DIE ERSTEN SPUREN DES CHRISTENTUMS
AN DER AHR
VON PROF. MATTHIAS WAGNER
Im Dom zu Fulda ist das Grab des hl. Bonifatius, des Apostels der Deutschen, der am 5. Juni 754 auf einer Missionsreise zu den Friesen erschlagen wurde. Die großartige Gedenkfeier des Jahres 1954 in Fulda erweckte in mir von neuem den Gedanken, wer wohl der erste christliche Glaubensbote der Ahrgegend sei. Bekannt ist die Wirksamkeit der Glaubensboten in anderen Gegenden des Rheinlandes: Disibodus wirkte an der Nahe, Goar am Rhein und Kastor in Karden an der Mosel. Die einschlägige Literatur, besonders die beiden Abhandlungen über „Die Anfänge des Christentums im Rheinlande“ von W. Neuß und H. Friedrich konnten mir keine Auskunft geben; sie befassen sich vornehmlich mit den ersten Kirchen- und Pfarreigründungen, wobei freilich nicht verschwiegen wird, daß oft von der Gründung einer Christengemeinde bis zur Erbauung einer Kirche und Bildung einer Pfarrei Jahrhunderte verflossen sein mögen. Die Uranfänge des Christentums sind mit den Worten Christi selbst gekennzeichnet: „Denn wo zween oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matth. Evang. Kap. 18, Vers 20).
Eine einfache Überlegung macht uns klar, daß die ersten Christen bis zum Jahre 313 n. Chr. ein öffentliches Auftreten nicht wagen konnten; in diesem Jahre erließ Kaiser Konstantin d. Gr. das Mailänder Edikt, das allen Untertanen des römischen Reiches volle Religionsfreiheit gewährte. Bis dahin sahen sich die christlichen Gemeinden wegen der Verfolgungen besonders unter Nero und Diokletian gezwungen, ihre Zusammenkünfte im Dunkel der Nacht und in unterirdischen Gewölben (‚Katakomben) abzuhalten. Aber auch nach dem Jahre 313 war die Gefahr keineswegs vorüber, wie der Rückschlag unter Julian dem Abtrünnigen (361—363) beweist. Erst Kaiser Theodosius d. Gr. (379—395) hat im Jahre 392 endgültig dem Christentum zum Siege verhelfen, indem er die heidnischen Opfer und jegliche heidnische Kulthandlung unter die Strafe des Majestätsverbrechens stellte. Allein, gerade zu dieser Zeit drangen die Franken von Norden her in unsere Gegend ein und vertrieben die römische Besatzung. Für das junge Christentum war es kein großer Gewinn, denn die Franken waren ja auch noch Heiden, aber sie waren nach dem übereinstimmenden Urteil der Geschichtsforscher gegenüber der vorgefundenen Kultur und Religion tolerant. Bald darauf folgten die Hunnen unter Attila; sie wurden 451 von Aetius, dem letzten Verteidiger des weströmischen Reiches, mit Hilfe der Germanen auf den Katalaunischen Feldern (bei Chalonssur-Marne) besiegt. Im Jahre 496 empfing der Framkerikönig Chlodwig I. mit 3000 seiner Untertanen die hl. Taufe, „ein Zeichen“, so schreibt Marx in seiner Geschichte der Pfarreien der Diözese Trier 12, 78, „daß das Frankenvolk für die Aufnahme in die Kirche vorbereitet war“. Aus dieser Darstellung ergibt sich mit Sicherheit, daß bei uns in der rein ländlichen Ahrgegend die Erbauung von Kirchen und Gründung von Pfarreien in den ersten vier Jahrhunderten kaum denkbar ist; dazu kommt noch als Hinderungsgrund die damalige Armut der gewiß noch recht kleinen Christengemeinden.
