag in Schlesien. Wohl war um das Jahr 1000 in Schlesien und in den Nachbargebieten unter der Herrschaft des Begründers der Piastendynastie, dem Normannen Dago, das Christentum eingeführt worden, aber heidnische Sitten und Gebräuche wurzelten noch tief Im Volke. Die ersten Jahre ihrer jungen Ehe waren für Hedwig, nicht zuletzt durch die Trennung von allen, die sie liebten und denen sie in gleicher Liebe verbunden war, eine harte Schule. Sie hatte jedoch in ihrem Gemahl, dem Herzog Heinrich I. von Schlesien, dem sie vier Knaben und drei Mädchen schenkte, einen klugen und verständnisvollen Gatten und Freund, der sie in dem Bestreben, Schlesien endgültig zu deutscher und christlicher Kultur zu führen, mit allen Kräften unterstützte; denn nach ihren Worten wollte sie als Fürstin aus ihren Untertanen wahre, überzeugte Christen und gesunde, tatkräftige Deutsche formen.

In der Art, wie sie zunächst die Besserung der kirchlichen Verhältnisse in Angriff nahm, zeigte sich ihr klarer und ordnender Wille, offenbarte sich die Herrschergabe einer klugen und barmherzigen Frau, die von tiefinnerlicher Frömmigkeit erfüllt war. Weil sie erkannt hatte, daß nichts so wirksam ist wie die Macht des Beispiels, lebte sie ihrem Volke vor, wie es sich zu halten hatte. Dem Hochmut und der Herrschsucht der oberen Stände in jener Zeit stellte sie das demütige Dienen bei Armen und Kranken entgegen. Um eine tiefere und breitere Durchdringung des Volkes irn christlichen Geiste zu erreichen, bestimmte sie ihren Gemahl, Klöster für Frauen zu gründen. Die Klöster waren damals nicht nur Stätten des Gotteslobes und des beispielmäßigen Lebens, sondern vor allem die bedeutendsten Bildungsstätten des Landes. Das Volk lernte in den landwirtschaftlichen Musterbetrieben der Klöster, erkannte die Bedeutung des Flachsanbaues und alle Fertigkeiten des Spinnens und Webens und nahm reiche Anregungen für die Pflege des Obstbaues entgegen. Das berühmteste der Klöster war das Kloster T r e b-nitz, das durch besondere Stiftungen reich ausgestattet wurde. Die erste Äbtissin dieser Neugründung war die Nonne Petrussa aus Kitzingen, eine ehemalige Lehrerin Hedwigs. Die Klöster wiederum zogen viele deutsche Ansiedler ins Land, die als freie Bauern oder geschickte Handwerker blühende Landschaften mit schmucken Dörfern und Städten schufen. So wurde Hedwig die große Bildnerin und Erzieherin ihres schlesischen Volkes. Da in jener Zeit häufig Seuchen das Volk schwer heimsuchten, sorgte Hedwig für die Errichtung von Krankenhäusern, in denen sie zeitweise persönlich die Pflege der Kranken übernahm. In einem Zeitalter der scharfen sozialen Gegensätze, wo Leibeigenschaft, Frondienst und Schuldgefängnis die einfachen Menschen quälten, empfand Hedwig ihre besondere Berufung. Befruchtet durch die Bewegung, die der hl. Franz von Assisi auch in Deutschland zu lebendiger Entfaltung gebracht hatte, betätigte sich Hedwig mit größter Hingabe als Mutter der Armen und Waisen. Nach dem Zeugnis des Magisters Hermann, der Kanonikus in Glogau und dann Pfarrer in Schweidnitz war, hat Hedwig nur einen ganz geringen Bruchteil ihrer Einkünfte für die Bedürfnisse ihrer Familie zurückbehalten, alles übrige verwendete sie zum Nutzen der Armen, der Klöster und Kirchen. Für die Speisung der Armen errichtete sie ständige Armenküchen und unterstellte sie der Aufsicht eines Hofbeamten. Trotz des nimmermüden Bußeifers und ihres vorbildlichen Gebetsfleißes war Hedwigs Leben reich erfüllt von schweren und schwersten Heimsuchungen. Schwer traf Hedwig u. a. das Hinscheiden ihrer Kinder, vor allem dann, wenn sie in der Blüte ihres Lebens vom Tode dahingerafft wurden. Von ihren sieben Kindern waren ihr nur zwei geblieben: ihre Tochter Gertrud, die in das Kloster Trebnitz eintrat, und ihr Sohn, der nachmalige Herzog Heinrich II. von Schlesien. Heinrich II. war von einem starken Christentum erfüllt und durch seine Herrschertugenden so vielversprechend, daß Hedwig hoffen durfte, er werde in Schlesien einstmals das zur Reife und Vollendung bringen, was sie und ihr Gemahl in jahrelanger Arbeit ausgesät hatten. Da drohte erneut den jungen christlichen Völkern Ostdeutschlands größte Gefahr; denn wie ein Sturmwind fielen die kriegerischen Scharen der Mongolen raubend und plündern in Schlesien ein. Heinrich warf sich an der Spitze der schlesischen Ritter und wehrhaften Männer auf der Wahlstatt be! Liegnitz am 9. April 1241 dem um ein vielfaches überlegenen Feind mutig entgegen. In dieser mörderischen Schlacht fiel Heinrich II. und mit ihm die Blüte der schlesischen Ritterschaft. Die Mongolen, die zwar das Feld behauptet hatten, kehrten um, ohne den schwer errungenen Sieg auszunutzen. — Die christliche Kultur des Abendlandes, deren Untergang bereits besiegelt schien, war gerettet. Es ist erschütternd, wie Hedwig ihrer vertrauten Dienerin ihren schwersten und schmerzlichsten Verlust, von dem sie auf übernatürliche Weise Kenntnis erhalten hatte, bevor eine Nachricht vom Schlachtfeld eingetroffen sein konnte, kundtat: In der Nacht, da das Schlachtgetümmel noch tobte, weckte die Herzogin ihre Vertraute mit den Worten: „Du sollst wissen, daß ich bereits meinen Sohn verloren habe. Mein einziger Sohn ist von mir geschieden. Ich werde ihn in diesem Leben nicht wiedersehen.“ Erst am dritten Tage nach der Schlacht wurde der tote Heinrich von seiner Mutter gefunden.

