„Die Geschichte von Matthes und den Wachholdermännchen
VON HERMANN OTTO PENZ
Das ist schon sehr lange her, aber deshalb doch so wahr und verbürgt von ehrenwerten Familien über Urahn und Opa, daß man keinen Zweifel beim Lesen haben sollte.
Die Geschichte begann auf dem Adenauer Markt, und zwar hatte der Matthes aus Alendorf eben eine frischmelke Kuh, gut im Fleisch und wohl gedeckelt, nach langem, erregten Hin und Her losgeschlagen und dafür klimpernde Talerstücke eingestrichen. Da Vater und Mutter weit, der Versucher aber wie gewöhnlich recht nah war, juckte den jungen Burschen das güldene Geld im Beutel; und da er dem Bösen erst einen Türspalt seines Herzens geöffnet, zwängte der sich nun ganz über die Schwelle und steuerte den Matthes wie ein willenloses Boot gerade auf die nächste Wirtshaustür los dem stechenden Wacholderschnaps entgegen. Um die Theke roch es nach getrantem Leder, beizendem Tabak, nassem Loden und jener Luft, die man nicht genau beschreiben kann, von der aber jeder weiß, der mit Vieh umgeht Tag für Tag. Eine wohlgestalte Schankmaid versorgte hier das geschwätzige Mannsvolk und schenkte Schnaps und feurige Blicke, ab und an wohl auch witzige Worthiebe, die zum
Widerreden und Weitertrinken veranlaß-ten. Der Matthes war gleich mit von der Partie, als die Preise auf dem Markt und die Neuigkeiten landauf, landab gehechelt wurden; und da er sich recht männlich und reich geben und nicht als Geizhals angesehen werden, zudem sich in die Gunst der üppigen Schenkin ein-schleichen wollte, ließ er seine Taler klimpern und Runden rollen, Runden scharfen Schnapses. Im Stillen hoffte er auch, durch seine Tat sein böses Gewissen zu bändigen, das ihn zwickte und zwackte, weil er der Käuferin seiner Kuh einen geheimen Gewährsmangel des Tieres verschwiegen und so den Preis gehoben hatte.
Ihr könnt euch denken, daß es recht spät wird, wenn man trinken kann, ohne zu zahlen, und ihr wißt auch, wie es Männern im Kopfe saust und in den Knien knackt, wenn sie nach solch einem Wacholdertag sich auf den Heimweg machen. Aber das muß man sagen: der Matthes war derjenige, der noch am geradesten ging, ja, genau gesagt, der Matthes schritt wahrhaft einher wie ein Gerechter nicht gerader am Bischof hätte vorbeigehen können. Wahrhaftig, er war hellwach, wenn auch nicht ob allzu großer Rechtschaffenheit; vielmehr das machte sein hämmerndes Herz, in dem nun erst recht der Böse lachte und tanzte.
Der Matthes schimpfte nun mit sich selbst, und im Wandern auf heim an tat er tausend Schwüre, alles offen zu bekennen und wieder gutzumachen: den Gewährsmangel ebenso wie seinen Wirtshausleichtsinn, und denkt nur, bis Nohn über den Ahbach weit hinaus knüppelte er den Teufel in sich selbst so klein und häßlich, daß er sicherlich gleich in Niederehe vor der Tür der hinters Licht geführten Bäuerin gestanden hätte, stotternd und seine Schuld des Verschweigens hervorziehend aus dem Dunkel seiner sündigen Seele. Doch dazu kam es nicht, denn der schon totgeglaubte Teufel raffte sich ruckartig auf und zwang den Willen des Matthes erneut nieder und setzte sich wieder zum Herrn seines Herzens. Der Matthes schlug also schnell einen Hasenhaken und schickte sich an, den neuen Stall seiner verkauften Kuh wie ein schämiger, scheuer Kerl zu umgehen und das in der einfallenden Dämmerung liegende Dorf zu meiden. So mußte er halt über die Wacholderhöhe, mitten durch die schwarzmanteligen, unheimlichen Kerle, die dort in Gruppen und Rudeln herumstehen und abends einem den Schreck einjagen. Erst wollte der Matthes auch wieder umkehren, als er nun dicht vor dem Gespenstergarten stand, aber bellende Hunde unten im Dorf setzten seine Füße schließlich doch in Bewegung. Aber was war das nur? Zogen sie nicht ihre spitzen Hüte tief in die Stirn? Wahrhaftig, jetzt rotteten sie sich gar zusammen und versuchten, ihn am Weitergehen zu hindern, sie stellten ihm heimtückisch ein Wurzelbein, daß er lang den Boden maß, und kicherten dazu im Chor. Matthes war hellwach und fühlte sich von allen Seiten bedroht, jetzt meinte er gar, die schwarzen Kerle pfiffen sich Signal, und er gewahrte allerlei Ähnlichkeiten, wie er sie aus Erzählungen kannte: Er sah alle möglichen Ungeheuer mit Glühaugen, Hunde ohne Köpfe, die am Boden kauerten, einen sterbenden Riesen und wild springende Pferde.
