Die Ära Kurt Broicher (1957 – 1970) in der Staatsdomäne Marienthal. Zur Geschichte der Weinbaudomäne – jetzt Weingut Kloster Marienthal
Zum 1. September 2003 trat die Agrarverwaltungreform des Landes Rheinland Pfalz in Kraft. Damit war die Schließung der seit 100 Jahren bestehenden Staatlichen Landes-, Lehr- und Versuchsanstalt Ahrweiler sowie der seit 1925 in Staatsbesitz befindlichen Domäne Marienthal endgültig geworden. Gerade was die Staatliche Weinbaudomäne Marienthal anging, brodelte bald die Gerüchteküche. Vor allem wurde viel über deren Verkauf spekuliert. Kloster Marienthal ist ja nicht nur eine geschichtsträchtige und seit Jahrhunderten dem Weinbau verbundene Liegenschaft im Ahrtal, sondern auch zugleich eine der schönsten und romantischsten.
Kurzer Abriss zur Geschichte von Kloster Marienthal
Die bewegte Geschichte von Kloster Marienthal kann hier nur kurz zusammengefasst werden. In das Augustinerkloster Klosterrath bei Herzogenrath, im Gebiete des Grafen von Saffenburg, trat im 12. Jahrhundert der Edle Embrico von Mayschoß als Mönch ein. Seine Frau wurde Nonne in dem in unmittelbarer Nähe gelegenen Augustinerinnen-Kloster.
Da die Nonnen in diesem Kloster nicht auf Dauer verweilen durften, wurde im Hubachtal – einem linken Seitental der Ahr – auf dem Gebiet des Edlen Embrico für die Nonnen ein neues Kloster errichtet, in das mit Genehmigung des Erzbischofs von Köln und des Bischofs von Lüttich 1137 die Augustinerinnen übersiedelten. Die Klosterkirche Marienthal wurde 1141 geweiht.
Das Kloster entwickelte sich in der Folge durch reiche Schenkungen – insbesondere auch von Weingärten und Weinbergen – sehr gut. Es gibt allerdings nur spärliche Nachrichten über diese Zeit.
Im Jahre 1646 – zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) – wurde das Kloster von französischen Truppen niedergebrannt. 1699 wurde es wieder aufgebaut.
Weingut Kloster Marienthal 2006
Mit Beginn der französischen Revolution ging das Klosterleben in Marienthal zurück. Als 1794 französische Revolutionstruppen das Rheinland besetzten, flohen die Klosterinsassen zunächst nach Niederprüm und später dann auf die rechte Rheinseite. Unter Napoleon wurde das Kloster im Zuge der Säkularisation 1802 aufgelöst. Die Einrichtung der Klosterkirche gelangte in andere Klöster und Kirchen. So kamen die Kanzel und die Kommunionbank in die Pfarrkirche von Mayschoß, wo sie heute noch zu sehen sind. Die Klosteraltäre befinden sich in der Pfarrkirche St. Nikolaus in der Eifelgemeinde Aremberg.
1811 wurden die gesamten Klosterbesitzungen durch die französische Regierung versteigert, die Klostergebäude auf Abbruch verkauft und in roher Weise niedergerissen.
Im 19. Jahrhundert hat die Klosterruine öfter ihre Besitzer gewechselt. 1910 wurde vom damaligen Besitzer mitten in dem Terrassengarten ein großes Herrenhaus errichtet, das alsbald der Ahrtalbahn als Verwaltungsgebäude diente. 1925 wurde das ehemalige Kloster Marienthal mit seinen Ländereien preußische Staatsdomäne und Versuchsbetrieb. Seit 1952 war es als Domäne des Landes Rheinland Pfalz der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt in Ahrweiler angeschlossen.
Zu sehen sind heute noch von dem einstigen Kloster die efeubewachsene Ruine der gotischen Klosterkirche, ein Teil des Kreuzgangesund das Äbtissinenhaus. Diese Ruinen umgeben den kleinen Klostergarten.