Die Urkunden, welche sich mit Kirchen und Pfarreien befassen, reichen ;nur bis in die karolingische, selten in die merowingische Zeit zurück; Urkunden betreffend die Christengemeinden sind .m. W. nicht ‚bekannt, was auch leicht erklärlich ist, denn die ersten Christengemeinden hatten ja keinen Besitz. Die erste Nachricht von Christengemeinden in Germanien gibt uns Irenäus, Bischof von Lyon, in seiner Schrift gegen die Gnosis, die gewöhnlich adversus haereses genannt wird; er schreibt um 180—182: „Die in Germanien gegründeten Kirchen glauben und überliefern nichts anderes als die in Spanien, oder bei den Kelten, als die im Oriente oder in Aegypten, die in Libyen oder in der Mitte der Welt.“ Ungefähr zu gleicher Zeit (um 200) schreibt Tertullian, der Begründer der lateinisch-christlichen Literatur, in seiner Schrift wider die Heiden triumphierend: „Wir haben alles das Eurige erfüllt: Städte, Inseln, Kastelle, Munizipien, Marktflecken, selbst die Lager.“ Diese Stelle deutet an, daß man die ersten Ausbreiter des jungen Christentums im römischen Militärstande zu suchen hat. In Übereinstimmung hiermit schreibt der schon oben erwähnte Marx: „Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Kastelle, welche das Land zu römischer Zeit aufwies, in der Zeit der Merowinger Pfarrkirchen auf wiesen, wie es von dem Castro Toleio sicher ist.“ Und Anthes bemerkt im 10. Bericht der römisch-germanischen Kommission 1917, Seite 162, bezüglich der Kastelle an Rhein und Donau, „daß sich in den meisten Kastellen Kirchen von zum Teil sehr alter Gründung befunden haben.“ „Auch das früheste fränkische Christentum“, schreibt H. Friedrich, „wurzelte in den Römersiedlungen, weil sie im frühesten Mittelalter die einzigen waren, die infolge ihrer allen Stürmen trotzenden Umwehrung Fortbestand versprachen.“ Alle diese Äußerungen und mancherlei andere Umstände weisen darauf hin, daß wir die ersten Spuren des Christentums an der Ahr in der „Römerstadt“ Remagen zu suchen haben. Dies bezeugen auch die Verfasser der Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler, Seite 532, wenn sie schreiben: „Das Christentum hat in Remagen wohl schon in römischer Zeit Eingang gefunden.“
Remagen war schon vor dem Erscheinen der Römer am Rhein eine keltische Siedlung, was der keltische Name Ricomagus = Königsfeld beweist; der Name wurde von den Römern übernommen und sowohl durch Ziegelstempel als durch römische Schriftsteller der Nachwelt überliefert. In Remagen stand, wie die dortigen Ausgrabungen erwiesen haben, im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ein Erdkastell, das gegründet war m der Frühzeit des Kaisers Tiberius (14—37 n. Chr.) und wahrscheinlich im Bataveraufstand (69—70 n. Chr.) zerstört wurde. Als Besatzungen für das Kastell Remagen sind die cohors VIII Breucorum und die cohors I Thracum bezeugt. Die Breucer waren ein Volksstamm in Pannonien, dem heutigen Ungarn. Thrazien, die Heimat der thrakischen Soldaten, ist eine nicht fest umrissene Landschaft im Norden von Griechenland. Im mazedonischen Thrazien liegt die Stadt Philippi, gegründet von Philipp III., König von Mazedonien, dem Vater Alexanders des Großen. Und in Philippi hat der hl. Apostel Paulus auf seiner zweiten Missionsreise im Jahre 53 n. Chr. die erste Christengemeinde Europas gegründet. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, daß thrakische Soldaten in Remagen bereits Christen waren und ihre neue Lehre von Remagen aus im Ahrgebiet ausbreiteten. Diese manchen Leser vielleicht sehr kühn anmutende Kombination bedarf noch einiger Stützen.
