Die evangelische Erlöserkirche in Adenau von Franz Schwechten (1913/14)
Die evangelische Erlöserkirche in Adenau von Franz Schwechten (1913/14)
Christiane Hicking
Der als Sohn eines Landgerichtsrats 1841 in Köln geborene Franz Schwechten arbeitete nach seinem Abitur zunächst ein Jahr bei Stadtbaumeister Julius Raschdorff bei Renovierungsarbeiten an romanischen Kirchen mit, bevor er 1861 das Studium der Architektur an der Berliner Bauakademie aufnahm. 1868 legte er sein Baumeisterexamen ab, erhielt den Schinkel-preisfürseinen Entwurf zum Parlamentsgebäude für Preußen und trat seine erste Studienreise nach Italien an. Sein Interesse galt vor allem den Werken der Antike, dem Spätmittelalter und der Frührenaissance. Mit der Anstellung als Chefarchitekt bei der Berlin-Anhaltischen Eisenbahngesellschaft 1871 wandte sich Schwechten den modernen technischen Bauaufgaben zu. „Das Empfangsgebäude des Anhalter Bahnhofs, sein erstes Hauptwerk (entworfen 1871-78), errang sofort die Anerkennung und Achtung der Fachkollegen.“ Auch als Selbständiger (seit 1882) machte Schwechten von sich als durchaus modernem Architekten Reden. 1886/87 entstand auf dem „komplizierten“, spitzwinkligen Eckgrundstück das Industriegebäude Beuthstraße mit variablem Grundrißsystem, „das zuvor im Berliner Geschäftshausbau weitgehend unbekannt war“. Mit dem Haus Potsdam (1910-12) für die Bankfür Grundbesitz und Handel „knüpfte er nochmals an die Modernität seines frühen Industriegebäudes in der Beuthstraße an. In Zusammenarbeit mit dem IngenieurO. Leitholf entwickelte er wiederum eine tragende Eisenkonstruktion, die verschieden hohe und weite Räume – Cafe, Lichtbildtheater, Geschäftsräume und Restaurants -überspannen konnte.“ Bei der Innenausstattung folgte er dem Jugendstil.
Diese herausragenden Beispiele aus dem umfangreichen Schaffen des bis zu seinem Tode 1924 vielbeschäftigten Architekten beweisen, daß Schwechten die modernen Bauaufgaben seiner Zeit beherrschte. Trotzdem war er höchst umstritten. Seine anfängliche Vorliebe für romanische Formen bei Kirchbauten traf sich mit dem Interesse Kaiser Wilhelm II. und dessen künstlerichem Berater Ernst von Mirbach.
Seit seinem ersten Kirchenbau, der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (1890-95), war er neben seinem Kollegen Max Spitta (gest. 1902) zum Lieblings- oder „Leibarchitekten“ des Kaisers avanciert.
Die Erlöserkirche in Adenau, um 1914
Grundriß der Erlöserkirche Adenau.
Nun ist zwar der Auftrag zur Adenauer Erlöserkirche an Schwechten auf Vermittlung Freiherrn von Mirbachs zustande gekommen, doch hatte das Kaiserhaus auf den Bau selbst nur einen verschwindend geringen Einfluß, der sich an einzelnen Ausstattungsstücken, wie dem Portal mit bronzegetriebenem Kreuz (einer Schenkung der Kaiserin), den Glocken und einigen Fensterwappen ausdrückte.
Bereits einen Monat nach Amtsantritt suchte der junge Pfarrer Lic.theol.Graf von Korff im Januar 1911 den Oberkirchenrat und Freiherrn von Mirbach in Berlin auf, um für einen Kirchenbau in Adenau zu werben. In der Kirchenchronik heißt es dazu lapidar: „Beide versprachen helfen zu wollen“. Offensichtlich konnte das Projekt aber nur auf eigene Initiative in die Wege geleitet werden. So lernte der Pfarrer bei der Grundsteinlegung der Geroisteiner Erlöserkirche am Himmelfahrtstag 1911 Schwechten kennen. „Durch Fürsprache des anwesenden Frhr. v. Mirbach gelang es, ihn für den Adenauer Kirchbau zu gewinnen. Am 23. September besuchte Geh. Rat Schwechten Adenau. In einer Sitzung des Presbyteriums wurden alle Wünschen vorgebracht, die Baustelle wurde eingehend besichtigt und der Architekt, hocherfreut über die reizvolle Lage, versprach demnächst den Plan auszuführen.“
Einen Monat später lagen bereits die Pläne für den Bauantrag vor. Aus vorwiegend finanziellen Gründen verzögerte sich der Baubeginn bis 1913.
