Die Aachen-Frankfurter Heerstraße als Pilgerstraße – Die Betreuung der Ungarnpilger am Frauenpütz in Eckendorf
Unter dem Titel „Die Aachen-Frankfurter Heerstraße – Pilger-, Handels- und Krönungsstraße – in ihrem Verlauf von Sinzig über Eckendorf auf Karten, Photographien und Luftbildern“ fand 1998 im Museum der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler eine Ausstellung statt, die eindrucksvoll den Verlauf und die Bedeutung dieser Nord-Süd-Verbindung vor Augen führte. Zusammengetragen hatte die Materialien Andreas Schmickler.
Nachfolgend soll vor allem die Bedeutung der Straße als Pilgerstraße beschrieben werden.
Die A.F.H. wurde bereits im 8. Jahrhundert benutzt. Kaiser Karl der Große hatte Pfalzen entlang dieser Straße in Aachen, Düren, Sinzig, Ingelheim und Frankfurt. So war diese Landstraße die kürzeste Verbindung dieser Königssitze. Schon Pippin III., der Vater Karls des Großen, pflegte von Düren nach Andernach und von Sinzig nach Düren zu reisen, wie aus Berichten von 748 und 758 ersichtlich ist. Auch Kaiser Karl zog mit seinen Paladienen von seinem Geburtsort Heristal bei Lüttich über Düren nach Worms und zurück nach Düren. Dabei ist auch ein Aufenthalt in Sinzig beurkundet.
Die Pilgerstraße nach Aachen, Rom und Jerusalem
Auffallend im Vergleich zu anderen Straßen ist die große Anzahl von Heiligenhäuschen, Kreuzen und Kapellen, die noch heute an der Straße zwischen Sinzig und Düren zu finden sind. Leider sind noch in den letzten Jahrzehnten einige Kreuze verschwunden, die noch in Karten von 1935 eingezeichnet waren. Wir können davon ausgehen, dass diese Denkmale des gläubig frommen Sinnes unserer Vorfahren auch Zeichen des regen Pilgerverkehrs auf der Landstraße von und nach Aachen sind.
Englische Pilger scheinen die Straße schon zur Zeit Karls des Großen auf ihren Wallfahrten nach Rom und Jerusalem benutzt zu haben, wie aus einem Schreiben des Kaisers an König Offa von Mereien hervorgeht.
Die Karlsverehrung und die zahlreichen Reliquien zogen in den folgenden Jahrhunderten große Pilgerscharen nach Aachen.
Auf der „Landstraße“ (A.F.H.) entwickelte sich ein reger Verkehr. Auf ihr zogen die Könige zur Krönung nach Aachen, die Kaufleute zur Frankfurter Messe, auf ihr wallfahrteten die Pilger zu den Aachener Heiligtümern. Schon Einhard, der Chronist Karls des Großen, berichtet von der Vorliebe des Herrschers für die Aachenpilger. Der Kaiser gewährte den Pilgern Zollfreiheit an allen Schleusen, Brücken und Flüssen.
Seit mehr als einem halben Jahrtausend kommen alle sieben Jahre Pilger zu den fünf Großen Heiligtümern, dem sogenannten Kleid Mariens, den Windeln Christi, dem Enthauptungstuch des heiligen Johannes des Täufers und dem Lendentuch Christi nach Aachen. Dabei gibt es in Aachen daneben noch mehr zu bestaunen und zu bewundern. Vorrangig sei hier die Pfalzkapelle genannt, deren Bau 790 begonnen wurde. Für diesen Bau ließ Karl d. G. Marmor aus Rom herbeischaffen. Auch die Marmorplatten des Kaiserstuhls, auf dem der Kaiser während des Gottesdienstes thronte, waren von dort. Sie versinnbildlichen die Macht des Kaisers, der im Jahre 800 in Rom vom Papst gekrönt wurde. Nach der Heiligsprechung Karls des Großen auf Veranlassung Friedrich Barbarossas 1165 wurde für die Gebeine des Kaisers ein goldener Schrein gefertigt, der heute noch im Dom zu Aachen steht. Die Schädeldecke Karls wird in einer goldenen mit Edelsteinen verzierten Büste verehrt.
