Die Ahrflut war auch eine Abfallflut
Bilanz nach einem Jahr: Eine Million Tonnen Abfälle aller Art wurden erfasst, verladen, abtransportiert, teilweise zwischengelagert und entsorgt
Sascha Hurtenbach
Das Tief „Bernd“ verusachte vom 12. bis 19. Juli 2021 in mehreren Regionen Deutschlands schwere Niederschläge. Besonders betroffen war die Region in Westdeutschland zwischen Hagen, Wuppertal, Euskirchen und vor allem das südlich angrenzende Ahrtal im Kreis Ahrweiler. Dem Abfallwirtschaftsbetrieb Kreis Ahrweiler (AWB) liegen durch die Gebührenveranlagung von Abfallgebühren genaue Daten über die Zahl der Einwohner, Haushalte und veranlagte Grundstücksobjekte vor. Dies erlaubte anhand der Vor-Ort-Berichte eine zeitnahe erste Einschätzung der Lage. Die Zerstörungsgrade wurden ortsweise geschätzt und kategorisiert. So ergab sich ein erster Überblick über wahrscheinliche Schwerpunkte der Katastrophe.
Wir schätzten anfangs, dass 25.000 Bewohner in 12.500 Haushalten direkt betroffen waren und rund 6.700 Objekte (Grundstücke) einen unterschiedlich starken Zerstörungsgrad aufwiesen. Die Bilanz der Zerstörung kann auch heute (Stand August 2022) in bestimmten Bereichen nur überschlägig verifiziert werden. Die Länge des Tals sowie eine Vielzahl von Sachverhalten, Zuständigkeiten und Bereichen macht eine genauere Wiedergabe für den AWB nicht möglich.
Bagger auf bis dahin unvorstellbar hohen Müllbergen am 18. August 2021 im Abfallwirtschafts- zentrum
300.000 Tonnen Sperrmüll am 19. Juli, Schwerpunkt Bad Neuenahr
Aus dieser Schadenschätzung leiteten wir eine erste Sperrmüllmengenschätzung ab, die am 19. Juli 2021 insgesamt rund 300.000 Tonnen betrug. Der eindeutige Schwerpunkt lag in Bad Neuenahr.
In Rheinland-Pfalz nehmen die Landkreise und kreisfreien Städte die Stellung als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger ein. Der AWB übernimmt folgende Aufgaben: Sammlung von Restabfällen, Altpapier, Sperrabfällen, Elektroaltgeräten, Problemabfällen, Grünschnitt, Gewerbeabfällen in Umleerbehältern und Großcontainern; Behälterdienst für alle Umleerbehälter im Kreis. Daneben betreibt der AWB drei Wertstoffhöfe mit drei angegliederten Umladestellen zum Umschlag von Abfällen.
Aus dem Flutereignis erwuchsen unmittelbar folgende Aufgaben: Aufrechterhaltung des Leistungsbildes des AWB in den nicht betroffenen 56 Gemeinden; Aufrechterhaltung der Wertstoffhöfe und Umladestellen; Betrieb eines Zwischenlagers für Flutabfälle; Etablierung einer dem Leistungsbild möglichst nahekommenden Abfallsammlung in den 18 betroffenen Katastrophengemeinden; Sammlung und Beräumung des Katastrophengebietes von anfallenden Abfällen.
Vier Wochen Notentsorgung
Mit dem Mitarbeiterstamm des AWB (72 gewerbliche Mitarbeiter) war dieser Aufgabenwandel nicht umsetzbar. Deshalb wurde die Abfallentsorgung auf Beschluss der Bürgermeisterdienstkonferenz am 19. Juli 2021 in eine Notentsorgung umgestellt. Das bedeutete den vorübergehenden Entfall der Sammlungen von Altpapier, Elektroaltgeräten, Sperrabfällen und Problemabfällen sowie den vorübergehenden Entfall des Behälterdienstes. Außerdem wurde der Abfuhr-Rhythmus vorübergehend umgestellt, nämlich die Sammlung von Bioabfällen von wöchentlich auf zwei-wöchentlich. Nach vier Wochen konnten diese Maßnahmen bereits wieder zurückgenommen und die Abfallsammlung wieder in die Regelentsorgung umgestellt werden. Möglich war dies vor allen durch die Hilfe und den Beistand vieler kommunaler und privater Abfallbetriebe aus ganz Deutschland – vor allen aus Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Ihnen gebührt ausdrücklich besonderer Dank für den Beistand und die Hilfe in einer sehr schweren Zeit.
