Die blosen sech fott wie Stöbb!
VON WERNER KELLER
Es war die Zeit der „Goldenen Zwanziger Jahre“. Bad Neuenahr war schon ein berühmtes Bad. Aber die Menschen hatten noch Zeit. Das Wort Streß kannte man noch nicht. Es war eine Zeit, die noch „Originale“ kannte.
Ein solches „Original“ war auch ein Malermeister aus Bad Neuenahr, der den Besitzer des Hotels Westend aufsuchte, weil das Hotel zur Saison einen neuen Außenanstrich bekommen sollte.
Der Malermeister hatte zu seinem Besuch den besten Sonntagsanzug angezogen, der Ehre bewußt, zu diesem Besuch gebeten worden zu sein und eventuell den hier zu erwartenden Auftrag zu bekommen. Im Foyer saß man bei einem Glas Ahrrotwein zusammen und besprach das Vorhaben und die Vorstellungen über einen neuen Anstrich. Die Arbeiten sollten vor Saisonbeginn beendet sein, die Ausführung der Tradition des Hauses entsprechen, und auf der Stirnseite des Hotels in Richtung Hemmessen wäre im oberen Drittel, das genau bezeichnet wurde, in heraldischer Schrift der Name des Hauses und des Besitzers anzubringen. Unser Malermeister, dem Weine nicht abhold, hatte sich auf eine Verhandlung über mehrere Flaschen eingerichtet und erwiderte zunächst, er könne das Hotel nicht mit einem Anstrich versehen. Er sei kein Anstreicher- sondern Malermeister. Anstreichen sei ein Handwerk, Malen eine Kunst. Und wenn er richtig verstanden habe, bemerkte er schalkhaft, so sei doch hier mehr an eine künstlerische Ausführung des neuen Außenkleides des Hotels gedacht, was mehr als ein Anstrich sein müsse.
Der Auftraggeber seinerseits meinte, Art und Ausführung sei auch eine Preisfrage, denn Farbe sei nicht mehr und nicht weniger als Farbe.
Dem guten Wein verpflichtet und nach jedem Glase in der Rede freier, sah der Malermeister die Zeit gekommen, in weitschweifigen Ausführungen von Farbkomposition, Vorstrich, Grund- und Deck-, Eisen- und Holzfarben zu reden, wobei die Skala der Möglichkeiten ohne Ende schien. Über den Preis, meinte der Meister und ließ dabei erkennen, daß die zweite Flasche leer war, ließe sich reden. Wenn er den Auftrag übernehme, komme es ihm vorrangig darauf an, den Auftraggeber voll zufrieden zu stellen.
Bei der neuen Flasche gleichguten Ahrrotweines fiel ganz beiläufig die Feststellung, man müsse sich zunächst auch noch informieren, was der Gerüstbauer für den Auf- und Abbau des Gerüstes verlange, oder ob der Auftraggeber das selbst regeln wolle. Der sah im Geiste die Rechnung ins Uferlose steigen und meinte, Auf- und Abbau des Gerüstes sei Sache des die Arbeiten ausführenden Anstreichermeisters, wobei er gleich berichtigend das Wort „Malermeister“ anfügte.
Der Meister versprach, auch die Kosten des Gerüstbaues in seinen Kostenanschlag zu übernehmen. Zur Frage der Zahlungsweise, die schließlich noch angeschnitten wurde, stell te er lakonisch fest, wenn man sich über den Auftrag einig werde, würde auch für dieses Problem eine für beide Seiten befriedigende Lösung gefunden werden. Sein Prinzip sei, wie er schon betont habe, seine Kunden in jeder Hinsicht zufrieden zu stellen. Mit der dritten Flasche neigte sich auch das Gespräch dem Ende zu. Der Malermeister bekam den Auftrag, nachdem er nochmals fachmännische Ausführung zugesichert hatte, mit der der Auftraggeber zufrieden sein werde. Mit der notwendigen Zeit wurde nun der Auftrag ausgeführt, denn Vollbeschäftigung war für unsern Malermeister wie für die meisten Handwerker damals ein Wunschtraum. Mit einigen Zeitbeschäftigten, die, mit Weisungen und Anordnungen des Chefs reichlich versorgt, die groben Arbeiten ausführten, während der Meister sich auf die künstlerischen Feinarbeiten konzentrierte, wurde der Auftrag nach Wochen, doch rechtzeitig vor Beginn der Saison abgeschlossen.
Schnell waren die Gerüste abgebaut, und der Meister ließ sich beim Hotelier melden, um voller Stolz festzustellen: „Herr Hotelier, das Werk ist ohne Unfall vollbracht, darf ich Sie um Abnahme bitten ?“
Beide Herren gingen nach draußen und der nun folgende Dialog wurde größtenteils vom Hotelier, der die Ausführung kritisch betrachtete, mit Fragen und Bemerkungen bestritten. Der Meister fühlte sich etwas in die Enge getrieben, versuchte seine gewohnte Sicherheit wiederzugewinnen und stellte bei der Besichtigung der Stirnwand besonders die künstlerische Ausführung der Beschriftung heraus, die wohltuend von der Grundfarbe abhebe und dennoch aus einem Guß sei. Er vergaß auch nicht gebührend hervorzuheben, wie schön sich das geschwungene „C“ im Wort „Carl“ mache.
So glaubte er langsam wieder Oberwasser zu gewinnen, wie der Volksmund sagt. Doch wie aus heiterem Himmel fragte der Hotelier: „Hält das auch?“ Der Meister, fast in seiner Berufsehre gekränkt, war von der Frage so überrascht, daß er vergaß, in dem ihm eigenen guten Hochdeutsch zu antworten. Spontan und laut, etwas gereizt, kam die Antwort im reinsten Grafschafter Dialekt, seiner angestammten Mundart: „Äwwer Herr Hotelier, dat es fass wie Eise (fest wie Eisen)!“ – „Und wie ist das mit den Farbflecken auf dem Trottoir (Bürgersteig)?“ konterte der Hotelier. „Och“, meinte der Meister mit dem Gesicht eines Engels und einem beruhigenden überlegenen Lächeln, „do klatsche m’r e paar Eimer Wasser drüwwer, dann blosen die sech fott wie Stöbb (Staub)!“