Die Brückenruine bei Ahrweiler

VON BLASIUS BRAUN

Überall hat uns die Geschichte Reste von großen Bauten hinterlassen, die vor vielen Jahren mit Fleiß aufgeführt und dann, nachdem sie dem Menschen für seine Zwecke gedient hatten, aus Alter oder auch durch gewaltsame Eingriffe zerstört wurden.

Eine andere Art von Ruinen sind Bruchstücke eines erst in der Entstehung begriffen oder kurz vor der Vollendung stehenden Bauwerks, das durch irgendein Geschehnis nicht vollendet werden konnte.

Eine solche Ruine zeigt seit 1923 die Kreisstadt Ahrweiler. Einige hundert Meter von ihren Stadtmauern entfernt erheben sich in einem engen Tal 10 Mauerstümpfe, Pfeiler aus Beton in riesigen Ausmaßen, die das Stadtbild etwa 50 m überragen. Mancher Fremde hat vor diesen 35 m hohen Säulen gestanden und ihr Woher und Wohin zu ergründen versucht.

Es ist ein herbes Schicksal, von dem diese Bruchstücke eines großen Bauwerks erzählen können, von einem Geschick, das der verlorene 1. Weltkrieg heraufbeschworen hat, und der die großzügigen Pläne der in höchster Blüte stehenden rheinischen Industrie und eines in enge Grenzen zusammengepferchten und Befreiung aus seiner Enge suchenden Verkehrsmassivs durchkreuzte.

Foto: Kreisbildstelle
Viadukt in der Adenbach

Der Austausch von Kohle bzw. Koks und Eisenerz zwischen Ruhrgebiet und dem Niederrhein einerseits und Elsaß-Lothringen mit Luxemburg andererseits suchte freiere und leichtere Verkehrsmöglichkeiten. Dann dachte man auch an die Erschließung großer fruchtbarer Landstriche zwischen Köln und dem Ahrgebiet und an den Anschluß großer Eifelstriche an das Eisenbahnverkehrsnetz. Eine große Bahnlinie abseits vom Rheintal beschäftigte lange die maßgebenden Stellen, bis endlich Taten folgten. Eine Eisenbahn sollte den Niederrhein, beginnend bei dem riesigen Umschlagbahnhof Hohenbudberg unweit Krefeld, an Neuß und Köln vorbei Über Liblar durch die fruchtbaren Gebiete der Erft nach dem oberen Mosel- und Saargebiet mit dem Südwesten Deutschlands verbinden. Als erste Etappe wurde mit dem schwierigsten Abschnitt Liblar—Ahr im Jahre 1912 begonnen. 1914 war auch schon die zweite Strecke Adenau—Daun ins Auge gefaßt und bereits ihre Linie abgesteckt. Diesem Plan bereitete der Ausbruch des i. Weltkrieges ein Ende. Das Stück von Liblar bis zur Ahr, das große Schwierigkeiten durch Überwindung der Ahrberge bot, wurde auch während des Krieges mit aller Macht gefördert und weitergebaut.

Der Höhenunterschied zwischen der neuen Bahn und der Ahrtallinie beträgt bei Ahrweiler 100 Meter, der von hier bis Rech an der Ahr auf einer Entfernung von 8 km ausgeglichen werden mußte. Bei Rech sollte die neue Bahnlinie von der Ahrbahn aufgenommen werden. Die Ahrlinie steigt, während die neue Strecke talwärts meistens in Tunnels durch die Berge verläuft. 1921 waren die letzteren und auch der Bahndamm in der Ebene von Liblar bis Ahrweiler fertiggestellt. Zum Teil lagen auch schon die Schienenstränge. (Die Schienen wurden während der Ruhrbesetzung 1923/24 von den Franzosen abmontiert und für den Ausbau eines zweiten Gleises der Strecke Bonn—Euskirchen— verwandt.)

