Deutsche Weinkönigin 1973/4Ingrid Kurth aus Bachem
VON MARGOT-GABRIELE BODE
Foto: Kreisbildstelle
Deutsche Weinkönigin Ingrid Kurth
Den Beweis, daß sie Feste – wie sie fallen – tüchtig feiern und zu zittern Erlebnis werden lassen können, erbringen Ahrweiler, Bachem und Walporzheim alljährlich bei zahllosen Gelegenheiten. Seien es Wein-, Winzer-, Schützen- oder Feuerwehrfeste. Doch all diese Feste haben eines gemein‘ sam: Ihre Termine sind bekannt, sie werden groß und mehrmals angekündigt, ihre Programme sind rechtzeitig auf Plakaten, in den Zeitungen oder in den „Nachrichten“ zu lesen, sie werden wochenlang mit viel Mühe und ehrenamtlicher Arbeit vorbereitet.
Am 8. Oktober 1973, einem Montag, feierten Ahrweiler, Bachem und Walporzheim ein Fest aus dem Stegreif, für das niemand einen Platz im Terminkalender freigehalten hatte, für das keine Einladungskarten verschickt worden waren, für das kein Plakat aushing, für das nicht wochenlang. Vorarbeit geleistet worden war; Ein Fest, für das sich jeder von noch so wichtigen „anderweitigen Verpflichtungen“ freinahm. Die Rotweinmetropole, das mittelalterliche Juwel, das rheinische Rothehburg feierte; Ingrid Kurth, 21 Jahre jung, frühere Weinkönigin des Frühburgunderortes Bachern und damals amtierende Majestät des Weinbaugebietes.
Die Wahl in Neustadt
Ingrid Kurth, Deutsche Weinkönigin 1973/74! Diese Nachricht verbreitete sich nach dem Wahlabend zum Auftakt des Deutschen Weinlesefestes am 6. Oktober 1973 in Neustadt an der Weinstraße wie ein Lauffeuer durch die Kreisstadt und den Kreis Ahrweiler. Sie ging nach Bonn und nach Mainz, nach Koblenz und nach Oberwesel. Ingrid Kurth, Deutsche Weinkönigin1973/74! Ingrid Kurth hat es geschafft! Die Ahr hat es geschafft! Der Jubel kannte keine Grenzen. Seit dem 6. Oktober 1973 trägt Bachern mit Stolz den Beinamen „Heimatort der Deutschen Weinkönigin“; und Ahrweiler ließ es sichebenso wenig nehmen, an den Stadttoren Schmuckschilder mit dem Hinweis darauf anzubringen, daß die Rotweinmetro pole die Heimatstadt der Deutschen Weinkönigin ist. Wer hatte die Prophezeiung gewagt, daß Ingrid Kurth aus Bachem, Ahr-Gebietsweinkönigin und damit Kandidatin der Ahr in Neustadt, am 6. Oktober 1973 zur Deutschen Weinkönigin, zur Repräsentantin des deutschen Winzerstandes und zur Botschafterin des deutschen Weines gewählt wird? „Weissagung“ war eine viel zu unsichere Sache. Zu den Erwartungen, die sie selbst mit ihrer fahrt nach Neustadt und mit ihrer Teilnahme an der Wahl der Deutschen Weinkönigin verknüpft hatte, sagt die Vorstandssekretärin bei der Kreissparkasse Ahrweiler offen, und ehrlich: „Mein Bestreben war, in , die Stichwahl zu kommen, und weiter habe ich nicht gedacht.“
Ingrid Kurth kam in die Stichwahl – mit den Kandidatinnen der Weinanbaugebiete Nahe und Mosel- Saar-Ruwer. Und sie entschied diese Wahl für sich. Eine Wahl auf den Königsthron des deutschen Weines, die – so Bürgermeister Rudolf Weltken beim Empfang der Deutschen Weinkönigin in ihrer Heimatstadt nicht nur das 53köpfige Wahlgremium ehrte, sondern alle, die sich mit dem deutschen Wein verbunden fühlen. Die neue Deutsche Weinkönigin wurde in Anwesenheit ihrer „Begleitmannschaft“ aus Bachem von ihrer Vorgängerin Ulrike Seyffardt gekrönt und übernahm für ein Jahr die nicht immer leichte Aufgabe, sachverständig über deutschten Wein zu informieren, Verbraucheraufklärung zu leisten und: als charmante Botschafterin zu Weinwochen, Empfängen, Ausstellungen zu reisen. Die Hoffnungen, die die deutschen Winzer in den persönlichen Einsatz und die persönliche Ausstrahlung der fachkundigen Deutschen Weinkönigin setzen, sind außerordentlich hoch. Das wußte Ingrid Kurth von Anfang an sehr genau, Und sie war sich ebenso der Verpflichtung bewußt, die ihr durch ihre Wahl für den Ahrwinzerstand und für den Ahrwein erwuchs. Zurück zum 6. Oktober 1973, an dem Kultusminister Dr. Bernhard Vogel als Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung einer glückstrahlenden neuen Deutschen Weinkönigin, die er im Ahrtal schon kennengelernt hatte, herzlich gratulierte und viel Erfolg bei ihrem Bemühen wünschte, dem deutschen Wein neue Freunde zu gewinnen. Und zurück zum 8. Oktober 1973, an dem die Frage: „Haben Sie mit Ingrids Wähl gerechnet?