DIE EBURONEN
GESCHICHTE UND SCHICKSAL
Von Dr. Richard Spessart
Als Julius Caesar sich im Jahre 58 v. Chr. ohne amtlichen Auftrag seitens seiner Regierung in Rom, aus Begierde nach Geld, Ruhm und Macht, mit den damals schon westlich des Rheins wohnenden Altgermanen zu schaffen machte, war er auch gezwungen, die Namen deren Völker anzugeben, so gern er sie, wie am Anfang seines „Gallischen Krieges“, verschwiegen hätte.
Im Jahre 57 hatten die Belgier und die in Belgien wohnenden altgermanischen Völker es ihm angetan. Caesar lebte des Glaubens, nachdem er Herr am Oberrhein geworden sei, brauche er nur noch die Gebiete am Niederrhein und an der unteren Maas zu erobern; dann fiele das Mittelrheingebiet ihm leicht, gewissermaßen von selbst, zu. Die Rechnung ging nicht auf:
Sein „Sieg“ über die Schwaben im Elsaß (58 v. Chr.) war nur knapp errungen. Seine „Siege“ über die Belgier an der Aisne und über die germanischen Nervier an der Sambre -waren keine (57 v. Chr). Der „Untergang“ von 57 000 (!) Aduatu-kern auf der heutigen Festung Embourg östlich Lüttich (57 v. Chr.) ist eine große, aus Caesar selbst nachweisbare Lüge. Lorbeeren hat Caesar in Belgien kaum erworben.
Ein beachtliches Teil zu Caesars Mißerfolgen am Mittelrhein trug das altgermanische Volk der Eburonen bei. Von West nach Ost wohnte „ihr größter Teil zwischen Maas und Rhein“ (Caesar V 24, 4). Das stimmt, mit dem Zirkel gemessen, ganz genau. Ihre Südgrenze war die Eifel’barriere, d. h. die Wasserscheide Nieder-breisig-Kelberg-Sankt Vith. Ihre Nordgrenze wird auf der Linie Erftmündung (Neuß) und Mündung der Rur (Roermonde) angegeben. Die Eburonen bewohnten die Wassergebiete der Ahr, der Erft und der Eifel-Rur mit Urft, also u. a. auch den gesamten Kreis Ahrweiler mit Ausnahme des Brohltales. Sie hatten, wie auch andere Altgermanen, zwei Könige: Catuvolkus und Ambiorix. Ersterer, ‚der milder gesinnte, vermutlich Regent über die Eifel-Eburonen; Ambiorix, der Haudegen, Herr der sich abdachenden Nordeifel und der sich anschließenden Niederung.
Die Eburonen waren bestimmt diejenigen Altgermanen, die als letzte in das westlich des Rheins gelegene Rheinland eingewandert waren. Das schließe ich aus folgenden Tatsachen: 1. Sie sind, von Süden nach Norden gerechnet, das nördlichste der altgermanischen Völker der westlichen Rheinlande. 2. Ihr Gebiet weist zur Zeit Caesars noch keine einzige irgendwie geschlossene Siedlung eigenen Namens auf. 3. Sie sind die wildesten Germanen des R’heinlandes, die erbittertsten Gegner Caesars, dem sie mehr zu schaffen machten als alle anderen Germanen westlich des Rheins zusammengenommen.
Im Spätherbst 54 überredeten Ambiorix und die Seinen, mit dem Hinweis auf das in drei Tagen bevorstehende Anrücken rechtsrheinischer Germanen, die in Aduatuka -“ Ätsch bei Stolberg im Winterquartier eingelagerten Generale Sabi-nus und Cotta zum Abzug. Noch vor Morgengrauen überfielen sie die abziehenden Römer in dem „großen Talkessel“ (Caesar VI 32, 2) des Münsterbaches (= Inde!) zwischen Buschmühle und Bockmühle und machten 15 Bataillone — 8—9000 Mann mitsamt ihren Führern nieder! Das war die größte Niederlage in Caesars ganzer militärischer Laufbahn und nächst dem Untergang der Römer im Teutoburger Walde die zweitschwerste Schlappe, welche die Römer von sehen der Germanen haben einstecken müssen.
Darauf wiegelte Ambionx sofort die altgermanischen Aduatuker und Nervier auf und griff mit ihnen und noch fünf anderen germanischen und belgischen Völkern (V 39, 1) das Winterlager des Generals Kikero (eines Bruders des Redners), an. Keiner von Caesars Generalen hatte den Mut, dem Belagerten ohne Caesars Mitwirken zu Hilfe zu kommen. Der „siegte“ über die nun auch gegen ihn vorrückenden Germanen, die jetzt ihn belagerten, und „zwang sie“ sogar, „die Waffen wegzuwerfen!“ Wer das glaubt!
Um die östlich des Rheins wohnenden Germanen nochmal einzuschüchtern und ihnen die Lust zu vergällen, ihren Namensbrüdern westlich des Rheins zu Hilfe zu kommen, überschritt Caesar 53 v. Chr. zum zweiten Mal, diesmal über den Urmitzer Werth, auch diesmal so gut wie erfolglos, den Rhein. Dann ging er zur „Vernichtung“ der Eburonen über.
