Die Erlebnisse des Johann Bender von Lantershofen in den Napoleonischen Kriegen
Die Erlebnisse des Johann Bender von Lantershofen in den Napoleonischen Kriegen
Ottmar Prothmann
Im Hause von Robert Bender zu Lantershofen wird ein 150 Jahre altes umfangreiches Manuskript aufbewahrt, das eine besondere Kostbarkeit darstellt. Es sind die Erinnerungen des aus Lantershofen stammenden Johann Bender, der zuerst als Soldat unter Napoleon und später in den Befreiungskriegen unter preußischer Fahne kämpfte.1) Zwar gibt es eine Reihe von inzwischen veröffentlichten Soldatenbriefen aus jener Zeit, aber solche ausführlichen Berichte einfacher Soldaten dürften nur sehr selten erhalten sein. Bender bezeichnet seine Aufzeichnungen korrekt als „Kriegstagebuch und Kriegserinnerungen“, denn sie beruhen auf Tagebuchnotizen, die er drei Jahrzehnte später, angereichert mit seinen Erinnerungen, zu dem vorliegenden Manuskript verarbeitete. Das geschah frühestens im Jahre 1846, denn Bender erwähnt im Text, daß sein Kamerad Schuster 1846 in Dernau verstorben sei. Schon früh fanden diese Erinnerungen, die sich sowohl durch ihre wahrheitsgetreue Einfachheit als auch durch anschauliche Schilderungen von Land und Leute auszeichnen, das Interesse der Öffentlichkeit. Die Ahrweiler Zeitung druckte sie leicht bearbeitet im Jahre 1897 ab,2) als noch viele lebten, die Johann Bender gekannt hatten. Aber auch heute noch sind diese Aufzeichnungen von großem Interesse, erleben wir doch hier große europäische Geschichte aus der Sicht des „kleinen Mannes“.
Kindheit und Jugend
Johann Bender wird am 16. Juli 1791 als viertes Kind von Johann Bender und Anna Maria Fuchs in Lantershofen geboren. Schon der Großvater Peter Bender, der das Amt eines Schöffe ausübt und 1796 im damals hohen Alter von 81 Jahren stirbt, lebt in diesem Dort.3) Drei Jahre ist Johann Bender alt, so berichtet er selbst, als die Franzosen das Land bis zum Rhein besetzen. In den folgenden Jahren erlebt er, wie ein französisches Truppenteil nach dem anderen in Lantershofen einquartiert wird. Die Soldaten werden von den Bewohnern zwangsweise gut bewirtet, wogegen den Bauersleuten manchmal kaum ein Stück trockenes Brot übrigbleibt. Während er selbst also am ärmlichen Leben der Eltern teilnehmen muß, sieht er die Soldaten scheinbar ein schönes Leben führen. Das weckt in ihm schon früh den Wunsch, es ihnen gleich zu tun, ohne freilich zu ahnen, was das Soldatenleben wirklich bedeutet. Schon als junger Mann ist er nach eigenem Bekenntnis ein Sonderling. Von den Eltern streng religiös erzogen, verbringt er mit seinem Freund, der später vom Rußlandfeldzug nicht zurückkehrt (Johann Schumacher4), viele Stunden bei religiösen Übungen. „Auch bei Obliegenheit des Gottesdienstes in Bethstunden blieben wir manchmal in der Kirche, das wirnicht einmal zum Essen nach Hause gingen, bei den öffentlichen Gassenspielen der Knaben mischten wir uns nicht ein, bei Sommerzeit nach dem Gottesdienst gesellten wir uns gewöhnlich zu den Weibern, welche ein Kleines Kapeigen Wallfarthlich besuchten, und wenn diese Pilgertarth zu Ende war, suchte ich mir manchmal einen abgelegenen Ort, wo ich mein Herz vor Gott meinem Schöpfer in der Stille konnte ausgießen.“
