Die Auswirkungen der Flutkatastrophe auf die Dr. von Ehrenwall´sche Klinik

Dr. Christoph Smolenski

Wie eine Festung thronte die Dr. von Ehrenwall´sche Klinik 140 Jahre lang neben der Ahr. Überstand Weltkriege und Währungsreformen und schützte jetzt, wie viele Ahrweiler Bürger meinen, die alte Stadtmauer vor den aggressiven Fluten der Ahr.

Die Flutnacht

Als am 14. Juli 2022 um 22:35 Uhr das Wasser über die Uferbrücke schwappte, war den Beteiligten klar, dass man in diesem Jahr nicht so glimpflich davonkommen würde wie 2016. Zwei Stunden später stand das Wasser 1,60 Meter in allen Häusern, z.T. sogar bis 2,70 Meter. Sofort begannen die Mitarbeiter der Klinik die Patienten in den drei belegten Hausteilen in die obere Etage zu verlegen. Bei einem Haus gelang dies nur telefonisch, da die Zuwegung zu diesem auswärts gelegenen Gebäude nicht mehr möglich war. Patienten und Mitarbeiter verbrachten die Flutnacht in Sammellagern und in den zur Verfügung stehenden Zimmern. Die Geräuschkulisse war immens, da immer wieder Bäume, Fahrzeuge, Wohnwagen gegen die Mauern der Häuser stießen. Ängste kamen auf, die Gebäude könnten diesen Naturgewalten nicht trotzen. Zum Glück kamen keine Patienten oder Personal zu Schaden.

Der Tag danach

Am nächsten Morgen wurden die Patienten in benachbarte Krankenhäuser verlegt oder entlassen. Dies gestaltete sich schwierig, da keine Transportfahrzeuge zur Verfügung standen, um schwerkranke Patienten in benachbarte Krankenhäuser zu transportieren. Mitarbeiter der Klinik fuhren mit privaten Wagen zu den benachbarten Krankenhäusern, insbesondere zur Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach, um schwerkranke Patienten dort hin zu bringen. Erst langsam registrierte die Klinikleitung, was alles zerstört und verloren war: Alles elektronische Gerät war zerstört, der ganze Fuhrpark der Klinik, fast alle Verwaltungsunterlagen und natürlich das im Keller gelegene Archiv. Fassungslos sah man, dass die Carl-von-Ehrenwall- Allee über rund 250 Meter nicht mehr existierte. Spätere statische Kontrollen ergaben, dass der Betonbau aus den 1970er-Jahren in weiten Teilen einsturzgefährdet ist. Fast 2,5 km Mauern, die die Klinik umgaben, waren zerstört. An einigen Stellen waren riesige Löcher von bis zu vier Meter Tiefe entstanden.

Folgen und Konsequenzen

Entsprechend des Totalschadens meldet sich die Dr. von Ehrenwall´sche Klinik von der Versorgung des Landkreises Ahrweiler bei den zuständigen Stellen ab.

Katastrophale Zäsur in der 140 Jahre langen Geschichte der Dr. von Ehrenwall´schen Klinik: ein historischer (links) und ein neuerer Gebäudetrakt (rechts) am 20. Juli 2021, 17:28 Uhr

Der Versorgungsauftrag wurde zunächst auf die Rhein-Mosel-Fachklinik, später auch auf die psychiatrischen Kliniken in Waldbreitbach, Lahnstein und Gerolstein verteilt. Unmittelbar nach der Katastrophe initiierte die Klinik eine Telefonhotline und organisierte, dass psychotherapeutisch Mitarbeiter durch die Stadt gingen, um bedürftige Menschen aktiv anzusprechen. Viele Menschen wagten sich im Anfang nicht aus ihren Häusern oder Helfer anzusprechen.

