DIE FRESKEN DER NAZARENER
Ihre Konservierung ein Gebot der Stunde — Zwei der Wandbilder von Franz Stiewi gebettet — Was hat zu ihrer Gefährdung geführt? — Der Zyklus der vier nazarenischen Maler ein Signum der letzten Jahrhundertmitte — Das Pilgerheiligtum von St. Apollinaris „auf dem Berg“ bei Remagen
EINE STUDIE VON HARRY LERCH
Jahr um Jahr ziehen die Pilger den Berg hinan. Sie müssen nicht auf den Kalender sehen — wie Zugvogelunruhe erregt es sie leise Wochen zuvor, wenn die Apollinarisoktav naht. Dann rüsten sie zum Pilgergang. Wie das Korn im Sommer dem Schnitt entgegenreift, hat die Apollinarisoktav ihren Ort im Jahreskranz. Nach Altväterbrauch brechen noch heute Wallfahrer zu weitem Fußweg auf, denn es drängt sie zum Berg, es drängt sie, betend und gehend ihn zu erreichen, der viele Heilsamkeiten den Seelen bereithält.
Es drängt sie zum Berg, aber die Pilger haben auch gespürt in diesen Jahren, daß der Berg sie ruft, weil diesmal e r ihrer bedarf. Wenn Jahrhunderte lang die Herzen Gnade und Aufrichtung von einem Wallfahrtsberg empfangen haben — weshalb sollte nicht auch einmal er der Menschen bedürfen?
Der Berg ruft ….
Es geschieht leicht, daß ein Bauwerk gefährdet ist, wenn viele Jahrhunderte lang der Flugsand der Zeit es anweht, aber dieses Bauwerk steht ja erst ein Jahrhundert. Von dem Kölner Dombaumeister Zwirner auf Stiftung und Geheiß der Freiherren von Fürstenberg-Stammheim errichtet, wurde es 1857 geweiht. Es war früher vollendet, aber die Kirche auf dem legendenumhauchten Berg des St. Apollinaris sollte einen besonderen Schmuck haben. Franz Egon Freiherr von Fürstenberg war ein Freund der nazarenischen Künstler, und ihnen wollte er das Werk der Ausschmückung anvertrauen.
Der Plan war früh gefaßt. Vier Jünger des großen Meisters Wilhelm von Schadow, der dem Kreis der Lukasbrüder entstammte und der nazarenischen Kunst geistigen Gehalt und Formgesinnung gegeben hat, sollten das Werk erfüllen:
Ernst Deger, Franz Ittenbach und Carl und Andreas Müller. Sie malten nach einem langen römischen Studium italienischer Fresken den großen Zyklus der Wandbilder in 70 Gemälden mit 580 Figuren. Sie haben ein Jahrzehnt daran gearbeitet. 1843 begannen sie, den Anfang machten der aus Ahrweiler stammende Andreas Müller mit der „Bischofsweihe des hl. Apollinaris“ und Ernst Deger mit der „Kreuzigung“.
Sie malten, so darf gesagt werden, aus einem Geiste, aus dem Geiste einer Frömmigkeit, die sich an den Meistern der italienischen Frührenaissance herangebildet und entzündet hatte. Insbesondere der im fünfzehnten Jahrhundert malende Klosterbruder Fra An- ‚ gelico gab ihnen die Bildgedanken der Komposition und die verinnerlichte Frömmigkeit, die Göttliches und das Märtyrerleben in Bild und Farbe ausbreiten will. 1857 war das Werk dieses großen malerischen Zyklus beendet, in dem jedes Bild ein nächstes vorbereitet. Das Werk fand Aufsehen und Bewunderung, der Stifter war’s zufrieden und berief in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm IV. am 27. März 1857 den Franziskanerorden, Kloster und Bergeskirche zu betreuen. Als ein Gesamtkunstwerk von Architektur und Malerei galt die Kirche damals wie ‚heute. „Der Berg“, wie die Pilger ihn heißen, wurde zu einem der Mittelpunkte religiösen Lebens in rheinischen Landen. Die stille, leuchtende malerische Schönheit der Wandbilder gab ihm noch Bedeutung zu der Bedeutung, die er schon besaß durch die Legende. Denn damals hielt das Schiff Reinald von Dassels mit den Gebeinen des Apollinaris mitten im Rhein auf dem Wege von Mailand nach Köln, als das Schiff, das nicht fortzubewegen war, aus eigenem Willen seinen Bug langsam zum Berg wendete …. Hier wollten die Gebeine ruhen, hier blieb später das Haupt des Apollinaris in der silbernen Büste, das die Beter tief und fromm verehren ….