Die römischen Besatzungstruppen hatten auch in ruhigen Zeiten keineswegs ein geruhsames Leben. Außer dem üblichen Militärdienst: Exerzieren, Gepäckmarsch und Lagerdienst wurden sie zu vielen öffentlichen Arbeiten herangezogen, da einerseits nicht genug Arbeitskräfte im Lande waren und andererseits die Sicherung und Unterhaltung der Truppen fernab von Rom dies erforderte. Sie mußten Militärstraßen und Befestigungen bauen, Sümpfe trocken legen, Kanäle und Wasserleitungen anlegen, sie mußten in Steinbrüchen, Kalkbrennereien, in Ziegeleien und Töpfereien, in Eisenschmelzen und in landwirtschaftlichen Betrieben (Domänen) sowie in Weinbergen arbeiten. Es wäre nun festzustellen, m welchen Orten die Besatzung des Remagener Kastells möglicherweise eingesetzt werden konnte.
Rheinaufwärts sind in Sinzig — der römische Name ist Sentiacum — am Rheinufer große Ziegeleien und Töpfereien aufgedeckt worden. Rheinabwärts liegt Oberwinter; dort hatten die Römer ein Weingut vimtorium, woraus der Name Winter entstanden ist; ferner hatten sie bereits die Basaltsteinbrüche in Betrieb, denn im Jahre 1846 kam bei einem Bergrutsch das Bruchstück eines Altars des Hercules (Saxanus) zu Tage. Zwischen Bandorf und Oberwinter konnte eine römische Siedlung in der Flur Ensfeld nachgewiesen werden. Landeinwärts treffen wir am Scheidskopf auf Kirchdaun, dessen Name dunum ebenfalls keltischen Ursprungs ist. Zwischen Kirchdaun und Nierendorf ist eine Anhöhe auf dem Meßtischblatt Ahrweiler mit Ariet bezeichnet; dort haben die Römer Erz. gegraben, wie der Flurname Argent (von argentum) an der Rischmühle beweist, auch sind noch viele Schürfstellen sowie ein Stollen zu sehen. Ein klarer Beweis für die dortige Tätigkeit der Römer ist die Jupitersäule, deren Sockel in der Kapelle zu Nierendorf als Tauf stein benutzt wurde; er befindet sich heute im Landesmuseum in Trier, eine gute Abbildung ist im Eifelkalender 1955 als Kopfbild zum Monat September. Ahraufwärts war in Bad Neuenahr den Römern die heutige Apollinarisquelle bekannt, die, durch irgendein Naturereignis verschüttet, erst im Jahre 1852 von G. Kreuzberg aus Ahrweiler wieder entdeckt wurde; die in der Tiefe des Brunnens damals gefundenen Bronzenbein und Spangen sind der 1. Hälfte ‚des 1. Jahrhunderts zuzurechnen, römische und keltische Altertümer wurden 1872 in der Nähe des Brunnens in einer Tiefe von ca. 5 m ausgegraben, nachdem man schon früher in derselben Tiefe ganze Reihen regelmäßig gepflanzter Weinstöcke bloßgelegt hatte. Hier stand also offenbar eine römische, vielleicht sogar keltische Siedlung. Im Ortsteil Wadenheim wurden Flurnamen enträtselt, die auf die Tätigkeit römischer Soldaten aus Rumänien, Albanien und Ungarn schließen lassen, vermutlich in Eisenschmelzen; sichere Bodenfunde liegen nicht vor. In Ahrweiler, dem alten Wilre, wurde am Bahnhof das Bad einer Römervilla freigelegt; der Name Weiler wird von vielen Altertumsforschern auf das spätlateinische villare = Niederlassung, Siedlung, zurückgeführt. Auch an einigen anderen Stellen sind Römerspuren, Fundamente und Wasserleitungen zu Tage getreten, ohne daß