Zwei Wochen nach der Katastrophe wurde die Psychiatrische Institutsambulanz auf drei zusätzliche Standorte ausgeweitet: Lantershofen, Sinzig und Bad Breisig. Im St. Joseph-Krankenhaus in Adenau konnte die Klinik am 1. September ihre tagesklinische Tätigkeit mit 20 Plätzen wieder aufnehmen. Die dezentralen Einsatzorte kamen den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegen, da der öffentliche und der Privatverkehr weitestgehend zum Erliegen gekommen waren.

Weitere Maßnahmen zur Patientenversorgung

Ende Oktober konnte ein kleines Hotel in Niederdürenbach angemietet und die stationäre Behandlung mit 18 Patienten begonnen werden. Ein neues Behandlungsangebot startete – die sogenannte stationsäquivalente Behandlung. Hier werden Patienten zu Hause behandelt und zwar intensiv mit einem Team von Ärzten, Psychologen, Pflegekräften, Ergotherapeuten, Sozialtherapeuten und Bewegungstherapeuten. Dazu musste der zerstörte Fuhrpark der Klinik wieder aufgebaut werden. Am 1. Dezember startete in Kooperation mit dem Land Rheinland-Pfalz und der DRK Kinder und Jugendlichen Psychiatrie, Bad Neuenahr, ein neues Projekt: das Traumahilfezentrum – THZ -, das ebenso wie Teile der psychiatrischen Institutsambulanz in Räumlichkeiten des Sankt Lambert Studienhauses in Lantershofen Platz fand. Das Traumahilfezentrum wurde als Beratungs- und Informationszentrum konzipiert, in dem Menschen Zugang zu entsprechenden Fachleuten finden, ohne die Barriere einer psychiatrischen Einrichtung überwinden zu müssen. Der Zuspruch zu diesem Zentrum stieg exponentiell. Als problematisch erwies sich die Fortleitung der Patienten in eine angemessene psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung, da Behandlungsplätze fehlen.

Die Straße weggerissen: An der zur Ahr gelegenen Dr. von Ehrenwall´schen Klinik am 18. Juli 2021, 11:15 Uhr

Wiederaufbau

Vorrangigstes Ziel der Klinikleitung, die nie Zweifel daran ließ, die Klinik wieder aufzubauen, war es, die stationäre Behandlung wieder auszubauen. Nachdem die entsprechenden Vorbereitungen getroffen waren, konnte die Klinik ab dem 9. Mai 2022 wieder Patienten in den oberen Stockwerken des alten Haupthauses aufnehmen. Nach der medizinischen Organisation von Versorgung und Weiterleitung stand die Bewältigung des technischen Chaos an vorderster Stelle: Wasser-, Gas- und Elektrizität-Zuleitungen waren zerstört. Es dauerte Monate, bis die Klinik wieder an Wasser angeschlossen war, bis Toilettenanlagen wieder funktionierten. Zur Vorbereitung des Anschlusses an die elektrische Versorgung mussten weitreichende Vorarbeiten geleistet werden. Die Gasversorgung musste völlig umgeplant werden, da die Gasleitung am Ahr-Ufer nicht wieder aufgebaut wird.

Die weggebrochene Versorgung wurde durch die Installation von zahllosen Dixie-Häuschen-Toiletten, täglich angelieferten Trink- und Brauchwasserkanistern und durch einen Stützpunkt der Firma Jola-Rent auf dem Parkplatz P1 am Obertor überbrückt. Das Unternehmen Jola-Rent stellte in Absprache mit der Klinik auf diesem Gelände eine Toiletten-Anlage, eine Dusch-Anlage und später auch einen Friseur-Salon auf. Diese Anlage entwickelte sich zu einem Versorgungszentrum des westlichen Stadtteils von Ahrweiler. Zahlreiche Essensanbieter kamen auch auf das Klinikgelände. Später baute das Unternehmen Jola-Rent zusammen mit der Klinik ein Testzentrum zur Testung von Mitarbeitern und Bürgern auf, um den Anforderungen der Corona-Pandemie gerecht zu werden.

