Die größte Kläranlage im KreisAhrweiler reinigt die Abwässer von 85.000 Einwohnern
Für den Abwasserzweckverband Untere Ahr war die Flutkatastrophe nicht vorstellbar
Marco Laux
Bei der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 wurde die Kläranlage Sinzig, die durch den Abwasserzweckverband Untere Ahr (AZV) betrieben wird, sehr stark beschädigt. Sie ist die größte Kläranlage im Kreis Ahrweiler und reinigt, neben industriellem und gewerblichem Abwasser, die Abwässer von rund 85.000 Einwohnern. Sechs Kommunen bilden den Zweckverband mit Sitz in Sinzig: Die Städte Remagen, Sinzig und Bad Neuenahr-Ahrweiler, die Verbandsgemeinden Bad Breisig und Altenahr sowie die Gemeinde Grafschaft.
Am Abend des 14. Juli versuchten wir noch mit unseren eigenen Mitarbeitern und Mitarbeitern der Firma Leßnig durch Hochwasserschutzmaßnahmen die Kläranlage zu schützen, bis wir zwischen 2 und 3 Uhr in der Nacht vom Wasser eingeschlossen waren und uns nur noch selbst in Sicherheit bringen konnten.
Baustellen, Brücken und die Kläranlage in Sinzig in unmittelbarer Nähe der B 9 und der Bahnstrecke Anfang Januar 2022
Am nächsten Tag, dem 15. Juli, war es aufgrund des noch hohen Wasserstandes nicht möglich, das Gelände zu betreten. Erst am Freitag, 16. Juli, konnten wir mit Mitarbeitern des Ingenieurbüros Becker das erste Mal das Gelände wieder betreten und uns ein Bild von der Zerstörung machen. Als wir uns nach einer Lagebesprechung im Rathaus Sinzig auf den Weg machten, war der Verkehr zusammengebrochen und die Straßen waren völlig überlastet und verstopft. Da die Brücke der B266 in Heimersheim die letzte befahrbare Brücke in unserer Nähe war, entschieden wir uns, von Sinzig über Löhndorf, Heimersheim, Heppingen, Kirchdaun und Remagen zur Kläranlage zu fahren. Eine Fahrt, die gewöhnlich 5 Minuten dauert, wurde so zu einer Autofahrt von 1,5 Stunden.
Das Schadensausmaß war immens. Nahezu die ganze Kläranlage hat in der Flutnacht zwischen 0,7 und 1,50 Meter unter Wasser gestanden. Neben zahllosen PET-Getränkeflaschen wurden Holz, Flusskies, drei Pkws, ein Wohnwagen, zwei Anhänger und verschiedene andere Gegenstände angespült.
Die Zuwegung über den Grünen Weg war nicht mehr vorhanden – hinter der Unterführung der DB-Strecke befand sich ein rund 4 Meter tiefes Loch. Asphaltschollen lagen übereinander gestapelt in dem Bereich, in dem sich zwei Tage zuvor noch die Zufahrt befand. Bei diesem Ausmaß war uns klar, dass es lange dauern würde, bis das die Kläranlage wieder in Betrieb gehen kann.
Bereits nach wenigen Stunden hatten wir entschieden, dass wir zur Erreichbarkeit der Kläranlage zwei Baustraßen errichten müssen und dass diese nur über Wirtschaftswege und enge Straßen führen können. So wurden freitags schon die Firmen Wahl und Rick damit beauftragt.
Leider mussten wir auch erleben, dass Menschen aus Sensationslust auf dem Gelände der Kläranlage unterwegs waren und auf unser Bitten, auf Foto- und Videoaufnahmen zu verzichten, mit Unverständnis reagierten. Ebenso versuchten Menschen die herumliegenden PET- Flaschen zu sammeln.
Hinzu kamen Menschen, die offenbar am Bahnhof Remagen gestrandet waren und sich auf eigene Faust einen Weg zum Sinziger und Bad Breisiger Bahnhof suchten. Außerdem waren Radfahrer auf der Suche nach dem zuvor vorhandenen Radweg.
Das Gelände der Kläranlagen am 16. Juli 2021
Da die Umzäunung des Kläranlagengeländes nicht mehr vorhanden war und ein Sicherheitsrisiko für ortsfremde Personen vorlag, bestellten wir außerdem eine Securityfirma, die bis Ende August das Gelände 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche bewacht hat.