Einzug zum Kriegsdienst und Grundausbildung
In jenen Jahren der französischen Besetzung sind Rekrutierungen von jungen Männern an der Tagesordnung, denn die in maßloser Eroberungssucht von Napoleon angezettelten Kriege fordern viele Menschenopfer. Allein die Mairie Gelsdorf mit den Dörfern Eckendorf, Esch, Gelsdorf, Holzweiler und Vettelhoven stellt bis zum Jahre 1811 40 Soldaten.5) Der Tag der Einberufung gilt nicht zu Unrecht als ein Abschied vom Leben; ganz anders jedoch bei Johann Bender, der mit Sehnsucht auf diesen Tag wartet. Sein Wunsch, Soldat zu werden, beschäftigt ihn so sehr, daß er nachts davon träumt und im Traum fremde Städte, Gegenden, ja sogar einzelne Häuser in besonderer Bauart sieht. Als er einmal seinem Herzen Luft macht und den Eltern seinen Wunsch offenbart, tadelt ihn die Mutter sehr, doch sein Entschluß bleibt unumstößlich. Sein Fernweh ist so stark, daß er alle Gedanken an die Gefahren des Soldatenlebens offensichtlich vollständig verdrängt. Endlich im März 1811 erhält er die gewünschte Nachricht. Die Ausgehobenen müssen Lose ziehen, und wer ein niedriges Los zieht, wird eingezogen, wer ein hohes Los zieht, dagegen zurückgestellt. Johann Bender zieht mit der Nummer drei eine ganz niedrige Nummer. „Nun schwamm mein Herz vor Freude“, schreibt er. Kurz danach trifft er einen Klostergeistlichen, dem er von seiner bevorstehenden Einberufung berichtet. Dieser ermahnt ihn, während seines Soldatenlebens nicht den Lockungen der Wollust und Sinnlichkeit nachzugeben, doch da besteht bei ihm noch keine Gefahr, da solche Gefühle ihm „zu jener zeit noch ganz fremdt“ sind. Bei der bald folgenden Musterung antwortet er auf die Frage, ob er irgendwelche körperlichen Fehler habe, er sei fehlerfrei und es würde ihm leid tun, wenn er wegen irendwel-cher Mängel nicht Soldat werden könne. Ein herzhaftes Lachen ist die Reaktion der Untersuchungskommission. Ohne ärztliche Untersuchung wird er für tauglich erklärt. Am 7. April des Jahres 1811 wird er nach Koblenz eingezogen und dem 23. Linien-Regiment zugeteilt. Unter seinen Kameraden sind Peter Joseph Witsch von Wadenheim, Johann Peter Schmilz von Gimmigen und Johann Müller von Gelsdorf. Drei Tage später wird die aus 122 Männern bestehende Einheit mit Musik aus der Stadt Koblenz geführt und tritt ihren Marsch in Richtung Genfan. Das Gepäck wird in Wagen mitge-funrt, so daß der Marsch nach seiner Empfindung ein reines Vergnügen ist. Am Karfreitag treffen sie in Mainz ein. Hier beginnt Bender mit seinen Schilderungen der Sehenswürdigkeiten und seinen Berichten über Land und Leute.
Wißbegierig nimmt er alles Neue in sich auf. Besonders die Kirchen haben es ihm angetan. Nach 36 Tagen erreicht man schließlich das Ziel Genf, wo die Grundausbildung erfolgen soll. Jeder erhält einen französischen Schlafkameraden, damit sie die französische Sprache schneller erlernen. Streng achten die Vorgesetzten darauf, daß die Deutschen sich auch untereinander möglichst nicht in ihrer Muttersprache unterhalten. Auf diese Weise macht das Erlernen der französischen Sprache ebenso gute Fortschritte wie das Exerzieren. Johann Bender wird als Voltigeur ausgebildet, das heißt als Infanterist, derfüreine aufgelockerte Kampfweise bestimmt ist.