“ als einziger ihr Vater mit einem festen „Ja!“ beantwortete. Nicht etwa, daß irgend jemand Ingrid Kurth ihren großartigen Erfolg in Neustadt an der Weinstraße nicht gewünscht oder gar mißgönnt hätte. Ganz im Gegenteil! Nur: Wie oft hatte das Ahrweinbaugebiet seine Kandidatinnen mit den besten Wünschen und den größten Hoffnungen, aber ohne Erfolg zur Wahl der Deutschen Weinkönigin begleitet… Wie oft waren zu Hause alle fest davon überzeugt, daß diese Kandidatin das Zeug dazu hat und es endlich schafft, und erlebten eine herbe Enttäuschung… Wie oft wurde kolportiert: Na ja, die Ahr war eben ganz einfach nicht an der Reihe, wir sind nur ein kleines Weinanbaugebiet, wer kennt uns schon, wer wählt denn eine Kandidatin von der Ahr… Tatsache ist: Seitdem Marita Heinzen, jetzt Marita Mies, Anfang Oktober 1962 mit der Krone der Deutschen Weinkönigin in ihre Heimatstadt Ahrweilwr zurückkehrte, gelang es dem Ahrtal bis 1973 nicht, wieder eine Deutsche Weinkönigin zu stellen. Prinzessinnen schon, aber keine Majestät. Bis Ingrid Kurth kam, sah und siegte, die zweite Deutsche Weinkönigin aus dem Ahrtal überhaupt.
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Die Deutsche Weinkönigin und die Gebietsweinkönigin Marianne Hostert bei der Eröffnung des Weinmarktes der Ahr 1974 durch Staatsminister Otto Meyer
Empfang in der Heimatstadt
Aber die lange Wartezeit, in der Resignation immer mehr um sich griff, hatte auch ihr Gutes. Den großen Enttäuschungen folgte die noch größere Freude. Ahrweiler und Bachem empfingen ihre Deutsche Weinkönigin mit einer Begeisterung, die sie überwältigte.
In der Empfangshalle des Hauptgebäudes der Kreissparkasse Ahrweiler floß am 8. Oktober der Sekt in Strömen. Um Ingrid Kurth mit ihren Eltern, ihrem Verlobten, ihren zukünftigen Schwiegereltern, ihren Chefs Josef Morschhäuser und AIbert Kirfel und ihren Kolleginnen und Kollegen versammelte sich sämtliche Prominenz. Der CD U-Bundestagsabgeordnete Johann Peter Josten, der CDU-Landtagsabgeordnete Franz Schaaf, Regierungspräsident Heinz Korbach, Landrat Dr. Christoph Stollenwerk, Bürgermeister Rudolf Weltken, Kurdirektor Carl Alexander von der Groeben. Die beiden Wahlmänner des Ahrweinanbaugebietes in Neustadt an der Weinstraße, Wilhelm Josef Sebastian und Erwin Bertram von der Gebietsweinwerbung Ahr, erschienen ebenso wie fast der gesamte Stadtrat, Vertreter des Verkehrsvereins Ahrweiler, der Bürgergemeinschaft Bachem, der Ahrweiler Schützengesellschaflen, der Landes-Lehr- und Versuchsanstalt… Jeder mit „Rang und Namen“ und zahllose ohne „Rang und Namen“ erwiesen der Deutschen Weinkönigin ihre Reverenz, gratulierten, überreichten ganze Blumenberge. Vor dem Niedertor wartete eine prächtige
blumengeschmückte Kutsche auf die Majestät. Das Tambourkorps Ahrweiler und die Musik Vereinigung Ahrweiler-Bad Neuenahr spielten zu Ehren der Deutschen Weinkönigin, die Junggesellenschützen traten zu Ehren der Deutschen Weinkönigin in Uniform an, die Honoratioren legten zu Ehren der Deutschen Weinkönigin den Weg vom Niedertor zum Marktplatz zu Fuß zurück. Ingrid Kurths Fahrt wurde zu einem Triumphzug für sie, für die Winzer, für den Wein. Fahnen wehten als Zeichen der Begrüßung, der Freude und der Gratulation. Glückwünsche klebten an Schaufensterscheiben. Böllerschüsse krachten. Das Tambourkorps, die Musikvereinigung und die Vereinigten Männergesangvereine von Ahrweiler, Bachem und Walporzheim brachten Ständchen.
