Die Geschichte der Kirchdauner Kirchturmsuhr

Ein Stück Kulturgeschichte erhalten und für die Bevölkerung wieder sichtbar gemacht – Heimatgeschichte bleibt lebendig

Andreas Schmickler

Wenn wir uns heute die Kirchdauner Kirche ansehen, können wir weder eine Uhr noch einen richtigen Turm erkennen. Das war nicht immer so. Auf alten Fotos und auf der Zeichnung, die vor dem Abriss der Kirche 1908 durch Architekt Caspar Clemens Pickel angefertigt wurde, ist eine Uhr in einem Turm zu sehen.1)

Zum ersten Mal hören wir in der Kirchdauner Chronik von Edmund Steffens von der Uhr, als es um die Kosten für das Aufziehen derselben geht. Die Aufgabe des Aufziehens hatte 1872 der im Staatsdienst stehende Lehrer André, der neben dieser Aufgabe auch noch Küster, Vorbeter, Glöckner, Organist, Leichenbeschauer und eben auch Uhraufzieher war. Die Kosten für das Aufziehen der Uhr beliefen sich zu dieser Zeit jährlich auf 24 Mark.

Ab dann stand die Uhr still – für die nächsten 131 Jahre

1880 sorgte ein neues Gesetz dafür, dass nun diese kirchlichen Dienste von der Lehrerstelle getrennt wurden. Die Kosten für das Aufziehen der Uhr hätte nun durch Kirchenumlagen gedeckt werden müssen. Demzufolge ließ man das tägliche Aufziehen der Uhr ab 1883 ruhen, anscheinend verursachte es der Kirche zu hohe Nebenkosten. Die beiden Gewichte (Uhrsteine), die an Seilen befestigt über Walzen für den Antrieb des Werks gesorgt hatten, wurden umgehend in die Friedhofsmauer in der Nähe des Kirchturms verbaut.2) Somit stand die Uhr von diesem Zeitpunkt an still, und das für die nächsten 131 Jahre.

Wie lange sich die Uhr schon in dem Turm befunden hatte, konnte noch nicht genau ermittelt werden. Auf dem Gestell gibt es keinen Hinweis auf den Hersteller und das Jahr. Vergleiche mit anderen Uhren dieser Art ergaben jedoch, dass diese Uhr etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden sein muss, obwohl sie noch Stilelemente des 17. Jahrhunderts aufweist, wie die eingerollten Fialen. Sie hatte von Anfang an eine Ankerhemmung und wurde nicht von einer älteren Spindelhemmung auf diese genauere Gangart mit Pendel umgebaut. Diese Technik mit Pendel war um 1656 durch den holländischen Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens entdeckt worden. In den Jahrzehnten danach wurden daher die meisten älteren Turmuhren von der ungenauen Spindelhemmung auf den Pendelbetrieb umgerüstet.3) Trotz der genaueren Gangart durch das Pendel erhielt unsere Uhr nur ein Stunden- und ein Schlagwerk, die Minuten wurden also nicht angezeigt. Für die damaligen dörflichen Verhältnisse war das sicherlich auch ausreichend. Zur Kontrolle und zur Korrektur der Zeit gab es meist an den Kirchen eine Sonnenuhr, die wir jedoch für Kirchdaun nicht nachweisen können. Es ist also anzunehmen, dass die Uhr nach dem ersten Neubau des Kirchenschiffs 1748 unter Pfarrer Claudiani in den Turm gekommen ist. Somit begann zu dieser Zeit die Taktung des Landmanns in Kirchdaun, der bis dahin vom Lauf der Sonne und dem Hahnenschrei als Zeitmesser abhängig war.