Der Weg der frommen Ungarnpilger
Allein aus Ungarn kamen nach Angabe eines Chronisten im Jahre 1510 etwa 5000 Pilger, teils von Köln, teils auf dieser Landstraße nach Aachen. „Alle 7 Jahre zogen Tausende aus der Donauebene Westungarns zur großen „Heiligtumsfahrt“ entlang der Donau über Wien, an Stift Melk vorbei nach Passau“1). In Regensburg an der alten steinernen Brücke stärkten sie sich in der historischen Kuchel, die heute noch steht, für die lange Weiterreise nach Nürnberg, wo den Pilgern an einem heute zugemauerten Fenster des Heilig-Geist-Spitals die Reichskleinodien deutscher Könige gezeigt wurden. Am Main waren Würzburg und Miltenberg Stationen auf dem Weg nach Frankfurt. In Miltenberg gab es eine Stiftung, das Spital St. Petrus, und mit ihm eine Vorschrift, dass alle armen Durchreisenden vom Spitalmeister freundlich aufgenommen werden sollten, ihnen die Füße gewaschen und eine reichliche Erquickung verabreicht werden sollte“2). In Miltenberg trennten sich bereits die Wege der Pilger. Wer arm war, zog durch den Spessart, wer es sich leisten konnte, nahm die Fähre bis nach Köln.
Von Frankfurt führte der Pilgerweg auf der bedeutendsten Handels- und Pilgerstraße des Mittelalters über Mainz, Koblenz nach Andernach. Hier erinnert das „Ungarnkreuz“ in der Liebfrauenkirche an die Ungarn, die hier vor dem ausgemergelten Körper Christi am grünen Holz des Lebensbaumes Kraft für den weiteren Weg nach Aachen schöpften. In Andernach, wo zahlreiche Stiftungen zugunsten der Aachenpilger bestanden, pflegten die Pilger länger zu rasten. Kreuz und Fahne der Ungarn wurden hier aufbewahrt. Ihr Weg führte dann über Sinzig, Bodendorf am Köhlerhof vorbei in Richtung Grafschaft nach Eckendorf. Die Entfernung von Andernach bis Eckendorf betrug 33 km.
Blick auf Eckendorf von der Fritzdorfer Straße aus: im Hindergrund Gelsdorf und am Horizont die Eifelberge
Die Betreuung der Ungarnpilger in Eckendorf
In Eckendorf wurden die frommen Pilger aus Ungarn mit Bier und Brot versorgt. Sicher haben sie auch am „Frauenpütz“ ihre wunden Füße gebadet; denn mit ihren Füßen hatten sie ja häufig Probleme, weil nur wenige sich eine Wallfahrt zu Pferd oder gar mit einem Wagen leisten konnte. Zu Hunderten oft zu Tausenden pilgerten die Ungarn alle 7 Jahre nach Aachen. Die Wallfahrten der Ungarnpilger wurden von Kaiser Joseph II. im Jahre 1769 verboten, wahrscheinlich weil sich viel lichtscheues Gesindel, Räuber und Dirnen, als Pilger tarnten, um unbehelligt durch die Lande ziehen zu können.
Ein Pilgerverkehr auf der alten Landstraße wird erstmals am 13. September 1337 bezeugt: „sabbato post navitatem virginis glorioso“ bitten die Gräfin Bonzietta von Neuenahr und die Bürger von Ahrweiler um fromme Gaben für den Überbringer des Schreibens, Peter von Ahrweiler. Dieser hat damit begonnen, zu Eckendorf, wo die Aachen-Pilger durchziehen, eine unterirdische Wasserleitung zur Erfrischung der Durstigen und Matten zu bauen“3).
Der Frauenpütz
Diese Wasserleitung konnte aber – wie P. Hammerschlag ausführt – nicht unterirdisch gebaut werden. Sie führte zum sogenannten Frauenpütz an der alten Landstraße (A.F.H.). Dieses Pützchen befand sich ehedem in einem Häuschen, das an der Landstraße stand“. Das Wasser des Pützchens entsprang einer Quelle im „Üerfeld“ und wurde durch „Kallen“ (Holzrinnen) einem in dem Häuschen aufgestellten „Sarck“ (Steintrog) zugeführt. An diesem Trog befanden sich „Schebbers“ (Schöpfkellen) zum Schöpfen des Wassers4).
