Die größte ihrer Art in der Region
Geschichte und Geschichten der Bad Neuenahrer Kirmes
Hildegard Ginzler
Herbstzeit – Kirmeszeit, das gilt seit jeher für das Bad Neuenahrer Volksfest, das größte seiner Art im Kreis Ahrweiler – mit Termin um das erste Oktoberwochenende zugleich auch das letzte im Jahr. Mischt sich der Duft gebrannter Mandeln und Bratwurst mit näselnden Ansagen wie „Achtung jetzt hier die nächsten Treffer“, dann steht man schon auf dem Kirmesplatz, dem Parkplatz City-Ost alias Moses-Parkplatz oder in den nahen Straßen.
2019 lag die Festmeile durch Bauarbeiten um den Bahnhof weiter westlich. 2020 – der Corona-Pandemie war’s geschuldet – fiel die ganze Kirmes flach. Doch Anfang Juni 2021 hielt es die Stadtverwaltung für denkbar, dass die Lockerungen in der Pandemie es zulassen, das Fest Anfang Oktober des Jahres noch einmal im bekannten Umfeld durchzuführen. 2022 soll auf dem „Kirmesplatz“ Baubeginn des bis zur Landesgartenschau 2023 fertigzustellenden Parkhauses sein. Für die neu konzipierte Kirmes soll weiterhin das südliche Areal des bisherigen Platzes und der „Alter Markt“ genutzt werden, zuzüglich der neue Bahnhofsvorplatz, der Park- platz dort und angrenzende Straßenbereiche.
Gewöhnlich präsentieren Schausteller eine Vielzahl an Attraktionen. Fahrgeschäfte sorgen für Nervenkitzel und Kreischen. Lebkuchenherzen baumeln an den Hälsen von Verliebten. Man sieht bunte Lichter, Flackern und Glitzer, dazwischen ein Schild „Liebesäpfel und Schokofrüchte“. Es geht eben nicht nur heiß und fettig zu, wie bei Bratwurst und Fritten, sondern auch süß und klebrig.
Geliebtes Kettenkarussell
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten junge Leute bereits Spaß mit der „Raupe“, einer Berg- und Talbahn, Vorgänger der Schmetterlingsbahn. Doch Gertrud Schumacher, ging in den späten 1940ern „am liebsten auf das Kettenkarussell“. Von den Anfängen der wiederbelebten Kirmes weiß sie noch, „dass sie schon Ende der Wendelstraße begann, aber insgesamt alles ganz klein war“. Zur Kirmes kamen Onkel Theodor Knieps, Präsident im Ahrweiler Winzerverein, mit Ehefrau Maria zu Besuch. Und umgekehrt waren die Neuenahrer Gast bei den Verwandten, wenn man in Ahrweiler Kirmes feierte. Hans-Jürgen Ritter erinnert sich, wie er als Kind im Bad Neuenahr der 1950er „mit großen Augen vor den Fahrgeschäften stand; man versuchte, besonders brav zu sein, um von vielen Leuten Kirmesgeld zu kriegen“. Er empfindet, dass es seinerzeit ein Fest für Einheimische gewesen sei, während man auf den Dörfern Besuch erwartete. So lud der Altgeselle der Schreinerei seines Vaters „unsere Meisterfamilie zur Oevericher Kirmes ein: Da bog sich der Tisch unter selbstgebackenen Torten, wie Buttercremetorte.“ Das Fest wuchs mit den Jahrzehnten, räumlich und zeitlich. Fünf Tage währt es heute vom Fassanstich am Freitag bis zum Höhenfeuerwerk am Dienstag. Schon lange dabei: das Riesenrad. Immer noch aktuell: die Berg- und Talbahn. Ob sie wollen oder nicht, hier kommen die Fahrgäste einander näher. Tempo, Fliehkraft, erste Küsse und verstohlenes Händchenhalten prickeln um die Wette. Wer nicht erdrückt werden will, sollte sich seinen Platz innen sichern.
Das Kinderkarussell als Kirmes-Klassiker, auch im Jahr 1951
Kinderkarussells und Autoskooter zählen ebenso zu den Klassikern. Fahrgeschäfte jüngeren Typs? Die „Jumpstreet“ schickt ihre Gäste auf einer breiten Sitzbank hochkant im Kreis herum. „Octopussy“ hebt und senkt die Krakenarme und lässt die Gondeln kreiseln. Besonders Wagemutige steuern „Intoxx“ an, eine spektakuläre Überkopfschaukel. Spannung anderer Art versprechen Schießbuden oder das Kultspiel Kamelrennen: wie die Kugeln treffen, so hoppeln die Wüstenschiffe. Jahrzehnte zuvor ging es da heftiger zu: im Ring der Boxbude, wo der „Kopfschlächter von der Grafschaft“ gegen den Matador des Budenbesitzers antrat.