Er begann zu laufen, hotz und har wie ein störrischer Jungochse, aber wie er es auch anstellte, immer näher rückten ihm links und rechts die unheimlichen Gestalten. Als er einem ausweichen wollte, stuppste ihn ein baumlanger Alter ins Kreuz, und ein nadelzwickender Zwerg trat ihn auf den hastenden Fuß, daß er laut lamentierte. Aber da setzte es schon eine stachelige Ohrfeige, und gleich griff eine unsichtbare Geisterhand nach seiner molligen Mütze, die er erst am Morgen ehrlich auf dem Markt erstanden. Er wollte die Entschwebende greifen und halten, aber schon spürte er Schultertippen und sah im Umwenden in eine frostige Fratze, die ihm noch schnellere Beine machte und ihn über ein paar kahle Buckel auf Kerpen an jagte, verfolgt vom Gejohle und Gepfeife der Wacholdermännchen. — —
Nun sind es von den Kalkbuckeln bei Ehe bis nach Alendorf gute zwei Wegstunden, wenn man stark zugeht, aber an jenem Abend schaffte der Matthes sie schweißgebadet in anderthalb, weil er immer noch die stacheligen, schwarzen Kerle hinter sich glaubte. Erst auf dem Wegekreuz bei Wiesbaum wagte er, sich länger umzuschauen, und da er offensichtlich seine Verfolger abgeschüttelt hatte, gönnte er sich die erste Verschnaufpause und verharrte ganz kurz hier, denn so sehr ihn bis jetzt die heiße Angst gejagt hatte, so trieb ihn nun der kalte Nachtwind vorwärts. Ein milchiger Mond lächelte rund und gutmütig und leuchtete ihm das letzte Stück seines Weges über den Winterberg durch den blattzitternden Wald. Aber welch ein Entsetzen packte ihn, als er aus dem schirmenden Kronendunkel ins silberne Hell der offenen, mondlicht-überfluteten Weidegänge seines Heimatdorfes trat: Da standen die Hügel ringsum voller Wacholdermännchen, und er sah sie jetzt deutlich gestikulieren und rennen, hörte ihr kicherndes Lachen und wußte, daß sie ihn im Lauf längs Mir-bach überholt hatten und nun den Weg zum warmen Herd verstellten, um ihm das Geld abzuprügeln und loszuzwicken. Doch wie gut, daß der Ring noch nicht ganz geschlossen! Der Matthes konnte so bei der Mühle, durchs hohe Gras schleichend, den Stachelmännchen durchs Netz schlüpfen und sich samt dem Gelde in die süße Sicherheit seines Hauses und Bettes fallen lassen.
Wenn ihr nun glaubt, damit habe der Matthes alles überstanden, so weit gefehlt! Die Wacholdermännchen standen noch am Morgen da, als der Hahn krähte und die Sonne die Berge vergoldete. Sie standen stumm und steif — Tage, Wochen und Monde: und alle schauten sie auf die Dächer von Alendorf und hielten Ausschau nach dem Matthes, der ihnen entwischt war. Die Leute wunderten sich natürlich über den plötzlichen, zahlreichen Besuch; einige freuten sich, weil nun die Räucherzweige für den Schinken sozusagen vor der Haustür standen und die beerenhungrigen Krammetsvögel in Massen einflelen, denen man Netze spannen und Leimruten legen konnte; andere dagegen schimpften und gingen dem Übel mit der Rodhacke zur Wurzel und mit Feuer zu Leibe, aber die schwarzen Ankläger wichen und wankten nicht und machten dem Matthes eine drohende Faust, wenn er nur zum Fenster rausschaute. Das hielt er denn auch kaum ein Jahr aus, dann freite er sich Hilfe und Schutz ins Haus mit Bäb, einer tatkräftigen Weibsperson, von der die Rede ging, sie habe allein die Kühe des ganzen Kirchspiels gemolken, als der Herr Pastor mit Mannskerlen und Frauleuten nach Barweiler gepilgert und in Häusern und Höfen nur Kinder, Kranke und knurrende Hunde zu finden gewesen seien. Die Nähe dieser breithüftigen, armstarken Frau bewirkte wahre Wunder: Matthes wagte sich unter ihrem Schutz und Schirm wieder auf die schiefen Äcker, ins Holz und an die Weidehänge, säte und erntete, pfiff ein Liedchen und schmauchte sein Pfeifchen. Nur wenn der Abend im Nebelmantel von den Bergen in die weiten Talmulden stieg und die Bäb schon heim war, den Brei kochen, glaubte Matthes die Wacholdermännchen wieder auf sich zukommen zu sehen, dann rannte er eilig dem Dorfe entgegen, weil er sich immer noch fürchtete. Wer heute nach Alendorf kommt, der kann die Wacholdermännchen immer noch sehen, wie sie um das Dorf herumstehen und auf den Matthes warten. Sie lassen sich nicht belehren daß der Matthes,
längst selig gestorben, neben seiner starken Bäb auf dem Friedhof ausruht und vom Himmel aus auf sein geliebtes Alendorf im Kranze der wartenden Wacholder sieht, lächelnd und befreit von aller Angst, weil er die Wahrheit der Worte des Herrn an den reuigen Sünder erfahren hat: „Dir sind deine Sünden vergeben.“