Der Tempelhof in Niederbreisig
Ein Beitrag zur Heimat- und‘ Weltgeschichte von Leo Stausberg
Kaum eine Epoche der abendländischen Geschichte ist so von Tragik erfüllt wie die der Kreuzzüge. Zweihundert Jahre lang — von 1096 bis 1291 — bemühte sich die westeuropäische Ritterschaft, Palästina, das Ursprungsland des Christentums, der Herrschaft des Islams zu entreißen. Der anfänglich siegreiche Kampf endete als Trauerspiel: Das Heilige Land ging den Christen verloren, übrig blieben die drei geistlichen Ritterorden, die sich während dieses Ringens gebildet hatten: Templer, Johanniter und Deutschherren. Zu den drei herkömmlichen Mönchsgelübden der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams trat als viertes das des Waffendienstes im Kampfe gegen die Feinde des Christentums. Auch nach dem Verlust des Heiligen Landes blieben die Ritterorden dieser Aufgabe hingegeben. Drei Nationen waren an ihrer Gründung beteiligt: Franzosen, Italiener und Deutsche. Französische Kreuzritter unter Führung des Hugo von Payens fanden sich im Jahre 1118 bei der Tempelruine zu Jerusalem zu einem geistlichen Orden zusammen. Sie nannten sich daher Templer. Die „Templeisen“ trugen als Kennzeichen ein rotes Kreuz auf weißem Mantel. Ihr Ordenssiegel zeigte eine Moschee und zwei Ritter auf einem Pferd als Symbol ihrer (anfänglichen) Armut. Italienische Kaufleute aus Amalfi hatten im Jahre 1070 zu Jerusalem unter dem Patronat des hl. Johannes des Täufers einen „Verein zur Pflege der Kranken“ gegründet, aus dem nach dem Vorbild der Templer der Ritterorden der J o h a n n i t e r hervorging, den Papst Innozenz M. im Jahre 1130 bestätigte. Das Ordensmerkmal war ein achtzackiges weißes Kreuz auf rotem Waffenrock. Als die Johanniter ihre Stützpunkte auf dem Festlande aufgeben mußten, faßten sie zunächst auf der heute so oft genannten Insel Cypern, seit 1310 auf Rhodos Fuß. (Vgl. Schillers Ballade „Der Kampf mit dem Drachen“) — Eine dritte Insel nahm sie im Jahre 1523 auf: Malta. Daher nannte man sie auch Malteser. 1798 vertrieb Napoleon Bonaparte sie bei seinem mißglückten Feldzug gegen Ägypten auch von Malta.
Während der Belagerung von Akkon im Jahre 1190, am Ende des 3. Kreuzzuges, auf dem Kaiser Rotbart den Tod in den Fluten des Saleph gefunden hatte, bildete sich aus deutschen Kreuzfahrern der Orden der Deutschherren. In ihrem Schilde führten sie das schwarze Kreuz in weißem Feld. Sie verlegten später ihre Tätigkeit an die deutsche Ostgrenze und eroberten die Gebiete, die wir als das Ordensland Preußen kennen, dessen Residenz die herrliche Marienburg an der Nogat wurde.
Allenthalben entstanden damals im Abendland Niederlassungen, in denen diese Ritterorden ihren Nachwuchs heranbildeten und Mittel für den Kampf gegen die Feinde des Kreuzes bereitstellten. Eine einzige Zahl möge letzteres erhellen: Im Jahre 1548 führten die deutschen Ordensgüter der Johanniter an den Ordensschatz 170000 Gulden ab! An frommen Zuwendungen und Güterschenkungen fehlte es nicht. Oft waren es glücklich heimgekehrte Kreuzfahrer, die ein Gut zur Verfügung stellten, auf dem der betr. Orden eine Filiale errichtete. Weinberge, Äcker, Wiesen und Waldungen wurden schon bestehenden Häusern zur Ausstattung vermacht.
Auch in unserem engeren Heimatgebiet waren alle drei Orden durch Niederlassungen vertreten:
Die Deutschherren, die im Jahre 1216 das Hospital der Chorherrn von St. Florin zu Koblenz übernahmen, machten diese Stadt zum Sitz einer B a l l e i und errichteten jenes stattliche Haus am Deutschen Eck, das nach schweren Bombenschäden des 2. Weltkrieges heute wieder sein hohes Dach neben der Kastorkirche emporhebt. Bis zur Französischen Revolution blieben die Deutschherren dort ansässig. Vielerorts besaßen sie Höfe und Felder, so in Mayen, Lonnig, Kalt, Ochten-dung, Thür, Kruft, Plaidt, Dreckenach, Küttig, Mertloch.
