Die fränkische Martinskirche und die Siegburger Propstei auf dem Apollinarisberg bei Remagen
Klaus Flink
In der Gründungsurkunde der Siegburger Prostei auf dem heutigen Apollinarisberg berichtet Erzbischof Friedrich von Köln, daß im Jahre 1110 die Einwohner von Remagen beschlossen hätten, den Berg mit der sehr alten Martinskirche (beati Martini ecclesia antiquissima) bei Remagen, der mit allem Zubehör gemeinsamer Besitz aller Armen und Reichen in Remagen sei, dem Erzbischof zur Gründung eines Klosters zu übergeben. Mit diesem Auftrag hätten die Remagener eine Abordnung von zwölf ihrer angesehensten Mitbürger zu ihm gesandt, und er habe sich darauf mit ihnen nach Siegburg zum Abt des dortigen Klosters begeben. Dieser habe sich auf seine Bitte hin bereit erklärt, Mönche seines Klosters nach Remagen zur Gründung eines Mönchkonvents zu entsenden. Daraufhin sei er (der Erzbischof) dann in Begleitung des Siegburger Abtes und der Abordnung der zwölf vornehmen Remagener nach Rom gereist und habe dort von Papst Paschalis die Pfarrechte für den Remagener Mönchskonvent erlangt. Nach ihrer Rückkehr sei der Berg gerodet worden, und man habe mit dem Bau des neuen Klosters gleich neben der alten Martinskirche begonnen. Die Einwohner von Remagen aber hätten Ihnen versprochen, sich zwei Jahre lang selbst um den Bau des Klosters zu kümmern und die erforderlichen Arbeitskräfte zu bezahlen.
Die Martinskirche auf dem Apollinarisberg um 1838
Repro: Kreisbildstelle
Bei der Weihe der Krypta im Jahre 1117 schließlich seien dem neugegründeten Kloster von den Remagenern ein großer Bauernhof, eine Mühle, ein geschlossenes Waldstück, vier Weinberge und drei größere Ackerstücke geschenkt worden.
Diese bedeutsame Urkunde, deren Inhalt bis auf die Bemerkung über die Verleihung der Pfarrechte an den Mönchskonvent echt ist, enthält das älteste Zeugnis für die Existenz der Martinskirche, die 1110 bereits als sehr alt bezeichnet wird.
Das Martinspatrozinium und die Lage der Kirche oberhalb eines fränkischen Gräberfeldes mit christlichen Grabinschriften aus dem 5. und 6. Jahrhundert erlauben die Annahme, daß die Martinskirche die Grabkirche der fränkischen Eroberer war. Dabei ist bemerkenswert, daß die Gräber zwar inmitten einer römischen Begräbnisstätte mit einem Mithrasheiligtum angelegt, die Martinskirche aber offenbar bewußt ca. 250 m oberhalb dieser ehemaligen Kultstätte errichtet worden ist.
Das Pätrozinium des hl. Martin, des Patrons der Ftenken, ist grundsätzlich in Orten mit König- bzw. Reichsgut anzutreffen. Remagen wir, Mittelpunkt eines fränkischen Fiskalbezirkes im Lande Ribuarien, der sich entlang des Rheins von Rolandswerth bis Breisig erstreckte.
Die Pfarrkirche von Remagen war und blieb aber die in der Westecke des Römerkastells, im Schütze der erhalten gebliebenen Kastellmauern, auf künstlich aufgetragenem und planiertem Boden errichteten Kirche Peter und Paul. Das Patronzinium der Apostel Petrus und Paulus ist für innerhalb ehemaliger Römerkastelle gelegene Urpfarrkirchen genauso typisch, wie das des hl. Martin für Kirchen auf Reichsgut. Die Martinskirche war mit Sicherheit jünger als die Pfarrkirche Peter und Paul, deren Filiale sie immer gewesen ist.
Dieser Dualismus der Kirchen ist zugleich Ausdruck des topographischen Nebeneinander der in unmittelbarer Nähe des Kastells verbliebenen gallorömischen Bevölkerung und der weiter landeinwärts, z. B. in der Flur hinter Hausen, in Einzelgehöften angesiedelten fränkischen Krieger (vgl. hierzu RIGOMAGUS 2).
Die erwähnte Urkunde aus den Jahren um 1117 zeigt, daß dieser gallorömisch-fränkische Dualismus zu dieser Zeit längst überwunden war. Der Berg, auf dem die uralte Martinskirche steht, gehörte allen Remagener Einwohnern, Reichen wie Armen, gemeinsam. Er war Gemeindeeigentum.
Daß dieser Berg nach dem Bau der Martinskirche offenbar seinen alten Namen verloren hat (und nun Martinsberg genannt wurde), ist ein weiterer Beweis für das hohe Alter der Martinskirche.
Die bei dieser Kirche um 1117 errichtete Siegburger Propste! erfuhr einen raschen Aufschwung. Im 13. Jahrhundert wurde die alte Martinskirche durch einen Neubau ersetzt. Nachdem die Propste! 1350 Reliquien des hl. Apollinaris erhielt, wurde der Berg fortan (erstmals 1405) Apollinarisberg genannt und das Martinspatrozinium durch das des hl. Apollinaris verdrängt.
Nach der Aufhebung der Propste! im Jahre 1801 gelangten die Kirche und die Klostergebäude in den Besitz des Reichsgrafen Franz Egon von Fürstenberg-Stammheim. Er ließ den inzwischen weitgehend verfallenen gotischen Kirchbau 1838 abreißen und im folgenden Jahr den Grundstein zum Neubau der heutigen Apollinariskirche nach den Plänen des Kölner Dombaumeisters Zwirner legen. In den folgenden Jahren entstand dieser Bau, der 1857 mit der feierlichen Rückführung (aus der Pfarrkirche) der Reliquien des hl. Apollinaris eingeweiht wurde.
Rund 600 Jahre nach der Verdrängung des Martinspatroziniums wird nunmehr bewußt die Tradition dieses Patroziniums erneut aufgenommen. Remagen hat seit 1973 wieder eine Filialkirche St. Martin.