Die Bürgermeister von Sinzig in preußischer Zeit
(1816-1945)
VON ANTON KEUSER
Im Mittelalter, als die Stadt Sinzig zunächst „Reichsgebiet“ war und es nachher die Herzöge von Jülich und ihre Rechtsnachfolger als Landesherren anerkannte, wählten die Schöffen aus ihren Reihen alljährlich im Herbst für die Amtsdauer von einem Jahr den Bürgermeister. Doch hatte auch im zweiten Jahr der „abgestandene“ Bürgermeister noch bestimmte Verwaltungsaufgaben zu erledigen und führte den Titel „Schatzbürgermeister“. Die letzten Sinziger Bürgermeister vor der Franzosenzeit (1794—1814) waren J. A. Reichelstein, Michael Marx und Christian Schlagwein. In der Franzosenzeit bildete Sinzig mit den umliegenden Dörfern eine Mairie, die zum Kanton Remagen gehörte. Die Verwaltung führte der Maire, von denen nacheinander in Sinzig wirkten: J. Weckbecker, H. J. Hertgen, Wilhelm Vogel. Im Anfang der preußischen Zeit (1815—1816) gehörte Sinzig zum Kreise Bonn; der Bonner Kreisdirekter Rehfues sorgte dafür, daß der letzte Maire Wilhelm Vogel die Amtsgeschäfte weiter führte. Als 1816 der Kreis Ahrweiler gebildet wurde, befürwortete auch der erste Landrat des Kreises Ahrweiler, Freiherr von Gruben, die Berufung des Wilhelm Vogt als Bürgermeister, da er mustergültig arbeitete. Die Regierung in Koblenz bestätigte ihn. Mit 66 Jahren trat er 1822 in den wohlverdienten Ruhestand. Von dem sozialen Sinn des Bürgermeisters Vogel berichtet unser Jahrbuch 1960. Dem sei noch folgender Bericht des Bürgermeisters aus dem Jahre 1817 beigefügt: „Es war und ist oft der Fall, daß arme verlassene Kranke oder sonst mangelhafte Menschen durch sogenannte Krüppelfuhren aus Barmherzigkeit von einem Ort zum anderen gebracht werden; auch daß sonst Arme mit gehörigen Papieren versehen aus großer Armut von allem entblößt, so wie auch öfters als verabschiedete Invaliden verschiedener Landesherren, die ihre Abscheide und sonstige Beweisstücke zwar bei sich führen, aber durch verschiedene auf der Reise ihnen zugestoßene Fatalitäten ebenfalls an allem Lebensunterhalt Mangel leiden und der größten Armut preisgegeben sind, — Um nun diesen Elenden nach Möglichkeit Erleichterung und willige Aufnahme zu verschaffen, habe ich im letzten Quartal 1817 ein Krankenzimmer einrichten lassen, einen Krankenwärter angeordnet und alle ankommenden Kranken und Elende aufnehmen, beherbergen und verpflegen lassen.“ Bürgermeister Vogel wohnte in seinem Hause Bachovenstraße neben Bäckerei und Wirtschaft Köpchen. Seine einzige Tochter heiratete einen Büntgen, den Stammvater der heute noch in Sinzig ansässigen Familie Büntgen.
2. Bürgermeister:
Simon Josef Knieps (1822—18-14)
Er wurde 1790 in Ahrweiler geboren. Mit 29 Jahren wurde er schon Bürgermeister zu Niederbreisig. Im Jahre 1822 wurde ihm noch die Bürgermeisterei Sinzig dazu übertragen.
Knieps hob das Schulwesen in Sinzig. Da nur zwei Lehrer (Reichelstein und Bergen) in verschiedenen mangelhaften Gebäuden unterrichteten, trat er für Vermehrung der
Lehrerstellen und ein neues Schulgebäude ein. Unter seiner Amtstätigkeit wurden auf Anordnung des Landrats Gärtner die Stadttore beseitigt. Bürgermeister Knieps suchte Handel und Wandel in Sinzig zu heben. Er führte die mittelalterlichen Jahrmarkte als Vieh= und Krammärkte wieder ein. Diese fanden statt am Montag nach Maria Lichtmeß (2. Februar), nach Maria Himmelfahrt (15. August) und am Martinstage (11. Nov.). Im Jahre 1834 schied Knieps als Bürgermeister von Sinzig und Niederbreisig aus und trat in den Dienst der Stadt Köln.