Den Basilus schickte er mit der gesamten Reiterei auf der Straße Urmitz-Mayen-Kelberg-Boxberg-Hlllesheim-Heidcnkopf bei Schmidtheim-Neuhof-Elsenborn-Verviers-Lüttich nach Westen. Caesar selbst folgte ihm nach (Caesar VI 29, 4—5). Auf welchem Wege die anderen Generäle dahinzogen, wird nicht berichtet. Faßt man die Länge der Marschkolonne einer einzigen Armee ins Auge, bedenkt man ferner, daß man den „Feind“ von mehreren Seiten angreifen muß, um seiner wirklich habhaft zu werden, dann mußte man auch die andere, uralte „Weststraße“ benützen: die von der Ahrmündung über Sinzig-Rheinbacher Wald (Beuelskopf, Speckelstein)-Billig f. w. Zülpich-Düren nach Belgien führt. Sie führt übrigens durch Aduatuka-Atsch. Ich habe sie im Atcher Walde in 7,5 m Breite, dicht unter der Grasnarbe gepflastert, wiedergefunden.
Die Großjagd auf Ambiorix war erfolglos; er entkam. Der Feind war im Kleinkrieg im Vorteil. Außerdem brachten sich sehr viele in Sicherheit: „Ein Teil floh in den Ardennenwald (d. h. in die Ardennen und in die Eifel), ein Teil in ausgedehnte Sümpfe (des Hohen Venn). Diejenigen, die dem Ozean am nächsten waren, verbargen sich auf Inseln (der Nordsee und des Kanals), welche die Zeiten der Flut zu bilden pflegen. Viele wanderten aus ihrem Gebiet aus und vertrauten sich und ihre Habe wildfremden Leuten an.“ (Caesar VI 31, 2—4). Oder „ein jeder hatte sich da niedergelassen, wo ein entlegenes Tal oder eine waldige Stelle oder ein schwer zugänglicher Sumpf einige Hoffnung auf Schutz und Rettung bot“ (VI 43, 2). Katuvolkus, der König der Hälfte der Eburonen, ein schon altersschwacher Mann, tötete sich unter Flüchen gegen Ambiorix, den Verursacher des Unglücks, mit dem Saft der Eibe.“ Diese kam in Gallien, in der Eifel und in Germanien früher häufig vor.
Nun galt der Rest der Unternehmung dem Ambiorix und seinem Anhang. Die Armee wurde neu eingeteilt: Kikero wurde mit der 14. Legion, mit dem Train, mit Genesungskompanien, mit Rekruten und mit „alten Kriegern“ an die gefährlichste Stelle, nach Aduatuka — Ätsch, gelegt. In seiner Nähe wurde Trebonius angesetzt. Labiemus zog an den „Ozean“ und Caesar an die Scheide und an die westlichen Ausläufer der Ardennen. An beiden Stellen war Ambiorix nicht zu vermuten. Für ihn war die Richtung Rhein das Gegebene. Auch in diesem Kleinkrieg war der Feind im Vorteil; die Römer hatten das Nachsehen: die Feinde vermochte man nicht zu fassen; Ambiorix entkam endgültig. Da rief Caesar, um seine Leute zu schonen, von den Nachbarvölkern Männer zum Plündern und Brandstiften herbei. Diese führten den Auftrag z. T. recht gründlich aus. Doch das Volk der Eburonen war immer noch nicht ausgerottet. Nachdem Caesar glaubte, ganz Gallien so „beruhigt“ zu haben, daß niemand ihm Widerstand leisten wage, zog er noch einmal gegen die beiden rheinischen Völker, die seinen besonderen Zorn auf sich geladen hatten: Den Labiemus schickte er gegen die Treverer im Süden des Rheinlandes, er selbst rückte gegen die Eburonen in der Nordeifel vor, um deren Gebiet zu verwüsten (Caesar VIII 24, l, 4). Man hat vielfach angenommen, das Volk der Eburonen sei durch Caesars Rachezüge gänzlich ausgerottet worden. Doch: die große Ausdehnung des Gebietes der Eburonen und der Aduatuker, die endlosen Wälder, der dichte Baumbestand, die tiefeingeschnittenen Täler, die ansehnlichen, weit voneinander entfernten Höhen der Eifel, des Venns und der Ardennen, die Sümpfe des Hohen Venns und der Gebiete am Niederrhein, Niers und Maas, Ebbe und Flut, die Inseln im Mündungsgebiet von Maas und Scheide, die Tapferkeit der Bewohner und ihre Ortskenntnis, der Mut der Verzweiflung, mit dem es das Eetzte zu retten galt, die geschickte Ausnützung des Terrains durch Ambiorix, behinderten die Römer an regelrechter, erfolgreicher Kriegführung und gestatteten andererseits vielen der Verfolgten, sich in Sicherheit zu bringen.
Demnach ist die Annahme berechtigt, daß im Bergland und in der Niederung, wenn auch vielfach versprengt, so doch ansehnliche Reste der Eburonen sich erhalten haben: in derEifel mehr als im Übergangsgebiet zur Niederung und in dieser selbst. Die beiden letzten scheinen am meisten gelitten und die meisten Menschen eingebüßt zu haben. Deshalb wurden 38 v. Chr. in dem von Eburonen „befreiten“ Gebiet aus dem Neuwieder Becken die Ubier auf ihren eigenen Wunsch umgesiedelt. Deren Gebiet umschloß etwa die Linie Niederbreisig-Zülpich-Düren-Jülich-Gellep bei Krefeld-Niederbreisig. So kam zu den Resten der Eburonen frisches germanisches Blut in unsere Heimat. Germanen bewohnten also auch in der Römerzeit unsern Ahrgau.
Der Verfasser schrieb diesen Aufsatz an seinem 69. Geburtstag.