Beräumung des Flutgebiets von anfallenden Abfällen
Im Flutgebiet fielen in unterschiedlicher zeitlicher Abfolge die zu entsorgenden Abfälle an. Dabei kümmerte sich der AWB um die Abfälle, für die er aufgrund seiner normalen Aufgaben Entsorgungskompetenzen hat oder die hierzu verwandt sind und in vier Gruppe aufgeteilt sind: Restabfälle, Bioabfälle; – Problemabfälle, Restsperrabfälle, Holz A1-A3, Elektroaltgeräte; – Treibgut holzig, Treibgut restabfallartig; – Baustellenabfälle.
Im 40 Kilometer langen Katastrophengebiet lebten und arbeiteten nach der Flut sehr viele Menschen. Sie waren mit der Räumung von Abfällen, Reparatur von Gebäuden und Infrastruktur sowie der Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlagen beschäftigt. Dabei fielen natürlich typischerweise mülltonnengängige Rest- und Bioabfälle an. Diese mussten aber mangels Mülltonnen anders erfasst und gesammelt werden. Mangels intakter Infrastruktur (Brücken und Straßen), war dies ständig neu und mitunter sehr kleinteilig zu organisieren.
Die Wasserfluten führten dazu, dass der gesamte Hausrat der betroffenen Menschen zu Sperrmüll (Restsperrmüll und Holzsperrmüll) wurde. Hinzu kamen die in den überfluteten Etagen zerstörten Elektrogeräte, Farben, Lacke und sonstigen Problemabfälle. Die überfluteten Campingplätze lieferten zudem noch Hunderte von Propangasflaschen. In der Ahr trieben erhebliche Mengen an Treibgut aus Holz und anderen Dingen (z.B. zerstörte Campingwagen, Zelte, im Außenbereich gelagerter Hausrat und anderes).
Somit wurde es für jeden Stoffstrom erforderlich, einen eigenen Sammel- und Entsorgungsplan zu erstellen, um hieran den Gesamtprozess zerlegen und Problemen entgegen arbeiten zu können.
Entsorgungsdynamik beeinflusst Katastrophenmodus
Der Abfallanfall verlief in mehreren Wellen. Von der lokalen Unternehmensberatung Eveline Lemke Sustainability and Circular Economy Consulting wurde durch mehrere Interviews von Akteuren innerhalb und außerhalb des AWB während der Katastrophenbewältigung das abfallwirtschaftliche Geschehen festgehalten und einer wissenschaftlichen Betrachtung zugeführt. Die Untersuchung „#Bericht #Schlussfolgerungen #Hochwasserabfall #Ahrtal #Flut 2021“ unterscheidet vier aufeinander folgende engere Abfallwellen (Thinking Circular, 2021, S.27):
- Welle: Private Sperrmüllanlieferungen am AWZ“
- Welle: Sperrmüllflut in den Gassen
- Welle: Müllflut auf den Sammelplätzen
- Welle: Schlamm und Mineralische Abfälle.
Demzufolge hatten es der AWB und seine Partner mit einer eigenen Entsorgungsdynamik der Stoffströme zu tun. Restabfälle, Bioabfälle, Treibgut sowie Schlämme und Erden begleiteten das Entsorgungsgeschehen von Beginn an über viele Monate. Dem gegenüber war die Entsorgung von Pumpwässern, Problemabfällen oder Sieb- und Rechengut sehr früh beendet. Sperrabfälle, Elektroaltgeräte sowie Altautos lagen zeitlich dazwischen.