Es nähere sich der Wanderer der alten Römerstadt Remagen rheinabwärts oder dem Strom entgegen — immer werden ihm zuerst gewahr die nadelfeinen Türme von St. Apollinaris über dem Berg. Ihr Zierat strebt in die Helle, die feinen Turmspitzen krönen den Berg und den zierlichen Bau. Wer hier eintritt, ist umfangen von einer sanftsinnigen, in sich ruhenden Schönheit großer Wandbilder, die das Leben Mariae, das Opfermysterium Christi und die christlichen Wahrheiten und Würden mit dem Tod des frühchristlichen Bischofs St. Apollinaris preisen. Keine Farbe könnte schön genug, keine Fläche groß genug sein, dies hochgesonnen zu verherrlichen.
Im Anschauen dieser Wandbilder sind den Wallfahrern fromme Gedanken ins Gemüt gekommen, seit Pilger zum Berge gehen. Aber früher mischte sich für die Ordensleitung und für die Freunde der Kunst Sorge darein, denn die Fresken hielten den Jahrzehnten nicht stand. Schäden im Malgrund waren schon nach fünfzig Jahren whrzunehmen, und in kleinen Aufträgen suchten Restauratoren auszubessern, was abzublättern drohte, statt den Malgrund zu untersuchen und auf den Grund und Untergrund im wörtlichen Sinne zu blicken.
Es mag vor hundertundzehn Jahren den vier Malern ein Genuß des Beginnens gewesen sein, diese weißen Flächen des Mauerwerks vor sich zu sehen und sie nun mit Leben zu füllen. Rühmenswert ist das Studium der Freskotechnik, das unsere Meister in einem langen römischen Aufenthalt getrieben hatten, um sich für das große Werk vorzubereiten. Allein es muß ernsthaft die Frage gestellt werden, ob die Wandbilder der Apollinariskirche echte Fresken sind in jener Manier, wie sie Giotto und Leonardo da Vinci, Fra Angelico da Fiesole und Pinturicchio, Tiepolo und Tizian, Raffael und Michelangelo gemalt haben. Das muß mit Recht bezweifelt werden. Es ist indessen auch nicht mißzuverstehen, weshalb wir uns in dieser Studie den Fresken von St. Apollinaris widmen, wie es die Zeitungen des Ahrkreises oft schon getan haben in Sorge um den kunstgeschichtlichen Bestand.
Wer einer Sache auf den Grund gehen will, muß sich vor der historischen Wahrheit nicht fürchten, sollte sie sich auch als beklagenswert erweisen. Wir können es uns nicht anders vorstellen, als daß die vier nazarenischen Maler, als sie in Rom jedes erreichbare Buch über Freskotechnik und Wandmalerei studierten, Übersetzungsfehlern zum Opfer gefallen sind. Das sei in Achtung vor ihrem Werk gesagt, allein nur so ist es zu verstehen, daß die Farbflächen früh abzublättern begannen, während der Reichtum und die Bind’ekra’ft des Malgrundes von Fresken aus der Frührenaissance und Renaissance kaum getrübt sind — auch nicht die auf Schloß Stolzenfels, die zur gleichen Zeit entstanden.