Marsch in Richtung Spanien
Am 24. Juni 1811 ist die Ausbildung beendet, und am folgenden Tag marschieren sie ab in Richtung Toulon ans Mittelmeer. Der Marsch geht am Fuß der Alpen vorbei, über Grenoble mit schönen Kirchen, unter denen besonders die reichlich mit weißem Marmor ausgestattete Kartäuserkirche ihn beeindruckt. In Toulon, dem Hauptkriegshafen der Franzosen am Mittelmeer, wird ihnen vorgeführt, wie man mit Deserteuren umgeht. Fast alle desertierten Soldaten aus dem ganzen Reich sind hier zusammengezogen. Es mögen an die 4.000 bis 5.000 Männer sein, die dort mit dem Schiffsbau beschäftigt sind und als Schiffsmatrosen auf Kriegsschiffe verteilt werden, um als „Galeerensklaven“ keine Gelegenheit mehr zum Desertieren zu haben. Am 30. November erhalten sie Marschbefehl Richtung La Ciotat. Unterwegs lernt er einen alten Gardisten kennen, der ein Putzmittel benutzt, das einen außerordentlichen Glanz erzeugt. Mit List gelingt es ihm, sein Geheimnis zu erfahren. Er kauft sich dieses Mittel, putzt damit seine Sachen und in kurzer Zeit „wäre auch kein Gewehr mehr beim Batalion, welches dem meinigen an glänz gleich käme“. Bald wird sein Gewehr bei jeder Inspektion vor den angetretenen Kompanien als Muster hergezeigt. Von dem Neid der anderen läßt er sich nicht beeindrucken und ist stolz, ein Voltigeur zu sein. Nun wird er mehrtach mit dem Überbringen von Ordonnanzen betraut, was ihm Gelegenheit bietet, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. In Marseiile ist der dortige Generalinspekteur nach einer Unterhaltung so angetan von ihm, daß er ihm einen Geldbetrag schenkt und ihm erlaubt, zwei Tage lang die Stadt zu erkunden. Gerade zurückgekehrt, erhält er einen Auftrag nach Avignon, doch bleibt ihm dort nur ein Tag Zeit. Als er zurückkommt, ist schon die Order eingegangen, daß die ganze Brigade nach Spanien marschieren soll.
Der Krieg in Spanien
Als Johann Bender nach Spanien kommt, tobt hier bereits seit drei Jahren ein mörderischer Krieg. Nach der Besetzung durch die Franzosen hatte sich aus einem Volksaufstand am 2. Mai 1808 ein Guerillakrieg entwickelt, den selbst das Feldherrngenie Napoleon nicht siegreich beenden kann. Unterstützt werden die um ihre Freiheit kämpfenden Spanier von den verbündeten Engländern. Wenn ihnen auch lange Zeit kein endgültiger Sieg beschert ist, so binden sie doch erhebliche französische Truppenkontingente. In diesen Partisanenkrieg wird jetzt Johann Bender hineingezogen und verbringt die nächsten zwei Jahre in Katalonien, vor allem in Barcelona und Umgebung. Am 1. Mai 1812 werden sie im Gebirge von den Aufständischen überfallen. Damit gerät er zum ersten mal in größere Kampfhandlungen. Der größte Teil der Angreifer wird „ohne Gnade und Barmherzigkeit niedergemacht“, aber auch 30 Soldaten sterben. Brutal rächen die Franzosen sich an der Bevölkerung. Die Landhäuser rundherum werden geplündert und angesteckt. Auf die Bewohner wird Jagd gemacht, „wie auf wilde Thiere, nichts wiederstande den frevelenten Händen der Sieger! Über Frauen und Mätgen so wohl wie auch über Alte und zum Kampfe unvermögende wehrlose Menschen wurde heergefallen, wie der Bludturschtige Tieger über sein Opfer herfält!“ Und später klagt er: „Es wurden prutalitäten ausgeübt, welche Mann aus Scham und Ehrfurcht für die Menscheit nicht nennen darf.“ Er selbst beteiligt sich nie an den Greueltaten, im Gegenteil, er gerät sogar in Gefahr, als er mit einem Kameraden aus Heimerzheim bei Bonn den französischen Soldaten deswegen Vorhaltungen macht. Das einzige, was er sich nimmt, sind Lebensmittel, um den Hunger zu stillen, und das sei, fügt er entschuldigend hinzu, in Feldzügen zur Zeit der Not erlaubt. Die andauernden mörderischen Kämpfe gegen die regulären spanischen Truppen, gegen die Aufständischen und seit Juni 1812 auch gegen die Engländer, kosten vielen seiner deutschen Kameraden das Leben. Ganze Bataillone schmelzen zusammen. Mit Verwunderung und Freude stellt er immer wieder fest, daß er selbst mit dem Leben davongekommen ist. Oft sucht er seine Zuflucht im Gebet und vergißt in den Betrachtungen über die „wunderbaren Schöpfungen der Natur“ für Augenblicke alles Leid um sich herum. Über viele Monate bleibt er in Barcelona, wo er zwischenzeitlich auch ruhigere Tage erlebt. Dann genießt er das südländische Flair dieser Metropole. Wenn er es auch nicht erwähnt, so dürfte er sich doch Kenntnisse der Landessprache angeeignet haben. Jedenfalls kommt er in engen Kontakt zur Bevölkerung.
