Deutsche als Helfer beim Flug zum Mond
VON HEINRICH O. OLBRICH
Rahmen und Aufgabe unseres Jahrbuches erfordern es, daß wir dem größten Ereignis unserer Gegenwart die gebührende Beachtung schenken.
Ein solches weltumspannendes Geschehen ist der Mondflug der Amerikaner am 24. Juli 1969. Mit dieser Tatsache hat das planetarische Zeitalter begonnen.
Dieses Jahrhundertwerk hat das amerikanische Volk vollbracht. Die amerikanischen Astronauten haben bei der Bewertung der Arbeitsleistung, die von Blut und Schweiß und Tränen, Enttäuschungen und endlich von Erfolgen begleitet worden ist, bescheiden festgestellt, daß dieses Unternehmen eine internationale Spitzenleistung einer Gemeinschaftsleistung menschlichen Geistes und menschlicher Energie darstellt. ‚
Es ist durchaus wertvoll, den Vorarbeiten, die zu diesem epochalen Gelingen geführt haben, etwas nachzugehen. Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543), geboren in Thorn, verbrachte die fruchtbarste Zeit seiner Lebensarbeit als Domherr in Frauenberg (Ermland), wo er auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Nach jahrzehntelangen Beobachtungen und Forschungen schrieb er das sechs Bücher umfassende Werk „Über die Umläufe der Himmelskörper“. Er führte darin den Nachweis, daß sich die Erde und die übrigen Planeten um die Sonne drehen — und nicht umgekehrt, wie man damals allgemein glaubte. Da auch die höchsten Kirchenstellen diesen Standpunkt vertraten, war es für Kopernikus bedenklich, als Angehöriger dieser Kirche und somit auch ihrer Weltanschauung noch bei Lebzeiten seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu veröffentlichen. Kopernikus widmete sein Werk dem damaligen Papst Paul III, das 1543 in der Öffentlichkeit erschienen ist. Papst Paul IV. setzte sofort das Werk auf den Index der verbotenen Bücher.
Im Jahre 1753 erschien von dem damals 30jährigen Immanuel Kant, wohnhaft in Königsberg, das Werk „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“. Er entwickelte darin die Entstehung des Planetensystems und des Fixsternhimmels. Durch diese Studienergebnisse wurde er der Vorläufer der heutigen Kosmologie.
Nach diesen theoretischen Vorarbeiten deutscher Gelehrter wenden wir uns den praktischen Auswirkungen dieser Erkenntnisse zu.
Im Jahre 1867 wanderte der damalige Müllerssohn Hermann Gauswind aus Voighof, bei dem Städtchen Seeberg in Ostpreußen gelegen, zur Weltausstellung in Paris; angezogen besonders durch die Wunder moderner Technik, die dort studiert werden konnten. Auf der Hinreise beschäftigte sich der Grübler G. mit dem Problem einer Weltraumreise nach dem Mond. Er baute seine Ideen wissenschaftlich aus und wurde bald bekannt.
Als er im Jahre 1891 in der Philharmonie in Berlin unter gleichzeitiger Vorführung eines von ihm eigenhändig konstruierten Modells eines „Weltfahrzeuges“ einen sehr interessanten Vortrag hielt, wurde er trotzdem ausgelacht. Er hat damals schon an seinem Modell die Schubkraft auf dem Prinzip des explosiven Rückstoßantriebs entwickelt.
Nur langsam setzte sich seine Ansicht durch, bis er endgültig als der uneingeschränkte Pionier der Raumfahrt anerkannt wurde.
In dieser Zeit erschien von dem Franzosen Jules Verne das Buch „Reise nach dem Mond“, das von den Jugendlichen gern gelesen wurde. Zu den Schwärmern dieses Lesekreises gehörte auch der äußerst talentierte deutsche Arztsohn Hermann Obcrth aus Hermannstadt in Siebenbürgen. Er studierte sehr eifrig und verfaßte schon in jungen Jahren eine wissenschaftliche Abhandlung „Die Rakete zu den Planetenräumen“ als Dissertation. Die zünftigen Wissenschaftler lehnten die Arbeit ab. Daraufhin ließ sie der junge Oberth privat drucken und übergab sie der Öffentlichkeit. Es war in den zwanziger Jahren. Die Veröffentlichung hatte einen durchschlagenden Erfolg.