Kirmes-Rummel-Bummel 1910
Sprung noch weiter zurück ins Jahr 1910, als die Ahrweiler Zeitung am 8. Oktober berichtet, „Ja, so‘n Kirmes-Rummel-Bummel, der ist schön. Am Sonntag nach dem Hochamt ging‘s los. ‚Kind, du kannst tanzen wie meine Frau‘ ließ sich eine Drehorgel in der Straße vernehmen, während weiter unten eine andere den Ballsirenenwalzer schmetterte. Kirmesklimbim an allen Ecken und Enden.“ Von Bäckerjungen ist die Rede, die Streuselkuchen und Torten abliefern, an denen sich der Besuch erquicken soll. Am Nachmittag strömt alles zum Kirmesplatz: „Männlein und Weiblein, vor allem aber die holde Jugend, die ersparten oder freundlich gestifteten Nickel krampfhaft in der Hand haltend. Von weitem schon hört man die große Karussell-Orgel knaatschen.“
Hinter dem Garten von Bonns Kronenhotel lockte 1910 Ringwerfen und um die Ecke herum das „Original-Kölner-Hänneschen“. Es gab auch eine Schießhalle. Folgen wir der Schilderung der Ahrweiler Zeitung: „Und das Gedränge! Man glaubt zu schieben und man wird geschoben. Glücksräder, Drehbretter die Menge umlagert von gewinnsüchtigen Menschen aller Art. Stundenlang stehen sie dort an einer Stelle und setzen immer wieder aufs neue. Das Glück ist launig. Der arme Teufel da drüben hat gewiss seine ganzen Kirmesgroschen verputzt, weil er so garnicht kirmesmäßig dreinschaut.“ In den Wirtshäusern, teils mit Tanzangeboten, sei es „kribbelkrabbelvoll“ bis in die Nacht. Am Montag werde abends „den anwesenden Rekruten zu guterletzt der Abschied im ‚Westfälischen Hof‘ noch versüßt, eigentlich schwer gemacht“. Am Kirmes-Dienstag steigt der Ball mit Liedertafel des Männer-Gesang-Vereins im Palast-Hotel. Gleichzeitig feiert der Neuenahrer Männerchor im brechend vollen Goldenen Anker sein von der Zeitung hochgelobtes 48. Stiftungsfest. Zuletzt heißt es: „Die ‚Kirmesleute‘ haben ihre luftigen Gebäude abgebrochen und der Bürger geht wieder seinem Berufe nach und denk ‚E Glöck, dat et eröm eß‘.“
Bunte Lichter, Flackern und Glitzern, Fahrgeschäfte sorgen für Nervenkitzel und Kreischen: Kirmes Bad Neuenahr 2019
Wo liegen die Anfänge?
Seit wann aber feiert man die Kirmes im Ort? Und mit welchem Kirchenpatron ist sie verbunden? Dies bleibt unerwähnt. Auch Heimatforscher Hans-Jürgen Ritter „wüsste nicht, dass es irgendwo explizit angesprochen wird“. Überhaupt vermisst man eine Überblicksdarstellung dieses Volksfestes mit Tradition.
Da 1875 die Orte Wadenheim, Hemmessen und Beul zur „Gemeinde Neuenahr“ zusammengelegt wurden, die seit 1927 den Bad-Titel trägt, darf man davor gleich drei Kirmessen, also Kirchweihfeste, annehmen. Beul hat mit der Willibrorduskirche ein erstmals 1131 urkundlich erwähntes Gotteshaus. Wadenheim besaß eine Josefskapelle, die sich 1626 im Bau befand und 1903 abgerissen wurde. In Hemmessen ist eine Antoniuskapelle 1582 und 1606 belegt, die man 1869 abtrug, neu erbaute und ihr den Heiligen Sebastian als zweiten Schutzpatron zuwies. 1901 wurde die Rosenkranzkirche fertiggestellt. Sie war von da an die neue Hauptkirche der Gemeinde Neuenahr.
Mit den Patronatsfesten der frühen Gotteshäuser stimmt der Kirmestermin im Oktober nicht überein, allerdings mit dem am 7. Oktober gefeierten Rosenkranzfest, Feiertag der neuen Kirche. 1899 begann ihr Bau. Schon 1891 setzten Verhandlungen zu ihrer Errichtung ein. Bis 1895 zurück reichen in den Oktober-Ausgaben der Ahrweiler Zeitung die Annoncen für Tanzvergnügen zur Neuenahrer Kirmes. Hans-Jürgen Ritter kann präzisieren, dass die Kirmes ab 1890 im Oktober abgehalten wurde, bis dahin jedoch im November, zum Ende der Kursaison. Mit dieser Terminverschiebung wechselte zugleich der Veranstaltungsort. Ritter fand dazu in der Ahrweiler Zeitung 1938 vom 3. November einen Bericht über die Kirmes im Ortsteil Beul: „In früheren Jahren, als die Badestadt noch nicht war und man nur die drei kleinen Dörfchen Hemmessen, Wadenheim und Beul kannte, war diese (Beueler) Kirmes schon immer ein gern besuchtes Volksfest.“ Mit Musik zogen am Morgen die Junggesellen von der alten Kirche aus durch die Straßen und nachmittags leiteten sie gleichfalls durch einen Umzug den Beginn der Tanzmusik ein. Dazu wurde das Fähndel geschwenkt. Zur Beuler Kirmes zogen die Junggesellen also von der Willibrorduskirche aus, und für den heiligen Willibrord zeigt der Heiligenkalender den 7. November als Gedenktag an. Damit scheinen hinreichend Anhaltspunkte gegeben, um festzustellen: Die Neuenahrer Kirmes im Oktober um das Fest der „Jungfrau Maria vom Rosenkranz“ ist an die Rosenkranzkirche gekoppelt. Sie löste die Willibrorduskirche als Hauptkirche ab, an die mit ihrem Patron Willibrordus zuvor das Kirmesgeschehen im November gebunden war.
Die Neuenahrer Kirmes im Oktober um das Fest der „Jungfrau Maria vom Rosenkranz“ ist an die Rosenkranzkirche gekoppelt.
Der Beitrag entstand vor der Flutkatastrophe an der Ahr am 14. und 15. Juli 2021.