Dies entspricht auch dem erwarteten Wiederherstellungsprozess, den die Menschen verfolgten. Zuerst musste der nasse und zerstörte Hausrat aus den Wohnungen hinausgeräumt werden. Wässrige Sedimentschlämme wurden in Eimern oder mit Pumpen aus den Kellern hinausbefördert. Anschließend begann der Rückbau der Inneneinrichtung, Verkleidungen, vernässter Wärmedämmung und Trockenbauwänden. Anschließend wurden Fliesen abgeschlagen, dann der Putz und schließlich der Estrich ausgebaut. Alles gelangte auf die Straße vor dem Haus, da niemand sich die Mühe machte, die Materialien fachgerecht zu entsorgen und die öffentlichen Strukturen von Städten und Gemeinden sowie die vielen privaten Hilfskräfte mit teilweise schwerem Gerät das Material aufnahmen und auf lokale Zwischenlager brachten.
Schwerstarbeit im Abfallwirtschaftszentrum des AWB in Niederzissen
Es spiegelt sich auch im Mengenanfall, z.B. des Sperrabfalls wider. Insgesamt entsorgte der AWB rund 450.000 Tonnen Sperr- und Flutabfälle im engeren Sinne. Es baute sich am Anfang eine regelrechte Mengenwelle in den ersten zwei Wochen auf, die dann langsam über rund acht Wochen auslief. Die tägliche Entsorgungsmenge lag an Spitzentagen zwischen 10.500 und 14.000 Tonnen.
950 Lkw-Fahrten pro Tag
Es wurde beobachtet, dass vor allem mit Kippsattel-Lkw aufgrund des spezifischen Volumens des Abfalls eine Tonnage von etwa 15 Tonnen je Lkw bewegt werden konnte. Das macht also rund 950 Lkw-Fahrten pro Tag. Wegen der dadurch entstehenden langen Wartezeit an den Abladestellen und an der Beladestelle im Tal kann maximal von zwei Transporten pro Fahrzeug am Tag ausgegangen werden.
Aufgrund dieser Dynamik kam es am Abfallwirtschaftszentrum Niederzissen (AWZ) zu einer Anhäufung der Zwischenlagermenge bis an die Grenze der Aufnahmekapazität. Auf der Deponie Eiterköpfe wurde innerhalb von nur drei Wochen ein Ablagerabschnitt (sog. Canyon) mit rd. 100.000 Tonnen Flutabfällen belegt. Danach war diese Lagerkapazität erschöpft.
Auch der Bedarf an Fahrzeugen und Personal, um die Krise zu bewältigen, verlief entsprechend des Mengenanfalls der Abfälle. In den ersten acht Wochen nach der Flut stieg der Bedarf an Unterstützung zunächst stark an und ging danach langsam wieder zurück. In der Betriebsstatistik des AWB fehlen allerdings die vielen ungezählten Freiwilligen und privaten Helfer mit ihren Fahrzeugen, die über mehrere Wochen ununterbrochen mithalfen, um die Abfallmengen zu erfassen, abzutransportieren und zu entsorgen.
Jedoch musste der AWB auch die Entsorgungskonzepte und -pläne an die Entwicklung der Abfalldynamik anpassen. Das Lagebild veränderte sich ja ununterbrochen und entwickelte sich weiter.