Weingut Kloster Marienthal 2006
Nach langen Diskussionen und intensiven Verhandlungen erhielten 2004 vom Ministerium für Landwirtschaft und Weinbau vier Anbieter aus dem Ahrtal den Zuschlag zum Kauf der Staatlichen Weinbaudomäne Marienthal: Die Ahr-Winzer e.G., die Winzergenossenschaft Mayschoß – Altenahr, das Weingut Brogsitter (Walporzheim/Grafschaft) sowie das Dernauer Weingut Meyer-Näkel.
Die frühere Domäne wird jetzt als „Weingut Kloster Marienthal“ von den 4 Besitzern weitergeführt. Vorausgingen umfangreiche Umbauten, Renovierungen und eine komplette Neuorganisation des Weingutes. Der Jahrgang 2004 brachte die ersten eigenen Weine des neuen Weingutes. Zugleich wurde im Herbst 2004 der Gutausschank „Weingut Kloster Marienthal“ eröffnet, der von dem Ehepaar Birgit und Franz-Josef Appel geführt wird und sich bereits regen Zuspruchs erfreut.
Die Ära Kurt Broicher (1957 – 1970)
Im Laufe ihrer Geschichte haben eine ganze Reihe von Direktoren die Geschicke der Weinbaudomäne Marienthal gelenkt. Zu diesen zählte Kurt Broicher, der wie kein anderer die Domäne Marienthal geprägt und – man darf sagen – nicht nur sie, sondern auch das Ahrtal und den Ahr-Rotwein in aller Welt bekannt gemacht hat .
Regierungsdirektor Kurt Broicher war Direktor der Staatlichen Landes-, Lehr- und Versuchsanstalt Ahrweiler und der Staatlichen Weinbaudomäne Marienthal von 1957 bis Ende 1970.
Aus einer alten Bauern- und Winzerfamilie in Sinzig stammend – Sitz der Familie war ursprünglich der Sinziger Zehnthof – wurde er am 21.1.1906 geboren. Er studierte Jura und Landwirtschaft in Tübingen, Münster, Halle und Bonn. Als Diplom-Landwirt arbeitete er bei der Landesbauernschaft Rheinland und der Kreisbauernschaft Cochem-Zell, Rees-Dinslaken und Neuwied. 1947 ging er als Landwirtschaftslehrer in den Staatsdienst und war zunächst tätig an der Weinbauschule in Bullay. 1949 bis 1956 lehrte er als Dozent für Betriebslehre an der höheren Landbau- und Weinbauschule in Bad Kreuznach. Während dieser Zeit schrieb er zusammen mit Prof. Dr. W. Nicke die erste umfassende Darstellung der weinbaulichen Betriebslehre. (Grundlagen weinbaulicher Betriebswirtschaft, Frankfurt 1954).
Anfang 1957 übernahm Kurt Broicher als Direktor die Landes-, Lehr- und Versuchsanstalt für Weinbau, Gartenbau und Landwirtschaftschaft in Ahrweiler mit der Staatlichen Weinbaudomäne Marienthal, die er bis zu seiner Pensionierung Ende 1970 leitete.