3. Bürgermeister:
Peter Josef Giersberg (1834—1849)
Er wurde 1803 auf dem Hofe Hombüschel bei Schloß Arental geboren. Sein Vater hatte diesen Hof von dem Grafen Waldbott von Bassenheim von Königsfeld gekauft. Er besuchte die höhere Schule auf dem Kalvarienberg bei Ahrweiler und anschließend als Student der Rechte die Universität Bonn. Im ersten Jahre seiner Amtstätigkeit begann er mit dem Bau des Schulund Gemeindehauses am Hof, das für 8000 Taler errichtet wurde. In dem stattlichen Gebäude wurden Schule, Bürgermeisters amt und Friedensgericht untergebracht. Er hob das Volksschulwesen durch neue Lehrerstellen. Auch trat er für eine höhere Schule in Sinzig ein. Von 1650 bis 180; hatte Sinzig bereits ein von Franziskanern geleitetes Gymnasium. Kurzfristig hatte Pfarrer Sebastian (1828—1834) ebenfalls eine höhere Schule in Sinzig errichtet. Auf Veranlassung Giersbergs genehmigte die Koblenzer Bezirksregierung die Errichtung einer Lehranstalt höherer Stände in Sinzig. Als Präsident des Bürgervereins des Kreises Ahrweiler wurde er 1849 als Abgeordneter in die preußische Nationalversammlung nach Berlin gewählt. Im Jahre 1850 kam Giersberg als Regierungsrat nach Trier, wo er 1873 starb.
4. Bürgermeister:
Johann Michael Heinrich Reiff (1850—1862)
Reiff wurde 1826 in Koblenz als Sohn des Regierungssekretärs Reiff geboren. Er studierte in Halle und Bonn Jura. 1857 wurde die Stadtbürgermeisterei von der Landbürgermeisterei getrennt; Reiff blieb Bürgermeister beider Bürgermeistereien. Im Jahre 1857 wurde durch Königliche Kabinettsorder der Sinziger Stadtwald, genannt Harterscheid, der bisher in der Flur Westum lag, der Sinziger Gemarkung eingegliedert; dies geschah am gleichen Tage auch mit dem Gräflichen von Spee’schen Gute Hombüschel. Bürgermeister Reiff verband durch gute Straßen die Dörfer Kripp, Westum=Lohrsdorf, Franken und Königsfeld mit Sinzig. 1856—1858 wurde die rheinische Eisenbahn von Rolandseck bis Koblenz erbaut. Am 13. Mai 1858 lief in fünf Minuten die erste Lokomotive von Remagen nach Sinzig. Im Jahre 1857/58 erbaute Kaufmann Bunge aus Antwerpen auf den Ruinen des jülichschen Schlosses ein neues zierliches Herrenhaus. 1853 wurde die längst bekannte Kohlensäuremineralquelle neu erschlossen und ein schönes Badehaus errichtet.
Durch Heirat der Tochter Elisabeth des Gutsbesitzers Hertgen in Kripp wurde Reiff Erbe der Ländereien. Im Jahre 1860 übernahm Reiff die Bürgermeisterstelle in Vallendar, wo er 1881 starb.
Eine Verwandte des Bürgermeisters, Lehrerin Maria Anna Reiff, leitete nach 1854 jahrelang eine höhere Mädchenschule, die durchweg von 30 Schülerinnen besucht wurde.