Noch weniger — auch dies ist vorauszusagen — leitet uns eine „Kunstkriminalistik“, wenn über den technischen Fundus dieser vier nazarenischen Maler gesprochen werden muß. Allein, um in des Wortes wahrer Bedeutung auf den Grund zu kommen, wes’halb diese Wandbilder so früh gefährdet sind, daß sie in großen Flächen abblätterten und wie Schutt auf den Fliesen des Kirchenschiffes lagen — aus diesem Grunde muß von technischen Irrtümern, von zutageliegenden irrigen Voraussetzungen geredet werden, die das Werk der Nazarener nach einem halben Jahrhundert schon in ihrer Festigkeit in Frage gestellt haben.
Die Gefährdung der Wandbilder des Apollinarisberges ist eine ernste Tatsache, und sie fordert weiterhin zum Aufruf, für sie Sorge zu tragen, nachdem zwei der Wandbilder gerettet sind von dem Maler und Konservator Franz Stiewi aus Aachen.
Da ist ein Name genannt, der mit den Wandbildern des Apollinarisberges für immer verbunden ist wie mit den Fresken Alfred R e t h e l s in Aachen.
Wir müssen den Apollinarisberg für einen Augenblick verlassen in dieser Studie. Vergegenwärtigen wir uns eine Szene: das Jahr 1945 in Aachen. In der alten Kaiserstadt sind die bedeutendsten Fresken des neunzehnten Jahrhunderts, die Fresken von Alfred Ret’hel im Kaisersaal. Sie waren zur guten Hälfte zerstört. Aachen hatte vom allen Städten die erste Besatzung, und in einer so turbulenten Zeit dachte kaum einer an die kunstgeschichtlich bedeutsamen Freskodokumente, als es galt, für Brot und Brand zu sorgen, um das Leben hinüberzuretten.
Es dachte kaum einer daran, daß über den Fresken Rethels das Dach fehlte, daß die Mauern zersplittert waren und vollends einzustürzen drohten in Frost und Schnee. Da besann sich der aus der Gefangenschaft heimkehrende Aachener Maler und Konservator Franz Stiewi auf diesen großen Zyklus der Kulturgeschichte. Und als er das Gebäude betrat, sah er den traurigen Zustand der Zerstörung. Da gab er sich selbst jenen abendländischenAuftrag, diese Wandbilder zu retten. Wenn in Zukunft von der eineinhalbtausendjährigen Kultur der Karlsstadt gesprochen wird und von den Fresken Alfred Rethels, ist der Name von Franz Stiewi darin eingebunden, weil ohne seine zugreifende und bewahrende Hand sie einfach nicht mehr existierten.
Sie hingen zum Kriegsende zersplittert in Schutt und Staub, und oft mußte der Konservator Franz Stiewi sein Malgerät und technisches Werkzeug morgens vom Schnee befreien, als er das fast hoffnungslose Werk begann — ohne Auftrag als dem eigenen und dem Aufruf des Gewissens folgend. Es soll nicht übersehen sein, was es einem Maler bedeutet, für diese und die vielen folgenden gleichartigen Aufträge das eigene Werk gleichsam aufzugeben und kaum noch Zeit zu rinden für Landschaften und Bildnisse. Freilich, welche große Aufgabe tauschte er dafür ein, welche Verantwortung, welchen Auftrag!
DIE FRESKEN DER NAZARENER IN GEFAHR
Bild Seite 37:
Die Kirche St. Apollinaris auf dem Berg über Remagen
Bild Seite 39:
Eine Szene von bewegter Kraft. Der Grad der Zerstörung ist auf dieser Geißelung deutlich sichtbar. Die Flächen sind — wie es in diesem Beitrag angedeutet ist — bereits angeschnitten. Sie werden etwa quadratmetergroß von der Putzschicht „abgerollt“, damit diese vor hundert Jahren offensichtlich mißverstanden ausgeführte dritte Putzschicht erneuert werden kann. Dann werden diese Wandbilder Halt haben und haften, so daß ihr Bestand gesichert ist.