Im Blickfeld der heutigen Raketenentwicklung gilt diese Bearbeitung als das klassisch theoretische Werk der wissenschaftlichen Raumfahrtkunde. Es hat zahlreiche junge Astronauten zur Mitarbeit begeistert, und Oberth fand viele jugendliche Verehrer.
Zu ihnen gehörte der von einem außerordentlichen Erfindergeist begabte Helmut von Ibwronski, der Sohn eines böhmischen Geschlechts in Theresienstadt. Angeregt und gefördert durch Oberth, widmete er sich der Entwicklung der technischen Seite der Weltraumfahrt und leitete in den dreißiger Jahren in den Bayrischen Motorenwerken Planung und Bau von Raketenprüfständen. Die Entwicklung zweckmäßiger Antriebe der Raketentechnik in dem Entwicklungs- und Versuchszentrum Peenemünde sind sein Verdienst.
Nun wenden wir uns den Spuren des in dem Erfolgsstadium des Mondfluges so häufig genannten Wernher von Braun zu. Er ist Direktor des Marshall-Raumflugzentrums in Huntsville (Alabama).
Seine Ahnen wohnten mehrere Generationen hindurch auf einem Rittergut in Neuken, Kr. Pr. Eylau. Ein anderer Zweig dieser Familie, die Reichsfreiherren von Braun, wohnten in Mittelschlesien. Anfang unseres Jahrhunderts schlug der zweite Sohn der Erben von Neuken die Verwaltungslaufbahn ein und wurde zunächst Landrat in Wirsitz in der Provinz Posen. Hier heiratete er die Tochter der Familie Quistorfs aus Ostpommern. Sie ist die Mutter des so berühmt gewordenen Wemher von Braun, Seine Mutter war eine Persönlichkeit, die an naturwissenschaftlichen und astronomischen Fragen stark interessiert war. Sie verstand es, in dem begabten aber auch eigenwilligen Sohn Wernher Bewunderung und schließlich Begeisterung für die Wunder des Himmels zu „wecken.
Wernher studierte eifrig die Schriften des eingangs erwähnten Kopernikus, Kant und neuzeitliche Technik. Als er von Oberth starke Förderung erfuhr, schwebte ihm nur ein Ziel, die Planeten zu erobern, vor. Das bestimmte sein Lebensschicksal.
Er strebte eisern an, aus der bisherigen Traumwelt in die astronautische Wirklichkeit durchzustoßen. Zahlreiche begeisterte gleichgesinnte Verehrer scharten sich um ihn. Die jungen Astronauten, Wissenschaftler und Ingenieure schlössen sich 1927 in Breslau zu dem „Verein für Raumschiffahrt“ zusammen. Sein erster Vorsitzender war der Dipl-Ing. Winkler. Kriege sind häufig ungewollte Helfer des Fortschritts.
In Peenemünde, einem einsam gelegenen Flecken an der nördlichsten Spitze der Insel Usedom und an dem westlichsten Mündungsarm der Oder, der Peene gelegen, hat sich eine gleich-gesinnte, von gemeinsamen Eifer erfüllte Gemeinschaft unter dem Antrieb von Wernher von Braun und dem Altlehrmeister Oberth, zahlreichen genialen Ingenieuren und Organisatoren zusammengefunden. Nach Überwindung der anfänglichen Ablehnung gelang es hier, die V 2 zu entwickeln und vielfach zu erproben und schließlich in die Kriegsführung einzusetzen.
Nach dem Zusammenbruch 1945 wurden Wernher von Braun, Oberth, zahlreiche weitere engste Mitarbeiter, soweit sie noch greifbar waren, von den Amerikanern buchstäblich eingefangen und nach Huntsville in Amerika gebracht, wo die Vollendung der Konstruktion der Trägerrakete bis zur Perfektion der Apollo 11 erfolgte, die das Raumschiff auf den Mond trug. Zur Erreichung dieses schier unwahrscheinlichen Hochziels waren neben dem Können persönliche Begeisterung und ein geschlossenes Wollen und immerwährende Einsatzbereitschaft aller Mitarbeiter erforderlich. Es mußten gewaltige technische, organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten überwunden werden.
Im Mai 1961 erklärte Präsident Kennedy den Flug zum Mond als vorrangiges nationales Ziel. Am 24. Juli 1969 konnte Präsident Nixon der Welt verkünden, daß das Ziel erreicht ist.