Viel früher schon, im Jahre 1162, errichteten die Johanniter eine Komturei zu A d e n a u. Dort hatte Graf Ulrich von Nürburg diesem Orden nahe bei der altehrwürdigen Pfarrkirche ein Hofgut geschenkt. Die Pfarrkirche wurde der Kommende im Jahre 1224 ebenfalls inkorporiert. Die Adenauer Kommende der Johanniter blühte bis zur Franzosenzeit, wenn sie auch im Jahre 1518 mit der zu Trier vereinigt wurde. Das Adenauer Komtureigebäude blieb von den Bomben des 2. Weltkrieges verschont, während die schöne Kirche schwerste Schäden erlitt. Die Adenauer Johanniter besaßen u. a. Güter in Mayen und Hatzenport an der Mosel.
Auch die Templer treten schon früh im heutigen Kreisgebiet auf; denn bereits 1215 ist eine Güterschenkung der Koblenzer Florinsherren an den „Tempelhof“ in (Nieder-)Breisig beurkundet. An sich sind Templer-Niederlassungen im rheinischen Gebiet seltener als die der beiden anderen Orden. In Trier hatten sie einen Hof nahe der alten Moselbrücke, und in R o t h an der Our (Kreis Bitburg) zeugt heute noch die Templerkirche von ihnen. Auch Hönningen/Rhein hatte nachweislich seit 1273 einen „Tempelhof“. Uns interessiert in diesem Beitrag vor allem das HausderTemplerin Niederbreisig oder, wie es nach einer Inschrift von 1287 einst hieß: „Domus milice templi in Briseche!“ Wenn ich dabei etwas weiter ausgeholt habe, so deshalb, um den geschichtlichen Zusammenhang, in dem dieser Zeuge der
Portal des Tempelhofes zu Niederbreisig v. 1657
Foto: Paul Buschbaum
Vergangenheit steht, aufzudecken, vor allem auch, weil der Breisiger Tempelhof später den Johannitern gehörte. Von der ursprünglich weitläufigen Anlage mit Gotteshaus und Wirtschaftsgebäuden ist nur das hochgiebelige Komtureigebäude übriggeblieben. Es steht in der Nähe des Bahnhofes und des Thermalbades. Ein stark verwittertes Wappen mit einem Kreuz ist über der Haustür noch zu erkennen, dessen Umschrift lautet: „H. M. V. W. R. M. O. R. C. Z. T. A. B. S. S. V. W.“, das heißt vermutlich: „Henricus Miles von Warsberg-Rheineck, Militaris Ordinis Crucis „Zum Tempel“ ad Briseche, Sancti Sepuleri, von Warsberg.“ — Darunter die Jahreszahl 1657. In seiner heutigen Gestalt stammt das Haus aus diesem Jahre; denn das ursprüngliche Gebäude wurde im Dreißigjährigen Kriege teilweise durch Brand zerstört. Das war umso eher möglich, weil die Templer-Niederlassung außerhalb des einst durch Wall und Graben, Türme und Tore befestigten Städtchens Niederbreisig lag. Die Templer selbst haben die Breisiger Filiale nur etwa hundert Jahre besessen, denn dieser mächtige und reiche Orden, der nach dem Verlust des Heiligen Landes zunächst, wie ja auch die Johanniter, auf Cypern, danach in Frankreich seinen Hauptsitz hatte, wurde im Jahre 1312 aufgelöst. Diese Aufhebung eines um das Abendland hochverdienten geistlichen Ordens ist ein finsteres Kapitel der Geschichte. König Philipp der Schöne von Frankreich hatte es vermocht, den Orden, dessen Macht ihn verdroß und dessen Reichtum ihn begehrlich lockte, bei dem damals in Avignon residierenden Papst Klemens V. in Verruf zu bringen. Unter dem Vorwand der Ketzerei, Sittenlosigkeit und Gotteslästerung waren alle Templer gefangengesetzt und viele von ihnen nach einem Schauprozeß und nach grausamer Folterung als Ketzer verbrannt worden. In Frankreich verfiel das Vermögen des Ordens dem Staate und wurde später dem Johanniterorden zugesprochen. Die Pariser Ordensburg Je temple“ sollte später noch einmal