Wirtschaftliche Sicherung

80 der 323 Mitarbeiter der Klinik waren von der Flut persönlich betroffen, 50 davon existentiell mit dem Verlust von Haus und Habe. Entsprechend beurlaubte die Klinikleitung die am stärksten betroffenen Mitarbeiter für vier Wochen. Die vorflutlich gesunde wirtschaftliche Situation des Unternehmens ermöglichte es, alles Personal zu halten und auch zu finanzieren. Die wirtschaftliche Entwicklung veranlasste die Klinikleitung dann zum 1. Februar 2022, erstmals in der Geschichte des Unternehmens, Kurzarbeit zu beantragen. Seitens des Landes bestand von Anfang an eine große Unterstützung und ausgezeichnete Kooperation. Die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Krankenhaus im Ministerium sowie der Minister persönlich und sein Staatssekretär besuchten die Klinik und standen mit Rat und Tat zur Seite. Das Land sicherte der Klinik zu, 100% der Wiederaufbaukosten zu finanzieren. Die vom Staat ersetzten Ausfälle der Umsätze (Ebbit) waren allerdings von der EU per Gerichtsbescheid auf 6 Monate begrenzt, sodass die Finanzierung der laufenden Kosten weiterhin ein problematisches Thema ist.

Hilfe aus ganz Deutschland

Überwältigend war die Hilfsbereitschaft aus ganz Deutschland: Befreundete psychiatrische Kliniken schickten Hilfsgruppen nach Ahrweiler. Zahllose jugendliche Helfer von Samaritan`s Purse und anderen religiösen oder caritativen Unternehmen kamen, um den Schlamm aus den Kellern der Klinik zu entfernen. Viele alte, kostbare Gegenstände mussten dabei entsorgt werden – so zum Beispiel der Flügel aus dem Lesesaal der Klinik – aber es konnten andere Dinge, zur großen Überraschung geborgen und für die Zukunft sichergestellt werden.

Privatleute, Clubs und Institutionen (Rotary, Volksbank) spendeten Fahrzeuge, Geld und elektronisches Material wie Laptops oder Handys und halfen der Klinik somit ganz wesentlich, möglichst schnell wieder funktionsfähig zu werden. Zahlreiche befreundete Menschen aus dem Gesundheitswesen spendeten dem Förderverein CvE, sodass aus diesen Mitteln die am schlimmsten betroffenen Mitarbeiter unterstützt werden konnten. Emotionale Momente schweißten alle Mitarbeiter und die Leitung der Klinik zusammen: So kamen Soldaten des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz, die früher in der Dr. von Ehrenwall´schen Klinik gearbeitet hatten, spontan zur Hilfe und spendeten eine neue Fahne – die alte Ehrenwall-Fahne war von der Flut weggeschwemmt worden – und diese wurde bei einem feierlichen Fahnenapell unter Abspielen von Amazing Grace gehisst – dabei flossen viele Tränen.

Ausblicke

Elf Monate nach der Flutkatastrophe sind schon viele Schritte gegangen worden (Stand Mitte Juni 2022): Das Haus F wird im Juli wieder fertiggestellt sein, sodass hier Tagesklinik und Institutsambulanzen, neu erstellten Räumlichkeiten tätig werden können. Die alte Turnhalle wurde abgerissen, der Abriss des Betonbaus aus den 1970er-Jahren steht unmittelbar bevor. Hier wird ein Neubau realisiert, der gemeinsam mit dem Land kurz vor dem Planungsabschluss steht. Im Park der Villa Sophia entsteht ein Gartenprojekt des Vereins GlasKlahr, dem die Klinikleitung diesen Teil des Parks zur Verfügung stellt. Auf die Frage, wann die Klinik wieder hergestellt sein wird kann man nur mit Schätzungen antworten. Die Häuser vielleicht in fünf Jahren, die Parkanlage vielleicht in zehn Jahren – es braucht viel Geduld!