Die Domina

VON AGNES MIEGEL

So wie das Kloster Marienthal dem Klostersturm der französischen Revolution und der nachfolgenden Säkularisation zum Opfer fiel, so erlebten die ostpreußischen Klöster schon in der Reformation ihren sie vernichtenden Klostersturm. Die ostpreußische Dichterin Agnes Miegel schildert in der ergreifenden Ballade „Die Domina“ das Schicksal eines solchen Klosters. Die letzte Äbtissin von Marienthal im Rheinlande und die Domina von Ostpreußen! Gleiche Schicksalsschläge verbinden sie, verbinden auch heute den Osten mit dem Westen.

Sie ritten dahin im Sonnenbrand,
den rostigen Spieß In der Arbeitshand,
und als sie ritten stumm und still,
schrie im Tal ein Glöcklein hell und schrill.
Da sprach der Hauptmann: „Domina,
deines Klosters letzte Stunde ist da!“ —
Ihre Äxte klopften ans Klostertor:
,,Nun, Frau Domina, komm hervor,
gestern brannte Sankt Alberts Abtei,
heute ist an dir die Reih‘,
gestern das Mönchesnest war lustige Beute,
bessere sind die Nönnchen heute!
Heiligen krönen und Meßgewänder
geben blanken Helmschmuck und Schärpenbänder!“Von der Mauer droben herab,
in den welken Händen den Hirtenstab,
unter dem weißen Schleiertuch
blitzten die Augen tief und klug,
und als sie auf den Hauptmann sah,
lächelte bitter die Domina.
„Jochen Ballenstedt, meiner Muhme Sohn!“
Und zum nächsten dann: „Dich kannte ich schon,
als du am Zaun dich aufgereckt
und ich deine Hand voll Kirschen gesteckt!“
Zum langen Lore n z, der neben ihm stand,
sprach sie: „Dich schlug Ich ins Wickelband!“
Und zum nächsten: „Bei Schnarre und Feuergeschrei
stand ich deiner Mutter bei!“Sie schwieg und sah auf die Schar im Sand,
da war keiner, den sie nicht gekannt.
Bauern und Knechte, dicht gedrängt,
standen, den Blick zu Boden gesenkt.
Jochen Ballenstedt sprach: „Domina, hör:
deinen falschen Glauben abschwör,
bekenne dich frei zu Luthers Lehr‘!
dir und den Deinen güts Gut und Ehr‘.“Die Domina sah hinab voll Ruh‘:
Jochen, ich bin zu alt dazu,
fünfzig Jahre beugt‘ ich die Knie
vor meiner guten Mutter Marie.
Fünfzig Jahre gut und gern
dient‘ ich ihr, wie die Magd dem Herrn.
Und wenn ihr alle von ihr geht,
eine bleibt, die zu ihr steht.Dies mein Spruch und ist mein Sinn,
so wahr ich eine Ritdorf bin!“ —
Hochauf, den silbernen Stab in der Hand,
mit funkelnden Augen die Domina stand.
Und der Hauptmann nach kurzem Besinnen:
„Sei es drum, Domina, zieh‘ von hinnen,
steig‘ herab und geh‘ zu den Deinen,
schwer fällt alten Augen das Weinen!“ —Sprach die Domina: „Jochen Ballenstedt,
ich bin wie einer, der zur Richtstatt geht,
drum um Gott und alter Freundschaft willen,
wolle mir eine Bitte erfüllen,
laß mich in meines Mantels Falten tragen,
was ich in Ehren gehalten .
Gib mir dein ritterliches Wort,
daß ich sicher aus dem Tore dort trage,
was ich einst bekommen!“ — —Da murrten die unten scheu und beklommen
und stampften vor Zorn: „Die Alte ist schlau,
sie meint das Gerät Unserer Lieben Frau,
die goldene Monstranz, das Altarbehänge,
Sankt Brigitt und Kathrinens buntes Gepränge,
sind alles Frankfurter Bürgergaben,
nun sollen’s die Krämer wieder haben!“
Der Hauptmann hörte nicht Murren und Schrein,
er hob die Hand: „So soll es sein!““ —Da kreischten drinnen die Riegel am Tor,
langsam trat die Domina vor,
und weit um sie, starseiden und blau,
stand der Mantel Unserer Lieben Frau.
Die draußen ballten die Fäuste:
„Vertrackt, was die Alte alles aufgepackt!“
— — Die Greisin hat nicht aufgeblickt,
schwer ging sie, wankend und tiefgebückt.Beim ersten Schritt war sie heiß und rot,
beim zweiten blasser als der Tod.
Als sie kam an den ersten Mann,
der Schweiß von ihrer Stirne rann.
Als sie schritt die Brücke entlang,
das Wasser aus ihren Augen sprang,
und als sie stand auf dem Wiesengrund,
da quoll das Blut aus ihrem Mund,
da fiel der seidene Mantel ins Gras —
fünf junge Gesichter, verweint und blaß,
lugten hervor und duckten sich wieder
zitternd auf die Domina nieder. —Die griff mit den Händen in Kraut und Klee.
„Tritt her, Jochen Ballenstedt, daß ich dich seh‘,
kalt wird die Hand, die nach deiner faßt,
ich trug zu schwer an der jungen Last.
Ich trug sie bis an den Wiesenrain.
Hier gehen die Straßen ins Land hinein,
hier gehen die Straßen nach Süd und West
zu meiner Tauben Heimatnest.
Ich habe dein Wort, und keiner kann’s wehren,
daß sie sicher und heil zu Neste kehren,
und ein ritterlich Wort ist gutes Geleite!“ —
Sprach’s und neigte ihr Haupt zur Seite!