traurige Berühmtheit erlangen: hier saß in der Großen Revolution die königliche Familie gefangen, ehe sie der Guillotine zum Opfer fiel. Der „Temple“ wurde im 19. Jahrhundert niedergelegt. — Auch das Tempelhofer Feld in Berlin hat seinen Namen von den Tempelherren. Die Niederbreisiger Templerbesitzung kam schon 1312 an den Johanniterorden und wurde, wie auch das Haus in Hönningen, mit der Kommende in Adenau vereinigt. Aus der eigentlichen Templerzeit des Breisiger Hauses müssen hier noch einige Daten und Namen mitgeteilt werden: 1245 begegnet uns in einer Urkunde der Ordensmeister Otfried von Breisig, 1268 Hildebrand, 1278 ein Komtur Gerlach. 1283 und 1284 werden dem Tempelhof Güter in B r o h l zugesprochen. Als Ordenskomtur zeichnet dabei ein „frater Conradus“. Heute noch kommen in der Brohler und Breisiger Gemarkung und anderwärts Flurbezeichnungen vor, die aus der Templerzeit stammen: in B r o h l: „Am Conradswingert“, „In der Herrenwiese,,, „Im Herrengarten“, „Im Pfaffenloch“, „Am Tempelfeld“; in Breisig: „Tempelwäldchen“, „Tempelacker“ und „Tempelwiese“. Auch im benachbarten Franken liegt heute noch der 80 Morgen große „Tempelwald“, und in Waldorf im Vinxtbachtal gibt es eine „Tempelwiese“. Im Gebüsch auf dem Dicktberg südlich von Brohl stehen Marksteine, die ein hochgiebeliges Haus mit einem Templerkreuz im Giebeldreieck zeigen. — Am 12. Oktober 1290 erhielt das Frauenkloster in Merten an der Sieg „von den Brüdern des Templerhauses zu Breisig“ einen Weinberg am Lievenberg zu Oberdollendorf und zahlte dafür jährlich 8 Solidi und neun Hühner.
Auch zwei nicht mehr vorhandene Sakralbauten zu Niederbreisig verdankten ihre Entstehung den Templern: die Nikolaus- und die Donatuskapelle. Erstere stand an der Stelle der jetzigen Niederbreisiger Pfarrkirche bis 1718. Ihr Rektor, jeweils ein Ordensmitglied, wurde abwechselnd durch die Florinsherren zu Koblenz und durch die Äbtissin zu Essen, der das Ländchen Breisig hoheitlich unterstand, nominiert. So setzt es eine Urkunde vom 23. Juli 1311 des kirchlich zuständigen Erzbischofs Heinrich II. von Köln fest.
Die eigentliche Kirche der Kommende war die schon genannte Donatuskapelle. Sie stand unmittelbar südlich neben dem Templerhaus. In ihr wurde eine Partikel des Heiligen Kreuzes, dessen bestellte Hüter die Templeisen waren, bewahrt. Zu Ehren der kostbaren Reliquie, die ein Tempelritter aus dem Heiligen Lande mitgebracht hatte, und welche heute im Besitz der Pfarrkirche St. Maria-Himmelfahrt in Niederbreisig ist, findet von altersher am Feste Kreuzerhöhung (14. September) eine Kirmes statt, der sog. „Olligsmaat“. Das Baujahr von St. Donatus ist 1245. Die Kapelle wird als ein bauliches Kleinod mit „meisterhaftem gotischem Laubwerk“ gerühmt, über das Endschicksal des Kirchleins ist weiter unten berichtet. Die Johanniter haben den Breisiger Templerhof danach 500 Jahre lang besessen. Trotzdem blieb die alte Bezeichnung „Tempelhof“ bestehen. In einem Schutz- und Trutzvertrag zwischen der Stadt An-dernach und dem Flecken Niederbreisig vom 13. Dezember 1362 ist u. a. „von unseres heiligen Kreuzes Leuten, die in dem Dorf oben, und nieden gesessen sind“ die Rede. Wahrscheinlich im Dreißigjährigen Kriege erhielt die Donatuskapelle ein Gemälde des großen Flamen Peter Paul Rubens (1577—1640), das die Enthauptung des hl. Johannes, des Ordenspatrons also, darstellte. Rubens war in Siegen geboren, in Köln getauft und wirkte zu Antwerpen. Einige