bisher ein Arbeitsfeld der Römer ermittelt werden konnte. Man muß also wohl annehmen, daß die Römer bereits in unserer „Rotweinstadt“ in der Hauptsache Weinbau betrieben haben. Diese Annahme findet eine gewisse Bestätigung in dem häufigen Vorkommen der Flurbezeichnung „plenzer“ (spr. das erste e = ä!). Das Wort kommt ohne Zweifel vom lateinischen plantarium — Pflanzgarten für Weinreben. Dieser vielsagende Flurname findet sich in Bachern, Ahrweiler, Walporzheim, in Heimersheim und Dernau. In Dernau wurden im Jahre 1885 in einer solchen Flur beim Ausschachten des Kellers für den dortigen Winzerverein die Reste einer Römervilla, hauptsächlich Baderäume freigelegt. Die Zeitbestimmung der Siedlung war ermöglicht durch Bruchstücke von zwei Grabsteinen; sie wurde von Sachkennern ins Ende des 1. bzw. an den Anfang des 2. Jahrhunderts gesetzt. Bei Erweiterung des Kellers im Jahre 1934 wurde ein Eisenschmelzofen mit vollständiger Füllung zerstört. Eine Römervilla mit Weinberg und Eiscnschmelze ist wohl als größerer Betrieb anzusehen, dessen Bewirtschaftung viele Arbeitskräfte erforderte, zumal die Rohstoffe, Erz und Holzkohle, auf den nördlich gelegenen Anhöhen bei den heutigen Orten Esch und Holzweiler gewonnen werden mußten. Holzweiler — wieder ein Weilerort wie Ahrweiler — dürfte wohl darauf seinen Namen und Ursprung zurückführen können. Beim Abbruch der alten Pfarrkirche von Holzweiler im Jahre 1898 sollen römische Funde gemacht worden sein; sie sind aber, ebenso wie der diesbezügliche Bericht des Provinzialkonservators, nicht mehr aufzufinden. Es darf mithin angenommen werden, daß m Dernau und Holzweiler um die Wende des 1. Jahrhunderts bereits römische Soldaten beschäftigt waren, und die gleichzeitige Anwesenheit der Thraker in Remagen hat mir den ersten Anstoß zu meiner obigen Kombination gegeben.
Nachdem ich die Ortschaften des Kreises Ahrweiler, wo triftige Anhaltspunkte für die Tätigkeit der römischen Soldaten vorliegen, aufgeführt habe, soweit sie mir bekannt sind, will ich jetzt versuchen, die Patrozinien der Pfarrkirchen anzusprechen, ob sie uns einen Hinweis auf das Alter geben können. Zuvor jedoch ein Wort allgemeiner Art über Patrozinien. Das Patrozinium einer Kirche kann uns nur mit etlicher Sicherheit den „terminus, ante quem non“, d. h. den Zeitpunkt, vor dem sie nicht erbaut wurde, angeben, nämlich nicht vor Eebzeiten des betreffenden Heiligen. Da die Patrozinien sehr häufig gewechselt und durch die Erbauer oder Besitzer der Kirchen beeinflußt worden sind, so ist es doch möglich, daß eine Kirche oder Christengemeinde früher bestanden hat, als die Eebenszeit ihres jetzigen Schutzpatrons andeutet. Also Vorsicht, Vorsicht, der Boden schwankt! — Die Zahl der Pfarreien des Kreises Ahrweiler beträgt z. Zt. etwa 57; von diesen haben mindestens 27 Pfarreien einen Heiligen (meist Märtyrer) der Frühzeit zum Schutzpatron, was doch bestimmt kein Zufall, vielmehr ein Anzeichen ist, daß das Christentum sehr früh im Kreise Ahrweiler Wurzeln geschlagen hat. Nun die einzelnen Orte! Die Pfarrkirche von Remagen ist die einzige Pfarrkirche des Kreises, die