Kunstdruckbeilage Seite 40:
Drei Studien von der „Kreuzigung“, dem größten der nazarenischen Wandbilder. Die Spuren der stofflichen Auflösung sind zu sehen neben dem Kopf des Schachers, am Gewand der beweinenden Frau (links) und am Haar der Beweinenden (rechts).
Bild Seite 42 u. 43:
Ein Detail von der Erweckung der Stadthaltertochter durch St. Apollinaris. Links der Zustand dieses zerstörten Korbes, daneben das eingetönte und in der Substanz an den Putzgrund gebundene Detail, das in der Bildszene rechts zu Füßen der Knieenden sichtbar ist.
Bild Seite 47:
Die Kreuzigung, die die monumentale Ordnung des Wandbildes erkennen läßt.
Bild Seite 48:
Franz Stiewi, der Konservator der Wandbilder von St. Apollinaris, auf dem Gerüst vor einem Detail der „Kreuzigung“.
Eines Tages erging, nachdem die Presse und die Ordensleitung lange genug auf den beklagenswerten Zustand der nazarenischen Wandbilder des Apollinarisberges von Remagen gewiesen hatten, der Ruf an Franz Stiewi. Die Familie von Fürstenberg-Stammheim, das Land Rheinland-Pfalz, der Kreis Ahrweiler, die Stadt Remagen, die Ordenleitung und die Pilgerschaft des Apollinarisberges hatten Mittel aufgebracht, um das erste Bild zu retten. Der Maler und Konservator Franz Stiewi besichtigte und prüfte tagelang sorgenvoll die Wandbilder, und in einem Gutachten legte er die brüchige Situation dar. Sie war besorgniserregend, aber noch war alles zu retten.
Im rechten Seitenschiff begann Franz Stiewi sein Werk, das erste Wandbild zu konservieren. Das schlanke Gerüst wurde am Bild „Die Erweckung der Stadthaltertochter durch Apollinaris“ hochgerichtet. An diesen Bildern war schon vor fünfzig Jahren nach den Ursachen der beginnenden Zerstörung gesucht worden.
In seiner 1935 erschienenen Doktorarbeit berichtet P. Angelico Koller S.C.J.: „Andreas Müller malte den Tod und die Verklärung des Apollinaris auf die Ostwand des Hauses. Er wollte die beiden allegorischen Figuren der Justitia und Prudentia darüber noch anbringen, wurde jedoch durch den frühen, feuchten Herbst gehindert.“ Dieser Hinweis auf die Feuchtigkeit über dem Rhein hat oft zu Überlegungen geführt, nachteilige klimatische Bedingungen hätten den Grad der Zerstörung herbeigeführt. Nichts davon — es sind andere, vom Stofflichen wie Mauerwerk u.nd Putz, Malgrund und Körnung des Sandes herrührende nachteilige Bedingungen, die die Wandmalereien unhaltbar gemacht haben.
In dieser Dissertation des P. Angelico Koller wird berichtet von eingelegten Massen von Sägespänen, von Temperalasuren — also Übermalungen mit stofflich anderen Farben, als es Freskofarben sind —, es wird gesprochen von früheren Zweifeln an der rechten Mischung der Putzmasse auf dem Malgrund. P. Angelico belegt es aus den Niederschriften des führenden Kopfes der vier Maler. Bald, sehr bald müssen Andreas Müller Zweifel gekommen sein, ob sie technisch auf dem richtigen Wege waren. Malgrund und Putzmasse sind neben dem künstlerischen Entwurf und seinem geistigen Inbild ebenso wichtig, weil mit ihnen jede Freskoarbeit steht — u n d „f ä l l t“. Ist der Malgrund nicht technisch einwandfrei und nicht in den Putzuntergrund fest genug eingesogen, fallen die dünnen Farbaufträge von der Wand.