Rückkehr nach Frankreich und Entlassung
Seit 1812 hat die durch andauernde Gefechtsverluste stark reduzierte französische Armee keine Verstärkung mehr erhalten, im Gegenteil, ein starkes deutsches Hilfskorps wird aus Spanien abgezogen, um nach Rußland geworfen zu werden. So bleibt es nicht aus, daß man schließlich dem Druck der Gegner weichen und sich aus Spanien zurückziehen muß. Bender selbst tet, wie viele seiner Kameraden, vom Fieber befallen und liegt seit Monaten krank im Hospital. Am 9. Februar 1814 marschiert er, obschon noch krank, mit den letzten Truppen aus Katatonien, nachdem alle Festungen, Redouten und Telegraphen, die die Franzosen erbaut haben, engt worden sind. Unterwegs bleibt er vor äche in einem Wald unter einem Johannisbrotbaum liegen, während die Truppe weiterzieht. Hätte ihn nicht ein unbekannter Italiener mitgeschleppt und ins Lager der Franzosen gebracht, wäre er unweigerlich der Rache der Aufständischen zum Opfer gefallen. Alle Garnisonen der gesprengten Festungen schließen sich dem Zug an, so daß die Marschkolonne bald bis zur Stärke einer Armee anwächst. Am 15. Februar 1814 überschreiten sie mit großem Jubel die französische Grenze. Nun schöpfen die rheinischen Soldaten wieder Hoffnung, ihr Leben gerettet zu haben und ihre Heimat doch noch wiederzusehen. Am 17. Februar rücken sie in Perpignan ein. Dort werden er und andere Kranke auf Wagen geladen und in sechs Tagen und Nächten nach Lyon gebracht, um gegen die Österreicher in die Schlacht geführt zu werden, denn die Alliierten sind inzwischen im Kampf gegen Napoleon tief in Frankreich eingedrungen. Die französische Armeeführung befürchtet nun, die deutschen Soldaten würden versuchen zu desertieren. Bender denkt aber nicht daran, denn der Eid, den er geschworen hat, ist ihm „viel zu heillig, um diesen zu brechen“. Am 24. Februar 1814 werden die französischen Truppen vor Lyon zusammengezogen. Es kommt zu tagelangen verlustreichen Kämpfen gegen die Österreicher. Nachts schlafen sie auf dem Schlachtfeld zwischen den Toten und Verwundeten. Bald wird ein Waffenstillstand geschlossen, das Kämpfen hatein Ende gefunden. Rückblickend auf die langjährigen Kriege stellt Johann Bender fest: „…und wenn wir uns gegenseitig fragen, was hatt diese ewige Schlechterei für Früchten für das Schöne Frankreich zuwegen gebracht und warum wurde das Menschenbluth stromweiße vergossen, wäre Frankreich vielleicht zu Klein, gehörte dasselbe nicht zum ersten Staaten Range? Und dennoch daß furchbahre Menschen Bluth vergissen! Hat vielleicht der Liebreiche Gott deswegen die Menschen Eschaffen, daß Milionen davon, nach unsäglichem Leiden Entlich dahin geschlachtetet Sollen werden wie das Viehe? Hatt nicht Gott die Liebe Gottes und jene des Nächsten zu den vornehmsten Geboten erhoben?“ Wenige Tage später entsteht eine Revolte unter den Truppen, als ihnen erklärt wird, daß Louis XVIII. aus der in der Revolution abgesetzten Königsfamilie der Bourbonen der neue König sei, dem sie nun zu gehorchen hätten. Die rebellierende Truppe wird von zwei Regimentern Armee-Gendarmen nach Valence geführt. Dort verbreitet sich das Gerücht, daß der abgedankte Kaiser Napoleon am folgenden Tag auf seinem Weg zur Insel Elba hier vorbeikommen würde. Und wirklich, um elf Uhr des anderen Tages kommt der Exkaiser an. Alle sind gespannt darauf zu sehen, in welcher Verfassung der Kaiser sich befindet, für den sie so lange gekämpft haben. Die Truppen bilden entlang der Straße bei dem kleinen Ort Oligan Spalier. Sie erhalten die Weisung, bei der Vorbeifahrt von Napoleon das Gewehr zu präsentieren und ihm dadurch die gebotene militärische Ehrenbezeugung zu leisten, aber keineswegs sollen sie ihm zujubeln. Als die Kutschen heranrollen, folgt das Kommando „Presentez lesarmes!