Für Gläubige aus Kirchdaun und Gimmigen

180 Jahre später, 1908, kam es zu einem erneuten Neubau des Kirchenschiffs. Die alte Pfarrkirche war für die vielen Gläubigen aus Kirchdaun und Gimmigen zu klein geworden. Der Turm und das Chor wurden damals durch den Landeskonservator als besonders wertvoll eingestuft und blieben erstmal gegen den Willen der Gemeinde erhalten, die lieber einen kompletten Neubau gesehen hätte.4) Schon 1910, also zwei Jahre später, wurde der ca. 800 Jahre alte Turm für baufällig erklärt und zum Abriss freigegeben. Noch im selben Jahr entfernte man die Glocken aus dem Turm und hängte sie auf der Nordseite der Kirche in einen provisorischen Glockenstuhl. Der Abriss erfolgte aber erst 1921.

Der Wiederaufbau des Turms kam durch die Inflation ins Stocken und wurde schließlich auf halber Höhe 1926 fertiggestellt.5) Dieser Umstand trug zum unverwechselbaren Charakter unserer Kirche bei. Auch die Uhr wurde vor dem Abriss entfernt und kam 1926 in die damals neu gebaute „Kubachs-Scheune“ in der Kirchstraße (heute Spielplatz).6)

In den folgenden Jahren kam die Uhr in die Schmiede „Krahforst“ in der Brunnenstraße, wo sie dann unverändert verblieb. Etwa 1969 wurde sie von einem Sammler aus Heimersheim (man nannte solche Leute im Dorf „Altröüsche“), mit einem Kleinlaster abgeholt und vom Speicher der Schmiede verladen. Diesen Moment hatte ich als sechsjähriger Junge auf der Brunnenstraße beobachten können. Erst viele Jahre später erfuhr ich beim Besuch eines Uhrenmuseums, um welchen Gegenstand es sich damals wohl gehandelt hatte. Im Glauben, dass die Uhr verloren sei, machte ich mir keine weiteren Gedanken.

Die Kirchdauner Kirche vor dem Abriss des Schiffes im Jahr 1908 und des romanischen Turms im Jahr 1921

2009 schließlich, traf ich in Kirchdaun auf dem Weg zum Briefkasten vor dem ehemaligen Pfarrhaus den Restaurator Bernd Retterath aus Heppingen, der nebenbei erzählte, dass er die Kirchdauner Kirchturmsuhr in Heimersheim gesehen hätte.

Wenige Tage später konnte die Uhr an Ort und Stelle besichtigt, fotografiert und begutachtet werden. Aber war es wirklich die vermisste Kirchdauner Kirchturmsuhr?

Durch den Vergleich von Ziffern und Zeiger mit der Uhr auf den alten Fotos konnte eindeutig festgestellt werden, dass es sich wirklich um die Kirchdauner Uhr handelte. Die Denkmalpflege in Mainz wurde umgehend über die Wiederentdeckung der Uhr informiert und es wurde Kontakt mit Fachleuten für Turmuhren aufgenommen. Da die Eigentümerin bereit war, das Uhrwerk zu veräußern, musste nun Geld gesammelt werden. 2014 war es dann endlich soweit und die Uhr konnte dank der Spenden nach 45 Jahren nach Kirchdaun zurückkehren. Im Besonderen ist hier der Kirchdaunerin Gerlanda Mindt geb. Schmickler (gest. 2020) zu danken, die durch ihre moralische wie finanzielle Unterstützung die Rückführung maßgeblich ermöglicht hat.

Da kaum Teile fehlten, gab ich mich gleich an die Restaurierung der Uhr. Das aus Eisen geschmiedete Uhrwerk wurde zerlegt, gereinigt, geölt und anschließend wieder zusammengebaut. Die fehlenden Gewichte mussten genau wie die fehlenden Seile ersetzt werden. Das Ermitteln der Gewichte erforderte Zeit und Experimente. Außerdem musste eine neue Pendelscheibe aus Messing angefertigt werden. Eine kleine Glocke wurde an der Seite angebracht, um das Schlagwerk simulieren zu können.