In dem Werk „Persönlichkeiten der Weinkultur“, das 2002 in Wiesbaden erschien, wird die Leistung von Kurt Broicher u. a. folgendermaßen gewürdigt. „(…) Zur Entwicklung des Ahrweinbaus setzte sich Broicher entschlossen für die Weinbergsflurbereinigungen, den planmäßigen Wiederaufbau mit traditionellen Rebsorten und der züchterischen Verbesserung der Früh- und Spätburgunder sowie der Prüfung der Deckrotweinsorten ein. Diese Bemühungen waren gekoppelt mit einer Verbesserung der Imagepflege für den Ahr-Rotwein inner- und außerhalb des Gebietes. Dieses trug sehr zu seinem Ansehen und der allgemeinen Wertschätzung bei.“
Kurt Broicher war Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Er schrieb mehrere Artikel über Weinbau und Landwirtschaft im Kreis Ahrweiler, speziell über die klimatischen Bedingungen und die Bodenbeschaffenheit des Ahrtals – über alle Aspekte unserer Weinbauregion, was wir heute unter dem Begriff „Terroir“ verstehen. Insbesondere verfasste er die heute noch aktuelle umfassende Darstellung der Geschichte der Bodenkultur, die in der „Heimatchronik des Kreises Ahrweiler“ 1968 erschien. | Kurt Broicher |
Unnachahmliche Weinproben
Unvergessen sind seine unnachahmlichen Weinproben. Geprägt von hoher Fachkompetenz, angereichert mit Zitaten aus Dichtung und Literatur von der Bibel bis zur Gegenwart, vorgetragen mit einer ihm eigenen Feierlichkeit. Aus Bonn besuchten ungezählte Politiker, Diplomaten und Staatsbesucher Marienthal und waren begeistert vom Ambiente des Ortes und den Weinproben von Kurt Broicher. Nicht selten geschah es, dass schwierige politische Verhandlungen in Bonn nach Besuch von Marienthal mit einer solchen beeindruckenden Weinprobe am nächsten Tag problemlos zu Ende geführt wurden – die kontaktfördernde und völkerverbindende Wirkung des Weines ist uns ja allen bekannt.
Beispielhaft seien einige Veranstaltungen erwähnt, die in der Presse ausführlich gewürdigt wurden.
So fand in der Rotweinprobierstube des Kreises Ahrweiler in Bad Neuenahr im März 1966 ein Empfang der SPD-Landtagsfraktion des Landes Rheinland-Pfalz statt, die höchstes Lob erntete:„Nicht nur die Qualität der 11 Weinsorten, sondern auch die beschwingte poetische Darbietung durch den Direktor der Landeslehranstalt Ahrweiler und Weinbaudomäne Marienthal Kurt Broicher begeisterten die Teilnehmer des geselligen Zusammenseins.“
Der Wormser Oberbürgermeister Heinrich Völker sprach sich anerkennend aus über diese edlen Gewächse des Ahrweinbaugebietes. Dies sei eine Werbung im besten Sinne gewesen. Lobend äußerten sich auch der Winzer Landtagsabgeordneter Jean Beckenbach aus Alzey über die Probe. Er seit jetzt 70 Jahre, habe viele Weinproben erlebt, aber die Art wie Direktor Broicher konferiert habe, sei das schönste und beste gewesen, das er bisher mitgemacht habe. Man müsse ihn zum ‚Botschafter des Weins’ ernennen.“ (Rhein-Ahr-Rundschau vom 19.3.1966). Uneingeschränktes Lob findet sich auch in weiteren Berichten über Weinproben von Kurt Broicher.
Im Februar 1967 hielt Kurt Broicher für deutsch-japanische Parlamentarier eine Rotweinprobe. Er „erläuterte die gereichten Rotweinproben in einer fein geschliffenen musischen Form, die helle Begeisterung auslöste.“ (RAR vom 16. Februar 1967).
Zu den prominenten Gästen der Probe gehörten der japanische Botschafter in Bonn Exzellenz Fujio Uchida mit Attaches, der Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier und Vizepräsident Mommer, Bundestagsabgeordnete, darunter auch der Wahlkreisabgeordnete Johann Peter Josten sowie Landrat Heinz Korbach und führende Persönlichkeiten des Kreises Ahrweiler.
Im Kurhaus von Bad Neuenahr nahmen auf Einladung von Staatssekretär Hubert Hermans – Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz in Bonn – an einer Weinprobe im November 1969 u.a. auch Bonner Diplomaten teil. Zu den Teilnehmern gehörten: Staatsminister Heubl, Bayern; Dr. Pfitzer Direktor des Bundestages; Präsident Prof. Hallstein; Staatssekretär Hilf, Mainz; Freiherr Dr. von Weizsäcker mit Gattin; Staatsminister Dr. Bernhard Vogel; MdL Franz Schaaf mit Gattin, Excellenz Graf Knut Winterfeld, Botschafter von Dänemark; Excellenz Kennedy mit Gattin, Botschafter von Irland; Excellenz Montan mit Gattin, Botschafter von Schweden; Dr. Dr. Erich Rütten mit Gattin, Herr von der Groeben mit Gattin.