“Währenddessen setzt die Musikein, und alleTruppen fangen, entgegen dem Verbot, wie mit einer Stimme an zu rufen, so daß die Musik übertönt wird: „Vive l’empereur!“ (Es lebe der Kaiser). Napoleon scheint über diesen Vorfall gerührt, beugt sich aus dem Fenster und sagt: „Ich bin jetzt nicht mehr Euer Kaiser, meine Kinder, jetzt bin ich Bürger.“ Bender und seine Einheit begleiten die Kutsche Napoleons bis Pont St. Esprit. Überall auf der Fahrt durch die kleinen Dörfer und Städte sind die Straßen festlich geschmückt, und die Bewohner rufen begeistert „Vive l’empereur!“ und „Unser Kaiser kömpt wieder, er bleibt nicht auf Elba.“ Am 13. Juni 1814 trifft endlich die Nachricht ein, daß Bender und seine deutschen Kameraden nach Hause entlassen werden. Sie müssen die Gewehre abgeben, dürfen aber Koppel und Säbel behalten. Zugleich zahlt man ihnen ihr Guthaben und die rückständige Besoldung aus. Am 15. Juni marschieren sie zu 22 Mann von ehemals 122, welche von Deutschland nach Frankreich marschiert waren, nach Hause. Von Trier aus erreicht Bender schließlich in 27 Stunden sein Heimatdorf Lantershofen. Nach drei Jahren sieht er seine Heimat zum ersten Mal wieder. Hören wir, wie er seine Ankunft selbst beschreibt: „Der Empfang und wieder sehen der Eltern und geschwister käme uns beiderseitig zwar vor wie ein Traum und Eben so rührend, umsomehr weil dieselben in zwei Jahren keine nachtricht von mir Erhalten hatten. Die zwei Letzte Briefe von mir waren zu Hausse nicht angekommen. Nun ist so Etwas zu denken, das eine solche rasche unerwarthete Ankunft von beiderseits Freuden Trähnen aus den Augen prest. Es wollen jedoch meine Familien darüber schmähen, das ich nicht Eher nach Hauß gekommen seye (Die Ankunft Erfolgte am 7. Juli 1814), es seien ja sovielle Teutschen Tesertirt von den Franzosen, und da wir in Frankreich gegen die Aliejirten gefochten hätten, so wäre dies auch ja ein leichtes für mich gewesen! Alles dieses wäre Wahr, aber den Eit den wir unter den Fahnen geschworen hatten, um diesem Treulich nach zu kommen, so konnte ja Niemand der Rechtlich gesind ist, einen solchen Frevel begehen, und es würde mir Nie in den Sinn gekommen sein, diesen Eit, den ich so heillig geschworen hatte, zu brechen.“
Teilnahme an den Befreiungskriegen
Nur wenige Monate kann er sich seiner wiedergewonnenen Freiheit erfreuen. Im Februar 1815 kehrt Napoleon von der Insel Elba zurück, und sofort beginnen die Alliierten, erneut Truppen auszuheben. Alle, die früher in Frankreich gedient haben, werden nun aufgefordert, sich mit Sack und Pack in Bonn zu stellen. Aus Lantershofen melden sich zehn Männer. Bender ist wieder dabei. Er wird dem l. Westpreußischen Infanterie-Regiment von Kleist-Nollendorf zugewiesen und in die 9. Kompanie des Füsilier-Bataillons aufgenommen. Am 1. Mai ziehen sie über Köln nach Lüttich, wo Generalfeldmarschall Fürst Blücher sein Generalquartier aufgeschlagen hat. Den Ausbruch der Kampfhandlungen zwischen Frankreich und Preußen am 15. Juni 1815 erlebt er in Guilletan derSambre, nahe der französischen Grenze. Von dort müssen sie Hals über Kopf vor den anrückenden Franzosen fliehen. Bei dem Dorf Gilly wird seine Einheit in die Schlacht einbezogen. Auf der Gegenseite leitet Napoleon selbst den Angriff mit seinen Karabiniers und polnischen Ulanen. Die französische Gardekavallerie umzingelt Benders Einheit und schneidet sie von den anderen Einheiten ab. Bender steht zuerst im dritten Glied, aber schon nach einer Stunde sind alle vor ihm gefallen oder verwundet, so furchtbar wüten die Kämpfe. Unter den bergischen Dragonern, die die Geschütze decken sollen, fallen rund tausend Mann. Der spärliche Rest von 17 Mann kriecht zu ihnen ins Karree. Die Kämpfe dauern noch den ganzen Tag. Mit einigen anderen wird Bender von seiner Einheit getrennt und gelangt erst wieder am nächsten Tag zu seinem Bataillon zurück. An diesem Vormittag, es ist der 16. Juni, kommt Blücher zu ihnen und hält eine Ansprache, in der er unter anderem sagt: „Kinder, gestern ginge Es euch schlecht. Heute wollen wir hoffen, wird es besser gehen.