Was ist Fresko und wie wird es gearbeitet? Auf das Mauerwerk werden nacheinander drei Putzschichten aufgetragen, das heißt mit der Kelle beworfen und mit dem Holz geglättet. Das ist eine Maurerarbeit, die nicht „mit der linken“ Hand, also ohne Sorgfalt getan werden darf. Der Maler, der ein Fresko beginnt, hat es zuvor im gleichen Maßstab auf dem Karton gezeichnet und reißt zunächst die Umrisse der Figuren in großer Kurvigkeit auf der dritten, zuoberst liegenden Putzschicht an. Dann beginnt er schnell das Bild auf den Grund zu malen. Unerläßlich ist dabei, von der rechten Beschaffenheit dieser dritten Putzschicht zu wissen und vor allem von dem Grad ihres Feuchtigkeitsgehaltes. Das ist, mit der zeichnerischen und malerischen Meisterschaft, unerläßlich für das Gelingen eines Fresko.
Wir werden m dieser Studie von solchen Bedingungen zu reden haben. Es sei vorangestellt, daß technische Unstimmigkeiten von einem anderen ungünstigen Geschehen beeinflußt wurden: von einer starken Überhitzung der Kirche während des Winters, als die Arbeiten der vier Maler ruhten und trocknen sollten. Diese unsachgemäße Überhitzung, die wahrscheinlich in Abwesenheit der Maler geschah, und die mangelnde Entlüftung im oberen Kirchenraum haben den Bestand und die Haltbarkeit dieser Wandbilder früh gefährdet und ein Jahrhundert lang benachteiligt. Dies alles führte herbei, daß sie früh Schäden zeigten und die Schichten abblätterten, sich lösten und — um ein Bild zu gebrauchen — locker wurden, wie sich eine unsachgemäß angebrachte Tapete nach Jahreslauf ablöst.
Wir sprechen von dem Maler und Konservator Franz Stiewi. Er ist Konservator, um keinen Preis jedoch Restaurator. Was heißt das? Konservieren heißt r e t t e n , b i n d e n , b e w a h r e n. Der Konservator will den gegenwärtigen Zustand eines Wandbildes, sei es selbst schadhaft, r e 11 e n. Dabei bleibt es unbeschadet, ob sich schon Haarsprünge zeigen oder geringe ‚Schäden — sie sind so natürlich wie die Runen des Alters. Der Restaurator dagegen macht trügerisch „auf neu“, er bessert aus, er malt wieder so zurecht, als sei es eben erst entstanden. Dabei mischt er freilich seine fremde Handschrift darein, das Ganze wird unecht und ist nicht mehr das originale Bild des Meisters, der es einst gemalt hat. Das hieße, übertrieben gesagt, in der Sixtinischen Kapelle an den Fresken Michelangelos die feinen, durch die Oberflächenspannung entstandenen Sprünge zu übermalen, damit Michelangelo „wie neu“ aussieht. Dabei sind diese haardünnen, aufgerissenen Sprünge der Farbschicht so natürlich, wie man sie auf den Glasuren von Krügen und Vasen sieht. Es sind Erscheinungen wie die Runen in einem alten Gesicht, und wir wissen ja von den Gesichtern ergrauter Eifelbauern und Eifelbäuerinnen, wie schön das Alter sein kann.
Nichts davon, nichts von künstlichen Übermalungen beim Konservieren! Der Konservator leistet kein Flickwerk, er pinselt nicht zu, um es grob zu sagen, er legt keine neue Farbe auf, um das vor der Zeit brüchig Gewordene wie neu zu machen. Der Konservator tönt höchstens ein, läßt sogar die Spuren und Grenzen der Zerstörung stehen und sichtbar bleiben, packt aber das Übel vom Grund her an. Und wie sehr kommt es beim abblätternden Zustand der Remagener Fresken darauf an!
Mit dem Putzuntergrund mußte es nach den niedergeschriebenen sorgenvollen ‚Selbstgesprächen Andreas Müllers eine Bewandtnis haben. Wir gestehen, allein aus kunstgeschichtlicher Kenntnis nicht damit weitergekommen zu sein ohne zwei Abendgespräche mit dem Konservator Franz Stiewi und noch weniger ohne eine interessante Stunde auf dem Gerüst, als er Pater Donulus O.F.M. vom Apollinarisberg und dem Verfasser dieser Studie Einblick in die konservierende Technik gab, die den Atem anhalten läßt, wie gefahrvoll und genial zugleich das Retten der Wandbilder sich vollzieht.