„Bei diesen feinen Weinen, dem sie begleitenden spritzigen Wort von Herrn Broicher und der sich bald entwickelnden Beschwingtheit der Konversation wuchsen die im festlichen Abendkleid versammelten Damen und Herren zu einer wahren Weinbruderschaft zusammen. Das Gespräch kam auch auf den Vergleich mit südlichen Spitzenweinen und auf eine verdeckte Rotweinprobe in Paris, bei der Ahrweine manchen französischen Spitzenweinen den Rang abgelaufen hatten.“ (RAR vom 22. November 1969).
Eine witzige Bemerkung des jüngst verstorbenen Fotografen und Neuenahrer Originals Jakob Steinborn machte die Runde: „Wenn man wüßt, daß es dort von diesem Wein täglich 2 Flaschen gäb, könnt man sogar 2 Jahre im Kittchen sitzen gehen“.
Laudatio
Ende 1970 wurde Regierungsdirektor Kurt Broicher nach 14 Jahren Tätigkeit im Ahrtal ehrenvoll in den Ruhestand verabschiedet. In der Laudatio auf ihn wurden als herausragende Leistungen für den Weinbau u. a. hervorgehoben: „Flurbereingung, Wiederaufbau, Verbesserung der Erzeugungs- und Absatzstruktur, gezielte Versuchsanstellung, Weinwerbung und Vorstellung seiner Weinproben über das Ahrgebiet weit hinaus, Nachwuchsausbildung, entscheidende Beratung bis hin zur Note ‚Rettung des Ahrweinbaus’ (…). Besonders wurde auch hervorgerufen, daß im Kreis Ahrweiler über 60 Landwirtschafts- und Winzermeister durch Herrn Broicher mit hoher Fachkompetenz bestens ausgebildet wurden.“ (RAR 1. Dezember 1970)
Kurt Broicher zog 1971 aus gesundheitlichen Gründen – ein schweres Bronchialleiden – an die Ostsee nach Timmendorfer Strand, von wo er die Geschehnisse im Ahrtal und insbesondere in Ahrweiler und Marienthal intensiv verfolgte. An seinem Leiden verstarb er am 23.8.1981 in Timmendorf. Seine Gattin, Hildegard Broicher, die ihm als Ehefrau fast 45 Jahre treu zur Seite stand und ihn bei seinen vielfältigen beruflichen Aufgaben tatkräftig unterstützte, zog es nach Bad Neuenahr zurück. Sie lebte hier bis zu ihrem Tod im Alter von 94 Jahren am 23.12.2005 im Augustinum.
Die souveräne Persönlichkeit von Kurt Broicher wurde geprägt von fundierter christlichhumanistischer Bildung, hoher Sach- und Fachkenntnis und ergänzt durch einen feinsinnigen Humor, der sich immer wieder in entsprechenden geistreichen Zitaten in seinen Weinproben zeigte. Einer meiner Patienten, ein prominenter Winzer und „Urgestein“ aus dem Ahrtal charakterisierte Kurt Broichers Weinproben mit folgendem Satz:
„Die Weinproben bei Herrn Broicher sind unvergesslich, sie waren so feierlich wie ein lateinisches Hochamt“.
Quellen und Literatur:
- Artikel aus der Rhein-Ahr-Rundschau vom 19.3.1966; vom 16. Februar 1967; 22. November 1969; 1. Dezember 1970; -Kurt Broicher: Neues Leben im Ahrweinbau. In: Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1960, S.87ff.
- Ders.: Zweitausendjährige Kultur verpflichtet – dem Europäischen Markt gewachsen – Römerrebe – Klosterrebe- Zunftsrebe. In: Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1968. S. 55ff.
- Ders.: Geschichte und Bodenkultur. In: Heimatchronik des Kreises Ahrweiler. Köln 1968. S. 302 – 346