“ Er entwickelte uns dann seinen Angriffsplan. Indem er mit der Hand links hinüber zeigte, sagte er: „Auf jener Anhöhe werdet ihr einen Schuppen mit Stroh in Flammen aufgehen sehen. Dieser soll Euch das Signal zum allgemeinen Angriff sein gegen den Feind.“ Gegen Mittag sehen sie das Signal, und es beginnt die bekannte Schlacht bei Ligny, die zu einer Niederlage Blüchers führt. Wieder dauert die Schlacht mit entsetzlichen Nahkämpfen den ganzen Tag. Von Benders näheren Kameraden fallen bei den Kämpfen im Dort Ligny alle, außer ihm und Bleckmann aus der Nähe von Kevela-er. Glücklicherweise gelingt es ihnen, am nächsten Mittag zu ihrem Bataillon zurückzufinden. Während sie noch Suppe kochen, greifen die Franzosen wieder an. Die kommende Nacht kampieren sie unter freiem Himmel. Es gießt in Strömen, wovon Bender aber nichts bemerkt, da er vor Erschöpfung wie ein Toter schläft. Am nächsten Morgen wacht er völlig durchnäßt auf, seine Beine sind vom Schlamm bedeckt. Es ist der 18. Juni. Nun beginnt die entscheidende Schlacht bei Waterloo beziehungsweise Belle Alliance, die über 50.000 Männern den Tod bringen soll. Zuerst kämpften Briten und Franzosen gegeneinander, bis der englischen General Wellington an Blücher eine Nachricht mit der Bitte um Unterstützung schickt. Blücher läßt die Reste der verschiedenen Waffenkorps zusammentreten und hält mit dem Brief in der Hand eine Ansprache, in der er erklärt, daß man dem Freund Wellington nicht nur mit einigen Armeeabteilungen zur Hilfe eilen werde, sondern mit allen Kräften. Nun macht man sich sogleich marschfertig, zieht in größter Eile auf der Straße von Wavre Richtung Waterloo und erreicht das Schlachtfeld, als die Engländer eben dabei sind, sich zurückzuziehen. Bender berichtet nun über die von ihm erlebten fürchterlichen, aber schließlich siegreichen Kämpfe. Zum Schluß leistet nur noch die alte Garde Napoleons Widerstand und will sich nur unter der Bedingung eines freien Abzuges ergeben. Als ihnen dies nicht gewährt wird, gehen sie im Feuer der englischen und preußischen Artillerie unter. Die Dunkelheit der Nacht ist schon her-eingebrochen als die Schlacht zu Ende geht. Die Reste des französischen Heeres, darunter auch Napoleon, fliehen in Richtung Frankreich. Sofort setzen die Preußen nach, um zu verhindern, daß die versprengten französischen Heeresteile sich wieder sammeln. Nach einem kurzen Schlaf nimmt auch Benders Einheit die Verfolgung auf. An einem Engpaß, wo das Gelände den Franzosen eine schnelle Flucht verwehrte, treffen sie auf eine große Zahl von Fahrzeugen, die sich hier gestaut haben. Die Soldaten erobern die Fahrzeuge und entdecken unter ihnen den Reisewagen Napoleons. „Wir fanden in seinem Waagen seine kaiserliche uniform mit säbel und schako, auf letzterem war eine Goldene Sonne mit Straallen angebracht, seine Uniform war grün mit dem Kaiser Stern geschmückt. Das Diamant, welches sich im Waagen vortande, hatten die Soldaten meistens hinaus in den Schlamm geworfen, weil dieselbe das Edelgestein nicht Erkannt hatten. Da dasselbe aber im Dreck läge, da waren einige umstehende, welche es erkennten. Und nun gienge die sucherei im Dreck los. Einer Thäte den anderen in den Morast Stosen wegen dem zu grossen gedränge. Dieses wurde so gut wie es gienge nun wiederum aus dem Moraste auf gelesen und wobei die mehrersten doch leer ausgingen, indem die stärpksten am mehresten erhielten und die Schwächsten nur in den Dreck gestosen wurden.