Als Regierungspräsident Heinz Korbach auf dem Rathausbalkon in Ahrweiler ans Mikrofon trat, standen auf dem Marktplatz Hunderte, die sich freuten, klatschten, jubelten. „Die Entscheidung von Neustadt schlug wie eine Bombe ein!“, faßte der Regierungspräsident all das zusammen, was noch nicht jeder richtig wahrhaben, wirklich begreifen konnte. Ingrid Kurth! Deutsche Weinkönigin! Aus dem Ahrtal! Aus Bachem! Endlich, endlich…
Daß die Ahr endlich wieder an der Reihe gewesen wäre – wer das annahm, der irrte sich. Ingrid Kurth hätte die Mehrheit der Stimmen des Wahlgremiums in Neustadt bestimmt nicht bekommen, wenn sie nicht durch ihre Ausstrahlung, ihr Fachwissen, ihren Charme, ihre Schlagfertigkeit, ihre Bescheidenheit überzeugt hätte. Zugeständnis an Ingrid Kurth – nur weil sie von der Ahr kommt? Wer konnte das auch nur für eine Sekunde in Erwägung ziehen? Ihre Wahl zur Deutschen Weinkönigin hat Ingrid Kurth mit Sicherheit und ohne Zweifel sich selbst zuzuschreiben, nicht aber etwa ihrem Heimatweinanbaugebiet oder ihrem Heimatort. In ihrer Ansprache an „viel Volk“ auf dem Marktplatz konnte Ingrid Kurth nach ihrem Einzug in die Stadt und bei der Begeisterung, die sie erlebte, schon sicher sein: Alle freuten sich mit ihr darüber, daß im Ahrtal wieder eine Deutsche Weinkönigin beheimatet ist. „Ich wollte die Ahr würdig vertreten, und ich habe mehr erreicht als ich je erträumt hätte.“ Und: „Ich bin überwältigt von dem großartigen Empfang!“
Nach dem Zeremoniell auf dem Marktplatz drängten sich im Sitzungssaal des Rathauses Ahrweiler die Gäste um Ingrid Kurth wie die Sardinen in einer Büchse. Das Sektglas in der linken Hand, die rechte zur Gratulation frei. Immer wieder baten Fotografen: „Cheese“ – „Keep smiling“. Die Deutsche Weinkönigin wurde allein, mit Verwandten, mit Bekannten, mit früheren Weinköniginnen, mit politischer Prominenz fast ohne Unterlaß „abgelichtet“, und nicht jeder konnte sich den Weg zu ihr bahnen, bevor der Heimatort Bachemn zu seinem Recht kam und die Deutsche Wein-königin mit einem beeindruckenden Fackelzug ehrte.
Für Ingrid Kurth begann am 6. Oktober 1973 ein Jahr froher Regentschaft mit einer Fülle von Amtspflichten, die sie für die deutschen Winzer, den deutschen Wein, alle Weinfreude und solche, die es werden wollen, gern erfüllte. Eine mit dem Ahrwein aufgewachsene charmante Regentin, die als Weinkönigin drei verschiedene Ämter -mehr ist nicht möglich – bekleidete. Nachdem sie im Mai 1972 von den Bachemer Mädchen zur Majestät gewählt worden war, übernahm Ingrid Kurth am 1. Juli 1972 das Amt der Bachemer Weinkönigin von Inge Bitzhöfer und gab es am 30. Juni 1973 an Brigitte Mies weiter. Unter sieben Bewerberinnen aus den Ahrweinorten wurde sie am 28. April 1973 als Nachfolgerin von Ruth Stodden zur Ahr-Gebietsweinkönigin gewählt und krönte am 27. April 1974 ihre Nachfolgerin Marianne Hostert. Dazwischen lag der große Tag, der 6. Oktober 1973, in Neustadt.