5. Bürgermeister:
Theodor Ernst Adam Wenner (1860—1872)
Geboren 1832 in Münster i. W. als Sohn des Kreisgerichtsrates Wenner studierte er die Rechte in Bonn und Heidelberg, arbeitete als Gerichtsreferendar in Wesel und als Regierungsreferendar in Köln. Im Hungerjahr 1861 bekämpfte er tatkräftig die Not. Für die Renovierung der Kirche gab die Stadt einen beträchtlichen Zuschuß. Den Verkehr hob er durch Einrichtung eines Wochenmarktes. Auch trat er für die Postverbindung Sinzig=Ahrweiler ein. Der Postwagen fuhr nun zwischen beiden Städtchen zweimal täglich hin und her. Auch lief nun ein Postwagen von Sinzig nach Königsfeld. 1868 befürwortete Bürgermeister Wenner den Antrag des August Cnyrim, Lehrer des höheren Schulfaches, in Sinzig, eine höhere Schule zu errichten, was aber nicht geschah. Im Jahre 1872 wurde Wenner als Stadtbürgermeister nicht wiedergewählt; daraufhin legte er auch das Landbürgermeisteramt nieder. In Emmerich wurde er einstimmig als Bürgermeister gewählt, von der Regierung aber im Kulturkampf als „glühender Zentrumsredner“ nicht bestätigt. Später war er als Prokurist an einer Bonner Bank tätig (gest. 1899).
6. Bürgermeister:
Karl Rudolf Franz von Ruesdorff=Salm
(1872—1882)
Als Sohn des Prinzen zu Salm-Reiffescheidt-Krautheim wurde er in Konstanz 1846 geboren. Als Offizier nahm er an den Feldzügen von 1866 und 1870/71 teil. Er bemühte sich sehr, die Ahrtalbahn von Sinzig ausgehen zu lassen. Das Gelände war bereits angekauft und aufgeschüttet. Da aber der zuständige Minister damals als Kurgast im Hotel Carracciola weilte, verstanden rührige Remagener Lokalpatrio= ten den Herrn Minister so zu „überzeugen“, daß die Ahrtalbahn von Remagen ausgeht.
Leider wurde durch einen unglücklichen Vertrag mit Bad Neuenahr das Bad Sinzig und der Vertrieb des Sinziger Mineralwassers stillgelegt.
Im Jahre 1873 errichtete Theodor Schütz eine höhere Knabenschule mit Pensionat in Sinzig. Diese Schule bestand nur bis 1879, weil es an Lehrkräften fehlte. Das Schiltzsche Institut bestand aber als Erziehungsanstalt für Ausländer weiter. Erfolgreich trat der Bürgermeister für die Fortbildungsschule ein, die von Lehrer Lommen und Techniker Steinbach gut geführt wurde. Eine günstige Gelegenheit, schon im Jahre 1875 in Sinzig eine Lehrerpräparandenschule zu bewirken, wurde von den Stadträten leider gleichgültig behandelt.
7. Bürgermeister:
Alfred Otto (1883—1910)
Alfred Otto war ein Schwabe und wurde 1846 in Boll bei Hechingen geboren. Zuerst betrat er die militärische Laufbahn, erhielt aber wegen Asthma 1881 wunschgemäß seinen Abschied. Er wurde zweimal auf 12 Jahre und dann auf Lebenszeit in Sinzig als Bürgermeister gewählt. Er hob das Volksschulwesen; die Schule hatte nun sechs Schulsäle mit acht Schulklassen. Auch unterstützte er die höhere Töchterschule in der Lindenstraße. Im Jahre 1884 erstand das Bürgermeisterwohngebäude vor dem Mühlenbacher Tor. 1896 wurden zwei Schulsäle im neuen Schulhaus am Schießberg errichtet. 1887/88 wurde die Wasserleitung gebaut. 1892 erhielt Sinzig seine erste Apotheke, allerdings zunächst nur eine Filiale. 1893/94 wurde das Krankenhaus gebaut. Was dreißig Jahre vorher nicht zum Erfolg führte, das erreichte Bürgermeister Otto. Im Jahre 1904 wurde in Sinzig eine Königliche Präparandenanstalt errichtet, die die Lehramtkandidaten in einem dreijährigen Kursus für das Lehrerseminar vorbereitete. Als der verdiente Bürgermeister im Alter von 64 Jahren sein Amt niederlegte, ernannte ihn die dankbare Stadt zum Ehrenbürger. Bürgermeister i. R. Otto zog nach Godesberg, wo er 1924 starb.