Thinking Circular (2021) gibt die Interview- antworten hierzu wie folgt wieder: (…) „Danach war die „Qualität des Mülls der 1. Welle: Sperrmüll, nach Fraktionen trennbar (Weiße Ware), von Hand sortiert und aufgeladen.“ (Protokoll Nr. 1) Am ersten Tag kamen vornehmlich Privatleute, um ihren Sperrmüll zu bringen, der aus vollgelaufenen Kellern stammte. Die Personen kamen aus den Randbereichen der Flut, in denen bereits am Vormittag des 15.07.2021 schon wieder das Wasser abgelaufen war und deren Infrastruktur ihnen ein Kommen ermöglichte. Das sah in der nächsten Phase anders aus: Die „Qualität des Mülls der 2. Welle: Stark verschmutzt, selten nach Fraktionen getrennt“ (Protokoll Nr. 1). Diese Beschreibung macht deutlich, dass die Menschen ihre gesamten in der Flut untergegangenen Habseligkeiten an die Straße stellen. Es handelte sich nicht nur um Sperrgut aus Kellern, ganze Wohnungseinrichtungen wurden auf der Straße entsorgt. Da auch nicht nach Gewerbemüll getrennt wurde, stellten auch die kleinen Geschäfte ihre Lagerinhalte auf die Straße. Obgleich Gewerbetreibende für ihre Lagerentleerung i.d.R. versichert und auch selbst verantwortlich sind, wurde in den beschriebenen Phasen nicht differenziert.
Aus den Straßen wurde der Müll oft mit schwerem Gerät, z. B. Radladern, vor die Tore der Orte verfahren, um die Straßen und Gassen freizuhalten. Die „Qualität des Mülls der 3. Welle: Stark verschmutzt (Schlamm, Öl), extrem zusammengefahren, durch Bagger zusammengeschoben und durch Radlader massiv verdichtet (inkl. Tierkadaver, Biomasse, Batterien, sonst. gefährliche Stoffe).“ (Protokoll Nr. 1)
Und so bildeten sich in der Folge neue Sammelplätze aus. Die Beschreibung wird wie folgt vorgenommen: „3. Welle „Müllflut auf den Sammelplätzen“ (25. Juli – ff.) Herr Wipperfürth sowie helfende Landwirte schoben ab dem 25.07. den Sperrmüll aus den Gassen auf Sammelplätze in und vor den Orten, von dort holte der AWB den Müll wieder ab.“ (Protokoll Nr. 1) (…)“, (Thinking Circular, 2021, S. 27-29)
450.000 Tonnen Restsperrabfall, 450.000 Tonnen Boden und Bauschutt, 100.000 Tonnen Altholz und holzartigs Treibgut
Insgesamt bilanzierten wir ein Jahr nach der Flutkatastrophe folgendes Zwischenergebnis: Die bisherige Gesamtmenge der Abfälle aus dem Tal beträgt über eine Million Tonnen Abfälle aller Art. Davon entfallen auf die Restsperrabfälle rund 450.000 Tonnen. Auf Boden, Steine und Bauschutt entfallen auch rund 450.000 Tonnen. Die Menge an entsorgtem Altholz und holzartigem Treibgut schätzen wir auf etwa 100.000 Tonnen. Elektroaltgeräte, Problemabfälle, Asbest und künstliche Mineralfasern sowie sonstige Abfälle spielen in der Menge mit etwa 6.000 Tonnen demgegenüber eine untergeordnete Rolle.
Auf dem Abfallwirtschaftszentrum, über das die Hauptlast der Abfälle umgeschlagen wurde, hat die Anlage selber stark gelitten. Rund 1 Million Euro Schaden ist an der Anlage entstanden, die behoben werden müssen. Trotz der vielen Zehntausend Abfalltransporte dort kam es nur zu drei Unfällen mit Blechschaden an der Anlage und nur zu einem leichten Personenschaden. Allein das war schon ein Wunder.
Ohne die vielen Helfer, die im Tal die Abfälle erfasst und zusammengetragen haben, sowie ohne die helfenden kommunalen und privaten Abfallbetriebe aus ganz Deutschland wäre es nicht möglich gewesen, diese gigantischen Abfallmengen in so kurzer Zeit zu entsorgen. Der AWB ist daher für die solidarische Hilfe zutiefst dankbar.
Sascha Hurtenbach ist Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs Kreis Ahrweiler