Franz Stiewi sagt: „Der gegenwärtige Grad der Zerstörung ist beängstigend, und die Befürchtungen des Gutachtens erweisen sich als begründet. Nur ein grundlegendes Konservieren kann uns diese Fresken erhalten. Der Schaden liegt nicht einmal so sehr an der Malerei — wenn auch hier fremde Farbeinmischungen die Schichten unhaltbar werden ließen. Stärker noch sind die Wandbilder gefährdet von der obersten, zuletzt aufgetragenen Putzschicht. Die Sägespäne, von denen Andreas Müller in den Aufzeichnungen spricht, ‚haben nicht festigend gewirkt. Es war früher üblich, in den letzten Putzgrund ein Gewebe von Kuhhaar zu legen, um die Schichten ans Mauerwerk zu binden. Es war ebenso möglich, Häcksel einzubinden. Stattdessen wurde in die oberste Putzschicht, auf die dann der Malgrund kommt, Sagemehl eingebunden. Die Farbschichten fallen heute, weil sie keine Bindung zu dieser Putzschicht haben. Sie wurde nicht tief in den Putz eingezogen, wodurch sie hätte haften müssen. Die Sägemehlschicht wirkte wie ein Löschblatt. Sie saugte die Feuchtigkeit weg. Die Farben wurden auf der Oberfläche trocken, statt vorzudringen ins nasse Putzwerk.“ Dadurch bekamen sie eine ungünstige Oberflächenspannung, die sie nicht zusammenhält wie an einem Netz, sondern die Schicht bricht und bröckelt ab.
„Für die Übermalungen“, so sagt der Konservator, „also zum Beispiel für Gewandschraffuren, wurden leider stofflich andersartige Farben gewählt. Temperafarben aber verlangen für ihre Beimischungen einen anderen Putzuntergrund. Die Lasuren kamen wie fremde Aufstriche darauf, statt eingebunden zu sein, sie haften also garnicht, und gerade sie haben nicht standgehalten und die loslösenden, isolierenden ‚Flächenspannungen herbeigeführt.“
Wir erinnern den Konservator daran, daß wir solche Schraffuren bei den Renaissancemalern Giulio Romano, Daniele da Voltera und Ghirlandajo, aber auch von Rethel kennen. „Ja“, antwortet er, „bei ihnen sind sie eine Minderung der Plastik der Gestalten, denn Rethel zum Beispiel bemerkte plötzlich, daß er zu körperlich gemalt hatte. Da legte er Schraffuren darüber, um es zu mildern, aber — das ist wichtig — es geschah während des Malens und es waren d i e g l e i c h e n Farben, stofflich und in der Mischung also dieselben wie die Freskofarben.“
Im übrigen ist bei den nazarenischen Fresken der Apollinariskirche nicht in den nassen Putz gemalt worden, wobei sich eine bindende festigende Schicht von Kalksinther gebildet hätte. Das hätte die Farbe tief in die Putzschicht gebunden. ‚Sie bekam im Gegenteil eine zu hohe Spannung als hauchdünne, für sich liegende Oberfläche und konnte ihr nic’nt standhalten.