das Patrozinium der beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus aüfweist. Ist das nicht auffallend? Sinzig gehörte ohne Zweifel in alter Zeit zur weit ausgedehnten Pfarrei Remagen, die Schutzpatrone der Pfarrkirche sind die Apostel Petrus und Matthias, ebenso hat die Pfarrei Westum das Patrozinium St. Petri. Der Einfluß Sinzigs macht sich bis Kesseling, das im Sinziger Gebiet lag, bemerkbar. Im Jahre 762 unterstellte Pippin die von ihm zum Kloster erhobene „eella Casloaca“ der Abtei Prüm. Die Kirche der Cella wird in einer Urkunde vom Jahre 772 bereits „basilica sancti Petri“ genannt; heute hat die Pfarrkirche Kesseling die Patrone Petrus und Maternus. Oberwinter hat das Patrozinium St. Laurentii; der hl. Laurentius war Offizier der kaiserlichen Leibwache; er erlitt den Martertod im Jahre 258. In Nierendorf, das zeitweise Pfarrei war und heute zu Leimersdorf gehört, finden wir wiederum das Patrozinium St. Petri; der Pfarrort Leimersdorf hat als Schutzpatron den Erzmärtyrer der christlichen Kirche, den hl. Stephanus. Die alte Pfarrkirche von (Wadenheim) Bad Neuenahr hat das Patrozinium St. Willibrordus; auf der vielbeachteten und guterhaltenen Weiheinschrift vom Jahre 990 sind jedoch folgende Heiligen erwähnt: Erzmärtyrer Stephanus, Papst Cornelius, Marcellus, die Märtyrer Apollonaris und Mauritius und der Bekenner Willibrord. Allem Anschein nach war der erste Schutzpatron der Pfarrei Wadenheim der hl. Stephanus, was auf ein sehr hohes Alter unserer Christengemeinde hinweisen dürfte; St. Mauritius ist auch der Kirchenpatron der Nachbarpfarrei Heimersheim, er war Oberst der thebäischen Legion und erlitt den Martertod im Jahre 286. In Ahrweiler werden als Schutzpatrone verehrt die Heiligen Laurentius und Severinus; zu Laurentius siehe oben bei Oberwinter, Severinus starb im Jahre 482. Die Pfarrkirche in Dernau hat das Patrozinium des hl. Johannes ante portam latinam, d. h. des Evangelisten Johannes. Sehr beachtenswert ist noch die Lage der Kirche in Dernau in allernächster Nähe der aufgedeckten Ruinen der Römervilla. Der Volksmund will uns nun belehren, daß die Pfarrei Holzweiler einstmals die Orte Dernau, Rech, Mayschoß und Altenahr umfaßte und sich nach Süden bis Staffel bei Kesseling ausdehnte, während nach Norden ein weiterer Bereich über Vettelhoven hinaus nicht bekannt ist; tatsächlich ist Holzweiler die Mutterpfarre von Dernau gewesen, ihr Patrozinium: hhl. Martinus und Maternus weist auf die Organisationstätigkeit im Bistum Trier hin. — Die Pa-trozinien in ihrer Gesamtheit, m Verbindung gebracht mit den Ergebnissen der archäologischen und Heimatforschung, zeigen uns mit ziemlicher Deutlichkeit, daß das junge Christentum von Remagen in das Ahrgebiet ausgestrahlt ist; eine berufenere Feder als die meinige kann vielleicht manches verwerfen, wird aber sicher noch viel Neues in dieser Richtung zu Tage fördern. Immerhin scheinen sich nach diesen Ausführungen, in Übereinstimmung mit altüberlieferter Volksmeinung, als Ur-Pfarreien herauszuheben: Remagen, Kirchdaun (Nierendorf), Holzweiler (Dernau) und vielleicht noch Wadenheim.
