Die Grablegungsgruppe in der Remagener Pfarrkirche St. Peter und Paul
Beim Neubau der Remagener Pfarrkirche St. Peter und Paul in den Jahren 1900-1904fand in der zur Vorhalle umgebauten alten Sakristei die spätmittelalterliche Grablegungsgruppe ihren neuen Platz. Die Gruppe wird allgemein als Heiliges Grab angesprochen, doch sollte dieser Begriff für Skulpturenensembles mit dem im Grab ruhenden Jesus, umgeben von den drei Frauen und Engeln, reserviert bleiben. Die korrekte Bezeichnung lautet Grablegung oder Grablegungsgruppe, ein Begriff, der schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Denkmalpflege Verwendung fand.
Bestand und Restaurierungen
Die Remagener Gruppe zeigt den auf einem von einem Tuch bedeckten Sarkophag liegenden toten Christus, umstanden von den in den biblischen Texten erwähnten Zeugen der Grablegung. Vom Betrachter aus von links nach rechts gesehen sind dies: Joseph von Arimathäa, eine anonyme weibliche Figur, der Jünger Johannes, Maria, die Mutter Jesu, Maria Magdalena, eine weitere weibliche Figur, sowie Nikodemus. Die beiden anonymen Frauengestalten werden üblicherweise als die Halbschwestern der Gottesmutter, Maria Cleophas und Maria Salome, gedeutet. Beide gelten seitdem 13. Jahrhundert als Mitglieder der heiligen Sippe. An der Vorderfront des Sarkophags zeigen drei Reliefs auf die Auferstehung hinweisende biblische bzw. symbolische Szenen. Links sieht man Samson, der die Stadttore von Gaza fort trägt (Richter 16, 1-3), in der Mitte Jonas, der vom Wal ausgespieen wird (Jonas 2, 1 und 11),und rechts den auferstandenen Christus, der die Seelen der Gerechten, hier symbolisiert durch Adam und Eva, aus dem Höllenrachenbefreit. Diese Szene wird in der Literatur als„Christus in der Vorhölle“ charakterisiert. In den Zwickeln des umgebenden Bogens sind zwei Engel dargestellt, die in ihren Händen Schilde mit Hausmarken, den wappenähnlichen Symbolen reicher Familien, halten.
Die Grablegungsgruppe in Remagen im Eingangsbereich der Pfarrkirche St. Peter und Paul, 2006
Die Figuren sind unterlebensgroß und aus Tuffstein gearbeitet.
Bei der Restaurierung anlässlich der Neuaufstellung wurden die Architekturteile der Vorderfront des Sarkophags und die rahmende Bogennische erneuert. Der Denkmalbericht des Architekten C. C. Pickel von 1903 (Bonner Jahrbücher 113, 1905, S. 23ff.) betont jedoch, dass diese nach den erhaltenen alten Resten angefertigt wurden. Damals fand auch das alte Gitter wieder seinen Platz vor der Gruppe. Das Gitter ist jedoch heute – im Vergleich zu einer Photographie von 1938 – um die obere Gitterreihe, die zwei bogenförmige Öffnungen mit Kerzenhaltern umschloss, verkürzt.
Die Forschung datiert die Gruppe um 1515.Aufgrund der stilistischen Gemeinsamkeiten wird die Remagener Grablegung Tilman Heysacker zugeschrieben. Dieser Meister konnte durch neue Quellenauswertungen als ein an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in Köln tätiger Bildhauer identifiziert werden. Ebenfalls aus seiner Werkstatt stammen die Skulpturenensembles der Grablegung in Groß St. Martin in Köln, St. Pantaleon in Unkel und St. Johannes Baptist in Bad Honnef. Diese Gruppe steht der Remagener in Aufbau und Ausführung am nächsten.