Bezüglich dieses Frauenpützes wurde am 4.2.1668 ein Vergleich zwischen Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Ahrweiler „als Provisori der Pfarrkirche daselbst und dem Schultheiss der Gemeinde Eckendorf dahin abgeschlossen, dass besagter Pütz durch einen Graben über eine Wiese, die dem Schultheissen Heinrich Develich zu Pitzen (er hat wahrscheinlich ‘auf der Bitz’ gewohnt) gehört, in den Bach abgeleitet wird, womit die beantragte Aufräumung des Pützes erledigt wird“5). Der Hofmann des Ahrweiler Kirchengutes, dem bisher die Reinigung des Pützes oblag, soll fortan der Kirche Eckendorf als Almosenspende 4 Sester Korn und außerdem einmalig 1/2 Ohm Wein überweisen. Alle 7 Jahre, wenn die ungarischen Pilger ihre Pilgerfahrt haben, sollen dagegen die besagten 4 Sester Korn an diese für Bier und Brot ausgeteilt werden.
Späterhin scheint die Gemeinde die Unterhaltung des Pützes wieder vernachlässigt zu haben, denn aus einem Pachtvertrag vom 9.11.1766 zwischen dem Kirchenhalbwinnern (Pächter) „ernestus und gertrudis unkelbach und ihrer loßledigen Schwester anna elisabeth unkelbach und den herren provisoren der Pfarrkirchen zu ahrweiler“ geht hervor, dass die Pächter den „frauen pützgen im standt, und lauff halten“6). (Ahrweiler Stadtarchiv B IV b 1). Aus einem Schriftsatz vom 30.12.1699 (Pfarrarchiv Eckendorf) geht hervor, dass die Kirche von Ahrweiler infolge einer Erbschaft verpflichtet war, das Frauenpützchen zu unterhalten.
Ende der 1660er Jahre war das Pützchen ausgebrochen, wodurch Pferde des Schultheissen Johann Aldenburg mit dem Pflug versanken. Sie mussten mit Hilfe vieler Leute mit „Schüppen und Hacken“ ausgegraben werden. Dieser Vorfall war sicher auch der Anlass für die Vereinbarung vom 4.2.1668.
Die Gildenbruderschaft zu Ahrweiler
In Ahrweiler bestand schon im 15. Jahrhundert eine Gildenbruderschaft, zu deren Obliegenheiten es unter anderem gehörte, die armen Pilger zu unterstützen, die auf der Heiligtumsfahrt nach Aachen die Aachener Landstraße benutzen.
Eine Urkunde vom 24.2.1505 besagt:
„Kirstgin Kempgis von Vettelhoven und seine Frau Tyrne gegen Ablieferung von 3 Maltern (etwa 3 Doppelzentner) Korns jährlich die Halbscheid mehrer Güter zu Gillersen, welche Frau Druytgin Scheffens der Gildenbruderschaft zu Ahrweiler, zu einer Spende für arme Pilger zur Heiligtumswallfahrt auf der Aachener Aicherstrassen zu allen heiltoms fahrten zu spynden, vermacht hat“7).
Die Zeigung der Aachener Reliquien
Die erste urkundliche Erwähnung für die Aachener Heiligtumsfahrt erfolgte 1312. Aber erst seit dem Krönungsjahr Karls IV. 1349 weiß man, dass die Heiligtümer alle sieben Jahre gezeigt wurden, wobei die heilige Zahl sieben
eine entscheidende Rolle spielte.
Auch heute noch kommen Tausende von Pilgern in Prozessionen zur Heiligtumsfahrt nach Aachen. Allein im Jahre 1979 zählte man an die 150000 Wallfahrer. Zweieinhalbtausend Uniformierte aus den USA, Großbritannien, Holland, Belgien und der Bundesrepublik beteten mit ihren Pfarrern für den Frieden der Welt.
Die Heiligtümer werden in Aachen in einem vergoldeten Schrein, dem Marienschrein aufbewahrt. Zuletzt im Jahre 1993 wurde dieser Schrein von zwei Goldschmieden geöffnet. Der Domkustos hob die in Seide verpackten und mit Wachssiegeln versehenen Textilien aus dem Schrein und übergab sie nach alter Tradition Franziskanerschwestern, die die kostbaren Reliquien von Siegel und Verpackung lösten.