Zum Schlüsse sei mir noch ein Blick auf das religiöse Leben der Römer in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung gestattet. Die Römer waren im allgemeinen gegen die fremden Religionen sehr tolerant, so daß sich in ihren Tempeln die Götterbilder vieler Völker ein Stelldichein gaben — nur das Christentum war als Staatsfeind Nr. l hiervon ausgenommen. Unter den fremden Kulten nahm der Kult des persischen Lichtgottes Mithras, der mit dem Sonnengott Sol teils gleichgestellt, teils in innige Beziehung gebracht wurde, eine bevorzugte Stelle ein. Die Mithraslehre wurde von den römischen Kaisern mit Nachdruck gefördert und war hauptsächlich eine Soldatenreligion. Sei es nun, daß die Annähme der neuen Religion eine Rückkehr zu einer mehr innerlichen und einfacheren Gottesverehrung im Gegensatz zu dem prunkvollen, aber glaubenslosen Gottesdienst in den Tempeln so vieler verschiedener Götter beweist, oder sei es vielmehr, daß der Mithrasdienst einige symbolische und mythische Äußerlichkeiten mit dem Christentum gemeinsam hatte, er eignete sich jedenfalls besonders zum Kampf gegen das verhaßte Christentum. Wenn auch diese Äußerlichkeiten den gänzlich von allem Magismus verschiedenen Kern der Christusreligion nicht im geringsten berührten, so war doch der Mithraskult eine große Gefahr für das junge Christentum, so daß sich die Kirchenväter veranlaßt sahen, die Bekenner des Christentums gerade vor einer Vermischung mit dem Mithraskult ausdrücklich zu warnen. Daß der Mithraskult das aufstrebende Christentum unschädlich machen sollte, erkennt man am deutlichsten daraus, daß der abtrünnige Kaiser Julianus (361—363) seine Anhänglichkeit an das Heidentum gerade durch eifrigen Mithrasdienst bekundete. Wie schon anfangs erwähnt, erreichte unter Kaiser Theodosius (379—395) auch der Mithraskult sein Ende, das Christentum hatte gesiegt.
Auch am Rhein wurde dem Gott Mithras von den Soldaten gehuldigt, wie einige Steindenkmäler bezeugen. In Remagen wurde ein Altar des persischen Lichtgottes gefunden, dessen Inschrift lautet:
DEO S(OLI) I(NVICTO)
M(ARCUS) SUPERIN(IUS)
FELIX
B(ENE)F(ICIARIUS) CO(N)S (ULARIS)
SACRUM PR(AE) TEXTATO CO(NSULE)
„Dem unbesiegbaren Sonnengott weiht der Gefreite Marcus Superinius Felix (diesen Altar) unter dem Konsulat des Praetextatus.“
Das genannte Konsulat ermöglicht die genaue Zeitbestimmung auf das Jahr 242 n. Chr. Zu dieser Zeit stand der Mithraskult in höchster Blüte. Die eingeklammerten Teile der Inschrift sind Ergänzungen. Interessant ist, daß das Wort FELIX mit besonders großen Buchstaben eingemeißelt ist und eine ganze Zeile einnimmt, ferner daß an einigen Stellen Kreuze eingeritzt sind und am Ende der Anfang einer christlichen Grabinschrift „in hunc tumolo“ angefügt ist. (Weitere Angaben in den Bonner Jahrbüchern Nr. 93, Seite 216). Außer diesem Steindenkmal ist im Remagener Museum noch ein Bruchstück eines Mithrasaltars ohne Inschrift vorhanden.
In Bandorf bei Oberwinter wurde im Jahre 1872 ein Mithrasaltar gefunden mit der Inschrift:
DEO
INVICT(O)
REGIPR
OBONp
COMUN(I)
Diese einfach schöne Weiheschrift: „Dem Gotte, dem unbesiegbaren Herrscher, für die öffentliche Wohlfahrt“ erinnert mit großer Bestimmtheit an den Mithrasdienst. Die Buchstaben der Inschrift sind die des 3. und 4. Jahrhunderts n. Chr. (Ausführliche Angaben in den Bonner Jahrb. Nr. 53, Seite 102— 141.)
Das Vorkommen dieser Mithrasaltäre berechtigt uns zu dem Rückschluß, daß bereits im 3. Jahrhundert das Christentum in Remagen und Umgebung kräftig entwickelt war, wodurch unsere obige Annahme, daß das Christentum von Remagen aus ins Ahrgebiet ausgestrahlt sei, eine neue letzte Stütze erhält.