Zu den Restaurierungsarbeiten hat sich eine Entwurfszeichnung Pickels im Pfarrarchiv Remagen erhalten. Darauf erkennt man, dass der Architekt in der heute leeren Scheitelnische des Bogens eine Figur des Auferstandenen platziert hatte. Der Sockel der Skulptur ist auf der erwähnten Photographie von 1938 zu sehen, die obere Partie ist leider abgeschnitten. Vielleicht ging die Skulptur im II. Weltkrieg verloren. 1841 sah der Kunsthistoriker Kugler die Gruppe und notierte, sie sei „neuerlich“ bemalt worden. Pickel spricht im Restaurierungsbericht davon, die Gruppe sei „unter sorgfältiger Erhaltung der Spuren der alten Bemalung gereinigt“ worden. Der heutige Betrachter muss sehrgenau hinschauen, um diese Farbreste wahrzunehmen. Im Kreis Ahrweiler finden sich weitere Grablegungsgruppen in Sinzig und Altenahr. Die Sinziger Grablegungsgruppe hat ihren Platz seit der jüngsten Restaurierung im linken Seitenschiff gefunden. Die Gruppe wird an den Anfang des 15. Jahrhunderts datiert, ist also älter als die in Remagen. Im Gegensatz zu der bisher angenommenen Zugehörigkeit beider Skulpturenensembles zum Kölner Kunstkreis, wird die Sinziger Gruppe heute nun einer mittelrheinischen bzw. Koblenzer Werkstatt zugeschrieben. Die Altenahrer Grablegungsgruppe mit Stifterfiguren ist auf das Jahr 1552 datiert.
Der Standort der Skulpturen
Ist die Frage der Entstehung der Figuren in Köln auch geklärt, so bleibt doch das Problem des Standorts des Ensembles in Remagen. Die meisten Autoren, die die Grablegungsgruppe erwähnen, gehen davon aus, dass sie ursprünglich in einer eigenen Kapelle am heute so genannten Schwalbenberg stand. Die Übertragung in die Pfarrkirche sei dann in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach der Zerstörung der Kapelle, erfolgt. Diese Annahme beruht auf einer Erwähnung in Strambergs „Rheinischem Antiquarius“ (Abteilung III/Band 9) von 1862. Dort ist von einer vor 1366 errichteten Hl.-Grab-Kapelle die Rede. Konkretere Angaben, nicht zuletzt über die von Stramberg benutzte Quelle dieser Behauptung, werden nicht gemacht. Langen konnte für das Gelände am Schwalbenberg den Flurnamen „vur dem hyllghen Grave“ erstmals für 1496 nachweisen. 1662 ist von Land „am H. Grabe oder St. Urselenberg“ die Rede. „St. Urselenberg“ bezieht sich auf das Kölner Stift St. Ursula, das in Remagen Güter besaß. Andere Belege für die mögliche Existenz einer Hl.-Grab-Kapelle oder einen Zusammenhang mit den Skulpturen existieren nicht. Auch finden sich keine Archivalien, die eine Übertragung der Gruppe in die Remagener Pfarrkirchebelegen würden. Vor Ort lassen sich keine Untersuchungen anstellen, da das Gelände durch den Ausbau derB9 grundlegend verändert wurde. Zweifel an der Aufstellung der Grablegung in dieser Kapelle wurden schon früher geäußert (Nostitz 1978, Maisel 2002).
Die farbig gefasste Grablegungsgruppe in der Sinziger Pfarrkirche St. Peter,2006
Betrachtet man die Quellenlage, ist die Frage nach der Ausstattung der Kapelle und ob zu ihr die Grablegungsgruppe gehört hat, nicht zu beantworten.
Der gut dokumentierte Standort der Gruppe in der Remagener Pfarrkirche vor Beginn des Neubaus 1900 kann jedoch zur Klärung beitragen. Die Baugeschichte der Remagener Pfarrkirche ist für den Besucher nicht auf den ersten Blick zu erfassen. Bis zu den Baumaßnahmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand die Kirche aus dem erhaltenen Langhaus, dem sich der Chor von 1246 mit der im 16. Jahrhundert an -gebauten Sakristei anschließt, und zwei Seitenschiffen. Diese Seitenschiffe waren nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs im 17. Jahrhundert neu aufgebaut worden. Anstelle des rheinseitigen nördlichen Seitenschiffs entstand der neuromanische Neubau. Das südliche Seitenschiff wurde abgebrochen. In eben diesem südlichen Seitenschiff stand die Grablegungsgruppe. Die Bauaufnahme Pickels vor dem Umbau zeigt ihren Platz in einer zum Schiffsinneren offenen Nische am östlichen Ende der Außenwand. Sie stand also ungefähr dort, wo sich heute der kleine Treppenturm befindet.