Der Streit um die Echtheit der Aachener Heiligtümer ist nicht verstummt. Aber er ist mehr und mehr einer neuen theologischen Deutung gewichen. „Bischof Hemmerle sprach im Jahre 1979 von heilsgeschichtlichen Zeichen, die die Heiligtümer vermitteln. Wer das Kleid Mariens sehe, müsse an das widerspruchslose Ja zu Berufung denken, wer die Windeln betrachte, müsse sich fragen, ob er in dieser unserer Zeit Ja zum Kind sage. Das Enthauptungstuch des Johannes sei ein Zeichen des Bekennermutes eines Mannes und das Lendentuch erinnere an den Opfertod Jesu.“8) Aachen erlebte 14 Tage lang ein gläubiges, betendes und singendes Volk.
Die Aachener Heiligtumsfahrten beginnen am 10. Juli, eine Woche vor dem Kirchweihfest, und enden am 24. Juli.
Nicht nur die Heiligtümer selbst, sondern auch die Verehrung des 1165 heiliggesprochenen Stadtpatrons Karl lockte früher die Pilgerscharen aus aller Welt herbei. Karl der Große, Kaiser des „Imperium Christianum“ und Vater des Abendlandes hatte mit seiner Pfalzkapelle, die einst Krönungsstätte deutscher Könige war, ein Wallfahrtszentrum geschaffen, das für Jahrhunderte als das Bedeutendste in ganz Deutschland galt.
Pilgerkleidung, -büchlein und -abzeichen
Die Pilger mussten die Stationen ihrer Wallfahrt nachweisen, denn oft war ihnen der Wallfahrtsweg genau vorgeschrieben. Deshalb gab es ein Pilgerbüchlein und ein Abzeichen, das zu Aachen das Gewand der Jungfrau Maria zeigte. Der Pilgerstab war ein unentbehrliches Zubehör. Der große Hut und das weite, pellerinenartige Gewand ein Schutz gegen Regen und Wind.
Es muss schon ein besonderes Erlebnis für die Einwohner von Eckendorf gewesen sei, wenn die Ungarnpilger von der Fritzdorfer Windmühle am Schutzengelkreuz vorbei durch den Hohlweg betend und singend in ihrer Pilgerkleidung auf das Dorf zukamen, wo sie herzlich empfangen und mit Speise und Trank versorgt wurden.
Pilgerbüchlein und -abzeichen gibt es auch heute noch, jedoch fahren die Pilger im Sonderzug oder im vollklimatisierten Omnibus nach Aachen. Wunde Füße holt sich niemand mehr.
Im Jahre 2000 fand wieder eine Heiligtumsfahrt nach Aachen statt, zu der viele Gläubige nach Aachen pilgerten, um in den Dom vor den Heiligtümern zu beten.
Literatur:
P. Hammerschlag: Urkundliches und Mündliches über Eckendorf – Kreis Ahrweiler und seine Nähere Umgebung. 1936
Richard Neumann: Ortsstudie von Eckendorf
100 Jahre Eckendorfer Pfarrkirche 1993
Heimatjahrbücher des Kreises Ahrweiler: 1939, 1961, 1967 und 1986
Weltbild 21. Mai 1979 und 10. September 1979
Dr. Hans Nottebrock. Die Aachen-Frankfurter Heerstraße in ihrem Verlauf von Aachen bis Sinzig.
Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, 1994. Die Aachenfahrt während der französischen Herrschaft 1792/94-1814.
Wallfahrt im Rheinland, 1981 herausgegeben vom Amt für Rheinische Landeskunde.
Hans Frick, Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr, 1933
Anmerkungen:
- Weltbild vom 21. Mai 1979, S. 59
- ebenda S. 60
- Stadtarchiv Ahrweiler A 12
- Archiv der Pfarrgemeinde Eckendorf
- Hammerschlag, S. 7
- ebenda
- Stadtarchiv Ahrweiler A 107 und BIV b 2
- Weltbild vom 10. September 1979, S. 80