Die technischen Begründungen und Analysen Franz Stiewis und unsere Betrachtungen geschehen, um es noch einmal zu bekräftigen, sine ira et Studio, „ohne Zorn und Eifer“ also. Sie sind insbesondere für den Konservator notwendig, um die Gefahr von Grund auf für die Zukunft zu bannen. Der ‚Fehler lag damals ja zum Teil auch darin, daß die Putzschichten mit Filz statt mit Holz geglättet wurden! Der aufgepreßte Filz saugte die fürs Binden der Farbe notwendige Feuchtigkeit weg, während die mit Holz an den Malgrund hervorgeriebene Feuchtigkeitsschicht die Farbe sofort an sich gebunden und tief in ‚den Putzgrund gesogen hätte. Dann wäre die Farbe ein Teil der Putzschichten geworden, statt hauchdünn und kaum ans Mauerwerk gebunden zu sein. Denn sonst hätte sich, um es mit anderen Worten zu sagen, eine „Sinterhaut“ gebildet, eine opalisierende Schicht im Kalkputz, die die Farbe für immer festigt und hält. Gerade die dritte Putzschicht auf dem Mauerwerk, die dann die Farbe aufnimmt, darf nicht „aufgestrichen“, sie muß vielmehr mit der Kelle beworfen werden. In diese wird dann die verhältnismäßig trockene Farbe hineingemalt. Das gibt ein inniges Vermengen und Haften.
Oft und oft haben wir diese Wandbilder betrachtet und die Schäden zu ergründen versucht. Dabei fiel uns eines auf: die Schichten lösen sich am leichtesten an den großen Flächen der Figuren: am Gewand einer Gestalt, am lang berabfließenlien offenen Haar der Beweinenden in der „Kreuzigung“ zum Beispiel, bei Christi Geburt an den Gewändern der Hirten. Die Gesichter hingegen, das Inkarnat der Hände, und alle wesentlichen und koscbaren Details sind fester und besser ans Mauerwerk gebunden, sie splittern also nicht ab. Der Schluß liegt nahe, daß die vier Maler die Details sehr sorgsam gemalt haben, daß aber in den großen ‚Flächen entweder der Farbauftrag nicht sachgemäß gemischt war oder Gehilfen zweiter Hand die Fehler verursacht haben.
Was geschieht hier? Wie werden diese Wandbilder konserviert und für immer haltbar gemacht? Der Leser mag sich gewundert haben, weshalb wir aus den Erklärungen und Untersuchungen des Konservators so ausführlich von der dritten, obersten, die Farbe aufnehmenden Putzschicht gesprochen haben. Der Konservator Stiewi erneuert sie und schafft hundert Jahre danach den richtigen Untergrund. Wie aber? Ist darauf nicht die dünne und abbröckelnde Farbschicht?
Nun muß von der atemberaubenden Technik geredet werden, mit der dies geschieht. Der Konservator rollt das Bild a b. Das ist unvorstellbar, da es doch schon abblättert, ohne daß eine Hand daran rührt! Flächen von einem Quadratmeter löst er ab, die zuvor auf Leinwand haftend gemacht wurden. Die Farbschichten sind kaum 1 mm stark, so daß man — im Spiegelbild, wie auf der Rückseite einer dünnen, mürbe gewordenen Tapete — jetzt zum Beispiel eine Gestalt seitenverkehrt sieht. Das sagt sich so hin. Es kann nicht ohne Beängstigung betrachtet werden, da die gefährdeten Wandbilder eigentlich ja bald nichts anderes geblieben wären als „eine Handvoll bunter Staub“.
Nun, da die hauchdünnen Farbschichten abgenommen sind — es schwindelt einen, wenn man sie abgelöst sieht von der Wand, so zerstäubend brüchig ist ihre Substanz — jetzt ist die dritte Putzschicht frei. Sie wird jetzterneuert. Es kann nun das werkgerecht getan werden, was damals, als die Nazarener daran arbeiteten, von einer unkundigen Hand versäumt wurde. Wer weiß, vielleicht waren ihre Gehilfen lässig — es ist müßig, das zu untersuchen, und Zweifel hat Andreas Müller ja früh geäußert.