Baubeschreibung
Den Kern des Grundrisses bildet ein Rechteck, das mit einer halbrunden Apsis nach Norden abschließt. Durch die Abfolge verschiedener Raumteile entlang der Ostseite wird die Axialität der Anlage aufgelöst. Über die rechtwinkelig angelegte Treppenflucht betritt der Besucher die als Windfang dienende quadratische Vorhalle, der nach Norden ein seitenschiffähnlicher Arkadengang zum Emporenaufgang folgt. Die Mauern des Treppenhauses greifen in den Chorraum ein. Konstruktives Gleichgewicht wird auf der nordwestlichen Seite durch die Stütze an der Kanzel und die Sakristei gescharfen. Im Aufriß wird der asymmetrische Bau durch das steile Krüppelwalmdach über dem tonnengewölbten Saal und den sich frei über der Vorhalle erhebenden Glockenturm definiert. Sakristei und Empore werden unter Schleppdächern in das Steildach einbezogen. Ein gestauchtes Kegeldach markiert die Apsis. Das mittelalterlich wirkende Portal hebt sich mit seiner Verblendung aus Ettringer Tuff gegen den weißen Putz ab. Bei der Differenzierung der Raumglieder durch verschiedene schlichte Fensterformen fällt dem eigentlichen Kirchenraum eine besondere Betonung zu. Während bei den beiden gestelzten Bogenfenstern des Chores, die das Licht auf den Altar konzentrieren, und dem Rosettenfenster auf der Südwand romanische Vorbilder anklingen, stellen die Rundfenster über den kräftig gegliederten zweiteiligen Rechteckfenstern ein so stark verkürztes Stilzitat dar, daß der Rückgriff auf eine bestimmte neuzeitliche Epoche kaum nachvollziehbar ist. Die großzügige Lichtführung unterstützt die klare Gliederung des tonnengewölbten Gemeinderaumes, in den der um zwei Stufen erhöhte Chor mit Kanzel und Taufstein eingreift. Diese Integration hatte Schwechten in anderen Bauten nicht vorgenommen. Hier trägt er der Forderung Rechnung, der protestantischen Kirche den Charakter eines Versammlungsraumes zu verleihen. Von diesem Zentralgedanken deutlich ausgegrenzt wird der östliche Seitentrakt durch die niedrige Arkadenstellung auf gestauchter Sandsteinsäule mit byzantinisierendem Kapitell im Erdgeschoß und den schmalen, gestelzten Bögen auf der Empore. Diese „Seitenschiffloggia“ war wahrscheinlich als Ehrenloge gedacht.
Bewertung des Baus
Nun istdie Erlöserkirche nicht wie die Marienkapelle von besonderer künstlerischer Bedeutung. Als eines von zahlreichen Beispielen vertritt sie eine kurze Stilphase, dem sog. Heimatstil, im Übergang vom Historismus zur Moderne. Mit der Besinnung auf Bodenständigkeit, Schlichtheit, der malerischen Anordnung der Gebäudeteile, „unter Vermeidung strenger Axialität“ wurde die monumentale Wirkung gemindert. Auf dem 2. Evangelischen Kirchenbaukongreß 1906 in Dresden hatte man sich gegen die „Stilimitation“ oder „Neostile“ ausgesprochen. Erst zwei Jahre später wurde das Eisenacher Regulativ von 1861, das für den evangelischen Kirchenbaudiegotische, romanische oder altchristliche Basilika empfahl, 1908 aufgehoben.
Aber die Erlöserkirche ist insofern spektakulär, als Schwechten hier eine Kirche ausführen konnte, die weder dem Geschmack des Kaiserhauses unterworfen war, noch einem der von ihm bisher verwendeten historischen Stile folgt. Bei derAdenauer Erlöserkirche richtete ersieh ganz nach den Erfordernissen der Gemeinde. So hatte das Presbyterium einen „einfachen, schlichten Neubau“ gefordert, der noch nach Einreichung des Bauantrags durch einen Gemeinderaum im Keller eine soziologische Komponente erhielt.
Verhältnismäßig neu – vor allem unter Berücksichtigung, daß die Baupläne bereits 1911 vorlagen – ist, daß Schwechten das Seitenschiff zu einem Durchgang reduziert hat. Diese Grundrißlösung stellte eine Tendenz dar, die sich erst bei Bauten ab 1910 durchsetzte. Ebenso typisch für neue Proportionen, obwohl schon für den evangelischen Kirchenbau früher (1892) propagiert, ist das sich dem Quadrat annähernde Rechteck mit halbkreisförmiger Apsis.
Mit der Erprobung und Anwendung neuer Raumformen und Proportionen ging auch, wenngleich in der Kirchenbaukunst nur zögernd, die Verwendung neuer Baustoffe einher. So wurden hier „zur Versteifung der durch Fensteröffnungen und Bogenstellungen durchbrochenen Wände des Kirchenschiffes“ Eisenträger verankert. Die Statik war von dem am Potsdamer Haus beteiligten Ingenieur Leitholf berechnet worden.
Eine weitere technische und räumliche Besonderheit stellte die Verankerung der Orgel an einer Langseite des Gemeinderaumes in einer sog. Orgelkammer dar. Sie ist ein „frühes Beispiel für die Unterbringung des Werkes in einem gemauerten Raum“.
Daß Schwechten den modernen Tendenzen und „dem Jugendstil näher als der Architekturauffassung jener historischen Epochen“ stand, klingt auch stellenweise in der Innenausstattung an. Darüberhinaus hat er noch 1916 eine Kirche, wahrscheinlich für Bad Neuenahr, im strengen Jugendstil entworfen.
Die Erlöserkirche und auch die Marienkapelle in Adenau, die im Heimatjahrbuch 1995 beschrieben wurde, stellen heute gut erhaltene und seltene Beispiele für Gesamtkunstwerke dar, die durch Restaurierung in ihrem Bestand fast vollständig gesichert sind. So oblagen Pickel (Marienkapelle) und Schwechten (Erlöserkirche) nicht nur Entwurf und Ausführung der Bauten, sondern auch weitestgehend die Planung der Innenausstattung. Weiterhin ist beiden Kirchenausführungen gemeinsam, daß aufgrund der geringen finanziellen Mittel zunächst der Wunsch der Bauherren bestand, vorhandene ältere Ausstattungsstücke in die Neubauten zu überführen. Nicht zuletzt die Begeisterung für die Projekte konnte Kirchengemeinden und ausführende Handwerker oder Künstler dazu veranlassen, durch künstlerische Kompromisse oder gar Honorarverzicht eine vollständige, neue Ausstattung zu verwirklichen.
Anmerkung:
Auf Anmerkungen wird im vorliegenden Aufsatz verzichtet. Eine Ausführung mit ausführlichen Belegen befindet sich im Kreisarchiv Ahrweiler.