8. Bürgermeister:
Anton Hermann Josef Ortsiefer (1911—1919)
Als Sohn des Schreinermeisters Ortsiefer wurde er 1880 in Bonn geboren. Er war der Bruder des berühmten Kölner Dompredigers P. Dr. Dionysius. Er studierte an der Universität Bonn Jura. Als Referendar arbeitete er bei der Verwaltung in Linz und Neuwied und wurde mit 26 Jahren Bürgermeister in Sehl/Mosel. Kaum hatte er in Sinzig Fuß gefaßt, als der erste Weltkrieg jede normale Entwicklung störte und dem Bürgermeister viele, viele Kriegsaufgaben stellte, die er in lobenswerter Weise löste. Leider starb er schon am 16. Februar 1919 an einer Lungenentzündung.
9. Bürgermeister:
Dr. jur. Ernst Schäfer (1919—1933)
Ernst Schäfer war 1881 als Sohn des Notars Schäfer in Mayschoß geboren. Er studierte die Rechts= und Staatswissenschaften in Bonn, wurde 1912 Bürgermeister in Bardenberg, Bez. Aachen. Seine Amtstätigkeit wird überschattet durch die Besatzungszeit, die dem Stadtoberhaupt oft unlösbare Aufgaben stellte. Daher wurde der Bürgermeister Dr. Schäfer im März 1923 aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen; erst im Dezember 1924 durfte er zurückkehren. Er setzte sich energisch für die Eisenbahn Meckenheim—Nierendorf—Sinzig ein. Auch erstrebte er eine großzügige Hafenanlage am Rhein, wo er das Sinziger Strandbad errichten ließ.
Grüngürtel und Kanalisation wurden angelegt. Durch die Neuordnung der Lehrerbildung wurde die staatliche Präparandenschule aufgelöst. Hier errichteten die Maristenschulbrüder eine höhere Knabenschule (Sexta bis Untersekunda). Diese Schule wurde nach Remagen verlegt, weil die Stadt Remagen außer einem großen Schulneubau mit Internat auch noch weitere Mittel zur Verfügung stellte. Obwohl Bürgermeister Dr. Schäfer 1930 auf weitere zwölf Jahre gewählt worden war, wurde er nach der Machtübernahme 1935 beurlaubt und 1934 in den Ruhestand versetzt.
10. Bürgermeister:
Junior (1933—1936)
Von Partei und Regierung als Bürgermeister eingesetzt, hat er nur kurze Zeit das Amt verwaltet.
In diesen unruhigen Zeiten war der „ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht“ der Stadtobersekretär Sebastian Lessnig, der vom Jahre 1894 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand 1937 Erhebliches und Wichtiges für Sinzig geleistet hat.
11. Bürgermeister:
Walter Meyer=Kirschner (1937—1945)
Als Sohn des Bürgermeisters Meyer, der nacheinander Bürgermeister in Bacharach, Wallhausen und Langenlonsheim war, besuchte er das Gymnasium in Boppard und Kreuznach; dann trat er 1907 in den Verwaltungsdienst ein. Er arbeitete in Oberwesel, St. Goar, Bacharach, Mauritz i. W., Wallhausen, Neuwied, Rüdesheim und Kreuznach. Auch er wurde von der Besatzungsbehörde 1925 ausgewiesen. In dieser Zeit arbeitete er in Berlin, Kassel und Flammersfeld/Westerwald. Die während der Ausweisung erfolgte Wahl zum Bürgermeister der Stadt Lautenthal im Harz lehnte er ab, weil er der rheinischen Heimat gerade in der Notzeit der Besatzung die Treue halten wollte. Bürgermeister Walter Meyer=Kirschners rührige Tätigkeit in Sinzig wurde überschattet und behindert durch die schroffe Parteileitung und durch den 2. Weltkrieg. Er war der letzte preußische Bürgermeister in Sinzig.
Elf Bürgermeister haben in preußischer Zeit in Sinzig in lobenswerter Weise ihres Amtes gewaltet. Ihr Lebensbild, ihr Wirken und Schaffen entwirft auch ein heimatliches Geschichtsbild im Wandel von 130 Jahren.