“ Am 29. Juni 1815 erreicht die Einheit, zu der Bender gehört, die Stadt Paris an der Seite, wo der Montmartre liegt. Wenig später blickt er von einer Anhöhe am linken Seine-Ufer auf die Stadt und ist überwältigt: „…von diesem Platz genossen wir eine herliche Aussicht über die Riesenhafte Haupt Stadt. Von hier aus sähe Mann in einen Wahren Ozian von palästen, Häusern und thürmen, so daß sich das Auge im weiteren Dunst Kreise verlohr, Ohne daß Mann die ganze Stadt übersehen konnte.“ Nach weiteren Kämpfen rücken sie am 7. Juli in Paris ein, nicht ohne vorher die Champagnerflaschen, die in den Kellern des königlichen Schlosses in Massen aufgetürmt sind, gründlich ausgeleert zu haben. Es folgen einige unbeschwerte Tage, dann marschiert Benders Einheit ab, zuerst zur Einschließung der Stadt Laon, die sich noch. nicht ergeben hat, und schließlich am 22. August in die Normandie. Dort fühlt er sich sehr wohl, da er aufgrund seiner französischen Sprachkenntnisse oft als Dolmetscher gebraucht wird und manche Vergünstigungen erhält. Am 1. November 1815 treten sie ihren Rückmarsch an, aber noch nicht nach Hause, sondern übertausend Kilometerin Richtung Osten, bis nach Cosel in Schlesien, wo sie bis zum Dezember 1816 in Garnison bleiben. Jetzt erst werden sie in die Heimat entlassen.-Hier enden die Aufzeichnungen von Johann Bender.
Schlacht bei Waterloo, 18. Juni 1815
Weiterer Lebenslauf
Ein glückliches Geschick hat ihn alle Gefahren überstehen lassen, während viele andere nicht mehr zurückkehren. So nennt ein Verzeichnis vom Jahre 1816 allein für die Bürgermeisterei Gelsdorf (heute Gemeinde Grafschaft) 23 Männer, die nach den spanischen und russischen Feldzügen vermißt werden.6) Johann Bender kehrt zurück ins bürgerliche Leben und heiratet schon 1817 Anna Catharina Bollig, mit der er fünf Söhne hat. Als sie nach zehn Jahren stirbt, ehelicht er im folgenden Jahr 1828 Anna Margaretha Efferz, die wie seine erste Frau aus Lantershofen stammt. Mit ihr hat er vier Kinder, die aber alle jung sterben. Zum Zeitpunkt seiner zweiten Heirat lebt er noch als Ackerer und Feldschütz in Lantershofen, während seine Frau als Dienstmagd in Ahrweiler wohnt. 1840 tritt er dann den Posten eines Polizeisergeanten in Ahrweiler an, den er mit 70 Jahren aus Altersschwäche im September 1861 aufgibt. SeitApril 1857 erhält er eine Invalidenrente von zwei Talern monatlich, die er jedoch aufgrund einer Verfügung des Kriegsministers für die vier Jahre, die er noch als Polizeidiener ein Gehalt bezogen hat, zurückzahlen soll, weshalb er sieh 1863 in einer Immediateingabe direkt an den Preußischen König wendet. Johann Bender stirbt 73jährig am 4. Januar 1865 an den Folgen eines Lungenleidens in Ahrweiler.7)Anmerkungen:
- Ich danke Robert Bender für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Ein Edition des gesamten Manuskripts ist geplant. Hierfür werden noch Dokumente und möglichst auch ein Foto von Johann Bender aus Privatbesitz gesucht.
- Diesen Hinweis verdanke ich Heinz Ritter in Bad Neuenahr.
- Bistumsarchiv Trier, Kirchenbücher der Pfarrei Karweiler,
- Franz Overkott, In Rußland Vermißte aus Rheinland und Westfalen nebst angrenzenden Gebteten in Napoleons „Großer Armee“ ISIS-ISIS, Neustadt an der Aisch 1963. – Kreisarchiv Ahrweiler, Best. 1, Nr.383.
- Gemeindearchiv Grafschaft, Akte 27/1.
- Kreisarchiv Ahrweiler. Best. 1. Nr. 383.
- Kopien der Personenstandsurkunden, Entwurf des Briefes und Totenzettel bei Robert Bender in Lantershofen