DES DEUTSCHRITTERS AVE
„Herr Oft vom Bühl, nun drängt die Not,
und zeigt, wie treu Ihr’s meint!
Das Feld ist rot, und die Brüder sind tot,
und hinter uns rasselt der Feind.
Wohl klag‘ ich manch gebroch’nen Speer,
manch Wappenschild zerspalten;
doch schmerzt’s um den heiligen Kelch mich noch mehr
in meines Mantels Falten.
Im Schlachtfeld tranken wir alle daraus,
zu sühnen uns mit Gott;
soll nun beim wüsten Siegesschmaus
der Heid‘ ihn schwingen zum Spott?
Herr Ott, und fühlt Ihr Euch stark und jung,
noch einmal wendet das Roß,
versucht mit scharfem Schwertesschwung
noch einmal zu hemmen den Troß.
Und haltet Ihr nur so lang‘ ihn auf,
als Ihr ein Ave sagt,
so rettet meines Hengstes Lauf
den Kelch, um den Ihr’s wagt.“
Herrn Otts Besinnen war nicht groß,
sprach „Ja“ und weiter nichts;
des Meisters Roß von dannen schoß
im Strahl des Mondenlichts.
Und als das Kreuz auf dem Mantel weiß
nicht mehr zu kennen war,
da sauste schon auf Gäulen heiß
heran der Litauer Schar.
Und als der Mantel fern im Schwung
nur schien wie ein fliegender Schwan,
da fielen sie den Ritter jung
mit grimmigen Streichen an.
Die krummen Schwerter blinkten frei,
es rasselten dumpf die Keulen,
dazwischen ging ihr Kampfgeschrei
wie hungriger Wölfe Heulen.
Herr Ott vom Bühl sprach: „Ave Marie“
und führt‘ einen Hieb, der traf;
der Hauptmann flog vom Sattel aufs Knie
mit durchgespalt’nem Schlaf.
Das zweite Wort der Held dann sprach
und hieb noch kräftiger schier;
der Bannerträger zusammenbrach,
und über ihn fiel das Panier.
Und Wort um Wort, und Streich um Streich,
das war ein tapfer Gebet:
Bei jedem Spruch lag alsogleich
ein Heide dahingemäht.
Und es klaffte dem Ritter das Stahlhemd weit,
und es färbten die Ringe sich rot,
er aber ward nicht lasch im Streit,
und jeder Schlag war Tod.
Und es barst sein Schild, und es sank sein Pferd,
da kämpft‘ er fort zu Fuß;
mit beiden Händen schwang er das Schwert
und betete weiter den Gruß.
Und als zu Ende das Ave ging,
er führte noch einen Streich,
und in getürmter Leichen Ring
hinsank er blutend und bleich.
Sein Mund ward stumm, sein Arm ward schwer,
im Tode stand sein Herz;
nicht „Amen“ könnt er sprechen mehr,
das war sein letzter Schmerz.
Doch die Litauer warfen die Renner herum,
kein Streit mehr lüstete sie.
Gerettet war das Heiligtum
durch des Ritters Ave Marie.
Gott geb‘ ihm droben selige Statt
aufs tosende Schlachtgetümmel!
Wer so auf Erden gebetet hat,
mag „Amen“ sagen im Himmel.
Emanuel Geibel