Pickel bestätigte in seinem Bericht, die Mauerndes Seitenschiffs stammten aus der Zeit der Wiederherstellung der Kirche nach dem Dreißigjährigen Krieg. Lediglich in der Südostecke, wo die Grablegung stand, hatte sich das originale spätgotische Mauerwerk erhalten, in das die erhaltenen Reste der Nischenarchitektur eingebunden waren. Es bestand also einunmittelbarer baulicher Zusammenhang. Zudem darf man die desolate Situation in Remagen am Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht vergessen, als die Stadt fast komplett zerstört war. Eine Wiederherstellung von erhaltenen Resten erscheint mir hier wahrscheinlicher als ein aufwendiger Transport von Skulpturen über eine längere Strecke.
Grablegungsgruppen als Gedenkmale
Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus den Untersuchungen von Markus Maisel. Er zeigt in seiner Arbeit über die spätgotischen Grablegungsgruppen im Rheinland, dass die Ensembles nicht wie bisher angenommen ihren Platz in der Liturgie der Kar- und Ostertage hatten. Es handelt sich vielmehr um eine Form des monumentalen Grabmals in dessen Nähe der Stifter bestattet wurde und für dessen Seelenheil hier gebetet wurde. Der Tote sollte in Tod und vor allem Auferstehung Christi eingeschlossen werden. Die Figuren der Grablegung sind in der Tracht der Zeit gekleidet, was den Betern die Identifikation mit den Dargestellten erleichterte. In Remagen zeigt sich der Grabmalzusammenhang in den von den Engeln am Bogen gehaltenen Hausmarken der Stifter. Leider lassen sie sich bislang nicht deuten. Durch die zahlreichen Baumaßnahmen finden sich auch keine Grabplatten mehr am ursprünglichen Ort in der Kirche.
Dass es in Remagen Bewohner gab, die wohlhabend genug waren, sich ein aufwendiges Denkmal zu leisten, zeigt das Beispiel des Ehepaars Juylich. Diese bedachten nach Ausweis des im Pfarrarchiv erhaltenen Testaments von 1531 die Pfarrkirche mit reichen Stiftungen. Ihre Hausmarke weist jedoch ein anderes Emblem auf.
Ursprünglicher Ort
Zusammenfassend glaube ich, dass die Grablegungsgruppe seit ihrer Entstehung ihren Platz im südlichen Seitenschiff der alten Kirche hatte. Beim Neubau fand Pickel die originale Nische mit den Figuren eingebunden in spätgotisches Mauerwerk. Dies lässt den Schluss zu, dass Nische und Wand in ihrer ursprünglichen Substanz und Zusammenhang erhalten waren. Gerade der Chorbereich der Kirche war ja beider Zerstörung durch die Schweden erhalten geblieben. Folgt man der Argumentation von Maisel, würde ein weit vor der Stadt gelegener Begräbnis- und vor allem Gedächtnisort, wie der fast 5 Kilometer entfernte Schwalbenberg, keinen Sinn machen. Nur wenige Gläubige hätten sich der Gefahr ausgesetzt, an so unwegsamem Ort für das Seelenheil des Stifters zu beten. Gleiches gilt für einen Priester, der die Seelenmessen hätte lesen sollen. Die Ecke am Ende des südlichen Seitenschiffs der alten Pfarrkirche war zudem schon durch das Gedächtnis des Ricardus Plebanus, des Initiators des Chorneubaus von 1246, als vornehmer Bestattungsort hervorgehoben. An der südlichen Außenwand des Chores findet sich bis heute seine Grabinschrift aus dem 13. Jahrhundert.
Literatur.
- Clemen, Paul, (Hrsg.): Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Kreis Ahrweiler II. Düsseldorf 1938 S. 532 ff.
- Kölner Domblatt 1977, Köln 1977, S. 267 ff.
- Langen, Wilhelm: Die Flurnamen von Remagen, Remagen 1925, S. 30
- Maisel, Markus: Sepulchrum Domini, Studien zur Ikonographie und Funktion großplastischer Grablegungsgruppen am Mittelrhein und im Rheinland. Mainz 2002.