Breisiger Komture aus der Johanniterzeit sind uns mit Namen bekannt: von 1328 bis 1335 Gerhard von Hammerstein, 1367 Karl von Montroyal, 1550 Hans Sergien, 1639 Wilhelm Heinrich von Wars-berg. (Das saarländische Grafengeschlecht Warsberg besaß von 1571 bis 1654 die Burg Rheineck als Erben der Mezza von Rheineck.) Vgl. auch die Inschrift über dem Portal! Der letzte Johanniterkomtur zu Breisig, dem zugleich die Kommenden in Überlingen am Bodensee, Trier, Adenau und Henningen unterstanden, war Freiherr Karl Eusebius, Truchseß von Rheinfelden. In einer Urkunde, datiert vom 8. Oktober 1779, verpachtet er dem „Kellner“ der Fürstäbtissin von Essen, Herrin zu Breisig, Markus Meurer die Einkünfte „der beiden Häuser zu Breisig und Henningen“. Als am 21. Oktober 1794 die französischen Revolutionstruppen in Breisig einrückten, war das Ende des Johanniterbesitzes in Breisig besiegelt. Bald wurden alle geistlichen Güter vom französischen Staat konfisziert und veräußert. So kaufte im Jahre 1812 der Bürger Adams den Tempelhof mitsamt der Donatuskapelle. Von diesem erstand das Besitztum der wallonische Straßenbauunternehmer Henri Fluchard aus Herve. Er nahm im Tempelhof seinen Wohnsitz, wo er am 21. Juni 1831 starb. Die Kapelle des hl. Donatus legte er nieder. Ein Sohn Philipp verzog später wegen seines Fuhrgeschäftes nach Brohl. Dort leben heute noch Nachkommen der Familie Fluchard. Das kostbare Rubensgemälde, das heute wohl einen Millionenwert darstellen würde, wurde, wie so viele andere Kunstwerke, nach Frankreich verschleppt und ist seither verschollen. Bekanntlich sind nach dem Frieden von 1815 die meisten der geraubten Schätze nach Deutschland zurückgeführt worden. Offenbar hat sich damals niemand um das Rubensbild bemüht. In den „Kunstdenkmälern des Kreises Ahrweiler“ (1941) ist die Vermutung ausgesprochen, daß es sich im Pariser Louvre oder in einer Pariser Kirche befinde.
Eine wertvolle Ordensfahne wurde ebenfalls gestohlen. Die Kreuzreliquie indessen wurde durch eine beherzte Frau Haas aus Henningen dorthin in Sicherheit gebracht und versteckt gehalten. Am 6. September 1826 kehrte das Kleinod nach Niederbreisig zurück und wurde am 14. September erstmals wieder nach langen Jahren zur Verehrung ausgestellt. 1940 und 1955 stieß man bei Bauarbeiten neben dem Tempelhof auf die Fundamente der Donatuskapelle. Im letztgenannten Jahre legte man zahlreiche Gräber frei. Wie mir die Arbeiter berichteten, hätten die Toten mit erdwärts gewandten Gesichtern in den Grüften gelegen.
Daß in der Kapelle auch vornehme Stifter beigesetzt wurden, kann bei dem feudalen Charakter des Ordens mit Recht vermutet werden. So dürfte das Epitaph der Burggräfin Johannetta von Rheineck, welches ich im Jahre 1951 in Brohl auffand und das nun an der dortigen Pfarrkirche steht, vom Abbruch der Donatuskapelle herrühren. Man beachte, daß der schon genannte Komtur Wilhelm Heinrich von Warsberg ein Abkömmling der Rheinecker Burggrafen war! (S. Heimatkalender 1954!)
Das Gäßchen neben dem alten Tempelhof heißt heute „Tempelgasse“, eine kürzlich neu gebaute Straße in Niederbreisig wurde „Malteserstraße“ benannt. Sie bewahren also mit Recht die Erinnerung an diese Gründung aus der Kreuzfahrerzeit von vor 800 Jahren. Diesem hehren Zwecke will auch der vorliegende Bericht dienen, damit offenbar werde, daß aus der Enge der Heimat oft Fäden hinlaufen in das große Geschehen vergangener Jahrhunderte und ferner Lande!