Die Technik: Walzenräder, 24 Wicklungen, 10 Meter Seil

Die Uhrmacher mussten auch Schmiede sein, um eine solche Uhr herstellen zu können. So wurden die Eisenbänder, die Rohlinge der Zahnräder vom Uhrmacher geschmiedet, die Zähne anschließend mit der Hand gesägt und gefeilt. Die Spuren der Handarbeit sind noch gut zu erkennen.

Angetrieben wird die Uhr durch Gewichte über die Walzenräder, auf denen die Seile gewickelt sind (24 Wicklungen für 24 Stunden). Die Länge des Seils (10 Meter) bestimmte die Laufzeit der Uhr. Bei entsprechender Höhe des Turms hingen die Seile mit den Gewichten einfach hinunter. Die Uhr selbst befand sich meist in einem Kasten. Über das Getriebe mit verschiedenen Zahnrädern wird die Energie auf das Hemmungsrad geleitet und gebremst. Das Pendel bestimmt die Geschwindigkeit und gibt über die Hemmung einen Zahn frei. Schließlich wird die Energie über eine Stange durch die Wand an den Zeiger weitergegeben. Das Schlagwerk wird jede Stunde durch einen Hebel ausgelöst. Nach vielen Versuchen und Arbeitsstunden gelang es schließlich, das Werk wieder zum Laufen zu bringen – 131 Jahre nachdem die Gewichte entfernt worden waren und die Uhr stillgelegt wurde.

Am 7. Dezember 2014 erfolgte nach der Hl. Messe unter dem damals zuständigen Pfarrer Ritterath die feierliche Übergabe der Uhr an die Pfarrgemeinde. Sie wurde den Kirchenbesuchern vorgestellt und vorgeführt. Anschließend fand die Uhr Aufstellung in der Taufkapelle, dem alten Chor, wo sie bis heute steht und vom Autor dieses Beitrags betreut wird.

Das rekonstruierte funktionslose Ziffernblatt mit einem Durchmesser von 120 cm wurde neben der Uhr aufgehangen. Die 12 römischen Ziffern wurden goldfarben gestrichen und der Zeiger vergoldet. Farbreste ermöglichten eine Rekonstruktion derselben. Ursprünglich wurde der Zeiger mit einer Welle durch die Wand des alten Turms angetrieben.

Die meisten der 12 Ziffern waren stark korrodiert, aber noch als Originale vorhanden. Die Ziffern I, IIII, V, und VII mussten aus Blech nachgeschnitten werden.

Die Gesamtkosten für Ankauf, Gestell, Kleinteile und Plexiglashaube betrugen 3.300 Euro, die durch die Spenden beglichen werden konnten. Das Abwickeln der Spenden hatte dankenswerterweise 2014 der Förderverein für Archäologie, Kunst und Museumskultur Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V. (ARKUM) unter dem Vorsitz von Eva Maria Kreuter übernommen. Die Restaurierung erfolgte durch den Autor kostenfrei. Der Pfarrgemeinde entstanden durch die Wiederbeschaffung der Uhr keine Kosten.

Das aus Messing gefertigt Hemmungsrad mit der Ankerhemmung, die vom Pendel bewegt wird

Somit konnte ein Stück Kulturgeschichte Kirchdauns erhalten und für die Bevölkerung wieder sichtbar gemacht werden. So bleibt Heimatgeschichte lebendig.

Anmerkungen:

  • Clemen, Paul: Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler, Band II, S. 336 (Die Originalzeichnungen und Fotos befinden sich im Landesamt für Denkmalpflege in Mainz)
  • Steffen Edmund: Beiträge zur 0rts- und Pfarrgeschichte von Kirchdaun, S. 191-192
  • Dransfeld Klaus: Die älteste Uhr im Thurgau – von 1536, Zur Geschichte der Turmuhren
  • Schulchronik Kirchdaun, S. 15-16
  • Schulchronik Kirchdaun, S. 134
  • Aussage Gerlanda Mindt (* 1921 / † 2020)