Die ersten Tage und Wochen nach der Flutkatastrophe
Die erste Zufahrt wurde von der B266 über einen bestehenden Wirtschaftsweg und quer über eine landwirtschaftliche Fläche angelegt, die zweite Zufahrt von Remagen-Kripp über den nicht mehr vorhandenen Radweg Sinzig-Remagen. Diese Baustraßen wurden in nur zwei Tagen (Samstag und Sonntag) hergestellt. Während wir vor Ort mit den Firmen die Baustraße herstellten, wurde es plötzlich hektisch, als sich das Gerücht verbreitete, dass die Steinbachtalsperre gebrochen sei und eine noch größere Flutwelle unterwegs wäre. Da das Handynetz überlastet war, konnte dies nicht überprüft werden, so dass wir darauf vertraut haben, dass eine entsprechende Meldung über das Radio verbreitet würde. Da über das Radio keine Meldung erfolgte, wurden die Arbeiten nach rund 20 Minuten fortgesetzt. Die Arbeiten verliefen zügig und wurden nur dadurch verzögert, dass die Lkws beim An- und Abtransport im Verkehr stecken blieben.
Die weiteren Wochen waren von einer anstrengenden Zeit geprägt. Da keine Rücksicht auf Samstage und Sonntage genommen wurde, gab es Zeiten, zu denen nicht klar war, welcher Wochentag gerade ist. E-Mails wurden spät abends aus dem Homeoffice geschrieben, nachdem durch den Administrator die an den Server gerichteten Mails auf eine andere Adresse umgeleitet wurden. Ein Jahr zuvor hatten wir, bedingt durch die Corona-Pandemie notwendig gewordene Arbeit im Homeoffice, PCs und Laptops mit VPN-Verbindungen eingerichtet. Jedoch waren sämtliche digitale Daten, die auf dem Server lagen, durch die Unterbrechung des Stroms nicht mehr verfügbar.
Bereits am Montag, 19. Juli, wurde mit den Aufräumarbeiten und der Entleerung der Keller und Klärbecken begonnen. Parallel zu den Arbeiten auf der Kläranlage dokumentierten Mitarbeiter des Ingenieurbüro Beckers die Schäden im Kanalnetz. Aufgrund der vielerorts nicht mehr vorhandenen Zugänglichkeit wurde ein Großteil der Kanäle zwischen Rech und Sinzig zu Fuß abgegangen. Bei dieser Zustandserfassung wurden 13 Kanalunterbrechungen festgestellt, an denen Abwasser in die Ahr gelangte. Die ersten Wochen waren durch ein extrem hohes Verkehrsaufkommen, ein überlastetes Handynetz und viele Schicksalsschläge geprägt. Von unseren 17 Mitarbeitern (zum Zeitpunkt der Flut) haben alle überlebt, jedoch waren sechs Mitarbeiter direkt von der Flutkatastrophe betroffen. Die übrigen Kolleginnen und Kollegen hatten häufig über Verwandte und Freunde Extremsituationen erlebt.
Große Hilfsbereitschaft
In den ersten Wochen erreichten uns unzählige Hilfs- und Unterstützungsangebote aus ganz Deutschland. Im besonderen Gedächtnis ist die Unterstützung auf Verwaltungsebene durch die Verbandsgemeindeverwaltung Linz, den Eigenbetrieb Abwasserwerk der Stadt Andernach und den Entsorgungsbetrieb Bad Breisig/Brohltal. Im Bereich der technischen Koordinierung der Arbeiten die Ingenieurbüros Becker und Atd, für die Entleerung von Kellern und Klärbecken das THW und die Stadtentwässerung Kaiserslautern. Außerdem erreichten uns Hilfsangebote für Pumpen und Aggregate, organisiert über die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., von vielen Kläranlagen deutschlandweit.
Wieder in Betrieb: die Vorklärung und das Denitrifikationsbecken am 3. August 2022
In besonderer Erinnerung wird uns ein ehemaliger Mitarbeiter des Wirtschaftsbetriebs Mainz bleiben, der uns als ehemaliger Leiter mit seiner Berufserfahrung bis Januar 2022 unterstützt hat.
Auf der Gegenseite konnten wir dem Technischen Hilfswerk eine Fläche auf der Kläranlage bereitstellen, auf der mittels einer Separationsanlage Wasser und Heizöl getrennt wurden.
Der Weg zur Wiederinbetriebnahme der Kläranlage – hierfür gibt es keine Blaupause
Nachdem die Kläranlage weitestgehend geräumt war, konnten das Schneckenpumpwerk und die Büroräume der Verwaltung mittels einem Notstromaggregat der Westnetz wieder in Betrieb genommen werden. Ende Juli konnten Teile der Mechanischen Reinigung, bestehend aus Grob- und Feinrechen sowie Sand- und Fettfang, in Betrieb genommen werden. Ebenfalls war Ende Juli die gewohnte Stromversorgung wieder vorhanden und eine Internetverbindung über LTE wurde aufgebaut. Zwischenzeitig zeigte sich immer mehr das wahre Schadensausmaß auf der Kläranlage, weswegen wir uns entschieden, die Bereiche entsprechend dem Weg, den das Abwasser bei der Reinigung durch die Kläranlage nimmt, wieder in Betrieb zu nehmen. Dies waren im Einzelnen:
- Vorklärung: Ende August
- Belebungsbecken 1 und Nachklärbecken 2: Ende September
- Belebungsbecken 2 und 3 sowie Nachklärbecken 1: Mitte November.