Fresko ist ein Teil der Architektur, und diese Fresken— wie wir sie mit Vorbehalt nennen wollen — werden nun wieder haften, sie werden Teil und Bestandteil des Mauerwerks und — so gesichert — die Jahrhunderte Bestand haben, die ihnen von Ursprung her zugedacht sind. Bis jetzt sind nur zwei gerettet, und es wird mancher Aufwendungen noch bedürfen, um alle diese großflächigen Wandbilder zu konservieren. Das aber kann nur geschehen, wie der Konservator es gefahrvoll tut. Die beiden unteren Putzschichten bleiben auf dem Mauerwerk haften, er löst die da-
mals als dritte geschaffene ab, die die Wandbilder zu tragen hat, und erneuert sie. Daß sie die rechte stoffliche Mischung von Sand, Wasser und Kalk hat, ist seine hohe Verantwortung. Ist diese dritte Putzschicht eingedrungen und hat sie den rechten Feuchtigkeitsgehalt, daß die dann wieder daraufgelegten Wandbilder sich innig mit ihr vermengen für Jahrhunderte
— dann ist das große Werk endgültig gesichert. Viele Verzweiflungen können einen Konservator befallen, wenn er sieht, wie brüchig diese Wandbilder geworden sind und wie zerreißbar ihr stofflicher Zusammenhalt — das Kühnste bedeutet es, ihre Rettung zu wagen und gelingen zu lassen.
Sie sind eine der großen Überlieferungen nazarenischer Kunst, den Pilgern bedeuten sie Vertrautes, vor dessen schöngetönter Buntheit sie als Kinder schon verwundert gestanden haben.
Es ist müßig zu fragen, ob dieser Zyklus der vier nazarenischen Maler unserer Jahrhundertmitte und ihrem Geschmack „liegt“.
Die sanfte Gewalt voin Gestalten und Geschehen, die Legendenfülle von Szenen und Leitmotiven der Zyklen in Gewändebögen, in Umrahmungen und in jeder Predella, das große Szenarium von nahezu sechshundert Figuren, in denen die Maler selbst, die Stifterfamilie und Zeitgenossen abgebildet sind — diese Fülle ist in eine erhabene Reihung und Ordnung gebracht. Die koloristische, aufs Schöne gestimmte Vordergründigkeit der großen Gewandflächen ist den naivischen Augen und Sinnen stets tief ins Herz gegangen. Freilich, es weht nicht der große Atem der Ottonischen Buchmalerei aus ihnen noch die Bildgewalt romanischer und gotischer Fresken — es ist eine seelenvolle, aus nazarenischem Geiste geborene, innige Frömmigkeit darin, eine geistesgeschichtlich und religiös idealisch aufrichtige, wohlmeinende, fromm durchdrungene Malerei, die denen ans Herz gewachsen ist, die je betroffen und prüfend, suchend und beschenkt davor gestanden haben. Die Wandbilder von St. Apollinaris auf dem Berg sind die Summe eines suchenden Jahrhunderts, das neue Werte zu gewinnen hoffte. Sie sind die Verinnerlichung voin Religion und Kunst, wie sie jenes Jahrhundert zu finden willens war.
Sie sind nun vor dem Verfall bewahrt. Dessen ist nicht ohne des Konservators zu gedenken, der die Fresken Alfred Ret’hels und diese Apollinarisfresken an die Zukunft überliefert. Er legte den Dietershei-mer Passionszyklus an der Nahe frei, er konservierte romanische Wandmalereien in Nideggen in der Eifel wie in ‚Klein-St. Martin zu Düsseldorf, wo er unter vielen Übermalungen späterer Jahrhunderte eine kostbare Mariae Krönung entdeckte und freilegte, und in Xanten konservierte er den Nikolausaltar.
Es ist kein Wunder — Franz Stiewi ist Meisterschüler von Hans Stuck und studierte bei M. Dornen, der die Freskotechnik aller Jahrhunderte beherrscht. Was freilich Franz Stiewi an die Fresken geführt hat, ist ein inneres Gespür für ihre großen Bildordnungen und für ihre zerbrechliche stoffliche Substanz. So ist ihm auch die Erhaltung der St. Apollinarisbilder von Remagen auf dem Berg zu danken. Die Pilger danken es ihm, die Ordensleitung der Franziskaner, die Kunstfreunde und die vielen Stillen im Lande, denen der Berg über dem Rheinstrom teuer ist.
Konservator Franz Stiewi
Alle Aufnahmen von Willy Stang, Remagen.