Nach dieser letzten und für sie gewiß schwersten Prüfung empfand Hedwig die Gewißheit, daß ihr Ende nahe sei. Am 15. Oktober 1243 gab Hedwig ihren Geist auf. Die Kanonisationsbulle zur Heiligsprechung Hedwigs sagt u. a.: „Gott bestimmt den Umfang und die Art der Sendung, die er jedem einzelnen überträgt. Aber wir alle haben den gleichen Auftrag, wie ihn St. Hedwig erhalten und mit männlich-starkem Mute und nie wankender Treue durchgeführt hat.“ Seitdem feiert das Schlesierland den 15. Oktober als das Fest der hl. Hedwig und pilgert zu ihrem Grabmal nach Trebnitz.

Nachwort

Das Leben der hl. Hedwig erinnert uns an zwei edle Frauengestalten unserer Heimat, die für das Deutschtum im Osten ebenfalls bedeutungsvoll sind. Eine Zeitgenossin der hl. Hedwig Ist Hedwig, die Tochter des berühmten Grafen Ulrich von Nürburg. Sie heiratete den Edlen Bernhard von Lippe und wurde die Stammutter des Herrscherhauses Lippe, das sich später in die zwei Linien Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold teilte.

Nördliches Seitenschiff des Klosters Trebnitz

Sie schenkte ihrem Gemahl elf Kinder, von denen sich acht dem Dienste der Kirche widmeten. Zwei ihrer Söhne wurden Bischöfe, der ältere in Utrecht, der jüngere Erzbischof von Bremen. Das Erzbistum Bremen hat für das Deutschtum In den Ländern an der Ostsee eine große Bedeutung. Ihren Lebensabend widmeten Hedwig und ihr Gemahl ganz dem Dienste Gottes. Bernhard wurde sogar Abt in Dünamünde und war zuletzt noch sechs Jahre Bischof im Baltikum, wo das Christentum und das Deutschtum unter seiner Leitung starke Wurzeln schlug. (Näheres über Hedwig von der Nürburg bringt der Paulinuskalender 1957.)

Schon zweihundert Jahre vor diesen beiden Hedwigs hatte eine edle Frauengestalt unserer Heimat im Osten segensreich gewirkt. Es ist die Tochter des Pfalzgrafen Ezzo von der Tomburg, die Königin von Polen wurde und für deutsches Wesen und deutsche Kultur in Polen eintrat. Wohl wurde sie von einer deutschfeindlichen Partei nach dem Tode ihres Gemahls vertrieben. Als Einsiedlerin lebte sie mit ihrem Sohne in Clotten an der Mosel, wo sie als Wohltäterin noch heute gerühmt wird. Eine polnische Gesandschaft erschien hierselbst und bat um Verzeihung und Gnade und um ihren Sohn, der dann polnischer König wurde. (Näheres siehe Jahrbücher des Kreises Ahrweiler 1937 und 1956.)