Neben den wichtigen Stationen zur Reinigung der Abwässer waren die Meilensteine der Wiederinbetriebnahme:
- Heizwassersystem: Ende August
- Faulbehälter 1 und 2: Mitte September
- Blockheizkraftwerk: Anfang Oktober
- Schlammentwässerungsanlage: Ende Oktober
- Trinkwasseranschluss: Anfang November.
Schlussendlich konnten wir uns nach nicht einmal fünf Monaten am 2. Dezember 2021 über die komplette Wiederinbetriebnahme freuen. Zu dieser beglückwünschte uns am 21. Dezember 2021 auch Kathrin Eder, Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz.
Die schnelle Wiederinbetriebnahme war nur durch die Erstellung von Provisorien möglich. So wurde für die Belebungsbecken eine mobile Gebläsestation aufgebaut, zur Beheizung der Faultürme eine mobile Heizölheizung angemietet und die Schlammentwässerung über eine mobile Zentrifuge abgewickelt. Zur Notstromversorgung stellten uns die Stadtentwässerungsbetriebe Köln ein mobiles Aggregat zur Verfügung. Für unsere technischen Mitarbeiter wurde für Umkleiden, Sozialräume, Toiletten, Laboratorien und Aktenräume ein Containerdorf aufgebaut. Diese Provisorien sind zum aktuellen Zeitpunkt (Anfang August 2022) noch in Betrieb und werden auch noch auf unabsehbare Zeit in Betrieb bleiben müssen.
Im Gedächtnis wird die Zeit bleiben, in der für die Toilette nur Dixi-Toiletten zur Verfügung standen, zum Händewaschen das Wasser aus Kanistern kam und zum Kaffeekochen stilles Wasser aus Flaschen verwendet wurde. Aber auch das mediale Interesse und einige Reportagen, die zeitweise dazu führten, dass die Kläranlage Sinzig die Bekannteste ihrer Art in Deutschland war.
Schadensbeseitigung im Kanalnetz
Neben kleineren Reparaturen wurde bereits im August 2021 mit den Wiederherstellungen im Kanalnetz begonnen, die unter gewöhnlichen Umständen eine monatelange, wenn nicht sogar jahrelange Planung und Abstimmung benötigt hätten. Möglich wurde dies nur (wie bei der Kläranlage auch) durch die schnelle Zustimmung von Behörden und der zeitweisen Aufhebung der Vergaberichtlinien. Parallel wurden von August bis September die Kanäle des AZV von Rech bis Sinzig gereinigt und inspiziert.
An den Schadstellen, an denen es möglich war, wurden mobile Pumpen installiert, um das Abwasser an den Unterbrechungen vorbei in die intakten Bereiche der Kanalisation zu leiten. Dies stellte eine unheimliche Belastung für uns und auch die Anwohner dar, da es aus technischen Gründen zu Ausfällen der Pumpen kam oder bei Regenereignissen mehr Wasser die Pumpen erreichte als berechnet war. In beiden Fällen kam es zum Rückstau im Kanal, was zu volllaufenden Kellern führte.
In einem Fall wurde durch Sabotage eine Druckleitung durchtrennt und ein naheliegender Radweg mit Abwasser überspült. Auch führte der Lärm der laufenden Pumpen zu erheblichem Unmut bei den Bürgern. Für uns war es eine besondere Herausforderung, diesen berechtigten, teils aber auch unberechtigten Unmut auszuhalten.
Die Anfälligkeit der Systeme zeigte sich bei zahlreichen Rufbereitschaftseinsätzen, bei denen unsere Mitarbeiter, unter anderem an Heiligabend und Silvester, zur Störbeseitigung unterwegs waren.
Zahlreiche Provisorien und was nun?
Bis zum aktuellen Zeitpunkt (Anfang August 2022) wurden bisher für Aufräumarbeiten, Reparaturen und Wiederaufbau rund 15 Millionen Euro ausgegeben. Teile des Kanalnetzes befinden sich im Bau, an den übrigen Schadstellen laufen die Planungen zur Erneuerung. Der Standort der Kläranlage wird im Besonderen auf den Hochwasserschutz kritisch überprüft.
Dies wird uns noch mehrere Jahre beschäftigen. Bis dahin ist ein Betrieb mittels Provisorien nötig, wobei eine gewisse Gefahr des Ausfalls dieser besteht. Oftmals sind die Materialien nicht für solche Extremsituationen ausgelegt oder aufgrund von Lieferengpässen nicht vorhanden. Es ist zu hoffen, dass der Klimawandel nicht den Wiederaufbau beeinflusst und der Region Extremwetterereignisse erspart bleiben.
Marco Laux ist Werkleiter des Abwasserzweckverbands Untere Ahr in Sinzig