Es hat wohl bei manchem Leser und vielleicht noch mehr bei mancher Leserin Befremden erregt, daß gerade das rauhe Kriegsvolk der römischen Legionen, nämlich die thrakischen Soldaten in Remagen, Überbringer des Chrisentums an die Ahr gewesen sei. Viele Schriftsteller geben der Vermutung Ausdruck, Kaufleute, Sklaven und Soldaten hätten das Christentum in unsere Gegend gebracht. Dieser Annahme kann ich, was Kaufleute und Sklaven betrifft, durchaus nicht beipflichten; denn die Kaufleute waren auf ihrer Durchreise geschäftlich meist nur auf Gelderwerb eingestellt, und die Sklaven hatten in der römischen Gesellschaft keinerlei Einfluß. Jedes Bedenken aber, römische Soldaten als Träger des Christentums anzuerkennen, muß sofort schwinden, wenn man die große Anzahl der christlichen Märtyrer aus den Reihen der römischen Heeresmacht überblickt.
Die Martyrologien der Kirche verzeichnen viele Gruppen von Kriegern — meist ohne Angabe eines Namens —, die den Martertod erlitten haben. Ich erinnere an die vierzig Märtyrer von Sebaste in Kleinarmenien; sie waren Soldaten der 12. Legion, die damals in Armenien stand, und erlitten im Jahre 320 unter dem Kaiser Licinius den Kältetod auf dem Eise eines zugefrorenen Teiches. Ich erinnere an die legenden-umwobene thebäische Legion, benannt nach der ägyptischen Landschaft Thebais, aus der sie sich stets rekrutierte. Eine Legion zählte in ruhigen Zeiten 6000 und in Kriegszeiten etwa 10 000 Mann. Die thebäische Legion gehörte zu den Truppen, die Kaiser Diokletian im Jahre 286 aus dem Morgenlande zur Bekämpfung der aufständischen Bagau’den nach Gallien abgeschickt hatte. Sem Mitkaiser Maximianus gab den Truppen in Octodurum an der Rhone eine Rastzeit, in der den Göttern Opfer dargebracht werden sollten. Der hl. Mauritius war Primicerius, d. h. Führer der Legion; er weigerte sich mit seinen Offizieren und mit der ganzen Legion, an den heidnischen Opfern teilzunehmen. Maximian ließ die Legion, die ihre Waffen freiwillig abgab, niedermetzeln. Wenn auch über den Untergang der thdbäischen Legion ein gewisses Dunkel schwebt, so ist doch an der geschichtlichen Tatsache nicht zu zweifeln. Nun noch einige weitere Beispiele von Offizieren, die für ihren Glauben das Leben dahingaben. Der hl. Donatus war Führer der eben genannten 12. Legion; er wurde im Jahre 178 unter Kaiser Mark Aurel in Rom enthauptet. Der hl. Sebastianus war unter dem Kaiser Diokletian Hauptmann einer Abteilung der prätorianischen Wache, er erlitt den Martertod im Jahre 288. Die beiden Kriegsobersten der sog. herkulischen Schar, der hl. Bonosus und der hl. Maximilianus, sollten auf Befehl des Kaisers Jülianus Apostata (361—363) aus der Hauptkriegsfahne das Kreuz samt dem Namen Jesu, die Konstan-tinus hatte hineinsetzen lassen, entfernen; auf ihre Weigerung hin wurden sie enthauptet. Der hl. Marcellus, Hauptmann in der trajanischen Legion, die im Jähre 298 in Spanien lag, bekannte sich offen vor seinen Soldaten als Christ, um nicht am Götzendienst zur Geburtstagsfeier des Maximianus teilzunehmen; er erlitt den Martertod durch Enthauptung.
Diese wenigen skizzenhaft angeführten Beispiele, die nur einen Bruchteil der Wirklichkeit darstellen, bezeugen bereits, daß kein anderer Stand außer dem Klerus der Kirche samt ihren Laiendienern so hohe BLutopfer für den christlichen Glauben gebracht hat wie der römische Militärstand. Die römischen Soldaten, die das Christentum angenommen hatten, waren nicht nur tüchtige Kämpfer für das römische Weltreich, sondern weit mehr noch mutige und tapfere Streiter Christi.