Der neue Bahnkörper tritt plötzlich, aus der Richtung Rheinbach kommend, bei Ahrweiler an den Bergrand des tiefen Ahrtals und schaut von oben mit wunderbarem Ausblick auf das große Talbecken von der Landskron bis zur „Bunten Kuh“, zieht sich noch mehrere 100 Meter in dieser Höhe an dem Bergrand durch Weinberge hin, um dann unvermittelt vor einem tiefen Taleinschnitt aufzuhören. Jenseits des Tals, etwa 150 Meter entfernt, schaut man in eine große ausgemauerte Felsenhöhle, in den ersten Eisenbahntunnel. Diese 150 Meter lange Strecke mußte noch überbrückt werden. Die landschaftlichen Reize, die sich dem Reisenden bei der Benutzung der neuen Bahnlinie hier geboten hätten, kann die Phantasie unschwer ausmalen. Im Zuge aus dem Ländchen herausgeeilt, sieht er ganz plötzlich tief unter sich Ahrweiler und Bad Neuenahr, die Ahr und die kühn ansteigenden Weinberge, sieht sich dann mit den prächtigsten Ausblicken hoch in der Luft über eine Brücke getragen und nach wenig Sekunden in die Finsternis eines Tunnels entführt. Tiefe Nacht umschließt ihn für einige Minuten, dann schaut er wieder das romantische Ahr-tal; aber an ganz anderer Stelle, im Hintergrund den Gebäudekomplex des Klosters Kalvarienberg, dann nach Überwindung eines zweitenTunnels vor sich Marienthal mit der Klosterruine und Schloß und die Anlagen der Weinbaudomäne. Abermals geht es in das Berginnere, um dann dem sonnigen Weindorf Dernau und bald auch dem idyllisch gelegenen Rech zuwinken zu können. Doch kehren wir zu unserer Brücke bei Ahrweiler zurück. Im Herbst 1921 wurde der Grundstein für das riesige Bauwerk, welches das 150 Meter beite Adenbachtal überqueren sollte, gelegt. Wer diesen Bau bis zu seiner jetzigen Gestalt verfolgt hat, kann beurteilen, wieviel geistige und körperliche vergebliche Arbeit für diese Ruine aufgewandt worden ist. In dem nassen Herbst und Winter 1921/22 wurden die Fundamente in die Talsohle zehn Meter tief bis in den felsigen Grund getrieben. Im Frühjahr 1923 waren die Pfeiler bis zu einer Höhe von 30 Meter in einem Betonguß fertig, von einem riesigen Holzgerüst umkleidet, das kunstvoll zusammengezimmert war und das von zwei Aufzügen für die Beförderung der Baumassen noch überragt wurde. Auch die Ansätze der Bögen waren bereits eingegossen. Da nahte das Verhängnis. Die Besetzung des Ruhrge-

Eingerüstete Brücke an der Adenbach
Reproduktion: Kreisbildstelle

biets durch die Franzosen und die Einstellung des gesamten Eisenbahnverkehrs infolge des passiven Widerstandes zwang die Bauleitung zur Stillegung des Brückenbaues. Diese als provisorisch gedachte Bauruhe ging bald infolge der politischen Nachwirkungen des Krieges, der Ruhrbesetzung und des Niedergangs des gesamten Wirtschaftslebens durch die Inflation in eine dauernde über Das Schicksal der Brücke war besiegelt. Im Jahre 1924 wurde das Baugerüst abgebaut, und nur die nackten Säulenstümpfe blieben zurück. Sie stehen heute noch da, ein widriges Geschick beklagend und gleichsam die Arme, Hilfe für die Vollendung suchend, gegen Himmel streckend. Die großen Pfeiler in der Mitte sollten die drei Hauptbögen von je 36 Meter Spannweite tragen. Die Höhe der Brücke würde hier von der Talsohle bis zum Scheitel 40 Meter gemessen haben.

Ihre Fundamente haben einen Querschnitt von 10 x 8,5 Meter. Auf ihnen ruhen die Betonpfeiler mit einem Querschnitt von 8 x 6,5 Meter. Etwa 15 Meter über der Talsohle zeigen sie einen im rechten Winkel zur Vertikalachse stehenden Absatz an der der Stadt Ahrweiler abgekehrten Seite, wodurch sie die Hälfte ihres Querschnitts einbüßen. Von hier an beträgt ihr Querschnitt nur noch 4 x 6,5 Meter.

Die Bahn war als doppelspurige Linie geplant und bis jetzt auch dementsprechend ausgeführt worden. Es mußten daher auch die Träger der Brücke einer Doppelspur Rechnung tragen. Die Interalliierte Rheinlandkommission, deren Mißtrauen mit dem Wachsen des stolzen Bauwerks sich steigerte, verbot den Weiterbau und ließ sich erst nach schwierigen Verhandlungen zu einer Konzession für die Fortsetzung der Arbeiten bereit finden, die aber nur so weit ging, als eine einspurige Eisenbahnlinie an Brückenbreite äußerst verlangte. Die Pfeiler wurden daher nach Verminderung des Querschnitts um die Hälfte nur für eine Spurweite hochgeführt.

An sich konnte hierdurch das ganze Bahnprojekt, das zweispurig ausgebaut und nur hier auf 150 Meter Länge an eine Einzelspur gefesselt wurde, wenig behindert werden, aber der Hintergrund dieses Geschehnisses ist um so bedeutungsvoller. Seit 1924 hat sich ein lebhafter Streit um den Weiterbau der Brücke und um das Schicksal der vor der Inbetriebnahme stehenden ganzen Bahnlinie entfacht, der allgemein bekannt sein dürfte. Riesige Summen Geldes hat das gesamte Projekt verschlungen. Ihr erster Zweck: ungehinderter Austausch von Koks und Erz zwischen Nordwest- und Südwestdeutschland, ist mit der Abtretung von Elsaß-Lothringen und mit dem Verlust des Einflusses Deutschlands auf die luxemburgische Eisenerzverwertung vermindert, jedoch durch die Montanunion wieder vermehrt worden.